
Welchen Beitrag kann therapeutisches Drug-Monitoring leisten?
Autoren:
Dr. med. Maxim Kuzin1–3
Prof. Dr. med. Wolfram Kawohl1,2,4
PD Dr. med. Georgios Schoretsanitis4–6
1 Clienia Schlössli, Privatklinik für Psychiatrie und Psychotherapie und Lehrspital der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich und der University of Nicosia Medical School, Oetwil am See/Zürich
2 Medizinische Fakultät der Universität Nikosia
3 Oberberg Fachklinik Rhein-Jura, Privatklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Bad Säckingen
4 Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
5 The Zucker Hillside Hospital, Department of Psychiatry Research, Northwell Health, Glen Oaks, New York
6 Department of Psychiatry, Zucker School of Medicine at Northwell/Hofstra, Hempstead, NY
Korrespondierender Autor:
Dr. med. Maxim Kuzin
E-Mail: maxim.kuzin@clienia.ch
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Bariatrische Operationen sind eine wirksame Strategie zur Gewichts-reduktion bei Adipositas. Die damit veränderte Anatomie kann die Bioverfügbarkeit von Arzneimitteln massgeblich beeinflussen. Derzeit ist aufgrund der begrenzten Datenlage keine allgemeine Strategie zur Dosisfindung möglich. Therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) ermöglicht jedoch eine Dosisindividualisierung und kann das Risiko eines Therapieversagens minimieren.
Keypoints
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Die Bioverfügbarkeit von Psychopharmaka kann nach einer bariatrischen Operation, insbesondere im Zeitraum von vier bis sechs Wochen, signifikant und klinisch relevant verändert sein.
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Die postoperative Bioverfügbarkeit kann durch eine Umstellung auf eine andere Darreichungsform (Tabletten vs. Suspension/Saft), durch Mörsern oder ggf. durch mehrere Einnahmen pro Tag gesteigert werden.
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Die aktuelle Datenlage zu einzelnen Substanzen erlaubt keine Übertragung der Erkenntnisse auf die anderen Medikamente oder innerhalb der Substanzklasse.
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Das therapeutische Drug-Monitoring kann uns einen umfassenden Überblick über die Bioverfügbarkeit geben, um die psychopharmakologische Behandlung individualisieren zu können.
Adipositas, auch als Fettleibigkeit bekannt, ist eine komplexe chronische Erkrankung. Seit 1990 hat sich die Inzidenz laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehr als verdoppelt.1 Bariatrie als Teilbereich der Medizin vereint in sich die zwei griechischen Wörter barós (Schwere, Gewicht) und iatrós (Arzt) und widmet sich der Vorbeugung, Entstehung und Ausbreitung sowie der Behandlung des Übergewichts.
Adipositas als komplexe Krankheit
In der Schweiz sind Adipositas und Übergewicht weitverbreitet: Sie betrafen in den letzten Jahren rund 43% der erwachsenen Bevölkerung.2 Für die Gewichtsklassifikation wird der sogenannte Body-Mass-Index (BMI) verwendet, der als eine Orientierungshilfe zur Berechnung des Verhältnisses von Körpergrösse und Gewicht (kg/m2) und damit zur Abschätzung des Körperfettanteils dient. Ein BMI ≥25kg/m2 entspricht nach der aktuellen WHO-Definition einem Übergewicht (Präadipositas) und ab 30kg/m2 einer Adipositas.3 Der Schweregrad der Adipositas wird zusätzlich von Grad 1 (BMI 30–34,9kg/m2) bis Grad 3 (BMI >40kg/m2) klassifiziert. Damit ist die Adipositas mehr als nur «Übergewicht» und steigert das Risiko für schwere Folge- und Begleiterkrankungen signifikant.4–7
Die bekannte Komplexität der Erkrankung resultiert aus mehreren Einflussfaktoren, darunter genetische Komponenten, der Hormonhaushalt, stressbedingter Schlafmangel und die sogenannten sekundären Adipositasursachen, wie bestimmte Stoffwechselerkrankungen. Diese Komplexität erfordert einen ganzheitlichen Ansatz in der Behandlung, der zum Abbau der über die Jahre entstandenen Stigmatisierung beiträgt. Trotz wissenschaftlich fundierter Therapiekonzepte, Aufklärungskampagnen und Sensibilisierungsmassnahmen werden die Betroffenen weiterhin mit Gewichtsstigmatisierung konfrontiert.8,9 In der Schweiz setzt sich die Schweizerische Gesellschaft für die Erforschung von Adipositas und Stoffwechselstörungen (SMOB) bereits seit mehreren Jahrzehnten für die Verbesserung der Behandlung und des Verständnisses von Adipositas ein.
