Elektive Hüft-TEP bei Adipositas Grad III
Autoren:
Prof. Dr. med. Michael Wagner1
Dr. med. Philipp von Imhoff2
1 Klinik für Orthopädie und Endoprothetik
2 Klinik für Plastische, Wiederherstellende und Handchirurgie, Zentrum für Schwerbrandverletzte
Klinikum Nürnberg Süd,
Paracelsus Medizinische Universität Nürnberg
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Übergewichtige Patient:innen leiden früher als normalgewichtige Personen an einer Hüft- oder Kniearthrose. Allerdings sieht die aktuelle S3-Leitlinie zur Behandlung der Coxarthrose in einem BMI >40kg/m2 eine relative Kontraindikation zur Hüft-TEP. Da der Leidensdruck der Patient:innen erheblich ist, stellt sich die Frage, ob dennoch eine elektive Hüft-TEP infrage kommt.
Keypoints
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Patient:innen mit starker Adipositas lassen sich vertretbar mit einer Hüft-TEP versorgen.
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Die Patient:innen müssen besonders sorgfältig vorbereitet werden.
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Die Wahrscheinlichkeit für frühe Komplikationen ist erhöht.
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Die Verwendung von Double-Mobility-Pfannen erscheint empfehlenswert.
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Der Effekt von bariatrischen Eingriffen auf das Outcome einer Hüft-TEP ist unklar.
Die Anzahl der übergewichtigen Personen ist in Deutschland in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen. Die GEDA-Studie 2019/2020 des Robert-Koch-Institutes beschreibt, dass 53,5% der erwachsenen Deutschen übergewichtig sind. Die Adipositasprävalenz liegt für beide Geschlechter bei 19,0%.1 Gleichzeitig sind bei einem BMI >30kg/m2 Stoffwechselprobleme und kardiovaskuläre Erkrankungen zu beobachten.2 Übergewichtige Patient:innen leiden früher als normalgewichtige Personen an einer Hüft- oder Kniearthrose.3 Bei übergewichtigen Patient:innen liegen auch Symptome der Mangelernährung vor. Die vielfach beobachtete Hypalbuminämie erhöht das Risiko für postoperative Infektionen deutlich.4 Die aktuelle S3-Leitlinie zur Behandlung der Coxarthrose sieht in einem BMI >40kg/m2 eine relative Kontraindikation zur Hüft-TEP. Der Leidensdruck vieler Patient:innen mit fortgeschrittener schmerzhafter Coxarthrose oder Hüftkopfnekrose ist jedoch erheblich, die konservative Behandlung oft erfolglos. Eine wirksame medikamentöse Schmerzbehandlung ist bei vielen Patient:innen durch schwerwiegende Begleiterkrankungen eingeschränkt. Im EPRD-Report 2024 wird für Patient:innen mit einem BMI von >40kg/m2 und einer elektiv operierten Hüft-TEP nach 6 Jahren eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 8% gegenüber etwas über 3% für Patient:innen mit einem BMI von <30kg/m2 dokumentiert.5 Insbesondere die frühen periprothetischen Infektionen sind bei den erheblich adipösen Patient:innen wesentlich vermehrt zu beobachten.6 Diätetische Versuche und andere konservative Massnahmen zur Gewichtsreduktion sind meistens nicht sehr erfolgversprechend,7–9 GLP-1-Rezeptor-Analoga reduzieren möglicherweise das Infektionsrisiko, hier müssen aber weitere Untersuchungen abgewartet werden.10 Ein bariatrischer Eingriff vor der Implantation einer Endoprothese erhöht möglicherweise die Komplikationswahrscheinlichkeit.11
Erfahrungsbericht aus der Klinik
Es wird über eine konsekutive Serie von 27 elektiv operierten Hüft-TEPs von Patient:innen mit einem mittleren BMI von 44kg/m2 berichtet. 19 Frauen und 8 Männer wurden in die retrospektive Studie eingeschlossen. Das Durchschnittsalter betrug 54,3 Jahre, überwiegend waren es Patient:innen mit schwierigem sozialem Status, nur 2 gingen einer regelmässigen Erwerbstätigkeit nach, fast alle wiesen schwerwiegende Begleiterkrankungen auf, wie etwa Diabetes mellitus, Hypertonie, dialysepflichtige Niereninsuffizienz, postthrombotisches Syndrom. 4 Patientinnen hatten in der Anamnese eine Lungenembolie.
Der Leidensdruck der Patient:innen war erheblich, 10 benutzten bereits einen Rollstuhl, für einige war schon das Sitzen mit unerträglichen Beschwerden verbunden. Nach intensiver Beratung, der Diskussion über Massnahmen der Gewichtsreduktion einschliesslich Vorstellung in der eigenen Abteilung für bariatrische Chirurgie wurden die Patient:innen auf ihren ausdrücklichen Wunsch operiert. In keinem Fall erfolgte präoperativ ein bariatrischer Eingriff. Die Risikoaufklärung war umfangreich, es wurde explizit auf ein schlechtes Behandlungsergebnis mit den typischen Komplikationen, vor allem der periprothetischen Infektion, hingewiesen.
Alle Patient:innen wurden von 2 Senior-hauptoperateuren über einen posterioren Zugang operiert, aus hygienischen Gründen wurden keine vorderen Zugänge angewandt. Bei vielen Patient:innen sind Pilzerkrankungen in der Leiste zu beobachten, daher sollte der Zugang nach Meinung der Autoren einen möglichst grossen Abstand von der Leiste haben. Dies wird durch eine Publikation von Watts untermauert, der eine deutlich geringere Infektionsrate beim posterolateralen Zugang im Vergleich zum anterioren Zugang beschrieben hat.12 Alle Prothesenpfannen wurden zementfrei verankert, 6 Patient:innen erhielten eine Double-Mobility-Pfanne. Die Arbeitsgruppe von Hernigou hat bei sehr adipösen Patient:innen eine Reduktion der Luxationsrate von 21,8% auf 2,8% durch Verwendung von Double-Mobility-Pfannen erreichen können.13 12 Patient:innen wurden mit zementfreien Femurkomponenten versorgt.
