Durch Zecken übertragene Krankheiten

Borreliose und Frühsommermeningoenzephalitis

Gemäss Angaben des BAG haben in der Schweiz allein im Juni rund 9000 Personen wegen eines Zeckenstiches den Arzt aufgesucht. Das sind etwas mehr als im Vergleichsmonat im bisherigen Spitzenjahr 2018. Prof. Dr. med. Martin Krause, Chefarzt Innere Medizin am Kantonsspital Münsterlingen, erklärte am Update Refresher Allgemeine Innere Medizin, wie eine Borreliose festgestellt und behandelt wird und wer am meisten von einer FSME-Impfung profitiert.

Keypoints
  • Für die Lyme-Borreliose spielen hierzulande drei Subtypen des Bakteriums Borrelia burgdorferi eine Rolle.

  • Die Zecke muss mindestens zwölf Stunden Blut saugen, damit Borrelien unter die Haut abgesetzt werden können. Eine rasche Entfernung der Zecke kann daher eine Borrelieninfektion vorhindern.

  • Das Erythema migrans tritt frühestens drei Tage nach einem Zeckenstich auf, ist krankheitsbeweisend, aber nicht obligat.

  • In der frühen Disseminationsphase der Infektion kann eine Neuroborreliose (Bannwarth-Syndrom) auftreten.

  • Bei der Neuroborreliose sind – anders als beim Erythema migrans – in der Regel bereits Antikörper im Serum und im Liquor vorhanden.

  • Die Lyme-Arthritis ist eine Spätmanifestation der Borrelieninfektion.

  • Behandelt wird eine Borrelieninfektion mit Doxycyclin oder alternativ mit Amoxicillin.

  • FSME-Viren werden anders als die Borrelien beim Zeckenstich sofort übertragen.

  • Für die FSME steht keine spezifische Therapie zur Verfügung, jedoch eine Impfung.

  • Das BAG empfiehlt die FSME-Impfung grundsätzlich in der ganzen Schweiz.

Die Lyme-Borreliose wird von Zecken übertragen, die mit dem Bakterium Borrelia burgdorferi infiziert sind. In der Schweiz sind mit Borrelia burgdorferi afzelii, garinii und sensu stricto drei Subtypen von Bedeutung. In Amerika spielt nur Borrelia burgdorferi sensu stricto eine Rolle. «Die US-Amerikaner kennen deshalb eine etwas andere Präsentation der Borreliose als wir», erklärte Krause. In der Schweiz zeige sich eine Borrellieninfektion vor allem an Haut und Nervensystem.

Borrelien kommen in der Schweiz überall da vor, wo es auch Zecken gibt: mit Ausnahme von höheren Lagen in den Bergen also im ganzen Land. Regional variiert die Anzahl infizierter Zecken allerdings stark: In der deutsch-schweizerischen Grenzstadt Konstanz beispielsweise sind 80% der Zecken infiziert, im Schweizer Durchschnitt trägt jede dritte Zecke Borrelien.

Erstes (nicht obligates) Zeichen: Wanderröte

Damit die Borrelien unter die Haut abgesetzt werden können, muss die Zecke mindestens 12 Stunden Blut saugen. Kommt es zu einer Infektion, entsteht lokal meistens ein Erythema migrans. «Es wird rein klinisch diagnostiziert», betonte Krause. In dieser frühen Phase werden die Borrelien im ganzen Körper verteilt, was zu einer Bakteriämie führt. «Diese Frühdissemination kann der Patient manchmal als ‹Grippe› im Sommer wahrnehmen», so der Referent.

