
Neuerungen in Diagnostik und Therapie der chronischen insomnischen Störung
Unser Gesprächspartner:
Priv.-Doz. Dr. Michael Saletu
Facharzt für Neurologie, europäisch zertifizierter Schlafmediziner und
Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Schlafmedizin (OGSM/ASKAI), Wien
E-Mail: michael.saletu@kages.at
Das Interview führte
Dr. rer. nat. Torsten U. Banisch
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Im Rahmen des ÖGPB-Meetings im November 2024 hielt Priv-Doz. Dr. Michael Saletu einen Vortrag zur chronischen insomnischen Störung. Im Anschluss daran haben wir mit ihm gesprochen, um Genaueres zur aktuellen Forschung, zu den überarbeiteten ESRS-Leitlinien und zu zukünftigen Behandlungsoptionen zu erfahren.
Herr Dozent Michael Saletu, als Facharzt für Neurologie und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Schlafmedizin verfolgen Sie die Zunahme der Zahl an Patient:innen, die über Schlafstörungen klagen. Ab wann spricht man in der Praxis von einer Insomnie?
M. Saletu: In der Tat klagen um die 30–50% der Österreicher über die Symptome einer gelegentlichen Durchschlafstörung. 10% leiden unter einer echten chronischen insomnischen Störung. Laut DSM-5 und der neuen ICD-11 liegt eine chronische Insomnie vor, wenn Schlafstörungen dreimal pro Woche über drei Monate auftreten und zudem eine erhebliche Einschränkung der Tagesbefindlichkeit besteht. Letzteres ist als Schlüsselsymptom anzusehen und äußert sich als Benommenheitsgefühl tagsüber, begleitet von einer verminderten Konzentrationsfähigkeit und einem Leistungseinbruch.
Wie kam es zu dem Fokus auf die Tagessymptomatik in der Beurteilung einer Schlafstörung?
M. Saletu: Die Tagessymptomatik wurde lange vernachlässigt. Die Patient:innen wurden lediglich nach der subjektiven Einschätzung ihres Schlafes befragt, was eine Diagnose und zielgerichtete Therapie erschwerte. Mittlerweile weiß man, dass sich die Schwere einer Schlafstörung, sei es Schlafapnoe oder Insomnie, generell durch die Tagesbefindlichkeit abschätzen lässt. Zudem können Patient:innen ihre Tagesbefindlichkeit objektiver bewerten. Dies machen sich auch aktuelle Studien zunutze, wie die zum dualen Orexin-Rezeptor-Antagonisten (DORA) Daridorexant. Hier wurden verschiedene Datenpunkte zur Tagesbefindlichkeit der Studienteilnehmer:innen ermittelt und zur systemischen Evaluierung des Medikaments herangezogen.
Rezent wurden die ESRS-Leitlinien zur Therapie der Insomnie aktualisiert. Was sind für Sie die wichtigsten Neuerungen?
M. Saletu: Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) steht zwar in den Leitlinien weiterhin an erster Stelle, ist aber nicht für jede Patientin, jeden Patienten zugänglich und führt auch nicht immer zum Erfolg. Dadurch haben die medikamentöse Behandlung und seit Neuestem auch die krankheitsmodifizierende medikamentöse Behandlung mit sogenannten Wachblockern, den DORA, an Stellenwert gewonnen und wurden nun auch in europäische Leitlinien aufgenommen. Im Falle von Daridorexant konnte gezeigt werden, dass Patient:innen nach Absetzen der Medikation eine anhaltende Verbesserung zeigten und ihr Hyperarousal gegenüber dem Ausgangszustand abgemildert war. Grundlage hierfür scheinen Veränderungen in der Neuroplastizität zu sein, weshalb die Bezeichnung „krankheitsverändernde Therapie“ verwendet wird. Laut Empfehlung kann die Therapie mit Daridorexant auch in der Langzeitbehandlung, also länger als drei Monate, eingesetzt werden. Zurzeit laufen mehrere Langzeitstudien zu Daridorexant, insbesondere hinsichtlich komorbider Störungen.
Worauf beruht die gute Wirksamkeit der DORA und was sollten behandelnde Ärzt:innen und Patient:innen beachten?
M. Saletu: Im Gegensatz zu den bisherigen GABAergen Medikamenten, die Patient:innen sedieren, handelt es sich dabei um nicht sedierende Hypnotika. Die DORA hemmen den hochregulierten Wachschalter, indem sie die Orexin-Rezeptoren OX1R und OX2R blockieren, und ermöglichen somit den natürlichen Schlaf. Daridorexant wirkt nachweislich sehr schnell, innerhalb von 24 Stunden. Aber subjektiv dauert es circa zwei Wochen, bis die Patient:innen eine positive Wirkung registrieren. Das ist auch eine wesentliche Botschaft an die behandelnden Ärzt:innen und Patient:innen. Es ist ein wenig Geduld gefragt, bis sich die Wirkung des Medikamentes entfaltet, insbesondere was die Verbesserung der Tagesbefindlichkeit betrifft. Es ist daher wichtig, die Patient:innen gut aufzuklären, da diese oftmals eine schnelle Wirkung wie unter Z-Substanzen gewöhnt sind. Daridorexant hingegen wirkt nur sehr sanft. Bei einem Umstieg auf Daridorexant ist anzuraten, die bisherige Medikation fortzuführen und erst nach zwei Wochen abzusetzen.
