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Kongressbericht

Neugierde, Fantasie und Ausdauer

Unter diesem Motto stand die diesjährige Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie (ÖGPÄRC) im Oktober in Salzburg. Nicht nur global befindet sich die Gesellschaft in Zeiten des Umbruchs, auch das Gesundheitssystem und damit das Fach der plastischen Chirurgie erleben diese Umbrüche deutlich mit: Der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung steigt.

Klare Fakten: Europa altert. Das derzeitige Durchschnittsalter in der EU liegt bei 39,3 Jahren und wird bis 2030 auf 42 bis 48 Jahre ansteigen. Im Jahr 2050 wird der Anteil der über 65-Jährigen in Österreich auf 27,8 angestiegen sein, um 8,4% mehr als 2021 wobei die Gruppe der über 85-Jährigen am schnellsten wächst. Die Generation 50+ wird gerne als Golden Ager bezeichnet. Auch wenn diese Generation inhomogen ist, lässt sich eine Gemeinsamkeit erkennen: Selbstbestimmtheit, Selbstverwirklichung und Lebensqualität im Alter sind die Hauptbedürfnisse. Vor diesem Hintergrung sprach Tagungspräsident Assoc.Prof. Dr. Gottfried Wechselberger, Leiter der Abteilung für Plastische, Rekonstruktive und ÄsthetischeChirurgie am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Salzburg, über unterschiedliche Herausforderungen in der peripheren Nervenchirurgie für die ältere Generation.

Periphere Nervenchirurgie zur Wiederherstellung bei degenerativen Veränderungen

Die periphere Nervenchirurgie bei Älteren kann verschiedene Vorteile bieten, da sie eine wirksame Behandlungsmöglichkeit für Nervenkompressionen, Nerventumoren und -verletzungen darstellt, die mit Schmerzen, Sensibilitätsstörungen und funktionellen Einschränkungen einhergehen können. Ein wichtiger Aspekt bei der peripheren Nervenchirurgie bei älteren Personen ist die individuelle Bewertung des Gesundheitszustands und der funktionellen Einschränkungen. Patienten in einem höheren Lebensalter haben oft Begleiterkrankungen und altersbedingte Einschränkungen, die bei der Entscheidung für eine Operation berücksichtigt werden müssen.Eines der häufigsten Krankheitsbilder im Alter ist das Karpaltunnelsyndrom, das mit Schmerzen, Sensibilitätsstörungen, Kraftminderung, Taubheitsgefühl oder einer Kombination dieser Symptome in den Händen auftreten kann. „Unsere Patienten beschreiben des Öfteren eine vermehrte Ungeschicklichkeit und das Fallenlassen von Gegenständen wegen einer verringerten Greifkraft“, erklärt Prof. Wechselberger. Für den älteren Patienten ist eine Risiko-Nutzen-Analyse elementar. Wenn trotz konservativer Maßnahmen, wie des Tragens einer Nachtschiene oder entzündungshemmender Medikamente, die Symptome eines Karpaltunnelsyndroms sistieren, dann besteht die Indikation zur operativen Therapie, die tagesklinisch durchgeführt werden kann. Dabei wird durch Eröffnen des Karpaltunnels eine Druckentlastung des Nervs erreicht und es tritt eine rasche Besserung der Schmerzen und des Taubheitsgefühls ein.

„In Bezug auf die Ergebnisse der peripheren Nervenchirurgie bei älteren Menschen gibt es Studien,1,2 die darauf hindeuten, dass die Ergebnisse ähnlich gut wie bei jüngeren Patienten sein können. Eine Studie an unserer Abteilung mit jährlich 300 Karpaltunneloperationen, bei welchen 43% über 70 Jahre alt waren, zeigte, dass das Alter keinen signifikanten Einfluss auf das postoperative Ergebnis hat“, so Wechselberger. Ältere Menschen benötigen jedoch möglicherweise eine intensivere Rehabilitationstherapie, um ihre motorischen Fähigkeiten zu verbessern.

Auch das Tarsaltunnelsyndrom ist eine Domäne der plastischen Chirurgie. Dabei tritt, oft bei Patienten mit Diabetes mellitus,eine Schwellung des Tibialnervs am Sprunggelenk mit konsekutiver Kompression und damit einhergehenden Schmerzen und Sensibilitätsdefizit an der Fußsohle auf.3 Obwohl die Patienten zumeist in der allgemeinmedizinischen oder orthopädischen Praxis landen, könne der plastische Chirurg aufgrund seiner mikrochirurgischen Ausbildung durch die periphere Nervenchirurgie auch bei älteren Patienten Schmerzen reduzieren sowie Funktion, Sensibilität und Lebensqualität verbessern, erklärt Wechselberger. Denn eine frühzeitige operative Dekompression des Nervs kann ein Funktionsdefizit und das Auftreten von Druckgeschwüren verhindern.