Das Erythema migrans entwickelt sich frühestens drei Tage nach einem Zeckenstich, manchmal erst zwei bis drei Wochen danach. Das Erythema migrans ist krankheitsbeweisend, aber kein obligates Zeichen einer Lyme-Borreliose, in 5–10% der Fälle kann es fehlen. «Das Erythema migrans präsentiert sich auch nicht immer klassisch mit der Randbetonung. Gelegentlich ist auch das Zentrum betont», so Krause (Abb. 1). Für die Diagnose ist es hilfreich, wenn im Zentrum noch der Zeckenstich zu sehen ist. Ist dies nicht der Fall, helfen andere Merkmale weiter. So sollte ein Erythema migrans definitionsgemäss mindestens 5cm gross sein und sich mit der Zeit zentrifugal ausweiten. Von dieser Ausdehnung nach aussen stammt auch der Name «Wanderröte». «Mitunter kann sich ein Erythema migrans aber auch ganz atypisch präsentieren, etwa mit Kokarden, einer sehr starken Rötung oder mit Bläschen», erklärte Krause. Bei Kindern kommt ausserdem als Spezialform das Lymphozytom vor: eine gerötete knotige Struktur am Ohrläppchen. Dies, weil Kinder aufgrund ihrer Grösse von den Zecken häufig am Kopf gestochen werden.

In der frühen Infektionsphase hilft die Serologie meist nicht weiter, weil die Produktion der Antikörper erst beginnt, wenn sich das Erythema migrans bereits gebildet hat. «Unser Immunsystem reagiert aber nicht nur auf eine Borrelieninfektion sehr langsam, auch das Verschwinden der Antikörper ist ausgesprochen träge. Die IgG- und auch die IgM-Antikörper sind manchmal noch Jahre nach einem Stich durch eine infizierte Zecke nachweisbar», erklärte der Experte.

Abb. 1: Das Erythema migrans präsentiert sich klassischerweise mit Randbetonung (A), es kann aber auch das Zentrum betont sein (B) und auch atypische Formen mit Kokarden, sehr starker Rötung oder Bläschen sind möglich. Das Erythema migrans ist definitionsgemäss mindestens 5cm gross und weitet sich zentrifugal aus (Wanderröte)

Doxycyclin oder alternativ Amoxicillin

Entscheidet man sich aufgrund einer bestimmten klinischen Präsentation doch einmal, nach Borrelien zu suchen, wird mit einem Screening-Test (ELISA) mit einem Antigengemisch begonnen. Sind Borrelien vorhanden, ist das Resultat immer positiv. «Fällt der Test hingegen negativ aus, können wir davon ausgehen, dass keine oder noch keine Borrelieninfektion vorliegt», so der Experte. Da der Test eine gute Sensitivität, aber eine schlechte Spezifität habe, liefere er mitunter auch falsch positive Ergebnisse. «Ein positiver ELISA muss deshalb immer noch mithilfe eines Western Blots verifiziert werden», betonte er. Auf keinen Fall sollte aber ein Western Blot vor oder gleichzeitig mit einem ELISA gemacht werden. Auch sollten nie ein Urin-Antigen-, ein Lymphozyten-Transformations- Test durchgeführt oder eine Kultur angelegt werden.

Die antibiotische Standardtherapie beim Auftreten eines Erythema migrans besteht aus der Gabe von Doxycyclin (2x 100mg/d p.o. oder 1x 200mg p.o.) während zehn Tagen. Alternativ kann auch mit Amoxicillin (3x 500mg/d p.o.) für 14 Tage behandelt werden.

Nicht nur Erythema migrans suchen

In der frühen Disseminationsphase der Infektion können bei unbehandelter Borreliose eine lymphozytäre Meningoradikulitis (Bannwarth-Syndrom) mit einem radikulären Schmerzsyndrom, Paresen an den Extremitäten und Hirnnervenausfällen (am häufigsten Fazialisparese, Abb. 2) oder eine lymphozytäre Meningitis auftreten. «In dieser Situation lassen sich in der Regel Antikörper im Serum und im Liquor nachweisen», betonte Krause. In der Frühphase der Neuroborreliose haben Serum-Antikörper eine Sensitivität von 75% und eine Spezifität von 80% und die intrathekalen Antikörper eine Sensitivität von 85% und eine Spezifität von 90%. Die PCR ist vergleichsweise wenig sensitiv (25%; Spezifität 95%).