Arten der bariatrischen Chirurgie
Zu den etablierten Primäreingriffen gemäss den SMOB-Richtlinien gehören der Roux-en-Y-Magenbypass (RYGB), der Schlauchmagen (Sleeve-Magen), das Magenband sowie die biliopankreatische Diversion mit duodenalem Switch (BPD-DS). Von diesen vier Optionen ist bei starkem Übergewicht der RYGB der häufigste operative Eingriff. Die beiden gängigen Arten des RYGB sind die proximale (Standard) und die distale (seltener eingesetzte) Variante. Der Teil des operativen Eingriffes, den die beiden Varianten gemeinsam haben, umfasst eine Grossteilresektion des Magens und eine Verbindung des Restmagens mit einer hochgezogenen Dünndarmschlinge. Die Varianten unterscheiden sich in der Länge des gemeinsamen Kanals, dieser ist bei der distalen Variante kürzer.10 Der RYGB führt damit zu umfangreichen Veränderungen in der Stoffwechselphysiologie bei restriktiver und malabsorptiver Konstellation, die einen direkten Einfluss auf die Pharmakokinetik der psychopharmakologischen Behandlung haben.
RYGB: Pharmakokinetik bei veränderter Stoffwechselphysiologie
Unter dem Begriff «Pharmakokinetik» werden alle Prozesse zusammengefasst, die ein Arzneistoff im Körper von der Applikation bis zur Ausscheidung durchläuft. Diese Prozesse werden auch unter «Absorption, Distribution, Metabolisierung, Ausscheidung» (ADMA) zusammengefasst. Unterschiedliche Faktoren wie Alter, Geschlecht, Krankheiten, Schwangerschaft, pharmakokinetischer Genotyp, Medikamentenadhärenz, Medikationsfehler, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, Ernährung und Rauchen können die Pharmakokinetik stark beeinflussen.11
Postoperativ entstehen neue anatomische Bedingungen, die sich in einer veränderten Stoffwechselphysiologie widerspiegeln.12 Die Vorverdauung im Magen erfolgt bei einer verkürzten Transitzeit und bei einer eingeschränkten Kapazität des Magenbeutels.13 Auch die damit assoziierten Veränderungen der pH-Werte14 können die Resorption von Medikamenten beeinträchtigen. Des Weiteren vermischen sich die Verdauungssäfte aus Galle und Bauchspeicheldrüse im Vergleich zur anatomischen Normvariante erst verzögert mit der Nahrung. Auch die Rolle des P-Glykoproteins (P-gp) sollte an dieser Stelle im Sinne eines additiven Effekts besonders diskutiert werden, da zahlreiche Psychopharmaka Substrate des P-gp sind. P-gp ist ein Transportprotein, das die Ausscheidung von absorbierten Medikamenten zurück in das Darmlumen erleichtert.11 Im Magen-Darm-Trakt ist P-gp überwiegend in den unteren Abschnitten des Dünndarms zu finden.15 Cytochrom P450-3A4 (CYP3A4) ist ein Teil der dominanten CYP3A-Enzymfamilie mit nicht einheitlicher Verteilung im Dünndarm. Es wirkt im Tandem mit P-gp, das für den intestinalen First-Pass-Metabolismus verantwortlich ist.16 Durch die veränderte Anatomie wäre ein verstärkter Efflux durch P-gp zu diskutieren,17 da die Absorption in dieser Konstellation auf distalere Teile des Dünndarms beschränkt ist.
