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Häufig übersehen, interdisziplinäre Therapie wichtig
Leading Opinions
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24.05.2018
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<p class="article-intro">Atypische Parkinsonsyndrome sind sehr selten und werden daher häufig übersehen oder als klassische Parkinsonkrankheit verkannt. Eine interdisziplinäre Therapie durch Neurologen und Psychiater sei wichtig, so Prof. Robert Perneczky, um die Symptome der Betroffenen so gut wie möglich zu lindern. Denn bisher gibt es keine kausale Behandlung.</p>
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<p class="article-content"><p>Rigor, Tremor, Akinese – schon im Studium denkt man bei diesen Symptomen sofort an ein Parkinsonsyndrom. Das primäre idiopathische Parkinsonsyndrom (Parkinsonkrankheit) wird verursacht durch α-Synuclein-Ablagerungen im Hirnstamm, was die typischen Symptome verursacht. Wenigen Kollegen seien jedoch die atypischen Parkinsonsyndrome bekannt, sagt Prof. Robert Perneczky, Leiter der Sektion für Psychische Erkrankungen im Alter an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Co-Direktor der Abteilung für Neuroepidemiologie und Altersforschung am Imperial College in London. «Sie sind zwar selten, aber weil sie häufig auch nicht motorische Symptome wie Depressionen und Apathie auslösen, profitieren die Patienten enorm von einer interdisziplinären Therapie mit Neurologen und Psychiatern.»<br /> Die wichtigsten atypischen Parkinsonsyndrome sind Demenz mit Lewy-Körperchen, Multisystematrophie, progressive supranukleäre Blickparese und kortikobasale Degeneration (Tab. 1–4). «Alle Erkrankungen gehen zwar mit ähnlichen Symptomen einher wie die Parkinsonkrankheit », sagt Perneczky, «aber das α-Synuclein ist anders abgelagert oder es ist ein anderes schadhaftes Protein involviert, nämlich Tau.»<br /> Bei der Lewy-Demenz und der Multisystematrophie aggregiert wie beim idiopathischen Parkinsonsyndrom α-Synuclein, bei der Blickparese und der kortikobasalen Degeneration hingegen Tau-Protein.<sup>1–3</sup> Bei der Parkinsonkrankheit und der Lewy- Demenz finden sich die α-Synuclein- Aggregate in Neuronen, bei der Multisystematrophie vorzugsweise in Oligodendrozyten. Bei der progressiven supranukleären Blickparese und bei der kortikobasalen Degeneration aggregiert das Tau-Protein in Neuronen, Oligodendrozyten und Astrozyten. Die Morphologie der astrozytären Tau-Ablagerungen unterscheidet die beiden Krankheiten. Die Fehlfaltung und Aggregation der Proteine können einerseits zur Degeneration der betreffenden Zellen führen, andererseits können sie aber auch die Ausbreitung in angrenzende Hirnregionen fördern, sodass die Krankheit voranschreitet.<sup>4</sup> «Die Symptome der atypischen Parkinsonsyndrome hängen von der Lokalisation der Ablagerungen ab», erklärt Perneczky. So äussert sich zum Beispiel die Multisystematrophie in einem klassischen Parkinsonsyndrom oder einer zerebellären Ataxie, weil sich α-Synuclein vor allem im Kleinhirn und im Hirnstamm ablagert.</p> <p>Die <strong>Demenz mit Lewy-Körperchen</strong> ist nach Alzheimer die zweithäufigste Form der neurodegenerativen Hirnleistungsstörungen. Die Prävalenz in der Bevölkerung über 65 Jahre beträgt etwa 0,4 % . Die Krankheit beginnt meist zwischen dem 50. und 80. Lebensjahr.