Gesunder Schlaf – was ist das?
Autor:
Prim. Assoz. Prof. PD Dr. Stefan Seidel, FEAN
Ärztlicher Direktor Klinik Pirawarth
Die Augen öffnen, sich strecken und aus dem Bett steigen – man spürt morgens sehr rasch, ob man gut geschlafen hat. Woraus allerdings leitet sich dieser Eindruck ab, und was bedeutet er für den restlichen Tag? Gesunder Schlaf ist ein komplexes Phänomen, das sowohl kurz- als auch mittel- bis langfristige Auswirkungen auf unseren gesamten Körper hat.
Keypoints
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Gesunder Schlaf als homöostatischer Vorgang ist essenziell für die Aufrechterhaltung notwendiger Körperfunktionen.
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Gute Schlafqualität manifestiert sich durch eine ausgeglichene Stimmungslage, gute Vigilanz und die Fähigkeit, Erlebnisse adäquat verarbeiten zu können.
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Unser Verhalten tagsüber beeinflusst unsere Schlafqualität in hohem Maße („guter Schlaf durch Verhalten“).
Schlaf als adaptives Verhalten
Schlaf ist ein adaptives, energiekonservierendes Verhalten und richtet sich stark nach grundlegenden Bedürfnissen wie Nahrungsaufnahme und Paarungsverhalten sowie den räumlichen bzw. klimatischen Verhältnissen. Während wir Menschen neben anderen Spezies relativ rasch aus dem Schlaf erwachen, dauert das vollständige Erwachen aus der Hibernation (Winterschlaf) bzw. dem Torpor (Hungerschlaf) bei verschiedenen Tierarten deutlich länger, da entscheidende Stoffwechselvorgänge und die Körpertemperatur während dieser Zustände drastisch vermindert werden. Am anderen Ende des Spektrums der Anpassungsfähigkeit des Schlaf-wach-Verhaltens stehen längere Phasen der Schlaflosigkeit wie z.B. im Rahmen der Migration von Zugvögeln oder postpartale Wachphasen von Killerwalen und deren Kälbern.
Menschliches Wettbewerbsverhalten wie im Rahmen des mehrtägigen „Race across America“ veranlasst Athlet:innen, während des Rennens ihr Schlafpensum auf ein Minimum, d.h. wenige Stunden, zu reduzieren. Untersuchungen an Teilnehmer:innen haben gezeigt, dass es dadurch bereits ab dem 2. Wettkampftag zu spürbar negativen Veränderungen im emotionalen Erleben und der Verarbeitung von Sinneseindrücken kommt. Anhaltender Schlafmangel, wie eindrucksvoll im Spielfilm „Der Maschinist“ (2004) dargestellt, erhöht nicht nur die Fehleranfälligkeit, sondern hinterlässt auch sichtbare Spuren. Schlechter Schlaf führt zu einer Zunahme von sowohl ex- als auch intrinsischen Merkmalen der Hautalterung.
Schlafqualität – viele Einflussfaktoren
Die Güte des Schlafes wird im Alltag am häufigsten nach Eckpunkten wie der Dauer bis zum Einschlafen (Schlaflatenz), der Gesamtschlafzeit, der Anzahl der längeren Wachphasen während der Nacht, der Dauer bis zum Wiedereinschlafen und zu guter Letzt auch nach dem Befinden am Morgen beurteilt. Die Erinnerung an (Alb-)Träume kann, je nach Trauminhalten, ebenfalls die Beurteilung der Schlafqualität beeinflussen.
