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Zerebrale Aneurysmen simulieren und operieren

MEDUSA − der Mixed Reality Simulator für Neurochirurgen

Das Gehirn ist das komplexeste menschliche Organ. Operative Eingriffe sind hier äußerst herausfordernd, da Zielareale oft in hochfunktionalen Gewebestrukturen eingebettet sind. Im Forschungsprojekt MEDUSA wird ein Simulator entwickelt, der Clipping-Operationen von Gehirnaneurysmen detailreich und ganzheitlich darstellt. Er soll die chirurgische Ausbildung, die Operationsplanung und in weiterer Folge die Behandlungsqualität optimieren. Für Neurochirurgen und alle, die es werden wollen.

Keypoints

  • Das MEDUSA-Konsortium entwickelt eine revolutionäre Trainings- und Planungsplattform für Neurochirurgen, um sämtliche Operationsschritte komplexer Clipping-Operationen von zerebralen Aneurysmen detailreich und ganzheitlich simulieren zu können.

  • Der hybride Simulator besteht zum einen aus künstlich gefertigten Patientenmodellen (Gehirn, Gehirnhäute inkl. Arachnoidea, Blutgefäße inkl. Aneurysma, Schädel, Haut) und zum anderen aus virtuell überlagerten Bildern, welche die Simulationsumgebung in Echtzeit erweitern.

  • Hier verschmelzen reale und virtuelle Welt, um realistische Trainingsmöglichkeiten für Neurochirurgen zu schaffen.

  • Das primäre Ziel von MEDUSA ist, die Qualität und Effizienz der chirurgischen Ausbildung und Operationsplanung zu optimieren, um in weiterer Folge die Behandlungsqualität und die Patientensicherheit zu erhöhen.

Die mikrochirurgische Clipping-Operation zur Behandlung zerebraler Aneurysmen ist ein komplexes Teilgebiet der Neurochirurgie. Während in der Flugindustrie eine Ausbildung am Simulator seit Jahrzehnten selbstverständlich erscheint, gibt es in der Neurochirurgie paradoxerweise nach wie vor kein verpflichtendes Simulatortraining im Curriculum. Strategien zur Verbesserung der Qualität und Effektivität der chirurgischen Ausbildung sind daher äußerst wünschenswert.

Die medizinische Motivation

Rupturierte Aneurysmen stellen eine Notfallsituation dar und sollten von einem erfahrenen Chirurgen behandelt werden. Aber auch unrupturierte, komplexe Aneurysmen können den Operateur vor eine Herausforderung stellen. Dabei ist oftmals nicht die Clipsetzung, sondern der Zugang zum Aneurysma der schwierigste Teil der Operation. Beispielsweise könnten kleinste Gefäß- und Hirngewebsverletzungen für den Patienten ein schweres neurologisches Defizit zur Folge haben. Deshalb muss die Zugangstrajektorie so gewählt sein, dass die relevanten anatomischen Strukturen (das Aneurysma inklusive der involvierten zu- und abführenden Gefäße) exploriert und freigelegt werden können, ohne Gefäße oder eloquente Hirnareale zu verletzen.

Die ideale Zugangstrajektorie ist in der Realität nicht beliebig wählbar und ist sicherlich beeinflusst durch die Erfahrung des Operateurs. Ein Simulator, mit dem sie verlässlich geplant, trainiert und mit erfahrenen Kollegen diskutiert werden kann, wäre daher ein großer Fortschritt in der Aneurysmenchirurgie.

Speziell für unerfahrenere Chirurgen bietet die Simulation vorab die Möglichkeit, die ideale Strategie mit Experten zu diskutieren. Aneurysmen können oft nur mit speziellen Clips (z.B. Ringclip) oder durch mehrere Clips versorgt werden. Die präoperative Simulation und Identifikation der idealen „Clipping-Strategie“ würde zur perfekten Planung beitragen, wodurch intraoperative Gefäßverletzungen durch multiple Repositionierungsmanöver vermieden werden könnten.

Oberösterreichisches Leitprojekt in Medizintechnik

Das Forschungsprojekt MEDUSA ist aus vier Einreichungen des vom Land Oberösterreich ausgeschriebenen „Leitprojekts Medizintechnik“ hervorgegangen. Die Forschungsabteilung Medizin-Informatik der RISC Software GmbH ist Konsortialführerin des mit 2,3 Millionen Euro geförderten Projektes.

Auch der Lerneffekt lässt sich durch die Simulation maximieren. Kahol et al. publizierten im Jahr 2009, dass präoperativ durchgeführtes Training am Simulator zu einem sogenannten „Warm-up“-Effekt führen kann. Psychomotorische und kognitive Skills sind danach auch während der realen Operation signifikant verbessert. Speziell bei schwierigen intraoperativen Situationen, wie einer frühzeitigen Ruptur eines Aneurysmas, könnten diese Skills erfolgreich zum Komplikationsmanagement beitragen.

