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Mein Leben mit Multipler Sklerose

„Ich habe MS als Maturathema gewählt“

Dass man sich als Multiple-Sklerose-Patient mit seiner Erkrankung auseinandersetzen muss, steht für Carina Rathammer außer Frage. Dasselbe gilt für den eigenen Körper. Die Wienerin lebt schon über ein Jahrzehnt mit der Diagnose MS und erzählt uns von „Missy“ und „Balu“.

Multiple Sklerose hat bekanntlich „1000 Gesichter“. Was braucht dennoch jeder MS-Patient?

C. Rathammer: Vor allem Vertrauen in sich selbst und in den eigenen Körper. Man bemerkt jedes Kribbeln und jeden Schmerz. Ob und wie man dann reagiert, muss jeder für sich selbst entscheiden. Dafür braucht es viel Selbstvertrauen und Erfahrung. Wichtig ist, sich psychisch nicht zu stressen. Deshalb schwöre ich auf die Gesprächstherapie. Denn durchs Reden geht die Angst weg – und Angst und Panik sind besonders schubfördernd.

Wie erleben Sie die Einschränkungen, die mit der Erkrankung einhergehen?

C. Rathammer: Ich kenne das Erwachsensein nicht ohne sie. Als ich mit 18 Jahren die Diagnose bekommen habe, war ich noch in der Schule. Mittlerweile ist mein Motto: Nimm Rücksicht auf die Missy – so nenne ich die MS –, dann nimmt die Missy Rücksicht auf dich. Ich hatte aber auch Lebensphasen, in denen ich ausgegangen bin, wenig geschlafen und viel gearbeitet habe. Die negativen Folgen habe ich dann schnell bemerkt.

Ihr treuer Begleiter ist Balu, ein Labradoodle. Ist er ein Therapiehund?

C. Rathammer: Ja und nein. Er therapiert alle um sich herum, einfach weil er ein Ruhepol ist! Ich bin sehr dankbar, dass ich die nötige Unterstützung hatte, um mir meinen Traum vom Hund trotz MS ermöglichen zu können. Wir haben den Kurs zum Begleit- und Therapiehund zwar angefangen, dann aber abgebrochen, damit Balu „einfach nur Hund sein“ kann. Seine Unterstützung ist vor allem psychischer Natur − er beruhigt mich.

Was bräuchte es für eine gute Versorgung von MS-Betroffenen?

C. Rathammer: Vonseiten der Ärzte unbedingt Einfühlungsvermögen und viel Zeit! Dass sie dafür oft nicht die nötigen Ressourcen haben, ist ein Fehler des Systems. Gerade bei der Diagnose müsste man als Patient gut aufgeklärt werden und Informationen zu diversen Anlaufstellen bekommen, zum Beispiel zu MS-Gesellschaften, dem Nurse Service, Online-Gruppen, Psychologen usw. Ich hätte diese Adressen nie gekannt, wenn nicht eine Freundin mit MS mich zu Vorträgen mitgeschleppt hätte. Dort habe ich auch viel über die Krankheit gelernt. Man muss verstehen, was mit dem eigenen Körper geschieht, um sich darauf einstellen zu können. Meine Lösung war damals, dass ich MS als Maturathema gewählt habe. So hatte ich die Gelegenheit, mich mit dem, was auf mich zukommt, zu befassen.

© Michael Bauer

Carina Rathammer, Mitglied der Multiple Sklerose Gesellschaft Wien

Welche Botschaft möchten Sie den Ärzten, die unser Journal lesen, mitgeben?

C. Rathammer: Dass die „perfekte Versorgung“ immer auch den Wunsch der Patienten berücksichtigt. Es ist wichtig, dass der Betroffene selbst darüber entscheiden darf, was mit seinem Körper geschehen soll. Im besten Fall arbeiten Patient und Arzt als ein Team.

Fehlt Ihnen manchmal eine Möglichkeit, sich anderen mitzuteilen?

C. Rathammer: Als MS-Patient kommt man oft in Erklärungsnot. Keiner, der nicht in dieser Situation steckt, kann sie wirklich nachvollziehen. Wenn ich etwa sage, dass ich müde bin, bekomme ich zu 99% die Antwort „Ja, das bin ich auch.“ Aber ich bin eben anders müde.

Setzt hier die MS Gesellschaft an?

C. Rathammer: Teilweise ja, denn hier können sich Patienten vernetzen und austauschen. Vor allem geht es darum, Menschen aufzufangen, wenn sie die Diagnose bekommen. Dazu gibt es Treffen für Neudiagnostizierte oder das „Young People with MS“-Gruppentreffen. Außerdem laden wir zu diversen Vorträgen ein, insbesondere natürlich dann, wenn es Neuerungen bei den Therapien gibt. Auch wenn man eine Psychotherapie beantragen möchte, helfen wir. Zusätzlich zu den Angeboten für Betroffene ist die MS Gesellschaft auch in der Öffentlichkeitsarbeit aktiv, um das Verständnis für unsichtbare Schwierigkeiten zu stärken.

Was hoffen Sie für die Zukunft?

C. Rathammer: Das ist einfach zu beantworten: dass MS heilbar wird.

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