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Jedem Schmerzpatienten die richtige Therapie
Jatros
30
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27.04.2017
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<p class="article-intro">Im Rahmen der 16. Österreichischen Schmerzwochen fassten die Experten der Österreichischen Schmerzgesellschaft neue Erkenntnisse zu Opioiden, Cannabinoiden und der Behandlung neuropathischer Schmerzen zusammen und stellten das neue Positionspapier der EFIC vor.</p>
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<p class="article-content"><h2>Europäische Schmerzföderation: neues Positionspapier</h2> <p>Noch immer bekommen in Europa viele Patienten mit chronischen Schmerzen keine ausreichende Therapie. Vorurteile, Fehlinformationen und mangelndes Wissen behindern vielerorts auch die Anwendung der potentesten Analgetika, der Opioide. Ein neues Positionspapier der Europäischen Schmerzföderation EFIC<sup>1</sup>, an dem auch österreichische Experten mitwirkten, soll hier klare Antworten auf offene Fragen geben und Abhilfe bei bestehenden Mängeln schaffen.<br /> Es formuliert unter anderem folgende Grundsätze: „Eine Therapie mit Opioiden sollte im Rahmen eines multimodalen Therapieplans und von dafür ausgebildeten und kompetenten Ärzten eingeleitet werden, wenn einfachere Mittel versagt haben. Alle Patienten unter Opioid-Therapie benötigen eine engmaschige, schmerzmedizinische Kontrolle.“ Bei Versagen oder bei Auftreten von Nebenwirkungen muss adäquat gehandelt werden. Nebenwirkungen gehören therapiert, bei einem nicht ausreichenden Effekt müssen die Behandlungskonzepte leitliniengerecht angepasst bzw. verändert werden.<br /> Das EFIC-Papier setzt sich mit allen diesen Aspekten, inklusive der Charakteristika einzelner Opioid-Analgetika und deren Gebrauchs, auseinander. Das Ziel: eine optimale Versorgung der bisher noch nicht ausreichend betreuten Patienten mit schweren chronischen Schmerzen in ganz Europa.</p> <h2>Das können THC und Cannabidiol</h2> <p>Wird in der analgetischen Therapie den aktuellen Empfehlungen gefolgt, greift man bei erheblicher Schmerzsymptomatik auf Opioide zurück. Hinzu kommen zusätzliche Mittel wie nicht steroidale Antirheumatika, Antikonvulsiva und Antidepressiva. „Etwa zehn bis 20 Prozent der Patienten klagen trotz aller Bemühungen weiterhin über eine deutliche Schmerzsymptomatik. Für sie benötigt man neben den invasiven Verfahren auch zusätzliche medikamentöse Ergänzungen“, betont Prof. DDr. Hans-Georg Kress, Leiter der Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerztherapie, AKH/MedUni Wien.<br /> Dies könnten industriell hergestellte Medikamente und/oder magistraliter in Apotheken produzierte Mittel mit Cannabinoiden sein. Erst kürzlich ist im „Journal of the American Association of Nurse Practitioners“ eine Übersichtsarbeit<sup>2</sup> publiziert worden, welche die wenigen klinischen Studien zur Verwendung von Cannabinoiden bei Krebspatienten zusammengefasst hat. „Cannabinoide sind keine Wundersubstanzen und in ihrer analgetischen Wirksamkeit den starken Opioiden unterlegen. Allerdings können sie bei Krebsschmerzen als zusätzliche Medikation eine Verbesserung der Symptomkontrolle bewirken“, so Prof. Kress.<br /> Mit den verschiedenen Cannabis-Inhaltsstoffen beschäftigt sich die Wissenschaft schon seit Langem – Cannabidiol (CBD) wurde beispielsweise bereits 1940 identifiziert. „Bei CBD handelt es sich um eine nicht psychotrope Substanz. Sie unterliegt keiner Suchtgiftregelung. Im Körper wird sie auch nicht zu THC umgewandelt“, so Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, Generalsekretär der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) und Leiter der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin am Klinikum Klagenfurt. Beschrieben wurden unter anderem krampflösende, angsthemmende und Übelkeit sowie Entzündungen dämpfende Effekte. Mittlerweile ist der Wirkstoff als hoch gereinigte Substanz aus Industriehanf verfügbar. Auch ein Produkt mit einer Mischung aus THC und CBD gibt es.<br /> Neue Untersuchungen könnten auch für die Einsetzbarkeit von Cannabidiol bei entzündlichen Gelenkserkrankungen (Arthritis) sprechen. In einer Studie<sup>3</sup>, die im „European Journal of Pain“ erschienen ist, wurde das in einem Tierexperiment bei Ratten belegt. Die Autoren betonten in ihrer Zusammenfassung das Potenzial von CBD in der Therapie von schmerzhafter Arthritis bei offenbarer Absenz von Nebenwirkungen.