
Ein Überblick über die neuen und alten Botulinumtoxin-A-Präparate
Autor:
Prof. Dr. Berthold Rzany, ScM
Medizin am Hauptbahnhof
Wahlarztzentrum für Dermatologie & Venerologie, Wien
#b_rzany_berlin_wien
E-Mail: rzany@derma-wien.at
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Botulinumtoxin A wird seit über 30 Jahren in der Behandlung der fokalen Hyperhidrose und der hyperkinetischen Muskulatur verwendet (Carruthers et al. 1992). Über viele Jahre standen nur drei Präparate in Europa und den USA zur Verfügung (de Maio und Rzany 2007). Mittlerweile stehen in Österreich sechs Präparate von sechs Herstellern bzw. Vertreibern zur Verfügung – die beiden neuesten werden in Korea produziert. Wie unterscheiden sich diese Präparate und welche Kriterien helfen, das geeignetste Präparat zu wählen?
Keypoints
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Mittlerweile gibt es sechs Botulinumtoxinpräparate auf dem österreichischen Markt. Grob lassen sie sich in die Dysport-ähnlichen und die Botox-ähnlichen Präparate einteilen. Zwei der neuen Präparate kommen aus Korea.
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Bis auf Alluzience müssen alle Präparate mit physiologischer Kochsalzlösung verdünnt werden.
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Die Wirksamkeit und die Sicherheit von allen Präparaten wurden mit placebokontrollierten Studien untersucht. Für einen Teil der Präparate gibt es auch Nichtunterlegenheitsstudien. Die Studien wurden 2021 durch Camargo in einer Metaanalyse zusammengefasst.
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Alle Präparate sind wirksam und sicher.
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Jedoch gibt es Unterschiede in der Wirksamkeit zwischen den Präparaten. 20 E eines Botox-ähnlichen Präparates sind nicht unbedingt vergleichbar mit 20 E von Botox oder von einem anderen Botox-ähnlichen Präparat.
Alle Präparate sind Botulinumtoxin-A-Präparate und enthalten das 150-kD-Protein. Alle Präparate sind wirksam und sicher. Jedoch gibt es Unterschiede zwischen den Präparaten, die sich u.a. in der Wirkstärke und Wirkdauer zeigen.
Wie lassen sich die Unterschiede erfassen? Im Prinzip gibt es drei Möglichkeiten:
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In-vitro-Studien zum 150-kD-Gehalt der verschiedenen Präparate
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klinische Studien
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eigene Erfahrungen
Die Botulinumtoxin-A-Präparate
Prinzipiell lassen sich die von der Firma Ipsen hergestellten Produkte (Dysport, Azzalure, Alluzience) von den Nicht-Ipsen-Produkten, die sich in ihren Einheiten an Botox/Vistabel orientieren, unterscheiden (Tab. 1 und 2).
Bis auf Alluzience (Ascher et al. 2018 und 2020), das vorgelöst ist, müssen alle zurzeit auf dem Markt vorhandenen Toxine mit physiologischer Kochsalzlösung vor der Injektion aufgelöst werden. Bei der Verwendung von bakteriostatischer Kochsalzlösung gibt es Hinweise, dass sich der Injektionsschmerz reduziert (Allen et al. 2011). Dysport/Azzalure wird üblicherweise so aufgelöst, dass die Standarddosierung pro Injektionspunkt in 0,05ml verwendet wird. Bei Botox/Vistabel und den Botox-ähnlichen Produkten findet sich die Standarddosierung pro Injektionspunkt in 0,1ml. Alle Präparate sind für die Behandlung der Glabella zugelassen. Dysport/Azzalure hat neben der Glabella noch die Zulassung für die Lachfalten. Botox/Vistabel und Xeomin/Bocouture sind zusätzlich noch für die Behandlung der Stirnfalten zugelassen.
Unterschiede im Gehalt an 150-kD-Protein pro Vial
Hier gibt es eine Studie, in der Botox, Dysport und Xeomin bezüglich des Gehaltes an dem aktiven Toxin, dem 150-kD-Protein, miteinander verglichen wurden (Field et al. 2018). In der Studie wurde bei dem Vergleich der Standarddosierung der höchste Anteil an 150-kD-Protein bei Dysport dokumentiert. Damit wäre der Analogieschluss, dass bei der Standarddosierung von Dysport/Azzalure eine höhere Wirksamkeit/Dauerhaftigkeit als bei der von Botox/Vistabel und Xeomin/Bocouture zu erwarten ist. Eine entsprechende In-vitro-Studie fehlt für die neuen Präparate (Letybo und Nuceiva).
