
Schwindel als Symptom neurologischer Erkrankungen
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Das Leitsymptom „Schwindel“ kann Ausdruck verschiedenster benigner, aber auch akut lebensbedrohlicher Erkrankungen sein. Strukturierte Anamnese und klinisch neurologische Untersuchung ermöglichen in vielen Fällen die korrekte Differenzierung zwischen peripher- und zentral-vestibulärer Schwindelursache.
Keypoints
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Die Diagnostik basiert primär auf der Anamnese und dem klinisch neurologischen Status.
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Häufiger Grund für eine Fehldiagnose ist die Überinterpretation von bildgebenden Befunden.
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Schwindel im Alter kann Ausdruck einer beginnenden neurodegenerativen Erkrankung sein.
Schwindel im engeren Sinn umfasst Dreh- und Schwankschwindel und sollte von unspezifischen Beschwerden wie allgemeinem Unwohlsein, Benommenheit oder einer Gangstörung abgegrenzt werden, welche von Patient:innen häufig als Schwindel fehlinterpretiert werden. Dieser Beitrag konzentriert sich auf zentral vestibuläre Schwindelursachen. Stark vereinfacht ausgedrückt, spielen dabei pathologisch-anatomisch das Kleinhirn wie auch Pons mit horizontalem sowie Mesencephalon mit vertikalem Blickwendezentrum tragende Rollen.
Prävalenz von Schwindelsyndromen
Schwindelsyndrome sind häufig. Die Lebenszeitprävalenz für mittelstarken bis starken Schwindel beträgt etwa 30%, wobei das durchschnittliche Manifestationsalter zwischen dem 46. und dem 52. Lebensjahr liegt. In der Notaufnahme lassen sich etwa 10 bis 20% der Konsultationen auf das Leitsymptom Schwindel zurückführen, bei bis zu einem Viertel davon liegen dem Schwindel ernsthafte Erkrankungen zugrunde. Es besteht eine Assoziation mit Stürzen und erhöhter Mortalität.
Ursachen
Die Zahl an möglichen Schwindelursachen ist vielfältig (Tab. 1). Eine grobe Einteilung differenziert zwischen zentral- und peripher-vestibulären Ursachen.
Bei akut aufgetretenem und anhaltendem Schwindel gilt es dringend, eine möglicherweise akut bedrohliche zerebrovaskuläre Ursache auszuschließen. Fehldiagnosen resultieren aus der Fehlinterpretion des Begriffes „Schwindel“, aus fehlendem Wissen zu Okulomotorikstörungen und im akuten Setting vor allem aus dem Überbewerten von bildgebenden CCT oder MRT-Befunden. Denn innerhalb der ersten 48 Stunden nach akutem Onset eines Schwindelsyndroms können bildgebende Verfahren einen ischämischen Schlaganfall nicht verlässlich ausschließen!
Diagnostik
Der Weg zur korrekten Diagnose führt vielmehr und primär über eine sorgfältige Anamnese und die genaue klinisch neurologische Untersuchung mit besonderem Augenmerk auf das vestibuläre, audiologische und okulomotorische System. Ergänzende Zusatzuntersuchungen sind dahingegen nicht immer erforderlich und werden je nach vermuteter Diagnose ergänzt, im Setting einer Notaufnahme bespielhaft um eine kraniale Computertomografie mit Angiografie oder eine zerebrale Magnetresonanztomografie.
Fragen Sie bei der Erhebung der Anamnese unbedingt nach dem zeitlichen Ablauf (akut vs. chronisch) und der Dauer des Schwindels (Attackenschwindel versus Dauerschwindel). Im Falle eines attackenartigen Auftretens fragen Sie nach der Attackendauer (Sekunden, Minuten, Stunden, Tage). Weiters sollte man zwischen Schwank- und Drehschwindel differenzieren, auslösende Faktoren sollten erfragt werden. So ist das spontane Auftreten einer akuten anhaltenden Schwindelsymptomatik suspekt auf Vorliegen einer akuten zerebralen Durchblutungsstörung, während Aggravierung durch Kopfbewegung für eine vestibuläre Migräne oder Auslösung eines Drehschwindels durch Umdrehen im Bett für einen Lagerungsschwindel sprechen. Tritt der Schwindel hingegen nur in bestimmten Situationen auf (z.B. im Kaufhaus, an öffentlichen Orten), liegt möglicherweise ein persistierender perzeptiv-posturaler Schwindel zugrunde. Letztlich fragen Sie nach Begleitsymptomen. Photo- und Phonophobie lassen eine zugrundeliegende vestibuläre Migräne vermuten, während Oszillopsien, also Scheinbewegungen der Umgebung, für eine bilaterale Vestibulopathie oder eine verstärkte Autophonie (verstärktes Hören körpereigener Geräusche) für eine Bogengangdehiszenz sprechen können.
Bei der klinisch neurologischen Untersuchung achten Sie darauf, ob ein pathologischer Nystagmus vorliegt. Bei der akuten vestibulären Vertigo findet sich vielfach ein Spontannystagmus. Ein richtungswechselnder Blickrichtungsnystagmus, eine mittels Cover-Test nachzuweisende Skew-Deviation und das Fehlen einer Einstellsakkade im Kopfimpulstest weisen auf eine zentrale Genese hin. In einem geringen Prozentsatz kann einem auffälligen Kopfimpulstest mit Einstellsakkade, also prinzipiell passend zu einem peripher vestibulären Problem, dennoch ein Schlaganfall zugrunde liegen. In diesen Fällen weisen Skew-Deviation und richtungswechselnder Blickrichtungsnystagmus den Weg Richtung zentral-vestibulärer Ursache. Diese drei gefährlichen okulomotorischen Zeichen sind hinlänglich unter dem Kürzel HINTS bekannt und weisen in der Akutphase eine beeindruckend hohe Sensitivität und Spezifität in der Diagnostik zentral-vestibulärer Schwindelursachen auf. Die Sensitivität lässt sich durch ergänzende Audiometrie und Stand/Gangprüfung weiter steigern.
