Welche Faktoren sind mit einer geringen Lungenfunktion assoziiert?
Unsere Gesprächspartnerin:
Priv.-Doz. Dr. Robab Breyer-Kohansal
Abteilung für Atemwegs- und Lungenkrankheiten
Klinik Penzing, Wien
Ludwig-Boltzmann-Institut für Lungengesundheit, Wien
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Priv.-Doz. Dr. Robab Breyer-Kohansal, Forschungsleiterin am Ludwig Boltzmann Institut für Lungengesundheit, wurde kürzlich für ihre im Rahmen der LEAD-Studie entstandene Arbeit über mit geringer Lungenfunktion assoziierte Einflussfaktoren geehrt. JATROS durfte mit der Forscherin über die spannenden Ergebnisse sprechen.
Die Austrian LEAD Study ist die bishergrößte longitudinale epidemiologische Beobachtungsstudie Österreichs mit dem Ziel, die Entwicklung der Lungengesundheit über die gesamte Lebensdauer zu erforschen. Das Hauptaugenmerk dieserStudie liegt dabei auf drei Bereichen: der normalen und pathologischen Lungenentwicklung, den Risikofaktoren für die Entwicklung abnormaler Lungenfunktion, und der extrapulmonalen Manifestation abnormaler Lungenfunktion und verbundener Begleiterkrankungen. Die Studie startete 2012 und schloss bis 2016 mehr als 11000 Teilnehmende ein. 2017 beganndie 4-Jahres-Nachuntersuchung (Phase II),die mehr als 80% Rücklaufquote zeigt undbald abgeschlossen werden kann. Die 8-Jah-res-Nachuntersuchung beginnt in diesem Jahr. Erst kürzlich gewann Priv.-Doz. Dr. Robab Breyer-Kohansal, Senior Researcher der LEAD-Studie, den „Internationalen Medis Award for medical research“ für ihre Veröffentlichung „Factors associated with low lung function in different age bins in the general population“.
Als Gewinnerin der zuletzt vergebenen Medis Awards wurden Sie für Ihre Arbeit über die mit geringer Lungenfunktion assoziierten Einflussfaktoren geehrt. Können Sie kurz umreißen, worum es dabei geht?
R. Breyer-Kohansal: Es ist bekannt, dass es unterschiedliche Lungenfunktionsverläufe mit dem Lebensalter innerhalb der Allgemeinbevölkerung gibt, die sogenannten „lung function trajectories“. Jene Verläufe sind nicht nur mit einer reduzierten Lungenfunktion assoziiert, sondern zusätzlich auch mit einer erhöhten Häufigkeit kardiovaskulärer und metaboler Morbidität sowie vorzeitiger Mortalität.
Wir haben Daten von über 11000 Frauenund Männern im Alter von 6 bis 80 Jahren aus der populationsbasierten LEAD(Lung, hEart, sociAl, boDy)-Studie (www.leadstudy.at) untersucht. Unser Ziel war es, die erhobenen Daten im Hinblick auf eine reduzierte Lungenfunktion (FEV1 < „lower limit of normal“) mit zusätzlich insgesamt 55 anderen klinischen Faktoren zu analysieren. Als zusätzliche Einflussfaktoren haben wir zum Beispiel den kardiovaskulären und metabolen Status, die Knochendichte und Körperkomposition, aber auch individuelle Faktoren wie soziökonomischen Status (Ausbildung, Einkommen, Beruf), vorgeburtliche und familiäre Anamnese, Lebensstil, körperliche Aktivität und Umweltbelastung detailliert analysiert. Die Studienpopulation wurde unterteilt in fünf Altersgruppen (Kinder 6–15 Jahre; Jugendliche und junge Erwachsene 15–<30 Jahre und Erwachsene 30–<45 Jahre, 45–<60 Jahre sowie >60 Jahre), entsprechend der Entwicklung und dem Verlauf der Lungenfunktion.