Den Metamorphosen des Lebens selbstbewusst begegnen

Plastische, ästhetische und rekonstruktiven Chirurgie setzt auf individuelle und altersgerechte Lösungen. „Leben heißt Veränderung und Weiterentwicklung und nur wenige Dinge bleiben bestehen; dazu gehören der Wunsch nach Zugehörigkeit und Liebe“, erklärt Univ.-Doz.in Dr.in Barbara Zink, Ästhetische- und Rekonstruktive Chirurgie in Klagenfurt und Vorstandsmitglied der ÖGPÄRC.

Die plastische Chirurgie, mit den Säulen der rekonstruktiven und ästhetischen Chirurgie, wird angesichts der demografischen Entwicklung einer alternden Bevölkerung und des neuen Bewusstseins für mehr Lebensqualität zunehmend an Bedeutung gewinnen. „Es ändert sich einfach der Zugang zur Ästhetik“, so Doz.in Zink. „Vitalität, Funktionalität und ein ansprechendes ästhetisches Ergebnis stehen im Vordergrund“, sagt die Expertin. Obwohl viele der heute 60-Jährigen fit wie 40-Jährige sind, nehmen (sonnenbedingte) Hautalterung, aktinische Keratosen und Hauttumoren in dieser Bevölkerungsgruppe stark zu. Auch wenn verschiedene Technologien wie z.B. der Laser — teilweise kombiniert mit chemotherapeutischen Salben und einem speziellen LED-Licht — zur Verfügung stehen, geht bei vielen Tumoren im Kopf-/Gesichts- und Körperbereich kein Weg an der Operation vorbei.

Der generelle Trend bei den Golden Agern führt weg vom überfüllten aufgespritzten Gesicht hin zum Facelift, das einen neuen Stellenwert erhält. Lidstraffungen, eine der häufigsten ästhetischen Operationen, nehmen auch bei Männern zu.

In einigen Fällen kann plastische Chirurgie dazu beitragen, funktionelle Beeinträchtigungen zu korrigieren oder zu lindern. Die Blepharoplastik kann das Sichtfeld verbessern, während eine Nasenkorrektur die Atmung erleichtern kann. „Operative Korrekturen der Lider sind der reinen Schönheitschirurgie schon lange entwachsen. Das bereits alterssichtige Auge bekommt durch den verbesserten Lichteinfall postoperativ wieder ein größeres Gesichtsfeld und die Komplimente durch den offenen Blick sind Balsam für die Seele der Patienten“, bestätigt Zink.Hängende Mundwinkel können mitunter auch ein Reservoir für Speichel oder Speisereste sein und den Wunsch nach einer ästhetischen Behandlung bestärken. So kommen auch im hohen Alter minimalinvasive Eingriffe verstärkt zum Einsatz.

Jugend „zurückoperieren“?

„Es geht in keinem Fall um das Peter-Pan-Szenario, den 60-plus-Jährigen jede Falte wegzuzaubern. Wer das möchte, hat schon verloren“, so die Chirurgin. Die Entscheidung für ästhetische Eingriffe sollte immer persönlich und gut durchdacht sein und in Absprache mit einem qualifizierten plastischen Chirurgen bzw. einer qualifizierten plastischen Chirurgin getroffen werden, um die individuellen Bedürfnisse und Wünsche zu besprechen. Schönheit ist zu allen Zeiten wesentlich, im Vordergrund steht aber immer die individuelle Entscheidung. Seinen eigenen Körper zu pflegen, ihn wertzuschätzen und mit ihm im Einklang zu sein gehört wohl zu den effektivsten Maßnahmen gegen die allseits gefürchtete Altersdepression.

„Es ist wichtig, dass Patienten, unabhängig von ihrem Alter, bestens informiert werden, um entsprechende Entscheidungen treffen zu können und um sich an qualifizierte Fachleute zu wenden, die sicherstellen, dass ihre ästhetischen Ziele sicher und effektiv erreicht werden können“, ergänzt Zink.

Brustgesundheit – Weiblichkeit in jedem Alter erhalten!

Das Mammakarzinom ist mit etwa 30% bei Frauen der häufigste maligne Tumor. Körperliche Integrität kennt keine Altersgrenzen, so ist es auch nicht verwunderlich, dass auch Patientinnen jenseits des 75. Lebensjahres im Fall einer notwendigen Entfernung der Brust aufgrund eines Tumors den Wunsch nach einer Rekonstruktion der Brust haben. Die Mehrheit der an Brustkrebs erkrankten Frauen kann heute brusterhaltend operiert werden. An spezialisierten Zentren in Österreich beträgt die Brusterhaltungsrate bis zu 80%. Grundsätzlich können Brustrekonstruktionen mit Eigengewebe durchgeführt werden, doch stellt die Rekonstruktion mit Implantaten, zumeist aus Silikon, die weitaus häufiger geübte Methode der Brustrekonstruktion dar.