Ein vielversprechender neuer Biomarker ist das Chemokin CXCL13, das sich bei akuter Neuroborreliose in erhöhter Konzentration im Liquor nachweisen lässt, bevor ein Antikörperanstieg zu beobachten ist. Der CXCL13-Spiegel fällt nach erfolgreicher Therapie rasch wieder ab. Allerdings ist CXCL13 nicht spezifisch für die Neuroborreliose, es ist auch bei anderen entzündlichen ZNS-Geschehen nachweisbar.

Bei Auftreten einer Fazialisparese besteht die Therapie gleich wie beim Erythema migrans aus Doxycyclin (2x 100mg/d p.o.) oder Amoxicillin (3x 500mg/d p.o.), die Behandlungsdauer ist aber länger und beträgt 3 Wochen. Bei schwereren Formen der akuten Neuroborreliose wird empfohlen, für 28 Tage Ceftriaxon (1x 2g/d i.v.) zu verabreichen.

Lyme-Arthritis betrifft (fast) immer das Knie

Eine Spätmanifestation der Borrelieninfektion ist die Lyme-Arthritis, die (fast) immer das Knie betrifft. «Das Knie ist geschwollen, verursacht aber meistens nicht allzu grosse Schmerzen und ist meistens auch nicht stark gerötet. Der Befall des Knies führt jedoch häufig zu einer Dauereinschränkung, die die Patienten schliesslich – oft erst nach Wochen oder Monaten – zum Arzt führt», erklärte der Referent. Eine Lyme-Arthritis manifestiert sich zudem typischerweise nie an mehr als fünf Stellen, befällt vorwiegend die grossen Gelenke und sehr selten das Kiefergelenk. Nie betroffen sind das Achsenskelett und die Handgelenke. Bei Lyme-Arthritis sind im Serum immer IgG-Antikörper nachweisbar. «Passt das klinische Bild zu einer Borrelien-Arthritis, kann auch ein geschwollenes Gelenk punktiert und eine PCR gemacht werden», so Krause. «Die Sensitivität ist mit 65% zwar nicht so hoch, wie man es sich wünschen würde. Fällt der PCR aber positiv aus, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass tatsächlich eine Lyme-Arthritis vorliegt.»

Auch die Lyme-Arthritis kann peroral behandelt werden. Verordnet werden Doxycyclin (2x 100mg/d) oder Amoxicillin (3x 100mg/d) für 28 bis 30 Tage. Die Besserung tritt meistens nur sehr langsam ein und bei einigen Patienten können die Beschwerden trotz dieser Behandlung auch bestehen bleiben. Ist nach einem Monat Therapie keine Besserung eingetreten, kann nochmals während 28 Tagen peroral behandelt werden. «Dann wird am besten ein anderes Antibiotikum eingesetzt oder man wechselt auf eine intravenöse Behandlung mit täglich 3g Ceftriaxon für 28 Tage», so Krause. Persistieren die Symptome auch nach dem zweiten Antibiotika-Zyklus, stehen als weitere Therapieoptionen Methotrexat, Hydroxychloroquin oder eine Synovektomie zur Verfügung. Nicht gegeben werden sollte in dieser Situation Cortison.

Eine weitere, aber sehr seltene Spätmanifestation einer Borrelieninfektion ist die Acrodermatitis atrophicans. Sie wird durch den Subtyp Borrelia burgdorferi afzelii verursacht. «Es kommt zunächst zu einer Schwellung der Hände oder Füsse, dann zu einer Atrophie des Subkutangewebes, sodass die Venen prominent durch die Haut scheinen», sagte der Experte. Behandelt wird die Acrodermatitis atrophicans gleich wie die Lyme-Arthritis.

