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10. Dreiländertagung Epilepsie in Wien

Update Grundlagenforschung und viel Praxisrelevantes

<p class="article-intro">Fragt man am Ende einer Tagung einzelne Teilnehmer nach den Höhepunkten der Veranstaltung, so werden meist sehr viele unterschiedliche Themen aufgeführt. Die Präsidentensitzung beim diesjährigen Epilepsiekongress in Wien fanden alle erwähnenswert. Die von den Tagungsleitern Prof. Dr. Christoph Baumgartner und PD Dr. Susanne Pirker ausgewählten Referenten und Topics vermittelten Einblicke in die wissenschaftliche Forschung oder hatten hohe Praxisrelevanz. </p> <hr /> <p class="article-content"><p>Bereits seit zehn Jahren tagen die Epileptologen der deutschsprachigen L&auml;nder gemeinsam, um Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung und aktuelle brennende Fragen der klinischen Epileptologie zu diskutieren. Das gro&szlig;e Thema war die Diskussion der Frage, wie es gelingt, mit einer modernen Epilepsietherapie den Betroffenen ein durch die Erkrankung weitgehend uneingeschr&auml;nktes Leben zu erm&ouml;glichen.<br />Unter dem Vorsitz von Kongresspr&auml;sident Prof. Christoph Baumgartner, Vorstand der Neurologischen Abteilung des Krankenhauses Hietzing, gab es im Pr&auml;sidentensymposium Neues aus der Epileptogenese-Forschung und eine Leistungsschau, wie durch modernste Bildgebung (fMRT) und Konnektomanalyse die Epilepsiechirurgie optimiert werden kann. Neue Ans&auml;tze im Patientenmonitoring im station&auml;ren, vor allem aber im ambulanten Bereich wollen die Patientensicherheit erh&ouml;hen und das Therapiemonitoring unterst&uuml;tzen. Relevantes zur Epileptologie auf der Intensivstation und zum pl&ouml;tzlichen Tod bei Epilepsie (SUDEP) gaben Einblicke in klinisch wichtige Bereiche.</p> <h2>Epileptogenese</h2> <p>Ein Drittel der Patienten erreicht durch die heute zur Verf&uuml;gung stehenden antiepi&shy;leptischen Therapien keine ausreichende Anfallsfreiheit. Umso wichtiger ist es, die grundlegenden Pathomechanismen der Epilepsie zu erforschen. <br />Ein wichtiger Ansatzpunkt sind genetische Untersuchungen. Bei einigen wenigen seltenen kindlichen Epilepsieformen sind bereits die genetischen Ursachen bekannt, was therapeutische Konsequenzen hat. Die Regulation der Genexpression im Rahmen der Embryogenese, Zellteilung und Differenzierung im ZNS f&uuml;hrt normalerweise zu einer Adaptierung von Funktionen in sich nicht teilenden Nervenzellen und in Astrozyten, Oligodendrozyten und Mikroglia. In der Pathogenese vieler neuronaler Erkrankungen spielen Proteine wie Ionenkan&auml;le und Rezeptoren eine bedeutende Rolle. Von Bedeutung sind auch epigenetische Mechanismen.<br />Prof. Andrea Rossetti, Neurologe und Epileptologe an der Universit&auml;t Lausanne, diskutierte weitere Pathomechanismen, die in der Epileptogenese eine Rolle spielen. Eine interessante Hypothese geht davon aus, dass die Initiation eine Entz&uuml;ndung, zum Beispiel aufgrund eines Traumas, eines Schlaganfalls oder einer Infektion, darstellt. Die Aktivierung von Astrozyten und Mikroglia f&uuml;hrt zur Freisetzung prokonvulsiver Zytokine, IL-1&beta;, HMBG1 und TNF-&alpha;, die die Epileptogenese fortsetzen. Bekannt sind auch m&ouml;gliche protektive Mechanismen: &Uuml;berexpression von hemmenden Neuropeptiden, kompensatorische Erh&ouml;hung der GABA-Synthese, Sprouten von Interneuronen im Subiculum. Das Subiculum stellt eine Verbindungsstruktur zwischen dem Gyrus parahippocampalis und dem Hippocampus dar. Es ist im Temporallappen in unmittelbarer N&auml;he zum Ammonshorn (Cornu ammonis) lokalisiert. Dieser Teil des Gehirns geh&ouml;rt zum Archikortex, dem entwicklungsbiologisch gesehen &auml;ltesten Teil des Cortex cerebri. Forschungserkenntnisse der letzten Jahre weisen darauf hin, dass das Subiculum aktiv an der Generierung epileptischer Anf&auml;lle im Rahmen der Temporallappenepilepsie beteiligt ist.