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Studien mit Demenzkranken

«Ein Versuchskaninchen? Nein, danke!»

<p class="article-intro">Medikamentenstudien mit Demenzkranken sind erlaubt, selbst wenn die Ergebnisse nur anderen nützen und nicht dem Betroffenen selbst. Angehörige lehnen es oft vehement ab, dass ihr Partner, ihr Vater oder ihre Mutter an solchen Studien teilnehmen. Wir haben einen Medizinethiker gefragt, warum man diese Studien nicht per se ablehnen sollte und warum eine Patientenverfügung hier wenig sinnvoll ist. </p> <hr /> <p class="article-content"><p>Der 74-J&auml;hrige ist sichtlich aufgebracht: &laquo;Ein Versuchskaninchen? Nein, danke! Wenn ich &uuml;berhaupt an einer Studie teilnehmen w&uuml;rde, dann doch nur, wenn ich w&uuml;sste, was mit mir gemacht wird und warum.&raquo; H&auml;tte er eine Demenz, w&uuml;rde er niemals wollen, dass mit ihm eine Studie gemacht werde. &laquo;Und ich w&uuml;rde auch nie einwilligen, dass meine Frau teilnimmt, wenn sie eine Demenz bek&auml;me.&raquo; Sich f&uuml;r oder gegen die Teilnahme an einer Studie zu entscheiden, ist schon f&uuml;r kognitiv gesunde Menschen nicht einfach, und noch schwieriger ist dies bei urteilsunf&auml;higen Menschen wie bei denjenigen mit einer Demenz. In Deutschland wurde im November 2016 das Arzneimittelgesetz ge&auml;ndert. Bisher durften Patienten nur an einer Studie teilnehmen, wenn sie durch eine Verbesserung ihres Zustandes direkt davon profitieren konnten. Heute d&uuml;rfen Medikamentenstudien auch dann an urteilsunf&auml;higen Personen durchgef&uuml;hrt werden, wenn diese nicht davon profitieren k&ouml;nnen. Allerdings muss die Studie potenziell anderen Menschen mit Demenz nutzen. Dieses &laquo;Nutzenpotenzial&raquo; ist die Bedingung f&uuml;r ethisch und rechtlich legitime Forschung. Am letzten Kongress der Deutschen Gesellschaft f&uuml;r Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie, DGPPN, im November 2016 in Berlin wurde in einer Podiumsdiskussion heiss diskutiert, ob so eine ausschliesslich gruppenn&uuml;tzige Forschung &uuml;berhaupt zul&auml;ssig sei.1 Wir haben den Medizinethiker Prof. Dr. med. Georg Marckmann von der Ludwig-Maximilians-Universit&auml;t M&uuml;nchen gefragt, wie man Angeh&ouml;rige am besten ber&auml;t, wenn es um klinische Studien mit Demenzpatienten geht. Herr Professor Marckmann, warum sollte man einen Angeh&ouml;rigen mit Demenz an einer Studie teilnehmen lassen, wenn dieser davon nicht profitiert? G. Marckmann: Nat&uuml;rlich muss man das nicht. Aber zum einen gibt es altruistische Gr&uuml;nde: Die Studienergebnisse k&ouml;nnen anderen Menschen mit Demenz n&uuml;tzen. Zum anderen kann eine Teilnahme an so einer rein gruppenn&uuml;tzigen Studie durchaus Vorteile haben, die nichts mit dem Studienergebnis zu tun haben: In Studien werden die Patienten oft intensiver vom Arzt und von den Pflegenden betreut. Durch den engen Kontakt k&ouml;nnten sich die Demenzkranken wohler f&uuml;hlen oder vielleicht auch besser versorgt werden. F&uuml;r Arzneimittelstudien mit Demenzkranken muss man Blut abnehmen, Urin- oder Stuhlproben gewinnen, eine CT oder MRT vom Gehirn machen. Das belastet doch die Betroffenen sehr &hellip; G. Marckmann: Das ist individuell unterschiedlich &ndash; auch bei Menschen ohne Demenz ist das ja so. Manchen Patienten machen mehrmalige Blutabnahmen oder eine MRT nichts aus, andere empfinden schon einen kleinen Pieks als unangenehm. Deshalb ist &ndash; dem internationalen Standard entsprechend &ndash; im Gesetz2 klar geregelt: Die Studie darf nur mit minimalen Risiken und Belastungen verbunden sein und sie muss wesentliche Erkenntnisse bringen, die Personen mit derselben Krankheit n&uuml;tzen k&ouml;nnen. Mit einem Kollegen