
Orthopädisches Management des erworbenen Fallfußes
Autoren:
Dr. Jürgen Wansch
Teamleiter für Fußchirurgie und Kinderorthopädie
Priv.-Doz. Dr. Rainer Biedermann
Senior Consultant, stellvertretender Teamleiter für Fußchirurgie und Kinderorthopädie
Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie Innsbruck
Korrespondenz:
E-Mail: juergen.wansch@tirol-kliniken.at
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Als komplexes Problem erfordert das Management des Fallfußes einen interdisziplinären Zugang mit individuellen Therapieansätzen, abhängig von der Ursache, Schwere, Lokalisation, von Begleitverletzungen und vom zeitlichen Profil.
Keypoints
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Bei akuter neurogener Schädigung ist eine mikrochirurgische Versorgung des Nervus peroneus anzustreben.
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Die konservative Therapie besteht in der Versorgung der Patienten mit einer Unterschenkelgehorthese.
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Bei frustraner konservativer Therapie ist eine motorische Ersatzoperation indiziert.
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Der Goldstandard ist der Sehnentransfer des M. tibialis posterior auf den Fußrücken.
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Als Ultima Ratio besteht die Möglichkeit einer Versteifung des oberen Sprunggelenks.
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Mit der minimalinvasiven Sprunggelenksarthrodese steht eine vielversprechende neue Behandlungsmethode mit hoher Patientenzufriedenheit zur Verfügung.
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Nach erfolgreicher operativer Versorgung ist bei allen Verfahren für die überwiegende Zahl der Patientinnen und Patienten ein Gehen ohne Orthese möglich.
Der Fall- oder Hängefuß (ICD 10, M 21.37) bedeutet eine Fußheberschwäche infolge eine Peroneusläsion (ICD 10 G 57.3) traumatischer oder nicht traumatischer Ätiologie mit langen Regenerationsprozessen, bleibenden Schäden und hohen sozioökonomischen Kosten. Ziel dieser Übersichtsarbeit ist es, die Indikationen, Techniken und Resultate der orthopädischen Interventionen darzustellen.
Epidemiologie
Für die Zusammenfassung der epidemiologische Datenlage stehen nur retrospektive Studien zur Verfügung. Laut Literatur sind die häufigsten Ursachen des erworbenen Fallfußes bei über 60-jährigen Patienten eine fehlgeschlagene Wirbelsäulenoperation und die Implantation einer Hüfttotalendoprothese. Bei unter 60-Jährigen sind es traumatische Schädigungen im Rahmen von Sport- und Verkehrsunfällen.1
Ätiologie
Neurogene Schädigungen
Der Nervus peroneus communis ist der am häufigsten von einer Schädigung betroffene periphere Nerv im Bereich der unteren Extremität. Der anatomisch gewundene, oberflächliche Verlauf im Bereich des Fibulahalses prädisponiert den Nerv für eine direkte Schädigung. Aber auch weiter proximal gelegene Schädigungen im Bereich des Nervus ischiadicus oder des Plexus lumbosacralis sind möglich. Die Ursachen für eine Läsion stellen meist Operationen im Bereich der Wirbelsäule, des Hüft- oder Kniegelenkes, traumatische Schädigungen im Rahmen von Kniegelenksluxationen und direkte Anpralltraumata im Bereich des Fibulahalses dar. Aber auch Tumoren oder z.B. Lepra können zu einer Kompression des Nervs an dieser anatomischen Engstelle führen.2 Operationen im Bereich der Wirbelsäule können durch eine Schädigung des Plexus lumbosacralis und Hüftoperationen durch die Schädigung des Nervus ischiadicus zu einem iatrogen bedingten Fallfuß führen.1
Muskuläre Schädigungen