</p> <h2>Patientenmonitoring</h2> <p>Neue Ans&auml;tze zum Patientenmonitoring im station&auml;ren und ambulanten Setting stellte Prof. Andreas Schulze-Bonhage, Leiter des Epilepsiezentrums am Universit&auml;tsklinikum Freiburg, vor. Vorrangiges Ziel sei es, die Sicherheit von Epilepsiepatienten zu erh&ouml;hen und eine bessere Steuerung der Therapie anhand verl&auml;sslicher Daten &uuml;ber die Anfallssituation zu erm&ouml;glichen. Da sich viele sozialmedizinische Entscheidungen wie &uuml;ber Fahrerlaubnis, Berufsaus&uuml;bung, Schwerbehinderung an der Anfallskontrolle orientieren, sei es besonders wichtig, diese sicher dokumentieren zu k&ouml;nnen. Fernziel sei die Entwicklung von Alarmsystemen, die einen Anfall bereits in der Entstehung detektieren k&ouml;nnen. N&auml;chster Schritt werde es dann sein, gezielte iktale und m&ouml;glicherweise pr&auml;iktale Therapieans&auml;tze zu entwickeln. <br />Iktale Entladungen k&ouml;nnen sehr genau mittels intrakranieller Anfallsdetektion erfasst werden. Intrakranielle EEG-Analysen erm&ouml;glichen ein Monitoring der kortikalen Exzitabilit&auml;t unter Verwendung der Analyse von Hirnantworten auf Perturbationen. Dies er&ouml;ffnet neue Optionen f&uuml;r ein Monitoring im Stunden- bis Tagebereich mit Chancen f&uuml;r Warnsysteme und f&uuml;r neue Interventionen in pr&auml;iktalen Phasen. Ein erstes Ger&auml;t zum Langzeitmonitoring (NeuroVista-Implantat) kann bis zu vier Jahre lang eine kontinuierliche Analyse eines intrakraniellen EEG liefern. M&ouml;glich wird damit auch ein Therapiemonitoring. In Zukunft lie&szlig;e sich so der Erfolg von Therapien in Echtzeit kontrollieren. <br />Ambulantes Monitoring mittels EEG und Video birgt viele Fehlerquellen und erfordert einen hohen technischen, zeitlichen und personellen Aufwand. Mithilfe von Surrogat-Biomarkern wie der Erfassung von k&ouml;rperlichen Anfallssymptomen will man dem begegnen. Durch eine Miniaturisierung der Sensoren und Integration in mobile Kommunikationssysteme sind eine ambulante Schlaf&uuml;berwachung und die Aufzeichnung anfallsartiger Bewegungen verbessert worden. Die Grand-mal-Detektion mittels EMG oder EKG ist eine weitere Option. Aktuelles multimodales Assessment mit Embrace oder &uuml;ber ein in die Kleidung integriertes multimodales Assessment (Neuronaut) stecken in der Phase der Erprobung. Auch f&uuml;r die Anfallsvorhersage k&ouml;nnte die Methode von Bedeutung werden. &bdquo;Wir haben die Hoffnung, anhand des Erregungsmusters Phasen besonders hoher Anfallswahrscheinlichkeit identifizieren zu k&ouml;nnen&ldquo;, sagte Prof. Schulze-Bonhage. Die Patienten k&ouml;nnten sich in diesen Phasen besonders vorsichtig verhalten und etwa Autofahrten unterlassen. Zudem w&uuml;rde dies zeitlich gezielte Behandlungen erm&ouml;glichen.</p> <h2>Durchblick und Ausblick mit kognitivem fMRT</h2> <p>In den vergangenen 20 Jahren konnten die Indikationen f&uuml;r epilepsiechirurgische Eingriffe signifikant erweitert werden. Die Vorhersagem&ouml;glichkeiten des Verlaufs nach einer Operation am Temporallappen waren bislang begrenzt. Durch die verbesserte Diagnostik sind solche Eingriffe auch bei Patienten mit weniger schwer behandelbaren fokalen Epilepsien sowie bei Patienten mit pr&auml;operativ ausgezeichneten kognitiven Leistungen m&ouml;glich, bei denen aufgrund des hohen Risikos von postoperativen kognitiven Defiziten der Nutzen eines epilepsiechirurgischen Eingriffs besonders sorgf&auml;ltig abgewogen werden muss. Prof. Silvia Bonelli-Nauer, Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Neurologie, Medizinische Universit&auml;t Wien, zeigte, welchen Beitrag die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) beim Epilepsie-Imaging spielt.