Die beschriebenen Veränderungen beeinflussen die Bioverfügbarkeit der Psychopharmaka, die zwischen 5% und 100% variiert. Die Bioverfügbarkeit bezieht sich in ihrer Definition auf den Anteil eines Stoffs, der nach der Absorption unverändert im systemischen Kreislauf zur Verfügung steht. Die absolute Bioverfügbarkeit z.B. von Aripiprazol, einem partiellen Dopamin-D2-Agonisten, liegt bei einer Tablettenformulierung nach oraler Verabreichung bei 87%.18 Dies bedeutet, dass 87% der absorbierten Menge im Blutkreislauf erscheinen. Nach unserem Wissen gibt es im Fall von Aripiprazol keine Studie, welche über die Unterschiede in der absoluten Bioverfügbarkeit zwischen unterschiedlichen Darreichungsformen (Aripiprazol-Tabletten vs. orale Suspension/Saft) berichtet. Die Veränderungen in der ersten Phase der Pharmakokinetik können zu einer reduzierten Bioverfügbarkeit führen und sogar in einem Therapieversagen resultieren (siehe Fallbericht oben).19
Behandlung mit Antidepressiva nach bariatrischer Chirurgie
Die Datenlage zur Pharmakokinetik der Psychopharmakotherapie nach einer bariatrischen Operation sowie die damit verbundenen Langzeitbeobachtungen sind weiterhin sehr limitiert. Selbst die Erkenntnisse zu einzelnen Substanzen ermöglichen aktuell keine Übertragung auf weitere Vertreter innerhalb der Wirkstoffklasse. Die Kombination aus begrenzter Datenlage und einem fehlenden validen Vorhersagewert zum TDM erschwert die Optimierung der Behandlungsregime bei bariatrischen Patienten.
Hamad et al. 2012 beschrieben in einer prospektiven Studie mit 12 Proband:innen signifikante Unterschiede einen Monat nach dem RYGB-Eingriff hinsichtlich der Bioverfügbarkeit von verschiedenen selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI; Citalopram: n=2; Escitalopram: n=2; Sertralin: n=2).20 Bei selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) fanden sie keine signifikanten Unterschiede (Venlafaxin: n=5; Duloxetin: n=1).
Pasi et al. 2023 analysierten den Einfluss von bariatrischen Eingriffen auf die Bioverfügbarkeit in einer grösseren prospektiven multizentrischen Studie.21 Es wurden 66 Proband:innen mit einem RYGB-Eingriff und 26 mit einem Sleeve-Magen eingeschlossen, die eine der folgenden Substanzen erhielten: Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Venlafaxin, Duloxetin, Paroxetin, Sertralin, Vortioxetin und Bupropion. In den ersten vier Wochen nach der Operation war auch hier ein Abfall der Plasmaspiegelkonzentrationen um etwa 25% ersichtlich. Diese Studie kann jedoch bei zwei unterschiedlichen Arten des bariatrischen Eingriffs nicht direkt mit der Studie von Hamad et al. 201220 verglichen werden. Die substanzbezogenen Veränderungen waren auch nicht einzeln aufgelistet. Eine weitere naturalistische, longitudinale und prospektive Studie von Wallerstedt et al. 202122 mit einer deutlich höheren Anzahl an Probanden (n=85, davon 67 mit RYGB sowie 18 mit Sleeve-Magen) ergab ebenfalls eine reduzierte dosisangepasste Konzentration im Vergleich zu den präoperativen Werten (Sertralin: 51%, Mirtazapin: 41%, Duloxetin: 35%, Citalopram: 19%). Drei Teilnehmer:innen mit RYGB berichteten in diesem Zusammenhang über eine klinische Relevanz der veränderten Bioverfügbarkeit in Bezug auf die psychische Gesundheit. Bei zwei Patient:innen mit Escitalopram war eine Verdoppelung der Tagesdosis notwendig, um die präoperative Spiegelkonzentration wieder zu erreichen. Bei dem dritten Patienten fand sich postoperativ am Tag 68 eine Spiegeldifferenz für Mirtazapin von 68,7% und für Sertralin von 49%, am Tag 368 eine Differenz von 40% für Sertralin. Die weiteren Langzeitbeobachtungen zeigen, dass die Veränderungen der Bioverfügbarkeit von SSRI oder SNRI einen vorübergehenden Effekt für ein halbes Jahr haben können,20 obwohl der weitere Verlauf (6–12 Monate) in der Stichprobe nicht einheitlich war.
