
Insomnie: Diagnostik, Phänotypen und innovative Therapieansätze
Autor:
Prim. Prof. Priv.-Doz. Dr. Stefan Seidel, FEAN
Ärztlicher Direktor Klinik Pirawarth
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Insomnie zählt zu den häufigsten und hartnäckigsten Schlafstörungen mit erheblichen Folgen für die Lebensqualität. Die umfassende Schlafanamnese und die kognitive Verhaltenstherapie sind Eckpfeiler der Diagnostik und Therapie. Duale Orexin-Rezeptor-Agonisten (DORAs) und innovative rehabilitative und neuromodulatorische Ansätze wie die Vagusstimulation erweitern das therapeutische Spektrum.
Keypoints
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Ausführliche Schlafanamnese und objektive Diagnostik sind essenziell, um Insomniephänotypen und Komorbiditäten wie die Schlafapnoe präzise zu erfassen und gezielt zu behandeln.
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Nicht medikamentöse Therapien, insbesondere kognitive Verhaltenstherapie, bilden die Basis der Insomniebehandlung und zeigen langfristig die besten Erfolge.
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Trainingstherapie und Vagusstimulation bieten vielversprechende Ergänzungen, insbesondere bei therapieresistenten Fällen.
Die chronische Insomnie, definiert als anhaltende Schwierigkeiten beim Ein- oder Durchschlafen mit einer negativen Beeinträchtigung der Tagesbefindlichkeit trotz adäquater zeitlicher und räumlicher Schlafbedingungen, zählt zu den häufigsten Schlafstörungen weltweit. Die Prävalenz chronischer Insomnie liegt bei etwa 10–15% der erwachsenen Bevölkerung und zeichnet sich durch eine hohe Persistenz sowie erhebliche Auswirkungen auf Gesundheit und Lebensqualität aus.1
Die Darstellung von Schlafstörungen in der Kunst stellt für sich ein faszinierendes Kapitel dar. Beispielhaft seien an dieser Stelle das Lied „I’m So Tired“ von The Beatles (1968) und die Darstellung des insomnischen Trevor Reznik durch Christian Bale im Film „Der Maschinist“ (2004) erwähnt. In Ersterem verarbeitet John Lennon seine insomnischen Beschwerden nach dem Tod des Managers Brian Epstein und in Letzterem zeichnet der Schauspieler Bale ein differenziertes und beunruhigendes Bild der klinischen Folgen einer schweren Insomnie bis hin zur Psychose.
Diagnostik durch ausführliche Schlafanamnese
Die Diagnostik der Insomnie basiert primär auf einer sorgfältigen und ausführlichen Schlafanamnese (Abb. 1). Diese umfasst die Erfassung von Schlafdauer, Einschlaflatenz, Anzahl und Dauer von Wachphasen, subjektiv erlebter Schlafqualität sowie Tagesbefinden. Besonders wichtig ist es in der Praxis, die Gesamtschlafdauer innerhalb von 24 Stunden zu erfragen, da Betroffene von Insomnie häufig zu dysfunktionalem Coping neigen, indem sie versuchen, tagsüber zu schlafen, und den homöostatischen Schlafdruck weiter reduzieren. Weiters müssen Komorbiditäten, insbesondere psychische Erkrankungen und andere Schlafstörungen wie die Schlafapnoe, systematisch erfragt werden.2 Dabei ist es essenziell, auch Faktoren wie Schlafhygiene, Lebensstil und Medikamenteneinnahme zu berücksichtigen.
