
Erhitzte Tabakprodukte
Autor:
Dr. Martin Riesenhuber
Klinische Abteilung für Kardiologie
Universitätsklinik für Innere Medizin II
Medizinische Universität Wien
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Obwohl nur wenige klinische Daten dazu vorliegen, ist davon auszugehen, dass die gesundheitlichen Auswirkungen mit denen von konventionellen Zigaretten vergleichbar sind. Erhitzter Tabak erschwert den Patienten den Weg zu einem rauchfreien Leben.
Keypoints
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Erhitzte Tabakprodukte stellengenauso wie Zigaretten ein er-hebliches Gesundheitsrisiko dar.
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Auch der Passivrauch von erhitzten Tabakprodukten enthält relevante Mengen an schädlichen Substanzen.
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Die Produkte stellen v.a. für Jugendliche einen verführerischen Einstieg in die Nikotinsucht dar.
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Durch erhitzten Tabak werden keine Verhaltensänderungen erreicht. Patienten schaffen durch erhitzten Tabak kein rauchfreies Leben.
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Die einzig evidenten (und hoch effektiven) Maßnahmen zur Entwöhnung sind Verhaltenstherapie, Nikotinersatzprodukte und medikamentöse Therapie.
Konventionelles Rauchen kommt zunehmend aus der Mode. Während in Österreich im Jahr 2014 noch 27% der Männer und 22% der Frauen angaben, täglich zu rauchen, reduzierten sich diese Zahlen im Jahr 2019 auf 23,5% der Männer und 17,8% der Frauen. Die Tabakindustrie fürchtet durch rückläufige Zahlen rauchender Personen um ihr Geld, denn steigende Zigarettenpreise, öffentliche Gesundheitspräventionen und Rauchverbote wirken – und retten somit täglich Leben und Lebensqualität. Aus diesen Gründen entwickelte die Tabakindustrie erhitzte Tabakprodukte.
Erhitzte Tabakprodukte: Was ist das?
Während Tabak in konventionellen Zigaretten bei etwa 900°C verbrennt, wird Tabak in erhitzten Tabakprodukten auf 350°C erhitzt, um so Nikotin zu extrahieren. Es ist dazu ein Starter-Set-Equipment in Form eines Holders und eines Chargers notwendig (Abb. 1).
Der Holder ist etwa zigarrengroß. In den Holder kann in das eine Ende ein Tabakstängel eingesteckt werden, welcher circa die Größe einer halben Zigarette hat. Im Holder wird der Tabakstängel auf 350°C erhitzt, wodurch die rauchende Person das aus dem Holder herausragende Stück des Tabakstängels in den Mund nehmen und inhalieren kann. Es kann dann für ca. 14 Züge oder sechs Minuten geraucht werden. Der gebrauchte Tabak wird aus dem Holder entfernt und entsorgt. Nachdem der Holder im Charger wieder geladen wurde, kann ein neuer Durchgang gestartet werden.
Der Preis des iQOS®-Starter-Set von Philip Morris bewegt sich zwischen 50 und 80 Euro je nach Angebotslage. Eine Packung HEETS® von Philip Morris(20-Stück-Packung) kostet in Österreich derzeit 5,20 Euro. Die Produkte iQOS® und HEETS® von Philip Morris haben einen hohen Marktanteil, wobei auch das Produkt Glo® weit verbreitet ist.
Studien: Bias und Evidenz
Es muss hervorgehoben werden, dass die Tabakindustrie über 50% der Studien zu erhitzten Tabakprodukten durchführt oder finanziert. Wenngleich Methodik und Statistik dieser Studien meist korrekt durchgeführt sind, muss man sich bewusst sein, dass Studiendesign und Endpunkte so gewählt werden, dass die gewünschten Schlussfolgerungen die Marketingkampagne der Tabakindustrie unterstützen. Weiters muss vor intensivem Lobbying der Tabakindustrie gewarnt werden.
