Entwicklung der Regulierungen von Tabak- und Nikotinprodukten
Autor:
Univ.-Prof.em. Dr. Manfred Neuberger
Zentrum für Public Health
Medizinische Universität Wien
Tabakkonsum ist die am häufigsten vermeidbare Krankheits- und Todesursache in der Welt. Entsprechende Regulierungen von Tabak- und Nikotinprodukten durch die WHO 2024 und die EU haben das Ziel, den Tabakkonsum drastisch zu senken. Was in Österreich bisher nur unzureichend gelungen ist: Laut aktuellen Zahlen konsumieren 32% der Bevölkerung traditionelle Tabakprodukte, während die Raucherquote im EU-Schnitt bei 24% liegt.
Keypoints
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Das WHO-Rahmenübereinkommen zur Tabakkontrolle (FCTC) von 2005 wurde als völkerrechtlich verbindlicher Vertrag von 181 Staaten ratifiziert.
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Europa mit Zentralasien weist den langsamsten Rückgang der Raucherprävalenz und die höchste Zahl an Raucherinnen auf.
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Ziel für zahlreiche (EU-)Länder ist die Reduktion der Raucherrate auf unter 5% .
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Die Raucherquoten in Österreich sind in allen Altersklassen höher als in der EU, bei den 25- bis 39-Jährigen liegen sie bei 42% (EU 32%).
WHO-Rahmenübereinkommen
Im Februar 2005 trat eine Rahmenkonvention zur Tabakkontrolle („Framework Convention on Tobacco Control“; FCTC) in Kraft, die inzwischen als völkerrechtlich verbindlicher Vertrag von insgesamt 181 Staaten ratifiziert wurde, in denen >90% der Weltbevölkerung leben. In den bisher 10 Konferenzen der Teilnehmerstaaten (Conference of the Parties, CoP) erfolgte die laufende Anpassung dieses Vertrages an neue Entwicklungen. Zu diesen Konferenzen hatten auch NGO und Regierungsvertreter von Staaten Zutritt, die bisher noch nicht unterzeichnet haben, wie die USA oder die Schweiz. Nicht zu den Konferenzen zugelassen sind hingegegen Vertreter von Produktion und Handel mit Tabak-/Nikotinwaren, weil deren Interessen denen der WHO diametral entgegengesetzt sind (Art.5.3 FCTC).
Bei der letzten Konferenz im Februar 2024 in Panama wurden u.a. Verbesserungen bei Umweltauflagen (Art. 18) und Haftung (Art. 19) für Produzenten von Tabak-/Nikotinprodukten beschlossen und es wurde erstmals ein Konnex zur UN-Menschenrechtskonvention sowie zu den 17 UN-Zielen einer nachhaltigen Entwicklung („sustainable development goals“; SDG) festgestellt. Auch die Konferenz zur Schmuggelbekämpfung nach WHO-Protokoll („Meeting of the Parties“; MOP-3) machte 2024 Fortschritte, wobei vor allem Finanzressorts der Regierungen dem Druck der Tabakindustrie standhalten müssen und die Kontrolle nicht aus der Hand geben dürfen. Leider zeigt die europäische Region der WHO (mit Zentralasien) den langsamsten Rückgang der Raucherprävalenz (Abb. 1) und seit 2010 den höchsten Anteil an Raucherinnen.1
Abb. 1: Prozentsatz an Rauchern ab einem Alter von 15 Jahren (modifiziert nach WHO 2024)1
Europäische Union
Die Europäische Kommission (EC) und die EU-Mitglieder haben die Rahmenkonvention zur Tabakkontrolle ratifiziert. EC und das EU-Parlament haben bereits 2007 ein Grünbuch für ein rauchfreies Europa beschlossen und jährlich 80000 Sterbefälle durch Passivrauchen geschätzt.2 Ihrer Forderung nach Rauchverboten an öffentlich zugänglichen Orten (Lokale, Kinderspielplätze etc.) wurde allerdings bisher kein Rechtsstatus verliehen. Die EU hat sich auf gesetzliche Schutzmaßnahmen in Tabakprodukte-Richtlinien („Tobacco Products Directive“; TPD) beschränkt, wobei TPD-2 (2014/40/EU) am 20.5.2016 in allen Mitgliedsstaaten wirksam wurde. Evaluierungen und Weiterentwicklungen der TPD sind regelmäßig vorgesehen. Sie erfolgten zuletzt auch für E-Zigaretten und E-Liquids, deren Nikotingehalte, Werbebeschränkungen und Gesundheitswarnungen 2021 in TPD-3 ergänzt wurden, aber deren Umsetzung in nationales Recht noch nicht abgeschlossen ist.
