
„Eine einmalige Investition, die sich langfristig lohnt“
Unser Gesprächspartner:
Dr. Moritz Mühlbacher
Facharzt für Psychiatrie
Salzburg
E-Mail: praxis.muehlbacher@gmail.com
Das Interview führte Dr. Gabriele Senti
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Wirkt ein Medikament nicht oder löst es starke Nebenwirkungen aus, führt das häufig zum Therapieabbruch. Der Grund für das Ausbleiben des Therapieerfolgs können durch Genvariationen hervorgerufene zu hohe oder niedrige Wirkstoffspiegel im Blut des Patienten sein. Pharmakogenetische Tests können in diesem Fall wesentlich zur Therapieoptimierung beitragen, die Therapieadhärenz der Patienten erhöhen und auf lange Sicht die Therapiekosten senken.
Wie läuft eine pharmakogenetische Untersuchung ab?
M. Mühlbacher: In aller Regel haben Labors, die diese Untersuchungen durchführen, Partnerärzte, die die Blutabnahme beim Patienten vornehmen und das Blut an das Labor schicken. Dort werden jene Gene untersucht, die die in der Verstoffwechselung von Medikamenten eine zentrale Rolle spielen. Die Auswertung zeigt dann, in welchen Genen Mutationen, sogenannte SNPs, vorliegen und ob diese sehr wahrscheinlich zu einem erhöhten oder verlangsamten Stoffwechsel beim Patienten führen.
Die Analyse ist einmalig und bleibt das ganze Leben lang gültig. Es ist allerdings anzumerken, dass in diesem Bereich sehr intensiv geforscht wird. Die Zahl der Genvarianten, die vorhersagen können, ob jemand auf ein Medikament gut oder weniger gut verstoffwechseln wird, wächst ständig an.
Sind pharmakogenetische Analysen immer aufschlussreich?
M. Mühlbacher: Ich nutze pharmakogenetische Analysen seit circa fünf Jahren. In den meisten Fällen sind sie aufschlussreich und ich erhalte damit auch ein Tool für zukünftige Entscheidungen, beispielsweise im Fall eines Medikationswechsels. Da kann ich dann auf die Ergebnisse zurückgreifen und gleich von vornherein Dosierungs- und Medikationsfehler vermeiden. Es gibt natürlich auch Fälle, in denen die Analyse zeigt, dass der Patient völlig normal metabolisiert und genetische Veränderungen höchstwahrscheinlich nicht der Grund für das Therapieversagen sind. Aber auch das kann ein wichtiger Hinweis sein, zum Beispiel darauf, sich Lebensstilfaktoren genauer anzusehen, die die Metabolisierung beeinflussen.
Das Rauchen ist hier ein ganz typischer Faktor, der eigentlich bekannt ist und trotzdem oft übersehen wird. Rauchen kann den Spiegel von einigen Medikamenten gegen null reduzieren, ein Rauchstopp kann in kürzester Zeit die Wirkstoffspiegel von Medikamenten erhöhen und bis hin zu Medikamentenintoxikationen führen.
Wie hoch sind die Kosten einer pharmakogenetischen Untersuchung?
M. Mühlbacher: Es gibt unterschiedliche Tests von verschiedenen Anbietern, die allerdings auch in ihrer Qualität sehr variieren. Die Analysen können zwischen 400 und 1800 Euro kosten. Bei hochqualitativen Anbietern kann man zwischen einer vollumfassenden Analyse und einzelnen Paketen wählen. Da gibt es dann auch Pakete, die beispielsweise nur die für die Psychiatrie relevanten Gene beinhalten.
Wer kommt für diese Kosten auf?
M. Mühlbacher: In aller Regel sind diese Tests privat zu bezahlen. In seltenen Fällen werden die Kosten von Zusatzversicherungen übernommen.
Bei welchen psychiatrischen Erkrankungen macht eine Analyse Sinn?