Von einer anderen Seite konnten in einem Fallbericht diese Erkenntnisse mit dem Serotonin-Antagonisten und -Wiederaufnahmehemmer Vortioxetin nicht reproduziert werden.23 Eine weitere fallkontrollierte, pharmakokinetische Einzeldosisstudie mit 100mg Sertralin ergab bei einer kleinen Anzahl der Probanden (n=5) 9–15 Monate nach der RYGB-Operation im Vergleich zu einer nichtchirurgischen Kontrollgruppe eine mehr als zweifache Differenz.24 Es wurde in diesem Zusammenhang diskutiert, dass postoperativ entweder die Menge des aufgenommenen Medikaments oder die Zeit, in der die Aufnahme erfolgt, oder etwa beides verändert wird. Eine neuere Studie einer kleinen, mit Escitalopram behandelten Kohorte berichtete von fehlendem systematischem Einfluss von Sleeve-Magen oder RYGB auf den Escitalopram-Spiegel.25 Die Veränderungen der «area under the curve» sowie der maximalen Spiegelwerte blieben innerhalb von ±20% im Vergleich zum Ausgangswert, was klinisch als wenig bedeutsam interpretiert wurde.25 Aufgrund der beobachteten Variabilität halten die Autoren fest, dass regelmässige Messungen der Escitalopram-Spiegel nach bariatrischen Eingriffen sinnvoll sein könnten, um die Dosierung anzupassen und die Therapie zu optimieren.25
Behandlung mit Stimmungsstabilisatoren nach bariatrischer Chirurgie
Zwei Reviews26,27 diskutierten die Mechanismen, durch die bariatrische Eingriffe die Pharmakokinetik von Lamotrigin und Valproat beeinflussen. Beide betonten die hohe interindividuelle Variabilität und empfahlen ein regelmässiges TDM zur Dosisanpassung. Ein Fallbericht beschrieb pharmakokinetische Veränderungen bei einer Patientin mit Epilepsie, die einen RYGB erhielt und Valproat sowie Phenytoin einnahm. Trotz Dosisanpassungen sanken die Gesamtspiegel von Valproat langfristig, während die freien Spiegel stabil blieben.26
Abb. 1: Anatomische Differenzen zwischen a proximalem und b distalem Bypass (Svanevik et al. 2015)10
Die Studie von Wallerstedt et al. 2021 untersuchte eine kleine Zahl von Patient:innen, die mit Stimmungsstabilisatoren bzw. Antiepileptika behandelt wurden.22 Bei Lamotrigin wurde kurzfristig ein Anstieg der dosisadjustierten Tagesspiegel beobachtet, der sich jeweils nach sechs Monaten und einem Jahr normalisierte. Bei Valproat gab es keine signifikanten Veränderungen der Spiegel. In einer neueren Studie wurde von moderaten pharmakokinetischen Veränderungen bei Lamotrigin und Valproat nach bariatrischer Chirurgie berichtet, aber die interindividuelle Variabilität war hoch. Die Veränderungen der Pharmakokinetik von Lamotrigin waren bei RYGB-Patient:innen grösser als bei Patient:innen mit Sleeve-Magen.28
Das Minireview untersuchte das Risiko einer Lithiumtoxizität nach RYGB.29 Die Autor:innen identifizierten 11 Fälle aus der Literatur, wobei berichtet wurde, dass Lithiumtoxizität nach RYGB häufig durch Dehydration, verminderte Nahrungsaufnahme und veränderte Pharmakokinetik (wie erhöhte Absorption durch höheren Magen-pH-Wert) verursacht wird. Häufige klinische Symptome schlossen neurologische Symptome (wie Verwirrung, Tremor, Muskelschwäche) und kardiale Auffälligkeiten (z.B. Bradykardie, QT-Verlängerung) ein. In den meisten Fällen wurde Lithium abgesetzt oder dosisreduziert, und die Patient:innen erhielten intensive Flüssigkeitszufuhr, teilweise auch Hämodialyse. Unter den möglichen Mechanismen der Lithiumtoxizität nach RYGB diskutierten die Autor:innen folgende Aspekte:
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Veränderte Absorption: Der erhöhte Magen-pH-Wert nach RYGB führt zu einer verstärkten Deprotonierung von Lithium, was die Absorption erhöht.
