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Atypische Parkinsonsyndrome

Häufig übersehen, interdisziplinäre Therapie wichtig

<p class="article-intro">Atypische Parkinsonsyndrome sind sehr selten und werden daher häufig übersehen oder als klassische Parkinsonkrankheit verkannt. Eine interdisziplinäre Therapie durch Neurologen und Psychiater sei wichtig, so Prof. Robert Perneczky, um die Symptome der Betroffenen so gut wie möglich zu lindern. Denn bisher gibt es keine kausale Behandlung.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Rigor, Tremor, Akinese &ndash; schon im Studium denkt man bei diesen Symptomen sofort an ein Parkinsonsyndrom. Das prim&auml;re idiopathische Parkinsonsyndrom (Parkinsonkrankheit) wird verursacht durch &alpha;-Synuclein-Ablagerungen im Hirnstamm, was die typischen Symptome verursacht. Wenigen Kollegen seien jedoch die atypischen Parkinsonsyndrome bekannt, sagt Prof. Robert Perneczky, Leiter der Sektion f&uuml;r Psychische Erkrankungen im Alter an der Ludwig-Maximilians-Universit&auml;t in M&uuml;nchen und Co-Direktor der Abteilung f&uuml;r Neuroepidemiologie und Altersforschung am Imperial College in London. &laquo;Sie sind zwar selten, aber weil sie h&auml;ufig auch nicht motorische Symptome wie Depressionen und Apathie ausl&ouml;sen, profitieren die Patienten enorm von einer interdisziplin&auml;ren Therapie mit Neurologen und Psychiatern.&raquo;<br /> Die wichtigsten atypischen Parkinsonsyndrome sind Demenz mit Lewy-K&ouml;rperchen, Multisystematrophie, progressive supranukle&auml;re Blickparese und kortikobasale Degeneration (Tab. 1&ndash;4). &laquo;Alle Erkrankungen gehen zwar mit &auml;hnlichen Symptomen einher wie die Parkinsonkrankheit &raquo;, sagt Perneczky, &laquo;aber das &alpha;-Synuclein ist anders abgelagert oder es ist ein anderes schadhaftes Protein involviert, n&auml;mlich Tau.&raquo;<br /> Bei der Lewy-Demenz und der Multisystematrophie aggregiert wie beim idiopathischen Parkinsonsyndrom &alpha;-Synuclein, bei der Blickparese und der kortikobasalen Degeneration hingegen Tau-Protein.<sup>1&ndash;3</sup> Bei der Parkinsonkrankheit und der Lewy- Demenz finden sich die &alpha;-Synuclein- Aggregate in Neuronen, bei der Multisystematrophie vorzugsweise in Oligodendrozyten. Bei der progressiven supranukle&auml;ren Blickparese und bei der kortikobasalen Degeneration aggregiert das Tau-Protein in Neuronen, Oligodendrozyten und Astrozyten. Die Morphologie der astrozyt&auml;ren Tau-Ablagerungen unterscheidet die beiden Krankheiten. Die Fehlfaltung und Aggregation der Proteine k&ouml;nnen einerseits zur Degeneration der betreffenden Zellen f&uuml;hren, andererseits k&ouml;nnen sie aber auch die Ausbreitung in angrenzende Hirnregionen f&ouml;rdern, sodass die Krankheit voranschreitet.<sup>4</sup> &laquo;Die Symptome der atypischen Parkinsonsyndrome h&auml;ngen von der Lokalisation der Ablagerungen ab&raquo;, erkl&auml;rt Perneczky. So &auml;ussert sich zum Beispiel die Multisystematrophie in einem klassischen Parkinsonsyndrom oder einer zerebell&auml;ren Ataxie, weil sich &alpha;-Synuclein vor allem im Kleinhirn und im Hirnstamm ablagert.</p> <p>Die <strong>Demenz mit Lewy-K&ouml;rperchen</strong> ist nach Alzheimer die zweith&auml;ufigste Form der neurodegenerativen Hirnleistungsst&ouml;rungen. Die Pr&auml;valenz in der Bev&ouml;lkerung &uuml;ber 65 Jahre betr&auml;gt etwa 0,4 % . Die Krankheit beginnt meist zwischen dem 50. und 80. Lebensjahr.