
„Man wird gelassener und lernt die Dinge zu schätzen, die noch möglich sind“
Das Interview führte Dr. Gabriele Senti
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Franz Schmied ist ein Kämpfer. 2016 erlitt er völlig überraschend einen schweren NMOSD-Schub, auf den ein langer Krankenhaus- und Reha-Aufenthalt folgte. Der Weg zurück nach Hause dauerte fast ein halbes Jahr. Er erzählt uns davon, warum es besser ist, nicht alles gleich zu wissen, und warum er eine Krankenschwester an seiner Seite hat, mit der er seine Erfahrungen teilen kann.
Die „neuromyelitis optica spectrum disorders“ (NMOSD) umfassen eine Gruppe seltener Autoimmunerkrankungen, denen die Entzündung des ZNS gemeinsam ist. Ein einzelner unbehandelter Schub kann bereits zu schwerwiegenden bleibenden Einschränkungen führen; bleibt die Erkrankung unbehandelt, ist auch ein tödlicher Verlauf möglich.
Dabei können die ersten Symptome eines NMOSD-Schubes auch harmlos erscheinen – so wie bei Franz Schmied. Er unterzog sich 2016 einer Augenoperation, die gut verlief, er wurde dann aber zusehends schwächer. Weitreichende Untersuchungen im Rahmen eines Spitalsaufenthaltes aufgrund dieser Schwäche und einer Harnwegsinfektion brachten keine eindeutige Diagnose. Wenig später verschlechterte sich sein Zustand abermals, Herzrhythmusstörungen kamen hinzu und persistierender Schluckauf. Es folgte die umgehende Einweisung ins AKH in Wien – die Ereignisse der darauffolgenden Tage kennt Franz Schmied nur aus den Erzählungen seiner Frau.
Können Sie sich an den Moment erinnern, als man Ihnen die Diagnose NMOSD mitgeteilt hat?
F. Schmied: Ich habe die Diagnose nicht gleich erfahren. Ich war damals in einem schlechten Zustand – war unbeweglich, gelähmt, hatte nichts im Griff sozusagen und habe erst sukzessive verstanden, was diese Diagnose bedeutet. Meine Frau hat mir ein paar Tage nach meiner Einlieferung ins AKH erzählt, was passiert war, und mich gefragt: „Weißt du eigentlich, was du hast?“ Dann hat sie mir in ihren Worten erklärt, was mit mir los ist. Mir wurde dann aber auch schnell bewusst, welches Glück ich hatte, dass es zu keiner Beeinträchtigung der Sehfähigkeit gekommen ist. Das ist ja eigentlich typisch für NMOSD.
Wie sah Ihre Therapie damals aus?
F. Schmied: Es wurden bei mir mehrere Zyklen der Plasmapherese durchgeführt, um die schädlichen B-Zellen möglichst rasch auszuwaschen. Am Anfang über Venen, später über einen Zugang an der Halsschlagader. Das war von der Abwicklung der Plasmapherese her etwas angenehmer. Meine Einschränkungen wurden durch die Plasmapherese auch tatsächlich von Behandlung zu Behandlung geringer: Ich konnte mich wieder etwas bewegen, leichtes Drehen zur Seite wurde möglich, später auch das Aufstehen und mit Unterstützung ein paar kleine Schritte gehen.
Wie lange hat es gedauert, bis Sie nach diesem Schub wieder zu Hause waren?
F. Schmied: Sehr lange. Ich war von Februar bis Juni 2016 im AKH und kam dann direkt in die Reha nach Graz und war dort weitere fünf Wochen. Eine lange Zeit – aber man kommt in den Krankenhaus- und Reha-Rhythmus gut hinein.
Wer war in dieser Zeit Ihre Stütze?
F. Schmied: Die ganze Familie war und ist eine große Unterstützung. Meine Gattin hat mich täglich besucht. Und auch meine Töchter waren für mich da. Eine meiner Töchter ist Krankenschwester, sie war für mich als Feedbackpartner sehr wichtig. Sie ist geschult im guten Zureden und im Erklären, aber auch Manches-noch-nicht-Erklären. Sie war und ist eine große Stütze, wenn ich Fragen habe. Außerdem lebt meine Tochter seit einigen Jahren mit Multipler Sklerose – hier gibt es also eine ganz besondere Verbindung.
Das ist eine sehr spezielle Situation, wenn die Tochter eine ähnliche Krankheit hat.
F. Schmied: Ja, es ist tatsächlich speziell. Ich denke, dadurch war es auch für meine Familie leichter, meine Erkrankung zu akzeptieren. Es war nichts Fremdes, Unbekanntes, Isoliertes in unserer Familie, sondern wir waren mit etwas Ähnlichem schon vertraut. Das hat auch mir sehr geholfen. Meine Tochter und ich haben uns gegenseitig unterstützt. Das Medikament Rituximab war damals relativ neu, erst in Erprobung. Ich durfte es zuerst ausprobieren. Als meine Tochter dann auf Rituximab umgestellt werden sollte, wusste sie zumindest schon, dass ich es gut vertrage.
Fühlten Sie sich am AKH gut aufgehoben?