Zusammenfassend ist die Studienlage dünn. Randomisierte kontrollierte Studien mit harten Endpunkten und langem Follow-up fehlen. Prospektive Studien mit klinischen Endpunkten sind selten. Lediglich Umfragen oder Studien, die Biomarker vergleichen, sind häufig zu finden.
Nikotingehalt und weitere schädliche Inhaltsstoffe
Konventionelle Zigaretten beinhalten über 4000 Inhaltsstoffe, welche in Summe den drastischen Endorganschaden bewirken. Nikotin als einer dieser Inhaltsstoffe ist hauptverantwortlich für die Abhängigkeit, ist jedoch selbst wenig gesundheitsschädlich.
In den Analysen des Hauptstroms beträgt der Nikotingehalt von erhitzten Tabakprodukten 57−83% von konventionellen Zigaretten. Der Prozess der Nikotinextraktion ist dabei auch bei den niedrigeren Temperaturen von 350°C hocheffektiv. Weitere Inhaltsstoffe sind verglichen mit der konventionellen Zigarette (auch teils deutlich) reduziert. Acrolein − mitverantwortlich für endotheliale Dysfunktion, oxidativen Stress und inadäquate Thrombozytenaktivierung − ist auf 1−82% reduziert − je nachdem ob die Studie durch die Tabakindustrie finanziert wurde. Verglichen mit konventionellen Zigaretten beträgt der Feinstaubgehalt 54−135% und der Teergehalt 33−79%.
Eine Studie der Tabakindustrie zeigt, dass es fünf Tage nach Umstellung von konventionellen Zigaretten auf erhitzte Tabakprodukte keinen Unterschied in Nikotin- oder Kotininspiegel der Probanden gibt. Weiters fanden sich bei den Probanden erhöhte Atemzugvolumina und höhere Frequenzen beim Rauchen von erhitztem Tabak.
Diese Konstellation ist typisch für kompensatorisches Rauchen: Der Rauchende bemerkt, dass erhitzter Tabak weniger Nikotin als seine gewohnte konventionelle Zigarette hat und moduliert sein Rauchverhalten so, dass er aus dem Hauptstrom mehr Nikotin (und gleichzeitig auch mehr Schadstoffe) extrahiert. Diese Effekte sind auch von Light-Zigaretten bekannt und zeigen die klinischen Limitationen von simplen Hauptstromanalysen.
Klinische Effekte
Erhitzte Tabakprodukte führen nach Konsum unmittelbar zu einem Anstieg von Herzfrequenz und Blutdruck. Der enthaltene Feinstaub von erhitzten Tabakprodukten verursacht dosisabhängig Erkrankungen des kardiopulmonalen Systems, Lungenkarzinome sowie eine Erhöhung der Gesamtmortalität.
Das enthaltene Benzol führt zu erhöhten LDL-Cholesterinspiegeln und damit zu einem erhöhten kardiovaskulären Risiko. Erhitzter Tabak beeinflusst die Thrombozyten negativ. Dies führt zu einem zusätzlichen kardiovaskulären Risiko. Weiters gibt es keine Gründe, warum es bei Thromboseneigung relevante Unterschiede zu konventionellen Zigaretten geben sollte. Des Weiteren haben Kohlenmonoxid, freie Radikale, Acetol und Nitrosamine bereits ihre drastischen gesundheitlichen Auswirkungen bewiesen.
Obwohl derzeit nur wenige klinische Studien publiziert sind, ist aufgrund der Inhaltsstoffe von erhitzten Tabakprodukten anzunehmen, dass die gesundheitlichen Schäden von erhitzten Tabakprodukten vergleichbar zu konventionellen Zigaretten sind. Passivrauch von erhitzten Tabakprodukten beinhaltet relevante Mengen an schädlichen Substanzen und beeinträchtigt die Luftqualität auch nach Abschluss des Rauchvorgangs. Passivrauchende berichten von Asthmaattacken und Thoraxschmerzen. Gleichzeitig versucht die Tabakindustrie, durch Abstrahierung der Definition von Rauch gezielt Gesetze zu umgehen.
