
Menschlichkeit heilt
Céline Zimmerer
Peer Researcherin und EX-IN-Genesungsbegleiterin in Ausbildung
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„Human, bedürfnisorientiert, emanzipiert – was braucht es für das nächste Vierteljahrhundert?“ Das war die große Frage, die ich beim Open Call Speed Talk auf der diesjährigen Tagung „Die subjektive Seite der Schizophrenie“ in Wien beantworten wollte. Ich war mir nicht sicher, ob meine Gedanken zu den nächsten 25 Jahren Psychiatrie wissenschaftlich genug und dem Rahmen angemessen waren oder ob sie schlichtweg pathetisch klingen würden. Doch dann dachte ich an ein Zitat, das mir meine beste Freundin auf einer Postkarte mitgegeben hatte, als ich das erste Mal stationär aufgenommen worden war: „What if I fall?“ „Oh, but my darling, what if you fly?“
Ich legte die wissenschaftlichen Studien zur Seite und beschloss, die Frage aus meiner persönlichen Erfahrung heraus zu beantworten. Was die Psychiatrie im nächsten Vierteljahrhundert braucht? Das, was sie schon immer gebraucht hat, das, was die Menschheit schon seit jeher braucht: Menschlichkeit.
Um meine Antwort einzuleiten, las ich in Wien eine Geschichte aus meinem autobiografischen Buch vor, die ich an dieser Stelle auch hier teilen möchte ...
Herr B.
Es ist Sonntag. Schon beim Frühstück kann ich meine Vorfreude kaum im Zaum halten. Hoffentlich vergeht die Zeit schnell. Heute kommt wie jede Woche Herr B., der ehrenamtlich mit Patient:innen spazieren geht. Herr B. ist ein gläubiger Mensch, und auch wenn ich mit Gott nichts anfangen kann, liebe ich die Gespräche mit ihm. Vor Kurzem hat er mir sogar eine Bibel ausgeliehen und ich hüte sie wie einen Schatz auf meinem Nachttisch. Wenn ich besonders aufgewühlt bin, und das bin ich hier fast immer, empfiehlt er mir Bibelstellen. Das ist seine Art des Kümmerns, des Sehens, des Zuhörens.
Céline ist Erfahrungsexpertin und möchte in Zukunft Menschen mit psychischen Herausforderungen begleiten und unterstützen
Nach dem Mittagessen schleiche ich auf der Station herum und warte auf das Klicken der sonst verschlossenen Tür. Durch das milchige Glas sehe ich seine Umrisse und mein Herz macht einen Sprung. Eine halbe Stunde gehen wir spazieren, eine halbe Stunde, in der ich mich fühle wie ein ganz normaler Mensch. Das habe ich nur Herrn B. zu verdanken. Er hört zu, er urteilt nicht und er gibt mir Sicherheit.
Hier draußen in dieser halben Stunde vergesse ich, dass ich noch vier Wochen auf der geschützten Station absitzen muss, bis ich wieder Freiheit atmen darf. Herr B. schenkt mir Zuversicht und unerschütterlichen Glauben daran, dass alles einen Sinn hat. Wir machen eine Pause auf einer Bank und ich spiele ihm ein Lied meiner Schwester vor. „I will survive when it hurts the most“, singt sie und mir laufen Tränen die Wangen runter. I will survive! Er sitzt mir gegenüber und hält diese Gefühle zusammen mit mir aus.
[…] Wir gehen noch ein Stück und ich erzähle vom Alltag auf Station, von traumatischen Erlebnissen, von meinen Träumen, von meinen Ängsten. Ich rede und ich rede – ich finde einfach kein Ende, so froh bin ich, dass er mir zuhört – und wünsche mir im Stillen, nicht auf Station zurückzukehren. […]
... und so lautet meine Antwort: Es IST das einzelne Wort, die Geste, der Blick, die sanfte Berührung am Arm. Diese kleinen Dinge sind riesig und das, was mich in meinen schwersten Zeiten, besonders auf geschützten Stationen, über Wasser gehalten, mich vor dem Ertrinken ob Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit bewahrt hat. Immer wieder höre ich: „Was kann ich schon tun, damit sich die Gesellschaft ändert?“ Und ich kann nur sagen: „Alles!“
Sei nicht die Person, die den ersten Stein wirft, sei die Person, die den Patient:innen, nein, Menschen (!) die Hand reicht, die mit Worten und Nähe das heilt, was andere zerstört haben. Vertrauen. Freiheit. Menschlichkeit. Menschlichkeit heilt.
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