Klinische Studien
Da die zugelassenen Präparate alle wirksam und sicher sind, ist es schwierig, eine Überlegenheitsstudie durchzuführen. Damit bleiben zwei Möglichkeiten:
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der Vergleich der placebokontrollierten Studien in einer Metaanalyse und
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Nichtunterlegenheitsstudien
Placebokontrollierte Studien sind der Goldstandard. Alle auf dem Markt erhältlichen Botulinumtoxinpräparate sind in plabecokontrollierten Studien untersucht worden. Die meisten placebokontrollierten Studien finden sich zu den drei etablierten Präparaten. Zu Alluzience finden sich zwei Studien (Ascher et al. 2018 und 2020), zu Nuceiva finden sich drei Studien (Beer et al. 2019, Rzany et al. 2020) und zu Letybo findet sich eine Studie (Mueller et al. 2022), die klar die Wirksamkeit gegenüber Placebo zeigen. In einem aktuellen Cochrane Review von Camargo et al. (2021), der Studien bis Mai 2020 umfasst, werden die Studien für jedes einzelne Toxin als Forest-Plot (eine zusammenfassende grafische Darstellung der Ergebnisse der Metaanalyse) dargestellt.
In einer Nichtunterlegenheitsstudie soll gezeigt werden, dass ein Botulinumtoxin nicht oder nur unbedeutend schlechter ist als das Vergleichspräparat (häufig Vistabel/Botox). Unbedeutend schlechter bedeutet, dass der Unterschied zwischen den beiden Präparaten klinisch ohne Bedeutung ist. Statistisch wird eine Nichtunterlegenheitsgrenze definiert: Nichtunterlegenheit wird angenommen, wenn ein neues Botulinumtoxin allenfalls in gewissen vor Studienbeginn definierten Grenzen schlechter abschneidet als das Vergleichspräparat. Nichtunterlegenheitsstudien sind nicht so einfach zu verstehen. Sie geben jedoch Hinweise auf die Vergleichbarkeit, wenn nicht sogar die Überlegenheit von Präparaten – hier bei dem Vergleich von Nuceiva mit Vistabel/Botox (Rzany et al. 2020).
Eigene Erfahrungen
Eigene Erfahrungen ergeben sich, wenn man die verschiedenen Präparate bei seinen Patienten anwendet. Hier zeigt sich, dass im selben Patienten bei Verwendung der Standarddosierung Wirkstärke und Wirkdauer unterschiedlich sein können. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ich Bocouture höher dosieren musste als Azzalure, um vergleichbare Ergebnisse zu erzielen. Daher: Tauschen Sie sich aus mit Ihren Kollegen! Wie werden die neuen Präparate, Letybo und Nuceiva, beurteilt? Als genauso stark wie das bisher genutzte Präparat oder als schwächer oder stärker?
Der Preis
Neben der Wirksamkeit ist ein wichtiges Kriterium der Preis des Produktes. Wer wirtschaftlich arbeiten will, muss auch den Preis des Produktes in Betracht ziehen. Wenn man zu einem günstigeren Produkt wechselt, das in der Standarddosierung weniger stark und auch weniger lang wirkt, kann der Vorteil des günstigeren Preises durch die Notwendigkeit einer höheren Dosierung/von wiederholten Behandlungen wieder hinfällig werden.
Weitere Unterschiede
Bocouture/Xeomin ist das einzige Präparat, das bei Raumtemperatur (bis 25 Grad Celsius) gelagert werden kann. Bis auf Alluzience müssen alle Toxine mit physiologischer Kochsalzlösung verdünnt werden, um injiziert werden zu können. Alluzience ist vorgelöst. Theoretisch kann es mit physiologischer Kochsalzlösung weiter verdünnt werden. Das könnte – wenn bakteriostatische Kochsalzlösung verwendet wird – ggf. auch das Brennen reduzieren, über das ein Teil der Patienten nach Injektion von Alluzience berichtet.
Sicherheit
Alle Präparate – das zeigt auch die Metaanalyse von Camargo et al. (2021) – sind sicher. Augenbrauenptosis und Augenlidptosis sind die wichtigsten unerwünschten Wirkungen. In der Häufigkeit zeigen sich keine Unterschiede für die in Österreich zugelassenen Präparate.
Antikörperbildung/Wirkverlust
Obwohl in der ästhetischen Medizin Botulinumtoxin seit über 20 Jahren verwendet wird, wird bei den ästhetischen Indikationen nur selten ein relativer oder ein absoluter Wirkverlust, der von einer Antikörperbildung begleitet sein kann, beschrieben (Fabbri et al. 2015). Wie soll man bei einer echten Botulinumtoxinresistenz vorgehen? Hier gibt es neuere Überlegungen, die eine Karenzzeit und dann den Versuch einer erneuten Behandlung, ggf. mit Wechsel auf ein Präparat ohne Komplexproteine, nahelegen. Aber Vorsicht: Die Überlegungen und Empfehlungen beruhen zurzeit noch auf unkontrollierten Fallserien aus der Neurologie und Expertenmeinungen (Ho et al. 2022). Um hier stabile Aussagen zu erhalten, braucht es bessere Evidenz, z.B. randomisierte und geblindete Vergleichsstudien zur Behandlung von Patienten mit Botulinumtoxinresistenz nach einer Karenzzeit. Der überwiegende Konsens ist nach wie vor, dass bei den ästhetischen Indikationen eine Antikörperbildung/ein Wirkverlust keine Rolle spielt (Dover et al. 2018).