Abb. 1: Darstellung der Attribute, der Faktoren, die die Schlafqualität beeinflussen, und der Konsequenzen der Schlafqualität (nach Nelson KL et al.)12
Werkzeug Schlafanamnese
Zu den zentralen Elementen der Anamnese gehören neben der Zeitstruktur des Schlafs die Erfassung von Schlafumgebung, Stressoren und schlafbezogenen Verhaltensweisen. Das Ziel ist eine differenzierte Diagnosestellung, die neben primärer Insomnie auch sekundäre Ursachen und Komorbiditäten erkennt.3
COMISA – komorbide Insomnie und Schlafapnoe
Eine häufig übersehene Herausforderung stellt die „co-morbid insomnia and sleep apnea“ (COMISA) dar, bei der Insomnie und obstruktive Schlafapnoe gleichzeitig auftreten. Man kann davon ausgehen, dass eine/einer von drei Insomniepatient:innen unter einer relevanten Schlafapnoe leidet und bis zur Hälfte der Schlafapnoepatient:innen Symptome einer chronischen Insomnie zeigen. Beiden Schlafstörungen ist wiederum gemein, dass Betroffene häufig über nächtliche Schlafunterbrechungen, nicht erholsamen Nachtschlaf und Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeiten und gedrückte Stimmung klagen. Die COMISA erfordert eine differenzierte Therapieplanung, da die Behandlung der Schlafapnoe allein oft nicht zur Verbesserung der Insomnie führt.4
Zur Ergänzung der Anamnese sollte die Polysomnografie in jenen Fällen eingesetzt werden, die sich entweder durch eine besondere Therapieresistenz auszeichnen und/oder in denen klinisch-anamnestisch starke Hinweise auf relevante Komorbiditäten wie die Schlafapnoe oder periodische Beinbewegungen im Schlaf vorliegen. Polysomnografische Studien konnten ferner zeigen, dass die Insomnie nicht als einheitliche Störung, sondern in verschiedenen Phänotypen auftritt, etwa mit oder ohne objektiv messbare Schlafverkürzung.5 Die Identifikation dieser Phänotypen hat bereits heute eine klinische Relevanz, da sie behandelnden Ärzt:innen und Patient:innen im Dialog hilft, die subjektive und objektive Ebene der Schlafstörung zu vergleichen bzw. im Falle einer ausgeprägten Schlaffehlwahrnehmung zu entkatastrophisieren.
Schlaffehlwahrnehmung bei Insomnie
Ein besonderes diagnostisches und therapeutisches Problem bei Patient:innen mit chronischer Insomnie stellt die Schlaffehlwahrnehmung dar, bei der Patient:innen ihre Schlafdauer oder -qualität deutlich schlechter einschätzen, wie Trimmel et al. (2021)6 in einer Studie detailliert darstellen konnten.
Fallvignette 43-jährige Frau (DGKP, chronische Insomnie)
Bei dieser Patientin bestand nach Mobbing am Arbeitsplatz seit einem Jahr eine chronische Insomnie mit einer subjektiven Gesamtschlafzeit von 1,5–3 Stunden pro Nacht. Mithilfe einer ambulanten Polysomnografie wurde in einer subjektiv „ganz schlechten“ Nacht objektiv eine Gesamtschlafzeit von 7,5 Stunden registriert. In einem ausführlichen Gespräch wurde mit der Patientin dieser Befund besprochen und im Sinne der Entkatastrophisierung das Potenzial dieser Fehlwahrnehmung genutzt. Die Patientin konnte sich über einen längeren Zeitraum mithilfe von Schlafrestriktion langsam von der schlaffördernden Medikation Mirtazapin verabschieden und erreichte im Durchschnitt eine höhere Schlafqualität und längere subjektive Gesamtschlafzeit mit Verbesserung der Tagesbefindlichkeit.
Insomnietherapie unter Berücksichtigung des 3-P-Modells
Gemäß dem 3-P-Modell der Insomnie nach Spielmann tragen je nach Phase der Insomnie verschiedene Faktoren in unterschiedlichem Ausmaß zum klinischen Bild der Insomnie bei. Im Fall der chronischen Insomnie sind die perpetuierenden Faktoren zumeist dominant. Abbildung 2 unterstreicht einige wesentliche Faktoren in diesem Zusammenhang und eine nachhaltige Therapie der chronischen Insomnie muss diese unbedingt im therapeutischen Konzept berücksichtigen.