<sup>5, 6</sup> Typisch f&uuml;r die Lewy-Demenz sind Schwankungen von Episoden geringer und gr&ouml;sserer kognitiver Leistungsf&auml;higkeit und optische Halluzinationen. So sind zum Beispiel die Betroffenen &uuml;berzeugt, ein bereits verstorbener Angeh&ouml;riger sitze mit am Tisch und unterhalte sich mit ihnen. In der Magnetresonanztomografie (MRT) kann eine Atrophie in Caudatum, Putamen und Thalamus nachgewiesen werden, wo die Alzheimererkrankung oft beginnt. Treten die kognitiven Einschr&auml;nkungen mindestens ein Jahr vor den motorischen Symptomen auf, ist eher von einer Demenz vom Lewy-Typ auszugehen. Hat der Patient hingegen Bewegungsst&ouml;rungen vor oder gleichzeitig mit den kognitiven St&ouml;rungen, wird diese Symptomatik &uuml;blicherweise als Parkinsonkrankheit mit Demenz eingeordnet. Die Therapie ist eine Herausforderung: Levodopa kann die Parkinsonsymptomatik bessern, aber die neuropsychiatrischen Symptome verschlechtern &ndash; deshalb sollten auch keine Dopaminagonisten verschrieben werden. Die Patienten sind besonders empfindlich gegen&uuml;ber den Nebenwirkungen von Antipsychotika, was die Therapie der h&auml;ufigen Halluzinationen erschwert.</p> <p>Die <strong>Multisystematrophie</strong> entwickelt sich bei 5 von 100 000 Menschen, meist in der 6. Lebensdekade. Nach im Schnitt 6&ndash;10 Jahren sterben die Patienten, meist an Aspiration oder n&auml;chtlichem Herz- Kreislauf-Stillstand. Die Multisystematrophie kann sich entweder vornehmlich als Parkinsonsyndrom &auml;ussern oder mit einer zerebell&auml;ren Symptomatik. Neben Bewegungsst&ouml;rungen leiden die Patienten unter vegetativen Symptomen, vor allem unter Harninkontinenz, erektiler Dysfunktion oder orthostatischer Hypotension. F&uuml;r die Diagnose muss der Patient mindestens ein Symptom der vegetativen Dysfunktion haben, eine sporadische, progrediente Parkinsonsymptomatik oder Ataxie und mindestens ein weiteres typisches Symptom oder es muss ein charakteristischer bildgebender Befund vorliegen. In der MRT zeigt sich eine Atrophie in Putamen, mittlerem Kleinhirnstiel, Pons und Zerebellum, in der FDG-PET ein Hypometabolismus in Putamen, Hirnstamm oder Zerebellum. Bei jedem dritten Patienten kann Levodopa die Parkinsonsymptomatik verbessern, gegen die Ataxie gibt es bisher keine gut wirksame Behandlung. Die vegetativen Symptome sollte man symptomatisch therapieren, denn diese schr&auml;nken die Lebensqualit&auml;t deutlich ein.</p> <p>Die <strong>progressive supranukle&auml;re Blickparese</strong> ist mit einer Pr&auml;valenz von 5&ndash;10 F&auml;llen/100 000 ebenfalls sehr selten. Im Mittel erkranken die Patienten mit 65 Jahren und sterben nach acht Jahren, oft an Aspiration wegen Schluckst&ouml;rungen. Am h&auml;ufigsten &auml;ussert sich die Krankheit mit Levodopa-resistentem akinetisch- rigidem Syndrom der axialen Muskulatur, Fallneigung nach hinten und vertikal betonter supranukle&auml;rer Blickparese. Typisch ist auch ein Frontalhirnsyndrom mit Antriebsminderung und St&ouml;rung der Exekutivfunktionen, zum Beispiel positivem Applaus-Zeichen: Nach dreimaligem Klatschen kann der Patient nicht mehr aufh&ouml;ren. Beobachtet wird oft auch eine pathologische Luria- Sequenz, das heisst, der Patient kann nicht mehr die Abfolge Handkante- Faust-Handfl&auml;che mindestens sechsmal korrekt hintereinander ausf&uuml;hren. Auch Sprech- und Schluckst&ouml;rungen und ein reduzierter Wortfluss sind typisch. Die Diagnose beruht auf Fallneigung und Augenbewegungsst&ouml;rungen, andere Verlaufsformen sind manchmal schwierig zu erkennen. In der MRT kann eine Atrophie in Mittelhirn und Frontalhirn nachgewiesen werden und im Levodopa-Test verbessert sich die Parkinsonsymptomatik in der Regel nur gering. Die Therapie ist rein symptomatisch.