
2. Anprobe
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Die aufmerksame Beobachterin und der aufmerksame Beobachter merken schnell: In der österreichischen Gesundheitspolitik werden Ideen geboren, es wird geplant, implementiert und kommentiert. Bei näherer Betrachtung erscheint aber nicht jeder Gedanke zu Ende gedacht, „aus-gedacht“ eben.
Ein Mann kommt zum Schneider, um den neuen Anzug anzuprobieren. Die Zeit drängt, denn der Mann ist schon viel zu lange in einem Anzug herumgelaufen, der aufgrund seiner zunehmenden Körperfülle zahlreiche Lücken aufweist. Er legt das neue Werk sogleich an und stellt fest, dass der linke Ärmel zu kurz ist. Darauf rät der Schneider: „Ziehen Sie einfach die linke Schulter etwas hoch.“ Nun bemängelt der Kunde, dass der Anzug an der rechten Schulter zwickt. Der Schneider beschwichtigt und zeigt ihm, dass er sich zur Abhilfe etwas nach vorne beugen sollte. Nun findet der Mann, dass der Kragen ihn etwas einenge. Der Schneider schlägt vor, den Kopf nach links zu drehen – dann würde es schon gehen. Beim Blick nach unten stellt der Mann noch fest, dass das linke Hosenbein zu kurz ist. Der Schneider zeigt ihm, wie er in der Hüfte etwas nach rechts abknicken könne – dann passe es.
Der Mann beendet die Diskussion mit einem etwas flauen Gefühl, weil er ja bereits nach der ersten Besprechung des neuen Anzugs wusste, dass er mit der Vorgabe von geringem Stoffverbrauch und Einsparungen keine wirklich hochklassige Leistung erwarten konnte. Auf der Straße wird er dann von Passanten beobachtet: die linke Schulter hochgezogen, vornübergebeugt, den Kopf nach links gedreht, die Hüfte nach rechts geknickt. Kommentiert der eine: „Schau dir den armen Menschen an – offensichtlich schmerzgeplagt und nicht ausreichend behandelt.“ Darauf der andere: „Ja, wirklich – aber einen guten Schneider hat er!“
Das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz soll die menschenrechtskonforme und zugleich ressourcenbewusste Modernisierung des Maßnahmenrechts sichern – sagt die Regierung.
Was bedeuten in diesem Zusammenhang die Menschenrechte? Es gibt die unveräußerlichen Rechte der Gleichheit, die Rechte auf Freiheit, Privatleben, Meinungsäußerung, auf Gesundheit, angemessene Arbeitsbedingungen, Wasser, Bildung und viele andere, die zusammen die friedliche und respektvolle Entwicklung der menschlichen Gesellschaft und der darin lebenden Individuen und Gruppen gewährleisten soll. Das Recht auf passende Kleidung gibt es definitiv nicht.
Lotusblüten aus Schwimmwesten vor dem Schloss Belvedere, Installation von Ai Weiwei, 2016. Von oben gesehen erkennt man den Buchstaben F. Er kann für Freiheit, aber auch Fälschung, Fake und F*** stehen
Und was bedeutet in diesem Zusammenhang „ressourcenbewusst“? Wenn als Ziel des Gesetzes von Anfang an die Senkung der Zahl der im Maßnahmenvollzug untergebrachten Personen angepeilt wird und nicht die ausreichend angebotene Möglichkeit zur Entwicklung der Persönlichkeiten, dann liegt die Aufgabe des Ressourcenbewusstseins nicht ausschließlich beim Nützer der Ressourcen, sondern auch beim Anbieter. Auch die Schlepper, die Menschen in Schlauchboote zwängen, arbeiten ressourcenbewusst. Das Resultat sieht man jeden Tag in den Medien oder in der bekannten Installation von Ai Weiwei.
Wenn man also zur Kenntnis nimmt, dass in den Stellenangeboten der Justizbetreuungsagentur aktuell 48 Stellen ausgeschrieben sind, davon 8 für Psychiater:innen, ahnt man schon, wo der Rock zwicken wird. Wenn man auch den Mangel an psychiatrischen Sachverständigen in Betracht zieht, die zur Einschätzung der Prognose genauso wichtig sind wie der Schneider bezüglich der Auswahl des Stoffes – wo wird der Anzug getragen, welchen Belastungen wird er ausgesetzt sein, wie oft muss die Imprägnierung erneuert werden –, sieht man bald mehr Lücken als Stoff.
Eine mittlerweile gängige Methode zum Überbrücken von Lücken ist die angedachte Möglichkeit, angehende Jurist:innen mit Justizwacheaufgaben zu betrauen. Gleiches plant man ja mit der „Pflegelehre“. Das Mittel ist probat: Auch viele Politiker:innen kommen direkt aus den Jugendorganisationen ihrer Partei in politische Ämter.
Das bei uns gängige System, einen Stichtag festzusetzen und dann in aller Eile „ressourcenbewusst“ die nötigsten Voraussetzungen zu planen – von einführen oder gar ausprobieren ist schon nicht mehr die Rede –, wird fortgeführt.
Was ist die mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende Konsequenz? Der nicht passende Anzug wird von der Ehefrau des Kunden zu Hause zurechtgeschneidert werden – der Ärmel verlängert, Knöpfe umgesetzt etc. Und die Familien, Partner:innen, die Umwelt werden sich an den Umgang z.B. mit unkorrigierten Droher:innen (Strafandrohung unter drei Jahre – keine Maßnahme) gewöhnen müssen.
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