Abb. 2: Die Bedeutung von drei Arten von Faktoren für den Verlauf der Insomnie (adaptiert nach Morin CM et al.)13
Riedel et al. (2024)7 untersuchten in einer Metaanalyse von randomisiert-kontrollierten Studien den Effekt körperlicher Bewegung – darunter Ausdauertraining, Yoga und Krafttraining – auf die chronische Insomnie. Die Ergebnisse zeigen, dass körperliche Aktivität insgesamt einen signifikant positiven Effekt auf die Schlafqualität hat. Insbesondere aerobes Training über einen Zeitraum von mehreren Wochen führte zu einer Reduktion der Einschlaflatenz, einer Erhöhung der Gesamtschlafdauer und einer Verbesserung der subjektiven Schlafqualität. Die Effektstärken bewegten sich im kleinen bis mittleren Bereich. Die Autoren weisen jedoch auf die Notwendigkeit weiterer Studien hin, insbesondere mit standardisierten Interventionsprotokollen und längeren Nachbeobachtungszeiten.
In Hinblick auf komplementäre und alternative Verfahren zeigten Ell et al. (2023),8 dass einzelne Komplementär- und Alternativmedizin-Verfahren, insbesondere Akupunktur, achtsamkeitsbasierte Interventionen sowie ausgewählte phytotherapeutische Substanzen (z.B. Baldrian, Melatonin), moderate positive Effekte auf subjektive Schlafparameter wie Einschlaflatenz, Gesamtschlafdauer und Schlafqualität haben können. Allerdings ist die methodische Qualität der zugrunde liegenden Primärstudien vielfach limitiert, mit hoher Heterogenität, unzureichender Verblindung und potenzieller Publikationsverzerrung.
Die Basis der Therapie der chronischen Insomnie bildet nach wie vor die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (CBT-I), die bei verschiedenen Komorbiditäten eingesetzt werden kann und langfristig gute Ergebnisse erzielt.9 Innovative Therapieansätze umfassen die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) und die nicht invasive transaurikuläre Vagusnervstimulation, die durch Modulation zentraler neuronaler Netzwerke potenziell schlaffördernd wirken. Erste Studien zeigen vielversprechende Effekte insbesondere bei therapieresistenten Patienten.10,11
Fazit
Insomnie ist eine komplexe Erkrankung mit unterschiedlichen Phänotypen und häufigen Komorbiditäten. Eine ausführliche Anamnese und objektive Diagnostik bilden die Grundlage für eine individualisierte Therapie. Neben bewährten nicht medikamentösen Verfahren gewinnen innovative neuromodulative Ansätze zunehmend an Bedeutung und eröffnen neue Perspektiven in der Behandlung chronischer Insomnie.
Literatur:
1 Riemann D et al.: European guideline for the diagnosis and treatment of insomnia. J Sleep Res 2017; 26(6): 675-700 2 American Academy of Sleep Medicine 2014. International Classification of Sleep Disorders – third edition. AASM, Darien, IL 3 Ohayon MM: Epidemiology of insomnia: what we know and what we still need to learn. Sleep Med Rev 2002; 6(2): 97-111 4 Zinchuk A, Yaggi HK: Phenotypic approaches to obstructive sleep apnea—new pathways for targeted therapy. Chest 2019; 156(1): 79-88 5Perlis ML et al.: Phenotyping insomnia. Sleep Medicine Clinics 2011; 6(2): 147-55 6 Trimmel K et al.: Subjective-objective sleep discrepancy in chronic insomnia. J Sleep Res 2021; 30(3): e13146 7 Riedel A et al.: The effect of physical exercise interventions on insomnia: A systematic review and meta-analysis. Sleep Med Rev 2024; 76: 101948 8 Ell J et al.: Complementary and alternative treatments for insomnia disorder: a systematic umbrella review. J Sleep Res 2023; 32(6): e13979 9 Trauer JM et al.: Cognitive behavioral therapy for chronic insomnia: a systematic review and meta-analysis. Ann Intern Ned 2015; 163(3): 191-204 10 Leuchter AF et al.: (2015). Transcranial magnetic stimulation in the treatment of insomnia: a systematic review. J Clin Sleep Med 2015; 11(11): 1281-92 11 Fang J et al.: Vagus nerve stimulation for insomnia: a systematic review. Sleep Med Rev 2020; 49: 101234 12 Nelson KL et al.: Sleep quality: an evolutionary concept analysis. Nurs Forum 2022; 57(1): 144-51 13 Morin CM et al.: Insomnia disorder. Nat Rev Dis Primers 2015; 1: 15026
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