FSME – ältere Menschen sind besonders gefährdet

Abb. 2: Im Rahmen der frühen disseminierten Infektion kann eine Fazialisparese auftreten. Bei Ausbleiben des Erythema migrans können neurologische Symptome wie die Fazialisparese die Erstmanifestation der Borreliose darstellen

Eine schwere Infektionskrankheit, die durch einen Zeckenstich verursacht wird, ist die Frühsommermeningoenzephalitis (FSME). «Beim Erreger handelt es sich um ein Flavivirus, das im Speichel der Zecke vorhanden ist. Anders als die Borrelien werden die FSME-Viren sofort beim Stich übertragen», betonte Krause. Auch eine umgehende Entfernung einer Zecke kann deshalb nicht verhindern, dass die RNS-Viren übertragen werden.

Ausser in den Kantonen Genf und Tessin kommen in der ganzen Schweiz FSME-infizierte Zecken vor. Die Durchseuchung der Zecken mit dem FSME-Virus ist in der Schweiz aber deutlich geringer als diejenige mit Borrelien. «Nur etwa jede zehnte bis hundertste Zecke trägt das Virus», so Krause. Es gibt keine spezifische Behandlung der FSME, mit der Impfung aber eine wirksame Prävention.

Die Infektion verläuft in 50% bis 60% der Fälle biphasisch: Zuerst kommt es zu einer Virämie, die die Patienten als Sommergrippe wahrnehmen und von der sie sich vorübergehend erholen. Nach einigen Tagen erkranken sie mit sehr hohem Fieber an einer Meningitis, Enzephalitis oder einer Meningoenzephalitis. Gefährdet sind vor allem ältere Menschen. «Gerade sie sollten sich deshalb unbedingt impfen lassen, wenn sie sich oft draussen bewegen», empfahl Krause.

FSME-Impfung

Für die prophylaktische Immunisierung sind in der Schweiz zwei FSME-Impfstoffe auf dem Markt (FSME immun® und Encepur N®). Für eine vollständige Grundimmunisierung sind mit beiden Präparaten insgesamt drei Impfungen notwendig. Die Auffrischimpfung sollte gemäss BAG nach zehn Jahren erfolgen. Die Empfehlung ist jedoch nicht kongruent mit derjenigen der Hersteller.

Für eine optimale Wirksamkeit wird die Vakzinierung während der Winterzeit empfohlen. So besteht der Schutz schon bei Frühlingsbeginn und über die gesamte warme Jahreszeit (April bis Oktober), in der die Zecken am aktivsten sind. Eine Impfung ist jedoch zu jeder Jahreszeit möglich.

Wegen des ausgeprägten Mobilitätsverhaltens der Bevölkerung empfiehlt das BAG die Schutzimpfung grundsätzlich in der ganzen Schweiz. Im Tessin und im Kanton Genf sind die Krankenkassen aber nicht verpflichtet, die Kosten für die Impfung zu übernehmen. Die Impfempfehlung richtet sich an Erwachsene und Kinder ab 6 Jahren, die in Zecken-exponierten Gebieten, wie grasbewachsenen Flächen am Waldrand, in Lichtungen, an Hecken oder in Wiesen, unterwegs sind.

Die Nachfrage nach der Schutzimpfung ist in den letzten Jahren so stark gestiegen, dass es schon zu einem vorübergehenden Lieferengpass bei den Impfstoffen gekommen ist.

«Es gibt auch Impfversager», führte Krause aus. Eine schwedische Forschergruppe zählte in einer Studie mit 1004 FSME-geimpften Personen innerhalb von zehn Jahren 53 Impfversager. 80% der Impfversager waren über 50 Jahre alt (Durchschnitt 62 Jahre) und 50% waren zudem immunsupprimiert oder polymorbid.

Zum Schluss erwähnte der Referent noch ein neues, bislang nur in Russland zugelassenes Medikament. Triazavirin wurde ursprünglich gegen Influenzaviren entwickelt und von der Staatsuniversität Ural an 73 FSME-Patienten getestet. «Angeblich soll das Medikament dazu führen, dass das Fieber rascher sinkt und Beschwerden schneller verschwinden», so der Experte. In Russland werde es heute auch zur Prävention für Menschen empfohlen, die sich häufig im Wald aufhalten.

FomF – Update Refresher Allgemeine Innere Medizin,

Bericht:

Claudia Benetti
Medizinjournalistin

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