Seltener kann auch eine direkte Schädigung der betroffenen Unterschenkelmuskulatur die Ursache eines Fallfußes sein. Dies kann z.B. im Rahmen einer neuromuskulären Erkrankung wie z.B. der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung, einer Duchenne-Muskelsdystrophie oder nach einem durchgemachten Kompartmentsyndrom des Unterschenkels vorkommen.3
Symptome und klinische Untersuchung
Eine Schädigung des Nervus peroneus communis oder der von ihm versorgten Muskeln führt zu einem Verlust der aktiven Dorsiflexion im oberen Sprunggelenk, der Eversion im unteren Sprunggelenk und der aktiven Zehenstreckung. Häufig zeigt sich eine Druckdolenz im Bereich des Fibulaköpfchens, was auch als Tinel-Zeichen beschrieben wird. Sensibilitätsstörungen werden im Bereich des lateralen Unterschenkels und des Fußrückens angegeben. Im Rahmen der Ganganalyse beschreiben wir beim normalen Gehen eine Standphase und eine Schwungphase. Für den normalen Bewegungsablauf sind für die Fußfreiheit in der Schwungphase eine aktive Dorsiflexion im oberen Sprunggelenk und eine aktive Zehenstreckung notwendig. Bei Patienten mit Peroneusparese fehlt diese motorische Funktion, der Fuß schlägt in der Standbeinphase auf dem Boden auf und die Zehen schleifen am Boden entlang. Um dies zu kompensieren und den Fuß beim Gehen vom Boden freizubekommen, ist eine verstärkte Hüftbeugung erforderlich. Der Patient geht, als ob er eine Stiege hinaufgehen würde. Dies wird als sogenannter „hoher Steppergang“ bezeichnet.2
Diagnosestellung
Bildgebende Diagnostik
Röntgen
Die Basisdiagnostik bei klinischem Verdacht einer Peroneusläsion umfasst die Röntgendiagnostik der betroffenen Region zum Ausschluss einer knöchernen Bedrängung.
Sonografie
Die Sonografie stellt heute einen unverzichtbaren Standard in der Diagnostik peripherer Nervenverletzungen dar, die große Verfügbarkeit und hohe Auflösung ermöglichen es, den Läsionsort und das Ausmaß der Verletzung darzustellen.
Schnittbilddiagnostik
Magnetresonanztomografie und Magnetresonanzneurografie liefern einen hohen Weichteilkontrast, stellen den Nerv dreidimensional dar und visualisieren gleichzeitig eine eventuell vorhandene Muskelpathologie.
Elektrophysiologische Diagnostik
Elektromyografie (EMG) und Neurografie (NLG) leisten einen Beitrag zur Feststellung der Schwere der Nervenverletzung, indem sie mithelfen, die verschiedenen Grade der Verletzung – Neurapraxie, Axonotmesis und Neurotmesis – zu unterscheiden. Kontinuität und Diskontinuität des Nervs gilt es festzustellen, um damit die Indikation zur Mikrochirurgie, die Wahl des mikrochirurgischen Vorgehens und den Zeitpunkt des Eingriffs zu bestimmen. Frühestens nach einer Woche kann die NLG einen Leitungsblock nachweisen, das EMG kann nach zwei bis drei Wochen nach dem Trauma Informationen über einen neurogenen Umbau und allfällige Reinnervationspotenziale liefern. Diese Verfahren liefern zudem wertvolle Informationen zur Lokalisation der Läsion und haben außerdem eine prognostische Relevanz.
Orthopädisches Management
Das Behandlungsziel ist abhängig von der klinischen Einschränkung im Alltag und dem Mobilitätsanspruch der Patientinnen und Patienten.
Primäre Therapie
Mikrochirurgische Therapiemöglichkeiten
Nach einer Verletzung des Nervus peroneus besteht, abhängig vom Schädigungsmuster, die Möglichkeit einer Neurolyse oder Dekompression, einer primären Naht, oder auch die Möglichkeit einer Nerventransplantation oder eines Nerventransfers.2 Bei mechanischer Bedrängung des Nervs sollte eine umgehende Neurolyse oder Dekompression des Nervs durchgeführt werden.