<br />Epilepsie-Imaging beinhaltet die umfassende Beschreibung epileptischer Syndrome mittels Genetik, Bildgebung, Kognition, Anfallssemiologie, Antiepileptika und interiktaler Ver&auml;nderungen. Pr&auml;operative Diagnostik will Vorhersagen zu Outcome und Reorganisation machen. Am Beispiel Sprache erl&auml;uterte die Referentin, wie durch anatomische und funktionale Konnektivit&auml;tsstudien die Strukturen aufgezeigt werden k&ouml;nnen, die f&uuml;r den Spracherhalt notwendig sind. &bdquo;Wir sind vom Zonen- und Netzwerkdenken zur Konnektomanalyse &uuml;bergegangen. In der Region of Interest wird das gesamte Konnektom dargestellt und die Operation kann entsprechend geplant werden. Eine Konnektomanalyse ist elegant, um Vorhersagen zu treffen&ldquo;, erl&auml;uterte Prof. Bonelli-Nauer.<br />Durch ein Ged&auml;chtnis-fMRT mit Lateralisation und Lokalisation von Ged&auml;chtnisfunktionen ist eine Pr&auml;diktion von postoperativen Ged&auml;chtniseinbu&szlig;en m&ouml;glich. Lokalisationen von verbalem und visuellem Ged&auml;chtnis sind mit 70 bzw. 100 % vorhersagbar. fMRT ist geeignet, um kognitive Funktionen bei Patienten mit Epilepsie zu untersuchen, und erlaubt die Exploration spezifischer Effekte auf dem Netzwerk-Level in Erg&auml;nzung zur neuropsychologischen Untersuchung. St&ouml;rungen der Verbindungen in kognitiven Netzwerken k&ouml;nnten eine Erkl&auml;rung f&uuml;r kognitive St&ouml;rungen sein, die &uuml;ber die Anfallsursprungszone hinausgehen. Dargestellt werden kann auch die Effizienz der postoperativen Reorganisation.</p> <h2>Epileptologie auf der Intensivstation</h2> <p>Was der Neurologe bei einem Patienten mit epileptischen Anf&auml;llen auf der Intensivstation beachten sollte, fasste Prof. Andrea Rossetti zusammen. Ein EEG-Monitoring sei nach internationalen Leitlinien &bdquo;zu empfehlen&ldquo; bei refrakt&auml;rem Status epilepticus (RSE) und zu &bdquo;erw&auml;gen&ldquo; bei unklaren Bewusstseinstr&uuml;bungen. Automatisierte EEG-Softwares seien zwar zeitsparend, sollten aber auch einen R&uuml;ckgriff auf die urspr&uuml;nglichen Daten erlauben. &bdquo;Meine Empfehlung ist, das EEG liberal einzusetzen, f&uuml;r die Therapie entscheidend ist die klinische Lage&ldquo;, so Rossetti. Ein kontinuierliches EEG (cEEG) sei bei der RSE-Therapie angezeigt. Sind Anf&auml;lle nicht epileptiform, k&ouml;nne die Messdauer begrenzt werden.</p> <h2>Pl&ouml;tzlicher Tod bei Epilepsie</h2> <p>SUDEP steht f&uuml;r &bdquo;sudden unexpected death in epilepsy&ldquo; und bezeichnet einen pl&ouml;tzlichen unerwarteten Tod bei Epilepsie ohne erkennbare Ursache. Das kumulative Lebenszeitrisiko f&uuml;r SUDEP liegt bei 7&ndash;8 % bei fr&uuml;h beginnender Epilepsie und ist eine fatale Komplikation bei generalisiertem tonisch-klonischem Anfall (GTKA). Die Autopsie erbringt h&auml;ufig keine offensichtliche Todesursache.<br />Wann, wie und warum Patienten und Angeh&ouml;rige &uuml;ber die Gefahr eines SUDEP informiert werden sollten, diskutierte Prof. Rainer Surges, Klinik f&uuml;r Epileptologie an der Universit&auml;tsklinik Bonn. Befragungen haben gezeigt, dass Patienten informiert werden wollen. Die &Auml;rzte denken aber oft, eine Aufkl&auml;rung habe keine Konsequenzen, und unterlassen sie deswegen. Aufkl&auml;rung sei wichtig, da sie gezielte Verhaltens&auml;nderungen bzw. Ma&szlig;nahmen wie Anfallsdetektion, Schulung der Betreuer in kardiopulmonaler Reanimation, Schlaf&uuml;berwachung (z.B. mit Babyphone) erm&ouml;glicht. 