<sup>5, 6</sup> Typisch für die Lewy-Demenz sind Schwankungen von Episoden geringer und grösserer kognitiver Leistungsfähigkeit und optische Halluzinationen. So sind zum Beispiel die Betroffenen überzeugt, ein bereits verstorbener Angehöriger sitze mit am Tisch und unterhalte sich mit ihnen. In der Magnetresonanztomografie (MRT) kann eine Atrophie in Caudatum, Putamen und Thalamus nachgewiesen werden, wo die Alzheimererkrankung oft beginnt. Treten die kognitiven Einschränkungen mindestens ein Jahr vor den motorischen Symptomen auf, ist eher von einer Demenz vom Lewy-Typ auszugehen. Hat der Patient hingegen Bewegungsstörungen vor oder gleichzeitig mit den kognitiven Störungen, wird diese Symptomatik üblicherweise als Parkinsonkrankheit mit Demenz eingeordnet. Die Therapie ist eine Herausforderung: Levodopa kann die Parkinsonsymptomatik bessern, aber die neuropsychiatrischen Symptome verschlechtern – deshalb sollten auch keine Dopaminagonisten verschrieben werden. Die Patienten sind besonders empfindlich gegenüber den Nebenwirkungen von Antipsychotika, was die Therapie der häufigen Halluzinationen erschwert.</p> <p>Die <strong>Multisystematrophie</strong> entwickelt sich bei 5 von 100 000 Menschen, meist in der 6. Lebensdekade. Nach im Schnitt 6–10 Jahren sterben die Patienten, meist an Aspiration oder nächtlichem Herz- Kreislauf-Stillstand. Die Multisystematrophie kann sich entweder vornehmlich als Parkinsonsyndrom äussern oder mit einer zerebellären Symptomatik. Neben Bewegungsstörungen leiden die Patienten unter vegetativen Symptomen, vor allem unter Harninkontinenz, erektiler Dysfunktion oder orthostatischer Hypotension. Für die Diagnose muss der Patient mindestens ein Symptom der vegetativen Dysfunktion haben, eine sporadische, progrediente Parkinsonsymptomatik oder Ataxie und mindestens ein weiteres typisches Symptom oder es muss ein charakteristischer bildgebender Befund vorliegen. In der MRT zeigt sich eine Atrophie in Putamen, mittlerem Kleinhirnstiel, Pons und Zerebellum, in der FDG-PET ein Hypometabolismus in Putamen, Hirnstamm oder Zerebellum. Bei jedem dritten Patienten kann Levodopa die Parkinsonsymptomatik verbessern, gegen die Ataxie gibt es bisher keine gut wirksame Behandlung. Die vegetativen Symptome sollte man symptomatisch therapieren, denn diese schränken die Lebensqualität deutlich ein.</p> <p>Die <strong>progressive supranukleäre Blickparese</strong> ist mit einer Prävalenz von 5–10 Fällen/100 000 ebenfalls sehr selten. Im Mittel erkranken die Patienten mit 65 Jahren und sterben nach acht Jahren, oft an Aspiration wegen Schluckstörungen. Am häufigsten äussert sich die Krankheit mit Levodopa-resistentem akinetisch- rigidem Syndrom der axialen Muskulatur, Fallneigung nach hinten und vertikal betonter supranukleärer Blickparese. Typisch ist auch ein Frontalhirnsyndrom mit Antriebsminderung und Störung der Exekutivfunktionen, zum Beispiel positivem Applaus-Zeichen: Nach dreimaligem Klatschen kann der Patient nicht mehr aufhören. Beobachtet wird oft auch eine pathologische Luria- Sequenz, das heisst, der Patient kann nicht mehr die Abfolge Handkante- Faust-Handfläche mindestens sechsmal korrekt hintereinander ausführen. Auch Sprech- und Schluckstörungen und ein reduzierter Wortfluss sind typisch. Die Diagnose beruht auf Fallneigung und Augenbewegungsstörungen, andere Verlaufsformen sind manchmal schwierig zu erkennen. In der MRT kann eine Atrophie in Mittelhirn und Frontalhirn nachgewiesen werden und im Levodopa-Test verbessert sich die Parkinsonsymptomatik in der Regel nur gering. Die Therapie ist rein symptomatisch.