Wenn die Kontinuität des Nervs nach einer Durchtrennung nicht mehr gegeben ist, sollte eine primäre epineurale Naht angestrebt werden. Innerhalb eines Jahres nach Trauma besteht bei einer Defektstrecke von über 3cm die Möglichkeit einer Nerventransplantation mit Entnahme von Faszikeln aus dem N. peroneus superficialis oder N. tibialis.2
Konservative Therapie
Orthesenversorgung
Nach der primären mikrochirurgischen Versorgung der Nervenläsion ist in aller Regel nach der Operation zusätzlich die unterstützende Verordnung einer Orthese notwendig. Eine Unterschenkelgehorthese unterstützt in der Schwungphase des Gangzyklus die Dorsiflexion des Fußes und der Zehen, gewährt die mediale und laterale Stabilität des Sprunggelenks in der frühen Standbeinphase und gibt, wenn notwendig, Unterstützung für den „push-off“ am Ende der Standbeinphase. Aus Karbon gefertigte Orthesen generieren durch die Materialelastizität die notwendige Energie für den sogenannten „push-off“ und erhöhen dabei auch den Patientenkomfort.4
Sekundäre Therapie
Kommt es trotz mikrochirurgischer Therapie einer Nervenläsion und konservativer Maßnahmen mit adäquater Orthesenversorgung zu keiner zufriedenstellenden klinischen Besserung, sind sekundäre Prozeduren zur Stabilisierung des Fußes angezeigt.
Motorische Ersatzoperationen
Ziel einer motorischen Ersatzoperation ist die Verbesserung des Gangbildes durch die Wiederherstellung der aktiven Dorsiflexion und Eversion des Fußes. Zusätzlich soll die Entwicklung sekundärer, fixierter Deformitäten (Spitzfuß und Klumpfuß) im Langzeitverlauf vermieden werden.
Tibialis-posterior-Transfer
Vor einem Sehnentransfer ist zu prüfen, ob der M.tibialis posterior über eine ausreichende Funktion verfügt. Dies beinhaltet eine gründliche klinische Prüfung der Kraft bei der Inversion des Fußes, eine MRT-Bildgebung und eine EMG-Untersuchung. Der dynamische Sehnentransfer des M. tibialis posterior ist der Goldstandard in der operativen Behandlung. Mehrere unterschiedliche Operationstechniken wurden bislang publiziert. Das Prinzip aller beschriebenen Techniken besteht im Ersatz der fehlenden Fußhebung durch die Umleitung der dorsal am Unterschenkel verlaufenden Tibialis-posterior-Sehne nach ventral mit anschließender Fixation der Sehne am Fußrücken. Für die Wahl der Route des Sehnentransfers und die nachfolgende Insertion der Sehne gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Die Umleitung der Sehne nach ventral kann entweder direkt über das Schienbein (zirkumtibial) oder durch einen Tunnel in der Membrana interossea erfolgen. Die Sehne wird nach dem Transfer nach ventral entweder an die Extensorsehnen, als sogenannte Steigbügelplastik, oder transossär an einem Mittelfußknochen fixiert. Bis dato konnte in der Literatur jedoch noch keine Überlegenheit einer bestimmten Operationsmethode nachgewiesen werden.5 In der illustrierten Technik (Abb. 2–4) wird die Sehne M. tibialis posterior an ihrem Ansatz abgelöst und anschließend nach dem Tunneln der Sehne durch die Membrana interossea auf den Fußrücken transferiert.
Abb. 2: a, b: Markierung der Hautinzision; c: Entnahme der Sehne distal; d: Präparation der Sehne und Ausleiten am proximalen Wundpol; e, f: Tunneln der Sehne durch die Membrana interossea
Abb. 3: a, c: Splitten und Verlängerung der Sehne; c, d: Sicherung der Sehne mit nicht resorbierbarer Naht
Abb. 4: a, b: Exposition des zweiten Mittelfußknochens und Durchzug der Sehne nach distal, c, d: Loopen der Sehne um den zweiten Mittelfußknochen und Naht mit sich selbst mit nicht resorbierbarem Nahtmaterial
In einer rezenten Metaanalyse zeigte sich nach der Operation eine deutliche Verbesserung der Schmerzen und der Funktion des Fußes (AOFAS Score „mean difference“ 26 +/– 8). Die große Mehrzahl der Patientinnen und Patienten (91%) war nach erfolgreichem Eingriff im Alltag nicht mehr auf die Verwendung einer Orthese zum Gehen angewiesen.5
Ultima Ratio: Arthrodese
Alternativ können im Falle eines nicht mehr funktionsfähigen M. tibialis posterior, nach einer fehlgeschlagenen motorischen Ersatzoperation, einer bereits vorliegenden Arthrose des oberen Sprunggelenks oder fixierten Deformitäten eine Stabilisierung und Stellungskorrektur durch eine Versteifungsoperation des oberen Sprunggelenks erreicht werden. Das Ziel der Operation ist dabei ein schmerzfreies und belastungsstabiles oberes Sprunggelenk. Der am häufigsten durchgeführte Eingriff ist die offene Sprunggelenksarthrodese mit Schrauben und/oder Plattenosteosynthese.