86 % der SUDEP-F&auml;lle ereignen sich unbeobachtet und treten h&auml;ufiger im Schlaf auf. Eine gute Anfallskontrolle (Medikamente, Chirurgie, Vagusnerv-Stimulation) ist die beste Pr&auml;vention. Eine fr&uuml;he kardiopulmonale Reanimation innerhalb von drei Minuten nach Anfallsende kann lebensrettend sein.<br />Die Mehrzahl der Patienten w&uuml;nscht (mehr) Information, je j&uuml;nger, desto mehr Wissbegier. G&uuml;nstige Zeitpunkte f&uuml;r das Gespr&auml;ch sieht Prof. Surges bei Kontrollterminen, Adh&auml;renzproblemen, Pharmakoresistenz, Auszug aus dem Elternhaus, Kinderwunsch. Eine Aufkl&auml;rung &uuml;ber SUDEP hat gem&auml;&szlig; Untersuchungen keine Auswirkung auf die Gem&uuml;tslage.</p> <div id="fazit"> <h2>Epilepsie in der &Ouml;ffentlichkeit</h2> <p>Ein H&ouml;hepunkt der Tagung war wieder der &ouml;ffentliche Patiententag, der vor allem dem Austausch zwischen &Ouml;ffentlichkeit, Patienten und Klinikern diente. Betroffene, Angeh&ouml;rige und Interessierte hatten die Gelegenheit, sich &uuml;ber die Krankheit Epilepsie zu informieren und mit Selbsthilfegruppen in einen Dialog zu treten. Neben Expertenvortr&auml;gen zu Behandlungsm&ouml;glichkeiten, Epilepsie und Lebensqualit&auml;t sowie &uuml;ber Kinderwunsch bei Epilepsie gab es Diskussionen zu den Themen &bdquo;Erste Hilfe beim Anfall durch Laien, Angeh&ouml;rige und Ersthelfer&ldquo; und &bdquo;Was Epilepsie-Patienten sich von ihrem Arzt w&uuml;nschen&ldquo;. Selbsthilfegruppen aus Deutschland, &Ouml;sterreich und der Schweiz stellten ihre Unterst&uuml;tzungsangebote vor.<br /> Im wissenschaftlichen Teil der Tagung gab es eine Sitzung, in der Experten aufzeigten, wie sich die Wahrnehmung von Anf&auml;llen im Laufe der Zeit, von der Antike bis heute, gewandelt hat. Florian Losch, Klinik f&uuml;r Neurologie, Charit&eacute; &ndash; Universit&auml;tsmedizin Berlin, spannte den Bogen von der archaischen Medizin, die von Sehern, &Auml;rzten und Priestern dominiert worden war, bis zur &bdquo;Medizin&ldquo; in gro&szlig;en griechischen Epen. Dr. Florian Weissinger, Klinik f&uuml;r Neurologie, Charit&eacute; &ndash; Universit&auml;tsmedizin Berlin, befasste sich mit den Bibelstellen, die von epileptischen Anf&auml;llen erz&auml;hlen. Wie bedeutend in Kirchen das Thema Anf&auml;lle, Besessenheit etc. ist, zeige sich in den bis dato rund 40 Schutzpatronen, die bei entsprechenden Leiden angerufen werden k&ouml;nnen.<br />In Zeiten moderner D&auml;monie durch soziale Medien sei es sehr wichtig, Patienten auf Informationen im Internet zu verweisen, die auf einer wissenschaftlichen Basis beruhen und nicht nur Meinungen und Einzelf&auml;lle widerspiegeln. Eine Stichprobe von YouTube-Videos von &bdquo;epileptischen&ldquo; Anf&auml;llen liess erkennen, dass die Mehrzahl keine epileptischen Anf&auml;lle, sondern Anf&auml;lle anderer Genese zeigt. &bdquo;Wir m&uuml;ssen uns fragen, wie wir mit unseren Botschaften an die Menschen kommen. Vor allem gilt es auch zu kl&auml;ren, was sie wirklich wissen wollen und im Netz suchen&ldquo;, forderte Dr. Thomas Mayer, S&auml;chsisches Epilepsiezentrum Radeberg. Da die h&auml;ufigste Quelle bei Laienrecherchen Wikipedia sei, werden die dortigen Eintr&auml;ge aktuell auf ihre Richtigkeit gepr&uuml;ft.</p> </div></p> <p class="article-quelle">Quelle: 10. Gemeinsame Tagung der Deutschen und Österreichischen Gesellschaften für Epileptologie und der Schweizerischen Epilepsie-Liga, 3.–6. Mai 2017, Wien </p>
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