</p> <p>Die <strong>kortikobasale Degeneration</strong> ist mit einer Pr&auml;valenz von 1/100 000 noch seltener, sie tritt ebenfalls meist im Alter zwischen 60 und 70 Jahren auf und die Patienten sterben im Schnitt nach acht Jahren, meist an Aspiration. Bei der Krankheit kommt es zu Funktionsst&ouml;rungen von Basalganglien und Grosshirnrinde, meist deutlich asymmetrisch ausgepr&auml;gt. Zu den Basalgangliensymptomen z&auml;hlen Akinese, Rigor, Dystonie und Myoklonus, auch ein Tremor kann auftreten. Die meisten Patienten k&ouml;nnen sich nach einigen Jahren nicht mehr bewegen und werden pflegebed&uuml;rftig. Diverse kortikale Symptome k&ouml;nnen auftreten, zum Beispiel Apraxie, kortikaler Sensibilit&auml;tsverlust, Alien-Limb-Ph&auml;nomen, Pyramidenbahnzeichen, Verhaltensst&ouml;rungen oder Aphasien. Die Diagnose ist klinisch, in MRT beziehungsweise FDG-PET k&ouml;nnen eine asymmetrische parietale Atrophie, ein Hypometabolismus sowie pr&auml;- und postsynaptische nigrostriatale Degenerationen dargestellt werden. Die Therapie ist symptomatisch.<br /> F&uuml;r alle atypischen Parkinsonsyndrome gibt es aktualisierte Konsensus-Diagnosekriterien. &laquo;In der MRT findet man teilweise Hinweise auf die jeweils typischen Atrophiemuster&raquo;, sagt Perneczky, &laquo;etwa die asymmetrische parietale Atrophie bei kortikobasaler Degeneration.&raquo; Nuklearmedizinische Verfahren k&ouml;nnen weitere wertvolle Hinweise liefern. &laquo;Essenziell sind aber die gr&uuml;ndliche Anamnese und eine ausf&uuml;hrliche neurologische Untersuchung &raquo;, so Perneczky. &laquo;Daf&uuml;r muss man sich viel Zeit nehmen, wenn man den Verdacht auf ein atypisches Parkinsonsyndrom hat.&raquo; Dass es zurzeit nur symptomatische Therapien gibt, die teils schlechter anschlagen als bei Parkinson oder Alzheimer, m&uuml;sse man klar mit dem Patienten und den Angeh&ouml;rigen besprechen. &laquo;Nicht vergessen darf man, die sozialp&auml;dagogisch- pflegerische Unterst&uuml;tzung zu organisieren. Das entlastet nicht nur den Patienten, sondern auch die Angeh&ouml;rigen, die verst&auml;ndlicherweise oft sehr unter der Situation leiden.&raquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1802_Weblinks_lo_neuro_1802_s18_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="934" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1802_Weblinks_lo_neuro_1802_s19_tab2.jpg" alt="" width="1417" height="1334" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1802_Weblinks_lo_neuro_1802_s20_tab3+4.jpg" alt="" width="1417" height="2426" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Dickson DW: Parkinson&rsquo;s disease and parkinsonism: neuropathology. Cold Spring Harb Perspect Med 2012; 2. pii: a009258 <strong>2</strong> Wakabayashi K, Takahashi H: Pathological heterogeneity in progressive supra-nuclear palsy and corticobasal degeneration. Neuropathology 2004; 24: 79-86 <strong>3</strong> Jellinger KA: Neuropathological aspects of Alzheimer disease, Parkinson disease and frontotemporal dementia. Neurodegener Dis 2008; 5: 118-21 <strong>4</strong> Lim J, Yue Z: Neuronal aggregates: formation, clearance, and spreading. Dev Cell 2015; 32: 491-501 <strong>5</strong> McKeith IG et al.; Consortium on DLB: Diagnosis and management of dementia with Lewy bodies: third report of the DLK Consortium. Neurology 2005; 65: 1863-72 <strong>6</strong> Vann Jones SA, O&rsquo;Brien JT: The prevalence and incidence of dementia with Lewy bodies: a systematic review of population and clinical studies. Psychol Med 2014; 44: 673-83</p> </div> </p>
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