Zentral-vestibuläres Syndrom
Ein zentral-vestibuläres Syndrom auf Basis eines ischämischen Schlaganfalles resultiert meist aus einer Durchblutungsstörung in der hinteren Strombahn. Klinisch tritt plötzlich ein anhaltender Dreh- oder Schwankschwindel auf, manchmal begleitet von ipsilateraler Hörminderung, Hirnnervenausfällen, einer Ataxie oder Halbseitenzeichen. Rein klinisch ist eine Unterscheidung zwischen ischämischem und hämorrhagischem Schlaganfall nicht möglich. Dafür bedarf es jedenfalls einer bildgebenden Zusatzuntersuchung.
Praxistipp
Im höheren Lebensalter lässt sich eine sporadische Kleinhirnerkrankung oft auf eine paraneoplastische zerebelläre Degeneration zurückführen. Als assoziierte Malignome gelten Bronchus-, Ovarial oder Mammakarzinome wie auch Lymphome oder Malignome des Gastrointestinaltraktes. Die Magnetresonanztomografie des Cerebrums und der Liquor zeigen meist keine relevanten Auffälligkeiten. Der Nachweis von onkoneuronalen Antikörpern dient zur Diagnosesicherung, die Prognose gilt insgesamt als ungünstig.Während sich intrazerebrale Blutungen in der Frühphase bildmorphologisch verlässlich darstellen lassen, schließen unauffällige Befunde von kranialer Computertomografie wie auch zerebraler Magnetresonanztomografie in den ersten 48 Stunden nach Onset eine zerebrale Ischämie nicht aus! Ein Überbewerten dieser Befunde führt möglicherweise zu einer Verwechslung des Insultes mit einer akuten unilateralen Vestibulopathie, deren Therapie naturgemäß eine ganz andere ist. Während eine akute unilaterale Vestibulopathie mit Antivertiginosa und Cortison behandelt wird, braucht es beim akuten Schlaganfall jedenfalls die Behandlung auf einer Stroke Unit. Inzwischen stehen innerhalb gewisser Zeitfenster sehr gute therapeutische Maßnahmen mittels intravenöser Thrombolyse und/oder Thrombektomie zur Verfügung. Daneben basiert ein zentral-vestibuläres Schwindelsyndrom häufig auf einervestibulären Migräne, deren Diagnosekriterien von der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft festgelegt wurden (Tab. 2).
Wesentlich sind aktuelle Geschichte oder Vorgeschichte einer Migräne mit als auch ohne Aura und vestibuläre Symptome von mittelstarker bis starker Qualität mit einer Dauer von 5 Minuten bis zu 72 Stunden. Besonders herausfordernd gestaltet sich die Diagnose, wenn Schwindel und Migränekopfschmerz nicht in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang miteinander auftreten. In diesen Fällen deuten klassische Migränebegleiter wie Photophobie, Phonophobie oder visuelle Aura auf die vestibuläre Migräne als ursächliche Erkrankung.
Die Diagnosestellung erfolgt rein klinisch, pathognomonische Befunde existieren nicht, der Neurostatus präsentiert sich in den allermeisten Fällen als unauffällig. Genetisch bedingte und mit der Migräne verwandte Erkrankungen wie eine episodische Ataxie führen ebenfalls zu Schwindel.
Neben der vestibulären Migräne verursachen autoimmun bedingte Erkrankungen wie die Multiple Sklerose zentral vestibuläre Schwindelsyndrome. Im höheren Lebensalter lässt sich eine sporadische Kleinhirnerkrankung oft auf eine paraneoplastische zerebelläre Degeneration zurückführen. Als assoziierte Malignome gelten Bronchus-, Ovarial- oder Mammakarzinome wie auch Lymphome oder Malignome des Gastrointestinaltraktes. Die Magnetresonanztomografie des Cerebrums und der Liquor zeigen meist keine relevanten Auffälligkeiten. Der Nachweis von onkoneuronalen Antikörpern dient zur Diagnosesicherung, die Prognose gilt insgesamt als ungünstig.
Laut einer systematischen Reviewarbeit zeichnen sich im höheren Lebensalter folgende Erkrankungen in absteigender Reihenfolge als ursächlich für „Schwindel“ aus: Migräne (28,5%), zerebrovaskuläre Erkrankungen (25,8%), Polyneuropathie (14,8%), neurodegenerative Erkrankungen (9,9%), unspezifischer zentraler Schwindel (5,4%), Tumoren (3,5%), Hydrocephalus (1,7%), Epilepsie (1,6%), Hirnstammsyndrome (1,2%), Traumata (1,2%), Spinalkanalstenose (1,0%) und infektiöse Hirnerkrankungen (0,2%). Grundsätzlich sollte Schwindel im Alter keinesfalls als physiologisches Phänomen abgetan werden. Häufig liegt dem Altersschwindel eine multifaktorielle Genese zugrunde.
Literatur:
bei der Verfasserin