Die Ergebnisse zeigten, dass die Prävalenz der verminderten Lungenfunktion von 6,6% bei Kindern bis 8,5% bei Erwachsenen über 60 Jahre reichte. Auch konnten wir sehen, dass in den verschiedenen Altersgruppen die unterschiedlichsten Faktoren mit einer verminderten Lungenfunktion, im Speziellen einem verminderten FEV1,assoziiert sind. Besonders hervorzuheben ist, dass abseits vom aktiven Rauchen und der Anamnese einer chronischen Lungenerkrankung vor allem die Menge an vorhandener Muskelmasse in nahezu allen Altersgruppen ein deutliches Signal als maßgeblicher Einflussfaktor zeigte. Wie diese und auch die anderen der 55 möglichen Einflussfaktoren jedoch miteinander interagieren, lässt sich durch die konventionelle Statistik kaum darstellen. Die Methode der Netzwerkanalyse erlaubt die Visualisierung aller dieser möglichen Einflussfaktoren und berechnet auch statistisch gesehen unvoreingenommen diese Interaktionen.
Zusammenfassend zeigte diese Analyse, dass das Netzwerk um die verminderte Lungenfunktion mit dem Alter deutlich dichter und komplexer wird, was darauf hinweist, dass die Einflussfaktoren über den Verlauf der Zeit häufiger werden, aber auch akkumulieren und interagieren. Während in den jungen Altersgruppen vor allem allergieassoziierte und nutritive Faktoren eine zentrale Rolle spielen, sind es in den erwachsenen Altersgruppen persönlicher Lebensstil, respiratorische Symptome, chronische Inflammation und diverse Morbiditäten. Diese Daten lassen vermuten, dass vor allem in jungen Altersgruppen präventive Maßnahmen und Interventionen erfolgreicher wären, also noch bevor es zu einem verminderten Lungenfunktionsverlauf mit der Zeit kommt, und eventuell in weiterer Folge sogar den individuellen Lungenfunktionsverlauf positiv beeinflussen könnten.
Die Muskelmasse („fat-free mass index“) und vor allem auch die Ernährung scheint Ihrer Studie zufolge Einfluss auf den Verlauf der Lungenfunktion zu haben. Hat Sie das überrascht bzw. können Sie sich das erklären?
R. Breyer-Kohansal: Dass eine geringere fettfreie Masse so deutlich assoziiert ist mit verminderter Lungenfunktion, vor allem über alle Altersgruppen hinweg, von 6–80 Jahren, war überraschend. Es gibt zwei mögliche, sehr interessante Hypothesen, die diese signifikante Assoziation zumindest teilweise erklären können:
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Es handelt sich um einen funktionellen Effekt. Die Lungenfunktionstestung (in diesem Fall Spirometrie) ist eine forcierte Messung zur Ermittlung der Strömungsmaße und könnte daher durch die Muskelmasse beeinflusst werden, ergo mehr Muskelmasse, mehr Anstrengung bei der Testung, mehr FEV1 mobilisierbar.
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Es handelt sich um einen konstitutionellen Effekt. Personen mit einer geringeren Muskelmasse und Personen mit einer geringeren Lungenfunktion sind – aus den unterschiedlichsten zugrundeliegenden „gene-environmentinteractions“ – so geboren bzw. entwickeln sich so. Diese Theorie ist bis dato noch wenig in der Allgemeinbevölkerung erforscht. Bei manchen malnutritiven Zuständen wie z.B. im Rahmen einer Magersucht wurde ein emphysematöser Umbau der Lunge beobachtet, und das in jungem Alter. Hier weiß man nur wenig über den direkten Zusammenhang bzw. ob die Lunge eventuell bereits im Vorfeld der Malnutrition strukturell abnormal war.
Derzeit forscht unser Team an der Aufklärung dieser beiden Hypothesen.
Der Faktor Ernährung, im Speziellen der Verzehr von Obst und Gemüse, wird ja auch im Folder „Lungenvorsorge für junge Menschen“ thematisiert. Ist dieser Faktor eher in Gemeinschaft mit dem „gesunden Körper“ zu verstehen, oder konnten Sie bereits andere Schlüsse daraus ziehen?
R. Breyer-Kohansal: Es zeigte sich, dass der Lebensstil abseits von aktivem und passivem Zigarettenrauchen eine große Rolle im Zusammenhang mit der erniedrigten Lungenfunktion spielt. Dieser Zusammenhang ist nicht nur, wie oft angenommen, durch einen höheren sozioökonomischen Status zu erklären. Wir wissen, dass körperliche Aktivität und gesunde Ernährung protektive Auswirkungen auf das kardiovaskuläre und metabole System haben. Nun wissen wir aber auch, dass die Menge der Einnahme von Obst und Gemüse pro Tag direkt mit der Funktion der Lungeassoziiert ist, in diesem Fall eine geringe Einnahme mit einem reduzierten FEV1, und das in nahezu jeder Altersgruppe. Dies ist natürlich wie bereits zuvor erwähnt gerade im Bereich Prävention, präventive Maßnahmen und Lungenvorsorge von großer Bedeutung.
