
Rosinenpicker
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Die aufmerksame Beobachterin und der aufmerksame Beobachter merken schnell: In der österreichischen Gesundheitspolitik werden Ideen geboren, es wird geplant, implementiert und kommentiert. Bei näherer Betrachtung erscheint aber nicht immer jeder Gedanke zu Ende gedacht, „aus-gedacht“ eben.
Sowohl der Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) als auch der Wiener Gesundheitsstadtrat bezeichneten kürzlich Personen, die wahlärztlich tätig sind, als Rosinenpicker.* Was sie jedoch nicht eindeutig klärten: Welche Rosinen werden eigentlich herausgepickt?
Meinten sie am Ende gar die Patient*innen, die eine Wahlärztin/ein Wahlarzt für eine medizinische Abklärung empfängt? Was würde ihre Rosinenhaftigkeit ausmachen? Und wo werden sie eigentlich herausgepickt? Rosinen sind meist in Teig eingebettet. Werden sie herausgepickt, dann weil dieser Teig wesentlich weniger ansprechend ist? In der Kennmelodie zur Satiresendung „Der Guglhupf“ sang Kurt Sobotka von „diesem Kunstwerk aus Teig und Rosinen“ – die beiden gehören also offensichtlich zusammen, ergänzen und bedingen einander.
Abgesehen davon: Rosinen in Kuchen, Müsli oder Strudel haben eine polarisierende Eigenschaft – manche lehnen sie massiv ab, weil sie an eine tote Frucht und an Verwesung erinnert, manche lieben sie ob ihrer Süße, manche genießen sie mehrmals wöchentlich, der Rest wiederum kaum bis gar nicht – sind die Rosinen jetzt begehrenswert oder verwerflich?
Der Vorteil des Rosinenlebens
Ein wesentlicher Aspekt, der in diesem Zusammenhang die Metapher der Rosinenpicker im Gesundheitswesen wenig überzeugend erscheinen lässt, liegt darin, dass sich die Rosinen (also Menschen, die die Wahlärzteschaft aufsuchen) bei den Rosinenpickern (den Wahlärzt*innen) vielmehr freiwillig melden, als ausgewählt zu werden. Warum tun sie das? Möglicherweise erleben sie dadurch die Wertschätzung und Behandlung, die ihnen ihrer Meinung nach zusteht. Vielleicht schätzen sie auch das besondere Geschick des Rosinenpickers, die Aufmerksamkeit, die ihnen zuteilwird, und die Geduld, mit der versucht wird, sie möglichst lange frisch und genießbar zu erhalten.
Ein weiterer Vorteil für die gepickten Rosinen liegt klar auf der Hand oder dem Kuchenteller: Sie können sich aussuchen, wann und von wem sie verarbeitet werden. Dass die Wahlärzt*innen aufgrund ihrer Flexibilität viel häufiger Tagesrandzeiten abdecken als die kassenärztlich Tätigen, sollte eigentlich den Wünschen der Verantwortlichen im Gesundheitswesen entgegenkommen.
Dass viele Wahlärzt*innen die Tätigkeit in ihren Praxen neben einer Spitalstätigkeit ausüben, hat außerdem den Vorteil, dass sie durch den ständigen Kontakt mit der Spitalsroutine immer auf dem neuesten Stand der medizinischen Entwicklungen sind.
Das Beste aus zwei Welten?
Womöglich dachten eingangs erwähnte Herren aber bei den Rosinen vielmehr an die vermeintlichen Boni, die der Wechsel vom Spitalsbetrieb in die Wahlarztpraxis bringt?
Auch hier hinkt der Vergleich. Der Vorwurf beispielsweise, Wahlärzt*innen wären „auf Kosten des Spitalerhalters ausgebildet“ worden, würden sich aber nicht in den Spitalsbetrieb einbringen, würde in einer Weiterführung des Gedankens bedeuten, dass jede*r Tischlermeister*in im Ausbildungsbetrieb gegen ein geringes Gehalt weiterarbeiten oder gar jede*r Student*in nach Studienabschluss Dienst an der Universität machen müsste.
Der von der ÖGK monierte Mehraufwand für die Abrechnungen ist sicher durch die um 20% reduzierte Refundierung des Kassentarifs mehr als ausgeglichen. Und dafür, dass die Kassenabrechnungssysteme so kompliziert sind – wissen die übersüßen Rosinen (Diabetiker*innen), wie oft im Quartal bei wie viel Prozent von ihnen die Süßemessung von der Kasse honoriert wird? –, können wahrlich nicht die Rosinenpicker verantwortlich gemacht werden.
Von diesen Beispielen könnte man hier zur Entkräftung der Bezeichnung Rosinenpicker noch einige anführen, was aber den Rahmen dieser Seite sprengen würde. Gerne verweise ich hier an meine Kontaktdaten zum persönlichen Austausch.
Lebensretter*innen?
Es sei zum Abschluss noch ein historischer Rückblick in die Bibel gestattet: Rosinen, also getrocknete Weinbeeren, waren ein haltbarer Proviant, der gerne auf Reisen mitgenommen wurde. Im 1. Buch Samuel des Alten Testaments werden zwei Rosinenkuchen einem halbverhungerten Ägypter gereicht, damit er sich daran laben und wieder Kraft schöpfen kann. Man könnte die Metapher auf die Spitze treiben und meinen, der halbverhungerte Ägypter stünde für das darbende Gesundheitssystem, das nur durch die Rosinen aufrechterhalten werde – aber wer will das schon?
* ORF Pressestunde vom 27. November 2022
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