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Dehydration: Postoperative Flüssigkeitsverluste und verminderte Nah- rungsaufnahme begünstigen eine Lithiumtoxizität.
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Reduzierte Nierenfunktion: Gewichtsverlust und Dehydration verringern die glomeruläre Filtrationsrate (GFR), was die renale Ausscheidung von Lithium beeinträchtigt.
Empfehlungen für die Praxis
Infolgedessen empfiehlt sich eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit enger Kooperation zwischen Chirurg:innen, Psychiater:innen, Hausärzt:innen und klinischen Pharmazeut:innen. Die Patient:innen sollten über die Bedeutung einer ausreichenden Flüssigkeitszufuhr (2–3 Liter pro Tag) informiert werden. Postoperativ sollen wöchentliche Kontrollen der Lithiumspiegelwerte und der Nierenfunktion für sechs Wochen stattfinden, anschliessend alle zwei Wochen bis sechs Monate postoperativ, dann monatlich bis zu einem Jahr. Eine Dosisanpassung bzw. Reduktion der Tagesdosis sollte berücksichtigt werden, wenn der Spiegel um mehr als 25% über dem präoperativen Basiswert liegt.
Fazit
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die aktuelle Datenlage darauf hindeutet, dass die Bioverfügbarkeit der diskutierten Substanzen in einem postoperativen Zeitraum von bis zu vier Wochen signifikant und klinisch relevant verändert sein kann. Bei den Langzeitbeobachtungen ist die Datenlage weniger klar und begrenzter. Eine Erholung der Bioverfügbarkeit kann nach einem Jahr postoperativ zwar hypothetisiert werden, jedoch fehlt dafür bislang eine ausreichende evidenzbasierte Grundlage. Künftige multizentrische und prospektive Studien sollten sich auch auf die langfristigen Auswirkungen der durch die bariatrische Chirurgie veränderten Stoffwechselphysiologie konzentrieren. Mit dem derzeitigen Wissensstand ist es noch nicht möglich, die potenziellen pharmakokinetischen Veränderungen für jedes einzelne Medikament nach einem bariatrischen Eingriff vorherzusagen, insbesondere bei Langzeitverläufen. Zur Steigerung der Bioverfügbarkeit der bestehenden Medikation kann man auf eine andere Darreichungsform umstellen (Tabletten vs. Suspension/Saft), die Tabletten zerkleinern und mit Wasser verabreichen und ggf. auf mehrere Einnahmen (3–4) pro Tag aufteilen. Die TDM-Messungen vor und nach der bariatrischen Operation können uns einen umfassenden Überblick über die Bioverfügbarkeit geben, um die psychopharmakologische Behandlung zu individualisieren.
Literatur:
1 World Health Organisation: Obesity and overweight. www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/obesity-and-overweight (zuletzt aufgerufen 7.4.2025) 2 Bundesamt für Gesundheit: Übergewicht und Adipositas. www.bag.admin.ch/bag/de/home/gesund-leben/gesundheitsfoerderung-und-praevention/koerpergewicht/uebergewicht-und-adipositas.html (zuletzt aufgerufen 7.4.2025) 3 World Health Organisation: A healthy lifestyle, WHO recommendations. https://www.who.int/europe/news-room/fact-sheets/item/a-healthy-lifestyle---who-recommendations (zuletzt aufgerufen am 7.4.2025) 4 Bays HE et al.: Obesity, dyslipidemia, and cardiovascular disease: A joint expert review from the Obesity Medicine Association and the National Lipid Association 2024. J Clin Lipidol 2024; 18(3): e320-e50 5 Koskinas KC et al.: Obesity and cardiovascular disease: an ESC clinical consensus statement. Eur J Prev Cardiol 2025; 32(3): 184-220 6 Hossain P et al.: Obesity and diabetes in the developing world – a growing challenge. N Engl J Med 2007; 356(3): 213-5 7 Fabbrini E et al.: Obesity and nonalcoholic fatty liver disease: biochemical, metabolic, and