F. Schmied: Auf jeden Fall! Von Anfang an hat man mich sehr gut betreut, von den Medizinern über das Pflegepersonal bis zu den Physiotherapeuten. Sie hatten das medizinische Problem im Auge, aber auch meine Psyche. Ich war ein bisschen passiv, wollte nicht aus dem Bett aufstehen. Aber mir wurde Mut gemacht und auf kleine Selbstverständlichkeiten wurde positiv reagiert. „Schön, dass Sie das noch können!“, „Großartig, dass Sie das wieder können!“ oder „Probieren Sie das doch noch einmal“ waren für mich sehr wichtige Sätze.
Auf Anregung meines Arztes habe ich auch die Stationen gewechselt, um Zugang zu einem großen Physiotherapieraum mit Fahrrad und vielen anderen Geräten zu bekommen. Auf dieser Station hat man sehr darauf geschaut, dass ich das Bett verlasse und mich bewege. Auch in Verwaltungsfragen wurde ich unterstützt, es wurde ein Rollstuhl gestellt und geschaut, dass ich einen Rollator bekomme.
Wie geht es Ihnen jetzt?
F. Schmied: Ich lebe mit gewissen Einschränkungen. Der Tastsinn einer Hand ist beispielsweise sehr reduziert. Ich habe Spasmen, besonders morgens vor dem Aufstehen oder wenn ich länger im Auto sitze. Und ich bin in meiner Spontaneität sehr eingeschränkt. Aber Bewegung tut mir gut: einfache Gartenarbeiten in unserem Schrebergarten zum Beispiel. Ich versuche regelmäßig zu lesen und hin und wieder auch zu schreiben, um diese Fähigkeiten zu erhalten.
Wie hat die Erkrankung Ihr Leben verändert?
Obwohl die Situation sehr kritisch war, hat sich Franz Schmied von seinem NMOSD-Schub wieder gut erholt. Er sagt von sich selbst: „,Never give up!ʻ ist ein Motto, das gut zu mir passt.“
F. Schmied: Im Positiven! Man wird gelassener und lernt jene Dinge zu schätzen, die unverändert oder eingeschränkt noch möglich sind. Ich fühle mich allgemein schon eingeschränkt – die Spontaneität ist – wie schon erwähnt – kaum mehr vorhanden. Aktivitäten wie Radfahren sind vom Gleichgewichtssinn und von der Kraft her nicht mehr möglich, das wäre zu riskant. Aber ansonsten arrangiere ich mich mit der Situation und freue mich, dass vieles noch möglich ist und ich mir manches wieder erarbeiten konnte. Ich startete ja von der totalen Unbeweglichkeit!
Raus aus dem Rollstuhl und zum Rollator: Das war für mich ein einschneidendes Erlebnis. Ich erinnere mich an einen Patienten, den ich vom Bett aus mit dem Rollator vorbeigehen sah. Und dann konnte ich auch eines Tages mit einem Rollator gehen und ich habe mich so sehr darüber gefreut: „Hallo! Ich kann das auch!“ Natürlich war es für mich schon auch wichtig, aus dem Bett zu steigen und ein paar Schrittchen im Zimmer machen zu können. Aber mich mit dem Rollator wieder einigermaßen selbstständig fortbewegen zu können war unvergleichlich wichtiger.
Wo könnte man Ihrer Erfahrung nach im Gesundheitssystem etwas verbessern?
F. Schmied: Es gehört sicher einiges verbessert, was man so allgemein hört. Aber ich persönlich wurde und werde gut betreut, es fehlt mir an nichts. Es gab keine Probleme bei der Bewilligung von Reha-Maßnahmen und auch eine private Physiotherapie wurde im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten bewilligt. Im Krankenhaus hat man uns bei der Abwicklung der Formalitäten sehr unterstützt.
Natürlich hört man immer wieder von anderen Patienten, dass manches nicht funktioniert hat oder dass sie unzufrieden sind. Das liegt aber vielleicht auch an deren Grundeinstellung. Ich denke, es ist sinnvoll, möglichst viele Maßnahmen zu setzen, um Patienten positiv zu bestärken, sie mit ins Boot zu holen.
Ich kenne jemanden, der eine Herzproblematik hatte und gleich nach der Diagnose sehr negativ eingestellt war. Dann aber wurde er im Krankenhaus von den Ärzten und Therapeuten motiviert, seine Übungen zu machen, und sein Zustand hat sich zunehmend verbessert – nicht nur körperlich, sondern auch seine Einstellung wurde besser.
Gibt es Informationen, die Sie lieber gleich zu Beginn der Erkrankung gehabt hätten?
F. Schmied: Nein. Es war für meine Psyche vielleicht gar nicht so schlecht, nicht alles sofort zu wissen, nicht zu wissen, was alles passieren kann und in welchem kritischen Zustand ich tatsächlich war.
Gibt es eine Botschaft oder einen Wunsch an die Ärzte, die unser Magazin lesen?
F. Schmied: Ich wünsche mir, dass man alle Patienten so umfassend betreut und ihnen so Mut macht, wie ich es erfahren habe. Die Auswahl der besten Medikamente ist natürlich wichtig. Aber die Unterstützung auf der psychischen Ebene darf man auch nie vergessen. Die positive mentale Unterstützung von Ärzten, Pflegern und Therapeuten in dieser schweren Zeit hat mir persönlich sehr geholfen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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