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„Man sollte jedenfalls an Depressionen denken“

Immer mehr Studien kommen zum Ergebnis, dass Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ein etwa doppelt so hohes Risiko für Depressionen haben wie ansonsten gesunde Menschen. Auch in einer neuen österreichischen Studie1 wurde das bestätigt.Koautor Doz. Dr. Rudolf Puchner erklärt, was die Gründe dafür sind und was man als Rheumatologe dagegen tun kann.

Wie kann man sich die Assoziation zwischen Rheuma und Depression erklären?

R. Puchner: Es sind mehrere Einflüsse. Zunächst ist die Konfrontation mit einer chronischen Erkrankung eine Situation, die man erst einmal bewältigen muss. Man muss lernen, damit umzugehen. Es hängt auch davon ab, wie die Medikamente wirken, wie stark die Schmerzen und die Funktionseinschränkungen sind. Dazu kommen Begleiterscheinungen, wie z.B. Schlafstörungen. Das alles sind externe Faktoren, von denen man allgemein annimmt, dass sie die Entwicklung einer Depression fördern. Aber das ist noch nicht alles. Aaron Beck, der auch den Fragebogen BDI, das Becks Depressionsinventar, entwickelt hat, sagt, dass nicht nur die Erkrankung, sondern auch die Vorgeschichte des Patienten einen Einfluss hat. Er spricht von kognitiven Verzerrungen und Fehleinschätzungen, die bei depressiven Menschen zu beobachten sind.2 Lebensereignisse in der Vergangenheit könnten dabei eine Rolle spielen, aber auch eine negative Grundeinstellung der Patienten und die Neigung zu selbsterfüllenden Prophezeiungen, wie z.B.: „Mir wird ohnehin nichts helfen.“

Eine weitere Erklärung für den Zusammenhang zwischen Rheuma und Depression liefert die Forschung der letzten Jahre. Es spricht einiges dafür, dass auch die Entzündung per se die Entwicklung einer Depression beeinflusst, indem Zytokine, wie z.B. Interleukin 1 oder Interleukin 6, den vorzeitigen Abbau von Serotonin beeinflussen können.

Die Depression geht oft mit mangelndem Gesundheitsbewusstsein und verminderter Therapieadhärenz einher, wodurch es wiederum zu einer Verschlechterung der rheumatischen Erkrankung kommen kann.

Wenn das Entzündungsgeschehen einen direkten Einfluss auf die Neurotransmitter hat, würde das ja bedeuten, dass gut eingestellte Patienten, die nicht „entzündet“ sind, weniger zur Depression neigen. Ist das so?

R. Puchner: Das wird nicht auf jeden Patienten zutreffen, aber im Prinzip ist es schon so, dass bei Patienten, die gut eingestellt sind, die weniger Schmerzen und weniger Entzündungen haben, auch die Depression positiv beeinflusst wird.

Eine Schlussfolgerung der Zytokinhypothese wäre es, bei Patienten, die depressiv sind, eher IL-1- oder IL-6-Hemmer als Rheumamedikament einzusetzen. Würden Sie in solchen Fällen die Rheumamedikation gegebenenfalls umstellen?

R. Puchner: Das ist eine Frage, die diskutiert wird. Aber es gibt derzeit noch keine Empfehlung dafür.

Sie empfehlen zum Depressionsscreening den BDI-FS (Becks Depressionsinventar Fast Screen), der allerdings nicht kostenlos zu haben ist. Warum gerade diesen Fragebogen?

R. Puchner: Den BDI-FS gibt es seit dem Jahr 2000, seit 2017 ist er auch für die rheumatoide Arthritis validiert. Er eignet sich sehr gut für das Depressionsscreening bei chronischen Erkrankungen, weil er – im Gegensatz zum ursprünglichen BDI – keine Fragen zu somatischen Faktoren, wie etwa Müdigkeit, enthält, die ja auch durch die Grunderkrankung verursacht sein können. Ein weiterer Vorteil ist, dass er nur 7 Fragen beinhaltet, er ist also rasch ausgefüllt. Der BDI-FS ist auch in deutscher Sprache verfügbar.