M. Mühlbacher: Eine sehr hohe Evidenz für den Nutzen der pharmakogenetischen Untersuchung gibt es vor allem für Antidepressiva und Antipsychotika. Für Antidepressiva gibt es Evidenz aus großen klinischen Studien.1, 2 Diese zeigten, dass jene Patienten eine signifikant höhere Therapieantwort auf Antidepressiva zeigten, deren Behandler Therapieentscheidungen basierend auf pharmakogenetischen Daten getroffen haben. Darüber hinaus konnte man feststellen, dass in dieser Gruppe Medikamentenwechsel und Dosisanpassungen entsprechend dem pharmakogenetischen Wissen der Behandler vorgenommen wurden, die dann zu einem besseren Outcome für die Patienten geführt haben.
Gibt es auch andere Gründe für die Anordnung einer Analyse?
M. Mühlbacher: Es gibt bestimmte Medikamente, die schwerste Nebenwirkungen auslösen und im schlimmsten Fall zum Tod führen können. Ein Beispiel hierfür ist Carbamazepin, das bei manchen Menschen eine schwere Erkrankung der Haut und Schleimhäute auslöst. Für solche Medikamente sollte man vor Therapiebeginn einen pharmakogenetischen Test machen. Interessanterweise gibt es hier ethnische Unterschiede: Asiaten weisen häufiger eine Genmutation auf, die zu schwersten Nebenwirkungen durch Carbamazepin führt.
Das ist ein sehr wichtiger Punkt: Wir leben in einer immer diverseren Gesellschaft und es wird zunehmend wichtiger, auch ethnische Aspekte in der Behandlung der Patienten zu berücksichtigen. Hier sollten wir unser Bewusstsein stärken, mit gewissen Medikamenten je nach Abstammung der Patienten vorsichtiger umzugehen.
Welches sind für Sie Hinweise, dass bei einem Patienten eine pharmakogenetische Analyse aufschlussreich wäre?
M. Mühlbacher: Relativ typisch ist das Therapieversagen. Was man sehr häufig in der klinischen Praxis sieht: Der Patient spricht auf die Standarddosierung eines Medikaments nicht an, es wurde schon zwei- bis dreimal die Medikation gewechselt in verschiedene Substanzklassen und es „bewegt“ sich trotzdem nichts. Ein zweiter Hinweis ist das Entwickeln von ungewöhnlich starken Nebenwirkungen bei Standarddosierungen oder sogar niedriger Dosierung.
Sind solche Hinweise immer offensichtlich?
M. Mühlbacher: Es zahlt sich aus, aktiv nachzufragen, vor allem bei einem Behandlungsabbruch. Wenn ein Patient ein Medikament selbstständig absetzt oder nicht mehr einnehmen will, sollte man den Grund erforschen.
Was sollte man vor der Durchführung einer Analyse abklären?
M. Mühlbacher:Ein wichtiger Schritt ist die Bestimmung der Medikamentenspiegel, dies sollte zumindest zeitgleich mit der pharmakogenetischen Untersuchung erfolgen. Darüber hinaus ist auch die familiäre Anamnese wichtig. Möglicherweise gibt es Angehörige, die ähnlich erkrankt sind und auf gewisse Medikamente gut oder gar nicht angesprochen haben. Das kann auf entsprechende pharmakogenetische Veränderungen hindeuten.
Stichwort Arzneimittelinteraktionen: Beeinflussen diese das Gesamtbild?
M. Mühlbacher: Absolut! Ohne Hilfsmittel kann man hier kaum den Überblick behalten. Diese Hilfsmittel gibt es aber: Computerprogramme, die die Pharmakogenetik zusammen mit Medikamenteninteraktionen analysieren. Man gibt den genetischen Typ ein und alle Medikamente, die vom Patienten eingenommen werden, und erhält einen Vorschlag, welche Interaktionen vorliegen könnten und ob eine Dosisanpassung ratsam wäre.
Wie erhält man Zugang zu diesen Programmen?