„Im fortgeschrittenen Lebensalter kommen vermehrt Implantate zum Einsatz, da die Langzeitkomplikationen wie Kapselbildungen nicht so stark ins Gewicht fallen wie der Vorteil durch die in der Regel kürzere OP-Dauer. Wenn ein starker Wunsch nach Eigengeweberekonstruktion bestand oder die medizinische Indikation gegeben war, haben wir auch schon bei über 75-Jährigen eine Rekonstruktion mit einem unter dem Mikroskop angeschlossenen Gewebelappen gemacht“, führt Prim. Univ.-Doz. Dr. Rupert Koller, der neue Präsident der ÖGPÄRC und Vorstand der Abteilung für Plastische Chirurgie an der Klinik Ottakring in Wien, aus.

Brustverkleinerungen auch mit 70+ ein Thema

Eine Brustverkleinerung kommt für jede Frau in Betracht, die unter körperlichen oder psychischen Folgen einer zu großen Brust leidet. Interessant ist auch der zunehmende Anteil an über 70-Jährigen, die den Wunsch nach einer Brustverkleinerung haben. Zumeist handelt es sich hier um Frauen, die oft jahrzehntelang unter übergroßen Brüsten gelitten haben und bei denen die typischen Symptome wie Rückenschmerzen erst im höheren Alter manifest werden. Manchmal sind es aber auch ein simples, jahrzehntelang bestehendes Informationsdefizit hinsichtlichder technischen und organisatorischen Möglichkeiten einer Brustreduktionsplastik und mangelndes Wissen darüber, dass die Krankenkassen die Kosten dafür übernehmen. Tatsache ist, dass es auch für die Brustverkleinerung bei medizinischer Indikation keine Altersgrenze gibt, sofern der Allgemeinzustand der betroffenen Frau eine mehrstündige Narkose zulässt.

Regenerative Technologien: gesundes Altern im Fokus

Die medizinische Forschung hat in den letzten Jahrzehnten bedeutende Fortschritte im Bereich regenerativer Technologien gemacht. Diese Ansätze konzentrieren sich darauf, den Alterungsprozess besser zu verstehen und dann gezielt in den Prozess einzugreifen, um die Gesundheit im Alter zu verbessern und altersbedingten Krankheiten vorzubeugen. Die induzierte Autoregeneration ist ein faszinierender Prozess, bei dem die körpereigenen Selbstheilungskräfte zur Regeneration von beschädigtem Gewebe und Organen stimuliert werden. Verschiedene Methoden wie Stammzelltherapie und 4-D-Druck werden eingesetzt, um diesen Ansatz zu unterstützen. Dies könnte zukünftig bahnbrechende Fortschritte in der Behandlung von Verletzungen und degenerativen Erkrankungen ermöglichen. Insgesamt spielen regenerative Technologien eine immer wichtigere Rolle in der medizinischen Forschung und Praxis, insbesondere im Hinblick auf gesundes Altern. Sie bieten Hoffnung auf eine Zukunft, in der Menschen länger in guter Gesundheit leben können. Während weitere Forschung und klinische Studien erforderlich sind, sind die Aussichten für das gesunde Altern dank dieser Innovationen vielversprechend.

Verschiedenen gesundheitlichen Aspekten des Alterns begegnen

Es ist daher entscheidend, Wege zu finden, um gesund altern zu können. Dabei unterscheidet man zwischen primärem (physiologischem) und sekundärem Altern. „Das primäre Altern resultiert aus zellulären Prozessen und definiert die maximale Lebensspanne eines Organismus. Sekundäres Altern hingegen wird durch äußere Faktoren wie Krankheiten, Bewegungsmangel, Ernährung und Suchtmittelkonsum beeinflusst und kann durch einen gesunden Lebensstil positiv gestaltet werden“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Stephan Spendel, Vorstandsmitglied der ÖGPÄRC, stv. Leiter der Abteilung für Plastische Chirurgie, Medizinische Universität, Landeskrankenhaus Graz.

Denn das Bild vom alten Patienten an ein Geburtsdatum zu koppeln ist in vielen Fällen nicht sinnvoll.

61. Jahrestagung der ÖGPÄRC, 5.–7. Oktober 2023, Salzburg

1 Stone OD et al.: Carpal tunnel decompression in the super-elderly: functional outcome and patient satisfaction are equal to those of their younger counterparts. Bone Joint J 2014; 96-B(9):1234-8. doi: 10.1302/0301-620X. 96B9.34279. PMID: 25183596 2 Leit ME et al.: Patient-reported outcome after carpal tunnel release for advanced disease: a prospective and longitudinal assessment in patients older than age 70. J Hand Surg Am 2004; 29(3):379-83. doi: 10.1016/j.jhsa.2004.02.003. PMID: 15140475 3 Rinkel WDet al.: The natural history of tarsal tunnel syndrome in diabetic subjects. J Plast Reconstr Aesthet Surg 2020; 73(8):1482-9. doi: 10.1016/j.bjps.2020.02.033. Epub 2020 Feb 19. PMID: 32276769

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