In der aktuellen österreichischen Studie1 haben Sie trotz eines umfangreichen Fragebogens eine sehr hohe Rücklaufquote: 73,7% bei den RA-Patientinnen …

R. Puchner: Das hat uns selbst auch positiv überrascht, vor allem weil es sich um ein heikles Thema handelt. Natürlich war die Erhebung anonymisiert. Trotzdem: Es sind Fragen, die nicht so einfach zu beantworten sind bzw. die man nicht so gern beantworten will.

Ist das für Sie ein Hinweis darauf, dass Patienten eigentlich gerne ausführlicher über ihre Gefühle und psychische Befindlichkeit sprechen würden?

R. Puchner: Ja, das haben wir auch überlegt, dass es vielleicht den Befragten sogar ein Bedürfnis war, die Ärzte auf ihre psychischen Probleme aufmerksam zu machen.

Wie können Rheumatologen in der Praxis zur Früherkennung von Depressionen beitragen?

R. Puchner: Es gibt zwei Fragen, die als erster Check dienen können: Haben Sie sich in den letzten 2 Wochen niedergeschlagen und depressiv gefühlt? Haben Sie in den letzten 2 Wochen weniger Freude und Interesse gehabt, etwas zu unternehmen? Wenn eine dieser Fragen mit Ja beantwortet wird, kann das ein Hinweis sein. Aber auch der BDI-FS-Test mit seinen 7 Fragen ist leicht und rasch auszufüllen. Man sollte jedenfalls daran denken, denn immerhin ist das Depressionsrisiko bei Patienten mit RA doch deutlich erhöht.3

Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen in der Praxis? Ist es den Patienten lieber, man fragt sie, wie es ihnen geht, oder ist es besser, ihnen einen Fragebogen in die Hand zu drücken?

R. Puchner: Man sollte die Patienten schon zuerst persönlich ansprechen. Der Fragebogen ist für mich erst der zweite Schritt. Die Frage nach dem Allgemeinbefinden und der Gefühlslage sollte immer gestellt werden, besonders dann, wenn ein Patient keine geschwollenen Gelenke hat und die serologischen Entzündungsparameter im Normbereich sind, er sich aber dennoch niedergeschlagen fühlt.

In leichten Fällen bzw. als Überbrückung bis zur psychiatrischen Behandlung kann auch der Rheumatologe Antidepressiva verordnen. Welche Medikamente sind da zu empfehlen?

R. Puchner: Nach Rücksprache mit Psychiatern wären das vorzugsweise Antidepressiva, die auch den Schmerz beeinflussen können, z.B. Duloxetin oder Venlafaxin. In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf eine andere Studie hinweisen: In der VADERA-II-Studie wurde unter anderem gezeigt, dass nur 11,7% der RA-Patienten mit Depression mit einer antidepressiven Medikation behandelt werden.4 Das heißt, hier muss unbedingt mehr getan werden, um Depressionen zu erkennen und zu behandeln.

1 Sautner J, Puchner R et al.: Depression: a common comorbidity in women with rheumatoid arthritis – results from an Austrian cross sectional study. BMJ Open 2020; 10: e e033958 2 Beck AT: Cognitive models of depression. J Cogn Psychother 1987; 1(1): 5-37 3 Englbrecht M et al.: Depression als Systemeffekt bei rheumatoider Arthritis. Z Rheumatol 2012; 71: 859-63 4 Englbrecht M et al.: New insights into the prevalence of depressive symptoms and depression in rheumatoid arthritis – implications from the prospective multicenter VADERA II study. PLoS One 2019; 14(5): e0217412

Unser Gesprächspartner:

Doz. Dr. Rudolf Puchner
FA für Innere Medizin, Wels

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