Die LEAD-Studie ist ein riesiges Projekt, in dessen Rahmen eine unglaubliche Menge an Daten erhoben und analysiert wird. Was waren bisher die für Sie wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Studie?
R. Breyer-Kohansal: Die LEAD-Studie ist die größte epidemiologische Lungengesundheitsstudie in Österreich und gibt uns zum einen die Möglichkeit, innerhalb der österreichischen Allgemeinbevölkerung die Prävalenzdaten von chronischen Erkrankungen („non-communicable diseases“) und/oder sogenannten „pre-cursors“, den Vorstufen dieser Erkrankungen, zu ermitteln. So konnten wir bereits auf Basis entsprechender Untersuchungen im Bereich des Prädiabetes und Diabetes die dazugehörigen Prävalenzdaten publizieren. Zum anderen liefern solche populationsbasierten Studien die Möglichkeit, aufgrund ihrer Größe Referenzwerte für diese State-of-the-Art-Messungen zu berechnen. Viele solcher Referenzwerte sind oftmals nicht verfügbar. Als Beispiel möchte ich hier die Referenzwerte zur Körperkomposition (Fettmasse, fettfreie Masse, viszerale Fettmasse) nennen, die durch die gesammelten Daten der LEAD-Studie sowohl für Kinder als auch Erwachsene nunmehr verfügbar sind. Aber auch serologische Parameter wie die eosinophilen Granulozyten, derzeit ein „Hot Topic“ in der pneumologischen Wissenschaft, konnten so im Detail analysiert und publiziert werden.
Mit 2021ist die Phase III der LEAD-Studie angelaufen, was wird uns hier noch erwarten?
R. Breyer-Kohansal: Der Beginn der Phase III markiert einen für uns sehr wichtigen Meilenstein: die erste Follow-up-Phase (Phase II) ist nun beendet und die ersten longitudinalen Daten stehen zur Verfügung. Das spiegelt sich auch darin wider, dass wir mit unseren internationalen wissenschaftlichen Kooperationspartnern und deren Populationskohorten bereitsmehrere Projekte erarbeitet haben. Eine ganz wichtige Kooperation ist jene mit dem Ziel, den natürlichen Verlauf der Lungenfunktion über die Zeit besser zu verstehen (ERS Collaborative Research Collaboration – CADSET, „Chronic Airway DiSeases Early sTratification“). Überaus aktuell und unssehr wichtig ist es aber auch, im longitudinalen Verlauf den Einfluss von Feinstaub und Lärm auf die Inzidenz und den Verlauf von chronischen Lungenerkrankungen wie Asthma und COPD, aber auch auf metabolische Funktionen und die Inzidenz von Prädiabetes und Diabetes zu erforschen.
Auf Ihrer Website präsentieren Sie die ersten Daten Ihrer LEAD-Covid-19-Antikörper-Studie.Wollen Sie unseren Lesern dazu noch ein paar Infos mitgeben?
R. Breyer-Kohansal: Die LEAD-Covid-19-Antikörper-Studie ist die einzige Untersuchung an der Wiener Allgemeinbevölkerung, die sich mit dem Thema des Nutzens eines frühen, harten Lockdowns während einer Pandemie beschäftigt hat. Zusätzlich wurde die Anzahl, aber auch die Nachhaltigkeit der Antikörper auf SARS-CoV-2 mittels der Analyse neutralisierender Antikörper untersucht. Wir konnten zum einen zeigen, dass ein früher, harter Lockdown zu einer geringen Häufigkeit von SARS-CoV-2-Infektionen in der Allgemeinbevölkerung führt. Zum anderen konnten wir zeigen, dass die gebildeten neutralisierenden Antikörper nach einer durchgemachten SARS-CoV-2-Infektion über einen Zeitraum von 12 Monaten deutlich abnehmen. Mehr als zwei Drittel aller SARS-CoV-2-positiven Wiener haben über die Monatedeutlich an ihrem initial nach Infektion ausgebildeten Antiköperniveauverloren. Das bedeutet, dass der Schutz vor einer neuen Infektion mit der Zeit nachlässt und auch Personen nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion nicht vor einer neuerlichen Infektion geschützt sind.
Vielen Dank für das Gespräch!
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