Verhalten tagsüber
Grundsätzlich wirken sich persönliche Erlebnisse und deren kognitiv-emotionale Verarbeitung tagsüber signifikant auf unseren Schlaf und dessen Qualität aus. Im Wachzustand ist unser Arousal naturgemäß stärker als im Schlaf und Angst/Angsterkrankungen sowie Distress begünstigen ein Hyperarousal, welches den Schlafbeginn verzögern und die Schlafdauer reduzieren kann. Vor dem Hintergrund der Schlafhomöostase (Prozess S), die in Abstimmung mit unserem zirkadianen Schlaf-wach-Signal (Prozess C) unser Schlafverhalten reguliert, stören verlängerte Schlafzeiten tagsüber und die Exposition gegenüber (künstlichem) Licht zur „falschen“ Zeit die Schlafperiode in der Nacht. Sowohl die Bestandteile der Mahlzeiten wie auch deren Regelmäßigkeit („meal timing“) stehen im Zusammenhang mit subjektiven und objektiven Schlafparametern. Praktisch gesehen ist eine Betonung der Kalorienzufuhr in der ersten Tageshälfte in Hinblick auf die Schlafqualität zu befürworten.
Verhalten nachts
Natürlich spielen die Temperatur, der Lärmpegel und die Lichtintensität im und rund um unser Schlafzimmer bzw. Wohnung eine Rolle, wenn wir gut schlafen wollen. Vor allem beim Paarschlaf ist die (Außen-)Schlafanamnese durch den/die Bettpartner:in für die Beurteilung des Verhaltens während des Schlafes besonders wichtig. Mit diesen Informationen können Schlafapnoen, Beinbewegungen im Schlaf und parasomnische Episoden im Schlaf frühzeitig erfasst werden, obwohl dem/der Schlafenden diese (noch) nicht bewusst geworden sind. Heutzutage wird allerdings häufig der Schlaf per Smartphone und entsprechenden Applikationen „getrackt“ und Schlafparameter werden teils akribisch protokolliert. Es ist ausdrücklich davor zu warnen, den Begriff der eigenen Schlafqualität mit einzelnen Schlafparametern wie z.B. dem prozentuellen Anteil des Tiefschlafs oder der durchschnittlichen arteriellen Sauerstoffsättigung im Blut gleichzusetzen.
Abb. 1: Grundlegende Bedürfnisse wie Nahrungsaufnahme/Metabolismus, Paarungsverhalten, räumliche und klimatische Verhältnisse regeln das Schlafverhalten der verschiedenen Spezies
Schlaf im Laufe des Lebens
Mit dem physiologischen Alterungsprozess nimmt die Schlafdauer nachts von der Geburt weg kontinuierlich ab, wobei sich die Schlafperiode im Säuglingsalter polyphasisch verteilt, um sich im Erwachsenenalter in den meisten Fällen auf ein monophasisches Muster zu konsolidieren. Erst im höheren Alter treten erneut bi- oder polyphasische Schlafmuster auf. Das Auftreten von neurodegenerativen Erkrankungen (Morbus Alzheimer, Demenz mit Lewy-Körperchen) sind sowohl mit einem fragmentierten Schlaf-wach-Verhalten als auch mit exzessiver Tagesschläfrigkeit vergesellschaftet.
Auch bei gesunden älteren Menschen nimmt die Schlafkontinuität, vermutlich auf Basis zellulärer Veränderungen im Hypothalamus, ab und die Zahl der Mikroarousals zu. Ebenso erhöht sich im Laufe des Lebens die Anzahl der in der Polysomnografie gemessenen Schlafapnoen und periodischen Beinbewegungen im Schlaf. In der klinischen Schlafmedizin sind daher Befunde einer Polysomnografie stets im Kontext des Alters, der Anamnese und des subjektiven Beschwerdebilds der Patient:innen zu interpretieren.
Abb. 2: Die Schlafqualität ist ein sehr subjektiver Parameter, wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst und kann zu sowohl positiven als auch negativen Konsequenzen führen
Schlaf und „brain health“
Der physiologische Vorgang „Schlaf“ erfüllt verschiedene Funktionen, die zur Gesundheit des Gehirns und damit des Individuums beitragen. Der Transport von neuronalen Metaboliten („neuronal waste“) über ein ausgeklügeltes Leitsystem, das glymphatische System, befreit das Gehirn von Amyloid-Plaques, die wiederum die Entstehung von Demenzen wie dem Morbus Alzheimer begleiten. Konkret wird im Non-REM-Schlaf über die Pumpfunktion der arteriellen Blutgefäße und zeitlich an die Deltawellen („slow wave activity“) gekoppelt interstitielle Flüssigkeit mit entsprechenden Abfallprodukten aus dem Gehirn transportiert.