Ziel des Forschungsprojekts MEDUSA („Medical EDUcation in Surgical Aneurysm clipping“) ist nicht nur, die gesamte Kette der Operationsschritte während der Clipping-Operation erfolgreich zu simulieren, sondern auch zur Verbesserung der Ausbildung und Operationsplanung für vaskuläre Neurochirurgen signifikant beizutragen. Medizinstudenten, unerfahrene Chirurgen, Experten und letztendlich unsere Patienten werden davon profitieren.

Die „surgical skills“

Das angestrebte Ergebnis aus dem Forschungsprojekt MEDUSA ist ein hybrider medizinischer Simulator für Neurochirurgen, der unterschiedliche chirurgische Vorgänge („surgical skills“) umfasst. Hierzu zählen einerseits die Eingriffsplanung (Navigation, Kraniotomie), Lagerung und Trepanation (Kopflagerung, Zugangstrajektorie) sowie der Zugang zum Aneurysma. Andererseits soll das Aneurysmen-Clipping simuliert werden, was den Test des optimalen Clips und der Clipping-Strategie beinhaltet sowie das Absetzen des Clips unter Berücksichtigung der Zugangstrajektorie. Auch die Simulation unterschiedlicher Gefäßwandeigenschaften, intraoperativer Aneurysmenrupturen sowie intraoperative Bildgebung und Bewertung sind Teil von MEDUSA.

MEDUSA’s 7 „Key Features“

1. Die Kombination von haptischen und virtuellen Komponenten

Da die Haptik in der medizinischen Simulation eine wesentliche Rolle spielt, werden die Bereiche, bei denen das Fühlen und Empfinden relevant sind, real gefertigt. Dies erfolgt beispielsweise durch 3D-Druck oder spezielle Gussverfahren. Dazu kommen virtuelle Modelle, die Simulationen, wie etwa den Blutfluss, ermöglichen. So wird dem Chirurgen ein Einblick in den chirurgischen Vorgang und dessen Ergebnisse ermöglicht.

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Abb. 1: Im neurochirurgischen Simulator verschmelzen die virtuelle und die reale Welt. Virtuelle Bilder von inneren, sonst nicht sichtbaren Strukturen (A) werden über einen 3D-gedruckten Schädel aus künstlichem Gehirngewebe (B) gelagert, um eine präzise präoperative Planung und neurochirurgisches Training zu ermöglichen

2. Ein realistischer neurochirurgischer Simulator

Auf Basis dieses hybriden Ansatzes entwickelt das MEDUSA-Konsortium einen innovativen neurochirurgischen Simulator, der aus einem 3D-gedruckten Schädel mit künstlichem Gehirngewebe und virtuell überlagerten Bildern besteht, die die Simulationsumgebung in Echtzeit erweitern. Neurochirurgen können die künstlich hergestellten Patientenmodelle (Gehirn, Gehirnhäute inkl. Arachnoidea, Blutgefäße inkl. Aneurysma, Schädel, Haut) haptisch ertasten und innere, sonst nicht sichtbare anatomische Strukturen als virtuell erzeugte Hologramme sehen. Die reale und die virtuelle Welt verschmelzen zu einer hybriden Welt, die den größtmöglichen Realismus schafft.

3. Training mit echten chirurgischen Instrumenten

Ein hochpräzises multimodales Positionserfassungssystem ermöglicht die Verwendung von echten chirurgischen Instrumenten für die Simulation, ganz ohne Kabel und Computereingabegeräte. Dadurch wird eine natürliche Benutzerschnittstelle geschaffen, wodurch der Chirurg mit jenen Instrumenten trainieren kann, mit denen auch im OP gearbeitet wird. Die unterschiedlichen Instrumente wie z.B. Mikroschere, Dissektor, Clipanlegezange werden vom Simulator automatisch erkannt und können jederzeit während der Simulation gewechselt werden.

4. Das modulare Design

MEDUSA ist ein einzigartiger Mixed Reality Trainingssimulator, der ein umfassendes Curriculum bietet. Operative Eingriffe am Gehirn werden in einer realitätsnahen und hochauflösenden Grafik abgebildet und das Gewebeverhalten wird realitätsnah simuliert. MEDUSA ermöglicht es Neurochirurgen, die für das Clipping von Gehirnaneurysmen erforderlichen Fertigkeiten effizient und effektiv zu trainieren und weiterzuentwickeln.

