
Rheuma bewegt Österreich
Bericht:
Mag. Christine Lindengrün
Zu viele Rheumapatienten warten zu lange auf die richtige Diagnose und somit auf eine adäquate Behandlung. Die Gründe dafür orten die Österreichische Rheumaliga (ÖRL) und die Österreichische Gesellschaft für Rheumatologie und Rehabilitation (ÖGR) einerseits in mangelndem Wissen über rheumatische Erkrankungen, andererseits im Fehlen flächendeckender Versorgung. An Lösungen wird jetzt verstärkt gearbeitet.
Insgesamt 24 Jahre musste Mag. Saskia Wagner mit wiederkehrenden Schüben von Iritis und massiven Rückenschmerzen leben, ehe sie die Diagnose Morbus Bechterew und eine wirksame Behandlung erhielt. Weder Augenärzte noch Orthopäden noch andere Behandler dachten an eine rheumatische Erkrankung bzw. wurde der Verdacht aufgrund negativer Laborergebnisse wieder fallen gelassen. Als Wagner 14 Jahre alt war, traten die ersten Symptome auf. Unerkannt und unzureichend behandelt hat die Erkrankung seitdem ihre Lebensqualität stark beeinträchtigt. Die Schmerzen schränkten die berufliche Entwicklung und das Sozialleben der jungen Frau ein. Mit unerklärbaren Beschwerden trifft man bei Mitmenschen zudem oft auf Unverständnis und man beginnt, an sich selbst zu zweifeln.
Geschichten wie diese sind leider kein Einzelfall, wie Gertraud Schaffer, Präsidentin der ÖRL, bestätigt. Je jünger die Patienten sind, desto länger dauert meist die Diagnose. Aber auch bei älteren Patienten werden die Beschwerden oft nicht ernst genommen bzw. nicht mit einer rheumatischen Erkrankung in Zusammenhang gebracht. Dem wollen die ÖRL und die ÖGR gemeinsam mit verschiedenen Maßnahmen entgegenwirken. Dazu gehören Aufklärungskampagnen und das Bemühen um eine Verbesserung der Versorgung.
Eklatanter Rheumatologenmangel
„Die Situation ist dramatisch“, warnt Prim. Dr. Judith Sautner, Leiterin der 2. Med. Abteilung am LK Stockerau, dem NÖ Zentrum für Rheumatologie. Schon jetzt gebe es zu wenige Rheumatologen. Laut einer fundierten, 2020 publizierten Bedarfserhebung (Puchner R et al., Front Med 2020) bräuchte es ca. 400 Rheumatologen für ganz Österreich.Von den derzeit in der Statistik der ÄK aufscheinenden 300 Kollegen sind 10% bereits pensioniert und ein Drittel über 55 Jahre alt. Gleichzeitig wird ein Anstieg der Patientenzahl erwartet, denn die Pensionierungswelle der Baby-Boomer-Generation steht bevor.
Die Versorgungssituation sei zwar nicht überall mangelhaft, aber es gebe viele Regionen in Österreich, wo Betroffene lange Anfahrtswege und Wartezeiten in Kauf nehmen müssten.
Was ist zu tun? „Wir müssen mehr Rheumatologen ausbilden“, sagt Sautner. „Und wir müssen sie halten.“ Um zu verhindern, dass der rheumatologische Nachwuchs in andere Fachbereiche abwandert, bräuchte es deutlich mehr rheumatologische Kassenplanstellen und die Leistungen müssten entsprechend honoriert werden. Zusammen mit der Österreichischen Gesellschaft für Innere Medizin (ÖGIM) hat die ÖGR bereits Initiativen ergriffen, beispielsweise habe man bei den politischen Entscheidungsträgern die Aufnahme spezifischer rheumatologischer Facharztleistungen in den honorierten Leistungskatalog gefordert, so Sautner.
Zusätzlich arbeitet die ÖGR schon seit Jahren daran, mehr Studierende für das Fach Rheumatologie zu gewinnen. „Rheumatologie ist ein Lehrinhalt, der im medizinischen Curriculum leider nur in sehr geringem Umfang vorkommt. Deswegen ist es als Berufswahlfach am Ende der Ausbildung auch nicht so präsent wie andere internistische Sonderfächer“, erklärt Sautner. Um den Nachwuchs zu fördern, wurde 2017 von der ÖGR die „Rheuma Summer School“ ins Leben gerufen, in der Studierende aus Österreich und benachbarten Ländern in einem Dreitagesprogramm Theorie und Praxis der Rheumatologie kennenlernen. „Die Summer School hat dazu beigetragen, dass sich kontinuierlich immer mehr Studierende für eine Ausbildung im Fach Rheumatologie entscheiden“, sagt Sautner. 2021 wurde die ÖGR Summer School ins ECONS-Programm der EULAR aufgenommen und die Faculty um internationale EULAR-Referenten und Tutoren bereichert.