clinical implications. Hepatology 2010; 51(2): 679-89 8 O’Donoghue G et al.: A qualitative exploration of obesity bias and stigma in Irish healthcare; the patients’ voice. PLoS One 2021; 16(11): e0260075 9 Ginsburg BM et al.: Overcoming stigma and bias in obesity management. Treasure Island (FL): StatPearls, 2024 10 Svanevik M et al.: Perioperative outcomes of proximal and distal gastric bypass in patients with BMI ranged 50-60 kg/m(2)--a double-blind, randomized controlled trial. Obes Surg 2015; 25(10): 1788-95 11 Hiemke C et al.: Consensus guidelines for therapeutic drug monitoring in neuropsychopharmacology: update 2017. Pharmacopsychiatry 2018; 51(1-02): 9-62 12 Smith A et al.: Pharmacokinetic considerations in roux-en-Y gastric bypass patients. Am J Health Syst Pharm 2011; 68(23): 2241-7 13 Lutz TA et al.: The physiology underlying Roux-en-Y gastric bypass: a status report. Am J Physiol Regul Integr Comp Physiol 2014; 307(11): R1275-91 14 Steenackers N et al.: Effect of sleeve gastrectomy and roux-en-Y gastric bypass on gastrointestinal physiology. Eur J Pharm Biopharm 2023; 183: 92-101 15 Moons T et al.: Relationship between P-glycoprotein and second-generation antipsychotics. Pharmacogenomics 2011; 12(8): 1193-211 16 Thelen K, Dressman JB: Cytochrome P450-mediated metabolism in the human gut wall. J Pharm Pharmacol 2009; 61(5): 541-58 17 Konstantinidou SK et al.: The effects of bariatric surgery on pharmacokinetics of drugs: a review of current evidence. Curr Nutr Rep 2023; 12(4): 695-708 18 Europäische Kommission. Anhang E zu Abilify (Aripiprazol), 2017, Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels. https://ec.europa.eu/health/documents/community-register/2017/20170803138619/anx_138619_de.pdf (zuletzt aufgerufen am 7.4.2025) 19 Kuzin M et al.: Switching from aripiprazole tablets to oral suspension in a patient with roux-en-Y gastric bypass: a case report. J Clin Psychopharmacol 2023; 43(3): 300-2 20 Hamad GG et al.: The effect of gastric bypass on the pharmacokinetics of serotonin reuptake inhibitors. Am J Psychiatry 2012; 169(3): 256-63 21 Pasi P et al.: Plasma concentrations of SSRI/SNRI after bariatric surgery and the effects on depressive symptoms. Front Psychiatry 2023; 14: 1132112 22 Wallerstedt SM et al.: Serum concentrations of antidepressants, antipsychotics, and antiepileptics over the bariatric surgery procedure. Eur J Clin Pharmacol 2021; 77(12): 1875-85 23 Vandenberghe F et al.: Bioavailability of vortioxetine after a roux-en-Y gastric bypass. Obes Surg 2021; 31(3): 1353-6 24 Roerig J et al.: Preliminary comparison of sertraline levels in postbariatric surgery patients versus matched nonsurgical cohort. Surg Obes Relat Dis 2012; 8(1): 62-6 25 Schoretsanitis G et al.: Effects of sleeve gastrectomy and roux-en-Y gastric bypass on escitalopram pharmacokinetics: a cohort study. Ther Drug Monit 2023; 45(6): 805-12 26 Brown CS et al.: Antiseizure medication use in gastric bypass patients and other post-surgical malabsorptive states. Epilepsy Behav Rep 2021; 16: 100439 27 Porat D et al.: Managing the unpredictable: mechanistic analysis and clinical recommendations for lamotrigine treatment after bariatric surgery. J Clin Med 2021; 10(23): 5627 28 Schoretsanitis G et al.: Effects of sleeve gastrectomy and roux-en-Y gastric bypass on pharmacokinetics of lamotrigine and valproate: a cohort study. Epilepsy Res 2024; 208: 107469 29 Ayub S et al.: Lithium toxicity following roux-en-Y gastric bypass: mini review and illustrative case. Ment Health Clin 2022; 12(3): 214-8
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