<< Es ist großartig, dass wir dieses Leitprojekt in Oberösterreich haben. MEDUSA katapultiert uns in Forschung und Entwicklung ganz nach vorne.>>
Univ.-Prof. Dr. Andreas Gruber, Vorstand der Universitätsklinik für Neurochirurgie, Kepler Universitätsklinikum, Johannes Kepler Universität Linz

Durch den modularen Aufbau können sowohl grundlegende als auch komplexe chirurgische Fertigkeiten trainiert werden. Zudem lassen sich die Trainings isoliert oder im Zuge der Simulation des gesamten chirurgischen Eingriffes ausführen. Didaktische Elemente und Lehrmittel werden in Zusammenarbeit mit medizinischen Experten und Ausbildnern entwickelt, um die Lehrinhalte über das diagnostische und chirurgische Verfahren sowie über die Anatomie optimal abzubilden.

5. Für „tomorrow’s patient“ gemacht

Basierend auf realen medizinischen Bilddaten, die in nur wenigen Minuten von einer künstlichen Intelligenz verarbeitet werden, ermöglicht MEDUSA in der finalen Version eine patientenspezifische präoperative Planung, d.h. die Simulation des operativen Eingriffes an „tomorrow’s patient“ − dem Patienten von morgen. Neurochirurgen können sich so optimal auf die bevorstehende Aneurysma-Clipping-Operation vorbereiten und komplexe chirurgische Eingriffe vorab in einer sicheren Simulationsumgebung trainieren. Dies schützt das Leben der Patienten und erhöht das Sicherheitsgefühl der Neurochirurgen.

6. Von Experten für Experten entwickelt

Dieses herausfordernde Vorhaben ist aufgrund moderner Technologien und vor allem durch die exzellente Expertise des Konsortiums, bestehend aus sieben Forschungs- und sechs Unternehmenspartnern, möglich. Die Nutzung von Synergien in den Bereichen Neurochirurgie, Neurowissenschaften, künstliche Intelligenz, medizinische Simulation, Medizintechnik, Materialwissenschaften und Zulassung von Medizinprodukten schafft die Grundlage für die Entwicklung eines derart komplexen medizinischen Simulators.

7. Das Forschungsprojekt und die Vision

Seit Mitte 2019 läuft das Projekt MEDUSA und wird voraussichtlich Mitte 2024 abgeschlossen. Die Konsortialpartner sind hochmotiviert, die hervorragende Zusammenarbeit im Bereich der medizinischen Simulation auch nach Projektende fortzuführen und im Zuge von gemeinsamen Forschungsprojekten zu intensivieren.

Mittelfristig soll MEDUSA zur Etablierung eines Simulations- und Kooperationszentrums in Oberösterreich führen. Kerntechnologien können in zukünftige Medizinprodukte, wie chirurgische Planungs- und Navigationssysteme, übergeführt werden.

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Abb. 2: Im ersten Prototyp „Stheno v1.0“ können bereits echte chirurgische Instrumente in der Simulation genutzt werden

Die kleine Schwester – Stheno

Nach rund zwei Jahren Projektlaufzeit hat das Konsortium des Forschungsprojekts MEDUSA den ersten Prototyp „Stheno v1.0“ erfolgreich fertiggestellt. Diese erste Version des neurochirurgischen Simulators dient nun als Test- und Entwicklungsplattform für die darauf aufbauenden Aktivitäten.

Auf Basis des ersten Prototyps „Stheno v1.0“ wird in der zweiten Projekthälfte an der Entwicklung von „Euryale v2.0“ sowie schließlich an der finalen Version „Medusa v3.0“ motiviert weitergearbeitet. Letztere umfasst auch das Modul „tomorrow’s patient“. Durch den Import personenbezogener Patientendaten und die individuelle präoperative Planung können sich Neurochirurgen bestmöglich auf eine patientenbezogene Aneurysma-Clipping-Operation vorbereiten. So können komplexe Fälle in einer simulierten Umgebung bereits im Vorhinein gefahrlos trainiert werden. Die Entwicklung eines professionellen Didaktik-Konzeptes und GUI-Designs, die holografische Darstellung mittels Mixed-Reality-Brillen sowie die durch Neurochirurgen des Kepler Universitätsklinikums Linz unterstützte Evaluierung und Validierung des Simulators stellen weitere wichtige Schritte im Rahmen der Vorbereitung für die Anwendung am Menschen dar.

Weblink:

Näheres zum Projekt finden Sie unter www.medusa.health

beim Verfasser

Weiterführend:
● Gmeiner M et al.: Virtual cerebral aneurysm clipping with real-time haptic force feedback in neurosurgical education. World Neurosurg 112: e313-23 ● Kahol K et al.: Effect of short-term pretrial practice on surgical proficiency in simulated environments: a randomized trial of the “preoperative warm-up” effect. J Am Coll Surg 2009; 208: 255-68

„MEDUSA – Medical Education in Surgical Aneurysm Clipping“ ist ein Forschungsprojekt unter Beteiligung von 13 oberösterreichischen Einrichtungen und Unternehmen.

Dieses Projekt wird aus Mitteln des Strategischen Wirtschafts- und Forschungsprogramms „Innovatives OÖ 2020“ vom Land Oberösterreich gefördert.

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