</p> <p>Die <strong>kortikobasale Degeneration</strong> ist mit einer Prävalenz von 1/100 000 noch seltener, sie tritt ebenfalls meist im Alter zwischen 60 und 70 Jahren auf und die Patienten sterben im Schnitt nach acht Jahren, meist an Aspiration. Bei der Krankheit kommt es zu Funktionsstörungen von Basalganglien und Grosshirnrinde, meist deutlich asymmetrisch ausgeprägt. Zu den Basalgangliensymptomen zählen Akinese, Rigor, Dystonie und Myoklonus, auch ein Tremor kann auftreten. Die meisten Patienten können sich nach einigen Jahren nicht mehr bewegen und werden pflegebedürftig. Diverse kortikale Symptome können auftreten, zum Beispiel Apraxie, kortikaler Sensibilitätsverlust, Alien-Limb-Phänomen, Pyramidenbahnzeichen, Verhaltensstörungen oder Aphasien. Die Diagnose ist klinisch, in MRT beziehungsweise FDG-PET können eine asymmetrische parietale Atrophie, ein Hypometabolismus sowie prä- und postsynaptische nigrostriatale Degenerationen dargestellt werden. Die Therapie ist symptomatisch.<br /> Für alle atypischen Parkinsonsyndrome gibt es aktualisierte Konsensus-Diagnosekriterien. «In der MRT findet man teilweise Hinweise auf die jeweils typischen Atrophiemuster», sagt Perneczky, «etwa die asymmetrische parietale Atrophie bei kortikobasaler Degeneration.» Nuklearmedizinische Verfahren können weitere wertvolle Hinweise liefern. «Essenziell sind aber die gründliche Anamnese und eine ausführliche neurologische Untersuchung », so Perneczky. «Dafür muss man sich viel Zeit nehmen, wenn man den Verdacht auf ein atypisches Parkinsonsyndrom hat.» Dass es zurzeit nur symptomatische Therapien gibt, die teils schlechter anschlagen als bei Parkinson oder Alzheimer, müsse man klar mit dem Patienten und den Angehörigen besprechen. «Nicht vergessen darf man, die sozialpädagogisch- pflegerische Unterstützung zu organisieren. Das entlastet nicht nur den Patienten, sondern auch die Angehörigen, die verständlicherweise oft sehr unter der Situation leiden.»</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1802_Weblinks_lo_neuro_1802_s18_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="934" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1802_Weblinks_lo_neuro_1802_s19_tab2.jpg" alt="" width="1417" height="1334" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1802_Weblinks_lo_neuro_1802_s20_tab3+4.jpg" alt="" width="1417" height="2426" /></p></p>
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<p><strong>1</strong> Dickson DW: Parkinson’s disease and parkinsonism: neuropathology. Cold Spring Harb Perspect Med 2012; 2. pii: a009258 <strong>2</strong> Wakabayashi K, Takahashi H: Pathological heterogeneity in progressive supra-nuclear palsy and corticobasal degeneration. Neuropathology 2004; 24: 79-86 <strong>3</strong> Jellinger KA: Neuropathological aspects of Alzheimer disease, Parkinson disease and frontotemporal dementia. Neurodegener Dis 2008; 5: 118-21 <strong>4</strong> Lim J, Yue Z: Neuronal aggregates: formation, clearance, and spreading. Dev Cell 2015; 32: 491-501 <strong>5</strong> McKeith IG et al.; Consortium on DLB: Diagnosis and management of dementia with Lewy bodies: third report of the DLK Consortium. Neurology 2005; 65: 1863-72 <strong>6</strong> Vann Jones SA, O’Brien JT: The prevalence and incidence of dementia with Lewy bodies: a systematic review of population and clinical studies. Psychol Med 2014; 44: 673-83</p>
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