Die durchschnittliche Schnitt-Naht-Zeit betrug 76 Minuten, der Blutverlust war gering, kein:e Patient:in benötigte eine Bluttransfusion. Postoperativ war die Mobilisation bei den meisten Patient:innen vor allem durch die Begleiterkrankungen auf orthopädischem oder internistischem Gebiet erheblich erschwert und verzögert. Die Entlassung aus der stationären Behandlung erfolgte im Durchschnitt nach 7 Tagen. Bei 2 Patienten erfolgte wegen eines postoperativen Hämatoms eine Revision mit Austausch der mobilen Teile. Ein Patient erlitt bei einem Sturz am 4. postoperativen Tag eine Prothesenluxation, die offen reponiert werden musste. Alle Patient:innen verblieben postoperativ in der Betreuung der klinikeigenen Ambulanz.
Bei der letzten Kontrolle waren alle Patient:innen mit dem OP-Ergebnis zufrieden, da Schmerzfreiheit eingetreten war. Die Gehfähigkeit war bei 15 von 27 Patient:innen weiterhin deutlich beeinträchtigt, da oft eine zusätzliche Gonarthrose oder degenerative Wirbelsäulenerkrankungen vorlagen. Der durchschnittliche postoperative Harris-Hip-Score ist daher mit 77,4 Punkten auch vergleichsweise schlecht. Ein Jahr nach der Operation war bei keinem/keiner der Patient:innen eine Lockerung, Luxation oder Infektion der Prothese zu beobachten.
Fazit
Trotz der Leitlinienempfehlung besteht durchaus in ausgewählten Fällen die Indikation zur elektiven Hüft-TEP bei extrem übergewichtigen Patient:innen. Die Indikation sollte vorzugsweise bei schwerwiegenden, kaum zu beeinflussenden Schmerzen gestellt werden. Der Gewinn an Lebensqualität durch den Eingriff ist in den meisten Fällen erheblich, entscheidend ist die sorgfältige multidisziplinäre Vorbereitung der Patient:innen, vor allem auf internistischem Fachgebiet. In der Hand von High-Volume-Operateuren soll die Komplikationswahrscheinlichkeit des Eingriffs bei dieser Patientengruppe deutlich geringer sein, was sich aber mit den aktuellen EPRD-Daten nicht bestätigen lässt.14 Der bei diesen Patient:innen zu erwartende Behandlungserfolg rechtfertigt einen risikoreichen Eingriff, der allerdings besonders gut vorbereitet werden muss. Unabdingbar ist eine sorgfältige umfassende Aufklärung der Patient:innen über einen komplikationsträchtigen Eingriff.
Literatur:
1 Schienkiewitz A et al.: Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse der Studie GEDA 2019/2020-EHIS. J Health Monit 2022; 7(3): 21-8 2 Heller KD: Hüftendoprothetik bei speziellen Bedingungen: Endoprothetik bei hohem Body-Mass-Index. In: C. Perka et al. (Hg.): Endoprothetik der Hüfte. AE-Manual der Endoprothetik. Springer, 2024 3 Reyes C et al.: Association between overweight and obesity and risk of clinically diagnosed knee, hip and hand osteoarthritis: a population-bases cohort study. Arthritis Rheumatol 2016; 68(8): 1869-75 4 Fu MC et al.: Malnutrition increases with obesity and is a stronger independent risk factor for postoperative complications: propensity-adjusted analysis of total hip arthroplasty patients. J Arthroplasty 2016; 31(11): 2415-21 5 Grimberg et al.: EPRD-Jahresbericht 2024, Endoprothesenregister Deutschland. 2024 6 Aggarwal VA et al.: The impact of obesity on total hip arthroplasty outcomes: a retrospective matched cohort study. Cureus 2022; 14(7): e27450 7 Blankstein M et al.: Go big or go home: obesity and total joint arthroplasty. J Arthroplasty 2023; 38(10): 1928-37 8 Foreman CW et al.: Total joint arthroplasty in the morbidly obese: how Body Mass Index influences patient retention, treatment decisions, and treatment outcomes. J Arthroplasty 2020; 35(1): 39-44 9 Reeves RA et al.: The fate of morbidly obese patients with joint pain: a retrospective study of patient outcomes. J Arthroplasty 2021; 36(9): 3101-7 10 Buddhiraju A et al.: Decreased risk of readmission and complications with preoperative GLP-1 analog use in patients undergoing primary total joint arthroplasty. J Arthroplasty 2024; 39(12): 2911-5 11 Yan M et al.: Does bariatric surgery really benefit patients before total knee arthroplasty? A systematic review and meta-analysis. Int J Surgery 2022; 104: 106778 12 Watts CD et al.: High risk of wound complications following direct anterior total hip arthroplasty in obese patients. J Arthroplasty 2015; 30(12): 2296-8 13 Hernigou P et al.: Dual-mobility-implants prevent hip disdlocation following hip revisionin obese patients. Int Orthop 2017; 41(3): 469-73 14 Ashkenazi I et al.: The impact of obesity on total hip arthroplasty outcomes when performed by high-volume surgeons – a propensity matched analysis from a high-volume urban center. J Arthroplasty 2024; 39(6): 1412-8
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