</p> <h2>Es müssen nicht immer Medikamente sein</h2> <p>Patienten, die an Polyneuropathien leiden, erfahren oft einen massiven Verlust an Lebensqualität bis zum Lebensüberdruss. Nicht medikamentöse Verfahren können hier Linderung herbeiführen. „Neben bewährten Medikamenten können auch spezielle physiotherapeutische Maßnahmen oder die Hochtontherapie solche Schmerzen lindern“, so Prim. Dr. Daniela Gattringer, Leiterin des Instituts für Physikalische Medizin und Rehabilitation des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern Linz.<br /> Wie etwa eine Studie<sup>4</sup> an Dialysepatienten mit medikamentenresistenter Neuropathie zeigte, lässt sich mit einer dreimal die Woche angewendeten Hochtontherapie bereits nach drei Wochen eine signifikante Wirkung erzielen. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen eine weitere in Deutschland und Rumänien realisierte Studie<sup>5</sup> sowie die bisher größte Studie – bereits 2009 durchgeführt – mit nahezu 100 Patienten, die infolge eines Typ-2-Diabetes an Polyneuropathien<sup>6</sup> litten. „Für Patienten, die an oft unerträglichen Neuropathien leiden, kann die Hochtontherapie eine zweckmäßige Ergänzung des Behandlungsspektrums darstellen, weitere Studien wären wünschenswert“, fasst Prim. Dr. Gattringer zusammen.</p> <h2>Opioid-Einnahme erhöht nicht das Herz-Kreislauf-Risiko</h2> <p>In den vergangenen Jahren hat es immer wieder Berichte über ein häufigeres Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und akuten Herzinfarkten bei Patienten unter Opioid-Therapie wegen schwerer Schmerzen gegeben. Eine beim Deutschen Schmerzkongress in Mannheim vorgestellte Untersuchung<sup>7</sup> räumt jetzt diese Bedenken aus.<br /> Von Jänner bis Juni 2016 wurden Patienten im Alter von mehr als 40 Jahren mit einer behandlungsbedürftigen Angina pectoris und einer per Koronarangiografie gesicherten koronaren Herzkrankheit standardisiert befragt. „Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass eine Opioid-Einnahme kein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer behandlungsbedürftigen Angina pectoris darstellt“, schlossen die deutschen Experten aus ihren Ergebnissen. Möglicherweise könnte der Unterschied zu Beobachtungen in anderen Staaten an niedrigeren Opioid-Dosierungen und eher zurückhaltender Verschreibungsweise der Ärzte liegen.</p> <h2>Opioid bei neuropathischen Schmerzen nach Gürtelrose</h2> <p>Wiener Wissenschafter könnten eine Möglichkeit zur Nutzung eines bisher kaum bekannten Effekts einer Anwendung von Opioiden bei chronischen neuropathischen Schmerzen eröffnet haben: Das kurz wirksame synthetische Opioid Remifentanil könnte bei chronischen Schmerzen vorliegende, langfristig wirksame Veränderungen der Schmerzleitung via Nervenzellen rückgängig machen.<sup>8</sup> Was zunächst in Tierversuchen erkannt wurde, haben die Experten in einer Studie bei Patienten mit Neuralgien nach Herpes zoster ebenfalls zeigen können.<br /> „Opioide sind der Goldstandard in der Behandlung von mittleren bis schweren Schmerzen. Jetzt wurde aber im Tierversuch ein bisher nicht bekannter Effekt von Opioiden entdeckt. Sie können die bei der Chronifizierung von Schmerzen erfolgte und langfristig aufrechterhaltene Übererregbarkeit von Nervenfasern (C-Fasern) und Synapsen zur Weiterleitung der Schmerzsignale wieder rückgängig machen“, berichtet Univ.-Prof. Dr. Jürgen Sandkühler, Leiter des Zentrums für Hirnforschung der MedUni Wien. (red)</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Pressemitteilungen anlässlich der 16. Österreichischen
Schmerzwochen der Österreichischen Schmerzgesellschaft
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> European Pain Federation position paper on appropriate opioid use in chronic pain management: Eur J Pain 2017; 21(1): 3-19 <strong>2</strong> Tateo S: J Am Assoc Nurse Pract 2016, DOI: 10.1002/2327-6924.12422 <strong>3</strong> Hammell DC et al: Eur J Pain 2016; 20(6): 936-48 <strong>4</strong> Strempska B et al: Clin Nephrol 2013; 79(Suppl 1): S24-7 <strong>5</strong> Klassen A et al: Clin Nephrol 2013; 79(Suppl 1): S28-33 <strong>6</strong> Humpert PM et al: Pain Med 2009; 10(2): 413-9 <strong>7</strong> Kaisler M et al: Abstract Deutscher Schmerzkongress, Oktober 2016 <strong>8</strong> Prosenz J et al: The effect of high-dose remifentanil on the reversal of neuropathic pain in post-herpetic patients. PW0295, IASP, 16th World Congress on Pain</p>
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