Präzisionsmedizin wird vorangetrieben
„Es gibt heute viele wirksame zielgerichtete Therapien, aber es fehlt oft an der Infrastruktur, um sie an die Patienten zu bringen“, bestätigt Prof. Dr. Daniel Aletaha, Leiter der Klinischen Abteilung für Rheumatologie an der Wiener Universitätsklinik für Innere Medizin III. Als größte Aufgabe der Zukunft sieht er die Implementierung der enormen Wissenszuwächse in die Anwendung am Patienten. Dazu bedürfe es bestens ausgebildeter Fachärztinnen und -ärzte.
Währenddessen wird weiter an der Verbesserung der medizinischen Behandlung geforscht. Aletaha berichtet über ein europäisches Großprojekt, das von der MedUni Wien koordiniert werden soll. Ziel ist es, aus dem Pool der bestehenden, bereits zugelassenen Arzneimittel die bestmögliche individuelle Therapie für jeden Patienten herauszufiltern – mithilfe von Biomarkern, verbesserten Dosierungsschemata und engmaschigen Verlaufskontrollen. „Ganz entscheidend wird dabei sein, wie die gewonnenen Erkenntnisse in der klinischen Praxis umgesetzt werden“, so Aletaha.
Junge Patienten: andere Bedürfnisse in der Medizin und im Leben
Auf die besonderen Bedürfnisse junger Rheumapatienten wies Dr. Antonia Mazzucato-Puchner, Klinische Abteilung für Rheumatologie, Universitätsklinik für Innere Medizin III, Wien, hin. In dieser Altersgruppe spielen Themen wie Schule und Berufswahl, aber auch Sexualität und Kinderwunsch eine größere Rolle. Genau in diese Zeit fällt dann auch die Transition von der Pädiatrie in die Innere Medizin. Auch hier fehlt es laut Mazzucato-Puchner an Ressourcen für eine optimale Übergabe. Irritationen bei den Patienten und der Abbruch der Behandlung können die Folge sein. „Transition Clinics“, wo sich Kinderärzte und Rheumatologen austauschen, bzw. „Adolescent clinics“ für Jugendliche und junge Erwachsene wären ideal.
Um die jungen Patienten direkt zu erreichen, arbeitet man am gezielteren Einsatz digitaler Formate, wie z.B. Apps. Für Fragen zur Familienplanung mit Rheumaerkrankung bietet die MedUni Wien mit der Rhepro-Ambulanz (Rhepro = rheumatologische Erkrankung und Reproduktion) eine rheumatologisch-gynäkologische Anlaufstelle.
Die jungen Rheumapatienten gezielter und moderner ansprechen will auch die Selbsthilfeorganisation ÖRL. Schaffer freut sich daher, dass mit „Jung und Rheuma“ eine engagierte Community von Betroffenen zwischen 18 und 35 Jahren entstanden ist, die sich der Bedürfnisse ihrer Altersgenossen annehmen und die ÖRL „zukunftsfit“ machen.
Der Rheumabus ist wieder unterwegs
Eine von der ÖRL durchgeführte Umfrage bestätigte die aktuellen Herausforderungen, an deren Lösungen man nun in verstärkter Kooperation mit der ÖGR weiter arbeiten will, nämlich:
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das Wissen über rheumatische Erkrankungen in der Bevölkerung allgemein und in Gesundheitsberufen im Besonderen zu mehren,
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eine flächendeckende Versorgung durch Kassenärzte und Rheumaambulanzen zu verfolgen,
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die Bedürfnisse von Patienten zu erheben und diese Informationen weiterzuleiten, z.B. an Arbeitgeber, um Betroffenen einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt und angepasste Arbeitsbedingungen zu ermöglichen.
Ein niederschwelliges Angebot zur Information der Öffentlichkeit stellt der Rheumabus dar, der nach coronabedingter Pause am 30. September in Wien wieder Fahrt aufnahm. Im Rahmen der Aufklärungsaktion „Rheuma bewegt!“ wird er sich 2023 wieder auf Tour durch Österreich begeben und an verschiedenen Standorten Interessierten die Möglichkeit geben, einzusteigen und sich kostenlos von einem Expertenteam beraten zu lassen.
Quelle:
Pressegespräch der Österreichischen Rheumaliga (ÖRL) und der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie & Rehabilitation (ÖGR), 15. September 2022, Wien
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