Für 2030 wurden EU-Ziele für Luftqualität, Klima, nachhaltige Entwicklung (SDG) und Gesundheit (z.B. Krebsreduktion) festgelegt, die ohne Verbesserung der Gesetze für den Schutz der Bevölkerung vor Tabak-/Nikotinprodukten nicht erreichbar sind. Darüber hinaus sollte bis 2030 die erste tabakfreie Generation in Europa geschaffen werden.3
Ziel für Dänemark, Finnland, Irland etc. (und auch Länder außerhalb der EU wie Norwegen, Großbritannien, Kanada u.a.) ist die Senkung der Raucherrate auf unter 5% und die der Kinder auf 0%. Zur Erreichung dieses von WHO und Weltbank geforderten Zieles ist es nötig, das Rauchen zu denormalisieren und Rauch als Luftverschmutzung bewusst zu machen, wodurch seine soziale Akzeptanz sinkt. Dagegen kämpfen Tabakindustrie und -händler sowie Nikotinsüchtige ohne Krankheitseinsicht. Neue Nikotinprodukte drängen schneller auf den freien Markt, als staatliche Regulierungen greifen können. Finnland plant deshalb die Nikotinfreiheit bis 2030 und hat Nikotinwerbung stärker beschränkt, als es die EU-Direktiven vorschreiben.
Österreich
Österreich ratifizierte FCTC 2005, folgte TPD-2, verbot Lutsch-, Kau- und Schnupftabak und regulierte E-Zigaretten wie Tabakprodukte, allerdings noch ohne die Verbote von Aromen, die für die Jugend besonders attraktiv sind. 2019 wurde das Schutzalter auf 18 Jahre angehoben, was aber an Verkaufsstellen erst in 3 Bundesländern durch unabhängige Testkäufe kontrolliert und durch Automatenverkäufe unterminiert wird. Landesgesetze4, um jugendlichen Opfern der Nikotinsucht zu helfen und nur die Dealer zu bestrafen, fanden keine Bundesunterstützung.
Ausnahmen von Rauchverboten nahmen Gaststätten noch bis November 2019 in Anspruch und auch seither wird das Gesetz nicht überall eingehalten, wie Luftmessungen in Wiener und Linzer Lokalen nachwiesen. Besonders auffällig waren Jugendlokale und Shisha-Bars. Für Tabakprodukte an Verkaufsorten (Trafiken, Tankstellen, Supermärkte) gibt es nach wie vor keine Werbebeschränkungen. Die Jugend wird erst durch Tabakindustrie und -handel zum Rauchen verführt, besonders in einkommensschwachen Gemeinden mit geringer Bildungsrate, wo die gesundheitliche Aufklärung wenig gegen die Manipulation (direkte und indirekte Tabak-/Nikotinwerbung) ausrichtet.
Abbildung 2 zeigt die Raucherprävalenz in der EU (n=26358) und in Österreich (n=1002), die 2023 an repräsentativen Stichproben vom Eurobarometer erhoben wurden.5 Österreich hat mit 46% einen geringeren Anteil an Nierauchern als die EU mit 56%. Aktuell konsumieren 32% der Österreicher traditionelle Tabakprodukte (Zigaretten, Zigarren, Zigarillos oder Pfeifen) – bei Frauen sind es 25% und bei Männern 39% –, während die aktuelle Raucherquote im EU-Schnitt vergleichsweise bei nur bei 24% (Frauen 21%, Männer 28%) liegt. Aus Abbildung 2 geht auch hervor, dass Raucherquoten in Österreich in allen Altersklassen ab 15 Jahren höher liegen als in der EU und bei den 25- bis 39-Jährigen mit 42% (EU 32%) ihr Maximum erreichen.
Abb. 2: Anteil der Raucher traditioneller Tabakprodukte im EU-Schnitt und in Österreich in Prozent (modifiziert nach Eurobarometer 2024)5
Literatur:
1 WHO global report on trends in prevalence of tobacco use 2000–2030. https://www.who.int/publications/i/item/9789240088283 ; zuletzt aufgerufen am 3.9.2024 2 EU Commission: Green PaperTowards a Europe free from tobacco smoke: policy options at EU level. https://ec.europa.eu/health/ph_determinants/life_style/Tobacco/Documents/gp_smoke_en.pdf ; zuletzt aufgerufen am 3.9.2024 3 https://rauchfrei.at/eu-kampagne-generation-rauchfrei ; zuletzt aufgerufen am 3.9.2024 4 https://www.oesterreich.gv.at/themen/reisen_und_freizeit/vorschriften-fuer-jugendliche/verhaltensregeln-im-alltag-und-auf-reisen/Seite.1740250.html ; zuletzt aufgerufen am 3.9.2024 5 Eurobarometer 2024: https://europa.eu/eurobarometer/surveys/detail/2995 ; zuletzt aufgerufen am 3.9.2024
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