Wechsel der Präparate
Bei jedem Patienten kann von einem Präparat auf ein anderes Präparat gewechselt werden. Kriterien für einen Wechsel sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Jedoch erwartet der Patient eine ähnliche oder bessere Wirksamkeit. Der Wechsel sollte dem Patienten klar kommuniziert werden – vor allem dann, wenn man mit dem neuen Präparat nicht hinreichend eigene Erfahrungen hat. 20 E eines Präparates entsprechen nicht immer 20 E eines anderen Präparates. Ein Patient, der ein Präparat mit einer starken Wirksamkeit gewöhnt ist, wird beim Wechsel auf ein Präparat mit einer schwächeren Wirksamkeit nicht begeistert sein. Im umgekehrten Fall wird er zufriedener sein, was sich dann auch in Ihrer Zufriedenheit widerspiegeln sollte!
Zusammenfassung
Alle auf dem österreichischen und deutschen Markt vorhandenen BoNT-A sind wirksam und sicher. Generell muss zwischen den Dysport- und den Botox-ähnlichen Präparaten unterschieden werden. Bis auf Alluzience müssen alle Präparate mit physiologischer Kochsalzlösung verdünnt werden. Die Präparate sind gleich (alle haben das 150-kD-Protein), aber doch verschieden. 20 E eines Botox-ähnlichen Produktes können schwächer oder stärker als das Referenzprodukt wirken. Bis auf wenige Nichtunterlegenheitsstudien gibt es keine direkten Vergleichsstudien zu den Präparaten. Mein Tipp: Kommunizieren Sie Ihre Erfahrungen, wenn Sie ein neues Präparat verwenden, mit Ihren Kolleginnen und Kollegen.
Literatur:
● Allen SB, Goldenberg NA: Pain difference associated with injection of abobotulinumtoxinA reconstituted with preserved saline and preservative-free saline: a prospective, randomized, side-by-side, double-blind study. Dermatol Surg 2012; 38(6): 867-70 ● Ascher B et al.: Liquid formulation of abobotulinumtoxinA exhibits a favorable efficacy and safety profile in moderate to severe glabellar lines: a randomized, double-blind, placebo- and active comparator-controlled trial. Aesthet Surg J 2018; 38(2): 183-91 ● Ascher B et al.: Liquid formulation of abobotulinumtoxinA: a 6-month, phase 3, double-blind, randomized, placebo-controlled study of a single treatment, ready-to-use toxin for moderate-to-severe glabellar lines. Aesthet Surg J 2020; 40(1): 93-104 ● Beer KR et al.: Efficacy and safety of prabotulinumtoxinA for the treatment of glabellar lines in adult subjects: results from 2 identical phase III studies. Dermatol Surg 2019; 45(11): 1381-93 ● Camargo CP et al.: Botulinum toxin type A for facial wrinkles. Cochrane Database Syst Rev 2021; 7(7): CD011301 ● Carruthers JD, Carruthers JA: Treatment of glabellar frown lines with C. botulinum-A exotoxin. J Dermatol Surg Oncol 1992; 18(1): 17-21 ● de Maio M, Rzany B: Botulinum Toxin in Aesthetic Medicine. Heidelberg: Springer, 2007 ● Dover JS et al.: Botulinum toxin in aesthetic medicine: myths and realities. Dermatol Surg 2018; 44(2): 249-60 ● Fabbri M et al.: Neutralizing antibody and botulinum toxin therapy: a systematic review and meta-analysis. Neurotox Res 2016; 29(1): 105-17 ● Field M et al.: AbobotulinumtoxinA (Dysport®), onabotulinumtoxinA (Botox®), and incobotulinumtoxinA (Xeomin®) neurotoxin content and potential implications for duration of response in patients. Toxins (Basel) 2018; 10(12): 535 ● Ho WWS et al.: Emerging trends in botulinum neurotoxin A resistance: an international multidisciplinary review and consensus. Plast Reconstr Surg Glob Open 2022; 10(6): e4407 ● Mueller DS et al.: Efficacy and safety of letibotulinumtoxin A in the treatment of glabellar lines: a randomized, double-blind, multicenter, placebo-controlled phase 3 study. Aesthet Surg J 2022; 42(6): 677-88 ● Rzany BJ et al.: A multicenter, randomized, double-blind, placebo-controlled, single-dose, phase III, non-inferiority study comparing prabotulinumtoxinA and onabotulinumtoxinA for the treatment of moderate to severe glabellar lines in adult patients. Aesthet Surg J 2020; 40(4): 413-29
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