M. Mühlbacher: In aller Regel bieten Firmen, die diese Tests durchführen, auch derartige Tools wie beispielsweise Analysesoftware an. Aber auch hier gibt es große Unterschiede unter den Anbietern. Ob man wirklich nur die Analysedaten erhält oder ob man zusätzlich Hilfsmittel in Anspruch nehmen kann, bestimmt natürlich auch den Preis mit.
Man muss hier aber so ehrlich sein und anmerken, dass mit Medikamenteninteraktionen, Lebensstilfaktoren, die sich auf die Metabolisierung von Medikamenten auswirken, und den genetischen Voraussetzungen des Patienten eine unüberschaubare Anzahl an Faktoren zusammenkommt. Um eine aussagekräftige Datenauswertung vornehmen zu können, sollte diese immer von entsprechender Software unterstützt geleitet werden.
Welche Punkte sind in der Kommunikation mit dem Patienten zu beachten?
M. Mühlbacher: Es kommt äußerst selten vor, dass Patienten Bedenken bezüglich pharmakogenetischer Analysen haben. Da ist es dann wichtig, genau zu erklären, dass es sich hierbei nicht um eine Analyse der Krankheiten handelt, sondern lediglich die Ausprägung des Stoffwechsels bestimmt wird. So kann man Bedenken weitgehend ausräumen.
Außerdem ist besonders wichtig, VOR der Analyse zu erklären, worum es dabei geht, und DANACH in einem längeren Gespräch die Ergebnisse dem Patienten verständlich zu erklären. Diese begleitende Aufklärung ist ein ganz wesentlicher Schritt, der vor allem die Therapieakzeptanz und -adhärenz bei den Betroffenen stark erhöhen kann. Was man dem Patienten allerdings nicht vermitteln darf, ist, dass man durch so eine Analyse das am besten wirksame Medikament findet. Es geht darum, unwirksame oder unverträgliche Medikamente und falsche Dosierungen zu vermeiden.
Wie schätzen Sie die Landschaft der Anbieter pharmakogenetischer Analysen in Österreich ein?
M. Mühlbacher: Wir haben in Österreich ein sehr gutes Angebot. Ich würde sagen, es gibt 4–5 größere Player. Gerade für psychiatrische Erkrankungen gibt es Labore, die sich auf das Cytochrom 2D6 spezialisiert haben, eines der in der Psychiatrie besonders wichtigen Cytochrome. Für dieses Gen sind Hunderte Genvarianten, sogenannte SNPs, bekannt, die bei psychiatrischen Erkrankungen relevant sein können. Manche Labore testen jedoch nur die zehn häufigsten. Es wird bei günstigen Anbietern also oft nur ein Bruchteil ausgewertet und man bekommt unter Umständen ein falsches Resultat. Hier gilt es also gut zu recherchieren und auszuwählen.
Welches sind wichtige Qualitätskriterien bei der Wahl des Labors?
M. Mühlbacher: Wichtig sind die geografische Nähe – ich würde auf jeden Fall inländische Labors bevorzugen –, die Erreichbarkeit und der Support. Es ist wichtig, dass man die Möglichkeit hat, mit Spezialisten in Kontakt zu treten und Fragen und Einzelfälle besprechen zu können.
Werden pharmakogenetische Analysen ausreichend genutzt?
M. Mühlbacher: Meiner Ansicht nach nicht. Die hohen Kosten der Tests spielen hier sicher eine große Rolle. Dabei zeigen Kostenrechnungen, dass diese Kosten durch Einsparungen an anderer Stelle aufgewogen werden. Es wäre wünschenswert, dass die Pharmakogenetik ergänzend zu den Leitlinien ein wesentlicher Baustein im Therapieplan wird. Eine einmalige Investition, die auf lange Sicht Kosten spart, weil Behandlungsfehler vermieden oder Krankenhausaufenthalte verhindert werden.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Literatur:
1 Bousman CA et al.: Pharmacopsychiatry 2021; 54: 5-17 2 Altar CA et al.: Mol Neuropsychiatry 2015; 1: 145-55