Sowohl der Non-REM-Schlaf als auch der REM-Schlaf erfüllen Funktionen der Gedächtniskonsolidierung. So kommt es im Wachzustand zu einer Zunahme der synaptischen Dichte, die mit Beginn der Schlafperiode und durch die zyklische Abfolge zwischen Non-REM- und REM-Schlaf („Sequenz-Hypothese“ des Lernens) herunterreguliert wird. Durch Synchronisation zwischen hirnelektrischer Aktivität von Hippocampus, Thalamus und Kortex (hippocampo-thalamo-kortikale Kopplung) werden Gedächtnisinhalte reaktiviert, konsolidiert und in bestehende Inhalte integriert. Der REM-Schlaf und dessen Kontinuität spielt sowohl bei der Speicherung von impliziten Gedächtnisinhalten („prozedurales Gedächtnis“) als auch der emotionalen Verarbeitung von Erlebnissen im Wachzustand eine entscheidende Rolle.
Konsequenzen des Schlafes – Befindlichkeit tagsüber
In der Diskussion zum Thema „gesunder Schlaf“ und in der Klassifikation von Schlaf-wach-Störungen hat das Kriterium der Befindlichkeit und deren Störung im Wachzustand einen besonders hohen Stellenwert. Die Ansprüche daran wiederum sind von der individuellen Persönlichkeit, den jeweiligen Anforderungen an die eigene Person und der Lebensphase abhängig. Stehen in der Kindheit u.a. die Fähigkeit zum Spielen mit Freunden und Lernen in der Schule im Vordergrund, so ist für Erwachsene die Fähigkeit, sich im Beruf konzentrieren zu können oder am Abend noch genug Energie für ein Treffen mit Freunden zu haben, wesentlich. Ein weiterer, häufig unterschätzter Punkt ist die stabile Wachheit (Alertness, Vigilanz) tagsüber. Plakativ formuliert ist es zu keinem Zeitpunkt im Leben – unter der Voraussetzung eines ausreichend langen Nachtschlafes – „normal“, in monotonen Situationen wiederholt einzuschlafen. Diese exzessive Tagesschläfrigkeit betrifft etwa 5–10% der Allgemeinbevölkerung und ist aus schlafmedizinischer Sicht und vor allem wegen der erhöhten Unfallgefahr frühzeitig abzuklären.
Gestörte Nachtruhe – Schlafstörungen
Insuffizient langer und in seiner Phase gestörter Nachtschlaf wirken sich u.a. negativ auf exekutive Funktionen des zentralen Nervensystems und im größeren Kontext auf die Lebenserwartung des Menschen aus. Schlafstörungen werden gemäß der aktuellen Klassifikation (ICSD-III) anhand der klinischen Beschwerden und apparativer Zusatzuntersuchungen (Polysomnografie, Aktigrafie, Liquoruntersuchungen, Vigilanztests etc.) diagnostiziert. Sowohl bei häufigen Störungsbildern wie der Insomnie als auch seltenen Schlafstörungen wie der Narkolepsie schreitet die Präzisionsmedizin insofern voran, als dass wir heute die einzelnen Erkrankungen zunehmend besser phänotypisieren und künftig hoffentlich gezielter behandeln können. Trotz aller Fortschritte auf diesem Gebiet ist und bleiben unser Verhalten und der Umgang mit unserem Schlaf-wach-Rhythmus weiterhin ein wesentlicher Baustein auf dem Weg zu gesundem Schlaf.
Literatur:
beim Verfasser
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