Durch die Weiterentwicklung der Arthroskopieoptiken und des Arthroskopieinstrumentariums erlangte die arthroskopisch assistierte Sprunggelenksarthrodese seit ihrer Erstbeschreibung 1983 zunehmende Beachtung. Der Erfolg der Operation hängt ab von der Vollständigkeit der Entfernung des Gelenkknorpels, einer sicheren Schraubenfixation und der optimalen Position der Arthrodese.6 Im Vergleich zur offenen Arthrodese bietet die minimalinvasive, arthroskopische OSG-Arthrodese den Vorteil der höheren Fusionsrate bei geringeren postoperativen Schmerzen und einem kürzeren Spitalsaufenthalt.7 Fahmy et al. konnten in einer retrospektiven Studie nach arthroskopischer OSG-Arthrodese bei Fallfuß die klinische Effektivität mit guten funktionellen Ergebnissen ohne wesentliche Komplikationen nachweisen.6
Zusammenfassung
Der erworbene Fallfuß führt für die betroffenen Patientinnen und Patienten zu einer deutlichen Einschränkung im Alltag mit kompensatorischem Steppergang. Im Falle einer nachgewiesenen akuten neurogenen Schädigung sind, wenn möglich, eine unmittelbare mikrochirurgische Versorgung des Nervus peroneus und eine anschließende Versorgung mittels einer Unterschenkelorthese anzustreben. Bei persistierenden Beschwerden sowie Einschränkungen nach frustraner konservativer Therapie besteht die Möglichkeit einer motorischen Ersatzoperation. Bei funktionsfähigem M. tibialis posterior ist der Sehnentransfer des M.tibialis posterior nach ventral mit nachfolgender Fixation auf dem Fußrücken der Goldstandard. Schlägt diese Operation fehl oder ist kein funktionsfähiger M. tibialis posterior mehr vorhanden, ist als Ultima Ratio die Versteifung des oberen Sprunggelenks indiziert. Die OSG-Arthrodese lässt sich bei dieser Indikation meist minimalinvasiv durchführen. Beide Operationsverfahren führen zu sehr guten klinischen Ergebnissen, sodass die überwiegende Zahl der Patientinnen und Patienten im Alltag nicht mehr auf die Verwendung einer Unterschenkelgehorthese angewiesen ist.
Literatur:
1 Nath RK: Incidence, etiology, and risk factors associated with foot drop. Eplasty 2023; 23: e16 2 Krishnamurthy S: Tendon transfers in foot drop. Indian J Plast Surg 2019; 52(1): 100-8 3 Xu J et al.: Posterior tibialis tendon transfer via the circumtibial route: a cadaveric limb analysis. J Orthop Surg Res 2014; 9: 121 4 Lezak B et al.: Peroneal nerve Injury. StatPearls (Internet), letzte Aktualisierung Februar 2024 5 Stevoska S et al.: Tendon transfer in foot drop: a systematic review. Arch Orthop Trauma Surg 2021; 143(2): 773-84 6 Fahmy FS: Improvement in clinical outcome and quality of life after arthroscopic ankle arthrodesis in paralytic foot drop. J Orthop Surg Res 2023; 18: 202 7 Bai Z et al.: Clinical effectiveness of arthroscopic vs open ankle arthrodesis for advanced ankle arthritis: a systematic review and meta-analysis. Medicine (Baltimore) 2021; 100(10): e24998
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