Konsumverhalten
Weltweit steigt der Bekanntheitsgrad von erhitzten Tabakprodukten. Von knapp 4000 britischen Jugendlichen möchten 42% erhitzten Tabak probieren. Italienische Daten zeigen, dass 45% der konsumierenden Personen von erhitztem Tabak davor noch nie geraucht haben. Hier ebnete erhitzter Tabak den Einstieg in die Nikotinsucht.
Erhitzter Tabak als Hilfe beim Rauchstopp
Abb. 2: Das Rauchfrei Telefon ist eine Serviceline für Raucher, Angehörige und medizinisches Personal
Ein Großteil der Konsumierenden von erhitztem Tabak verwendet diesen, um ein rauchfreies Leben zu erreichen. Dies gelingt mit erhitztem Tabak jedoch den wenigsten. Daten aus Japan zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit für ein nachhaltig rauchfreies Leben mit erhitztem Tabak sogar signifikant reduziert war.
Es liegt vorrangig an zwei Gründen, dass ein rauchfreies Leben mit erhitztem Tabak nicht gelingt:
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Rauchende bemerken den niedrigeren Nikotingehalt und sind durch erhitzten Tabak verglichen mit konventionellen Zigaretten weniger befriedigt – dies wurde auch in Umfragedaten gezeigt.
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Die für ein rauchfreies Leben dringend notwendige Verhaltensänderung wird mit erhitzten Tabakprodukten nicht erreicht. Im Gegenteil: Der konditionierte Lernprozess im präfrontalen Kortex wird weiterhin uneingeschränkt aufrechterhalten.
Die Maßnahmen mit der höchsten Evidenz für ein nachhaltig rauchfreies Leben sind Nikotinersatzprodukte, Verhaltenstherapie und medikamentöse Therapie (Bupropion, Vareniclin).
Rolle der Tabaksteuer
Der Anteil der Tabaksteuer des Verkaufspreises von konventionellen Zigaretten liegt aktuell bei ca. 58%. Da für das Rauchen von erhitzten Tabakprodukten elektrisches Zubehör benötigt wird, werden diese nicht als konventionelle Zigarette eingestuft. Die Tabaksteuer für erhitzte Tabakprodukte wurde am 1. April 2022 von 15,7% je Packung auf 17,2% je Packung erhöht. Da die Erhöhung der Tabakpreise eine der effektivsten Maßnahmen für eine rauchfreie Bevölkerung ist, wäre hier mehr politisches Engagement gefragt. Die Tabaksteuer für erhitzte Tabakprodukte ist viel zu niedrig!
Zusammenfassung
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Tabak, egal ob erhitzt oder verbrannt, ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellt und verantwortlich für Leid und Tod ist. Unabhängige Studien sollten durch öffentliche Mittel gezielt gefördert werden. Goldstandard sollte immer der Vergleich zu nichtrauchenden Personen sein.
Ein rauchfreies Leben wird mit dem Umstieg auf erhitzten Tabak schwerer erreicht, jedoch bietet erhitzter Tabak einen verführerischen Einstieg in die Nikotinsucht – besonders für Jugendliche. Weiters darf die Tabakindustrie bei der (Wieder-)Normalisierung des Rauchens nicht erfolgreich sein und kann keinesfalls Teil der Lösung der globalen Raucherepidemie werden.
Weiterführende Literatur:
Riesenhuber M et al.: Erhitzte Tabakprodukte: Empfehlungen der Initiative Ärzte gegen Raucherschäden // Heated tobacco products: Recommendations from the Austrian Council on Smoking and Health. J für Kardiologie 2022; 29 (7-8): 198-202
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