Was sind Ihre Erfahrungen mit Daridorexant bei Insomniepatient:innen?
M. Saletu: Meine persönlichen Erfahrungen mit Daridorexant sind wirklich sehr gut. Circa 30% meiner Patient:innen berichten von einer unmittelbaren Wirkung. Die meisten bemerken jedoch, wie bereits erwähnt, erst nach zwei Wochen eine deutliche Verbesserung. Sie können wieder schneller einschlafen, schlafen nicht mehr so oberflächlich, können besser durchschlafen und fühlen sich tagsüber besser. Die Verbesserung der Tagesempfindlichkeit ist hier das Entscheidende. Die Patient:innen fühlen sich in ihrem Alltag nicht mehr so eingeschränkt und achten in der Folge weniger auf ihren Schlaf und die Schlaflänge, was wiederum die Schlafqualität erhöht. Es muss aber auch gesagt werden, dass rund 30% der Patient:innen nicht auf Daridorexant respondieren. Die Ursache hierfür ist unklar. Es könnte sein, dass erst nach einer längeren Behandlung eine Wirkung auftritt, was jedoch erst noch untersucht werden muss.
Patient:innen greifen immer mehr auf mobile Geräte zurück, um über ihre Gesundheit und ihren Schlaf informiert zu sein. Sehen Sie hier einen Nutzen für die Behandlung?
M. Saletu: Generell besteht natürlich das Problem, dass nur die wenigsten dieser mobilen Geräte und Anwendungen einer Qualitätskontrolle unterliegen. Handelt es sich um ein validiertes Medizinprodukt, kann dies in der Tat einige Vorteile haben. So können unter anderem Herzfrequenzen über einen Zeitraum von mehreren Wochen analysiert werden, die dann einen Rückschluss auf den Schlaf der Patient:innen geben, und das eben viel detaillierter als durch eine isolierte Aufzeichnung von einer Nacht im Schlaflabor. Es ist schon eine tolle Sache, über einen längeren Zeitraum Daten zu sammeln und mittels Herzfrequenzvariabilität und Aktivitätsbestimmung indirekt Hinweise darauf zu erhalten, wie viel und wie gut ein Patient oder eine Patientin schläft und ob er oder sie eine objektiv verkürzte Schlafzeit hat.
Neben Neuerungen in der Diagnostik werden in der klinischen Forschung immer häufiger mit künstlicher Intelligenz unterstützte Methoden angewandt. Welchen Vorteil haben sie und welche Erkenntnisse liefern diese Ansätze?
M. Saletu: Es hat sich gezeigt, dass die Messung der objektiven Schlafdauer im Labor nicht immer zielführend ist. Hier kann nur bedingt die Qualität des erhaltenen Schlafes gemessen werden. Dies hat sich nun mit der Einbeziehung von künstlicher Intelligenz (KI) insoweit geändert, als individuelle Schlafmuster sehr detailliert analysiert werden können. So kann bei Frequenzanalysen ermittelt werden, ob zu viele schnelle Alphawellen (Wachheit) oder zu wenige langsame Wellen (Schlaf) im EEG-Frequenzspektrum vorliegen. Auch der Zustand des Hyperarousals, der als Grundlage der chronischen insomnischen Störung anzusehen ist, kann hierdurch besser ermittelt und die vorliegende Schlafstörung besser eingeordnet werden. Dies kommt unter anderem auch den Patient:innen zugute, die Störungen der sogenannten „lokalen Schlaf- und Wachzustands“ haben, also in bestimmten Arealen eine übersteigerte Wachheit während dem Schlaf aufweisen. Dieser Zustand konnte bisher mit herkömmlichen Methoden nicht zuverlässig detektiert werden und führte zu einer erschwerten Behandlungsfindung in dieser Patient:innengruppe. Der Weg nach vorne ist somit eine Kombination von KI-unterstützten Analysen der Schlafmikrostruktur und der Ermittlung der objektiven Schlafdauer. Jedoch ist dies im klinischen Alltag bisher noch nicht flächendeckend umsetzbar.
Wie sehen Sie die Zukunft der Insomnie-behandlung in Anbetracht der neuen positiven Impulse?
M. Saletu: Nun, in einer perfekten Welt sollte jeder, der es benötigt, eine KVT bekommen. Aber aufgrund der Kosten und begrenzt verfügbarer Therapieplätze ist das (noch) nicht möglich. Mit dem Aufkommen digitaler Verhaltensanwendungen könnte diese Lücke in Zukunft etwas geschlossen werden. Wie in anderen Therapiefeldern muss generell versucht werden, ein multimodales und vor allem ein individuelles Konzept für die Patient:innen zu erstellen. Jede Patientin und jeder Patient hat andere Schlafprobleme. Hierfür braucht es eben angepasste Behandlungen sowie spezifische Elemente aus einer Verhaltenstherapie. Auch die bereits erwähnten validierten mobilen medizinischen Geräte und Anwendungen haben ein großes Potenzial, gerade was die Analyse von individuellen Schlafmustern über einen langen Zeitraum angeht. In noch ferner Zukunft liegen individuelle EEG-Messungen und KI-Analysen zu Hyperarousal.
Vielen Dank für das Gespräch!
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