habe ich &uuml;brigens neulich das neue Gesetz in Deutschland kommentiert.3 Vielleicht findet man hier auch noch Argumente, um seine Patienten gut zu beraten. Im Schweizer Humanforschungsgesetz ist nicht nur die Arzneimittelpr&uuml;fung geregelt, wie im deutschen Arzneimittelgesetz, sondern ganz allgemein die Forschung am Menschen.4 Das finde ich vern&uuml;nftig, bei uns in Deutschland ist die nicht medikament&ouml;se Forschung am Menschen aktuell nicht gesetzlich geregelt. Solche Studien halte ich aber f&uuml;r viel wichtiger bei Demenzkranken. Was w&auml;ren das f&uuml;r Studien? G. Marckmann: Zum Beispiel Biomarker zu suchen, mit denen man eine Demenz fr&uuml;her feststellen oder den Verlauf besser vorhersagen kann. Oder retrospektive Studien, ob eine bestimmte Behandlung dem Demenzkranken geholfen hat. Er selbst profitiert davon dann nicht mehr, denn er wurde ja schon therapiert. Daf&uuml;r k&ouml;nnen anderen Menschen mit Demenz solche Erkenntnisse sehr helfen. Zum Beispiel, indem man ihnen eine belastende Behandlung erspart, weil sie nicht hilft. Aber das sind alles theoretische Beispiele. Ich habe mit vielen Neurologen und Gerontopsychiatern gesprochen, keiner konnte mir ein gutes Beispiel einer sinnvollen ausschliesslich gruppenn&uuml;tzigen Medikamentenstudie nennen. Medikamente werden ja entwickelt, um Krankheiten zu behandeln, und wenn man wissen will, ob sie wirken, muss man sie an Patienten mit genau dieser Krankheit testen. Damit kann die Studie jemandem n&uuml;tzen und ist somit keine ausschliesslich gruppenn&uuml;tzige Forschung. Ich zweifle daher an der praktischen Relevanz des neuen Gesetzes. Egal ob eine Studie einem selbst oder anderen n&uuml;tzt: Ich k&ouml;nnte doch in einer Patientenverf&uuml;gung festlegen, ob ich im Falle einer Demenz an einer Studie teilnehmen m&ouml;chte oder nicht. G. Marckmann: Ja, das k&ouml;nnten Sie. Aber es ist sehr schwierig, alle m&ouml;glichen zuk&uuml;nftigen Studien vorherzusehen und detailliert zu beschreiben. Die Medizin entwickelt sich sehr schnell. Vielleicht wird es in ein paar Jahren eine M&ouml;glichkeit geben, schmerzlos Biomarker im Blut zu bestimmen. Oder jemand erfindet eine Technik, mit der man das Gehirn darstellen kann, ohne dass Sie in eine MRT-R&ouml;hre m&uuml;ssen. Dann empf&auml;nden Sie es vielleicht gar nicht so schlimm, an einer Studie teilzunehmen. Vielleicht entwickelt auch jemand ein Arzneimittel, das mit einer grossen Wahrscheinlichkeit Alzheimer heilen k&ouml;nnte &ndash; auch dann w&uuml;rden Sie vielleicht eher an einer Studie teilnehmen wollen. Beim Mammakarzinom hat fr&uuml;her keiner gedacht, dass es einmal Antik&ouml;rper geben w&uuml;rde, die den Krebs heilen und viel vertr&auml;glicher als eine Chemotherapie sind. So etwas k&ouml;nnte theoretisch auch bei Alzheimer passieren. Dies l&auml;sst sich aber nicht vorhersagen. Deshalb kann man auch mit einer noch so detaillierten Patientenverf&uuml;gung auf solche Situationen nicht eingehen. Was soll man stattdessen raten? G. Marckmann: Zun&auml;chst sollte man potenziellen Studienteilnehmern und ihren Angeh&ouml;rigen erkl&auml;ren, wie klinische Studien funktionieren. Auf den Internetseiten der Koordinationsstelle f&uuml;r Forschung am Menschen (KOFAM) des Bundesamtes f&uuml;r Gesundheit gibt es zum Beispiel einen anschaulichen Film, der die Grundlagen klinischer Forschung verst&auml;ndlich erkl&auml;rt.5 Besser als eine Verf&uuml;gung f&auml;nde ich, wenn man sich mit seinem Partner, den Kindern oder anderen Angeh&ouml;rigen &uuml;ber das Studienthema austauscht. Bek&auml;me man irgendwann eine Demenz, w&uuml;rden dann die Angeh&ouml;rigen &ndash; idealerweise als gesetzliche Vertreter &ndash; entscheiden, ob man an einer Studie teilnimmt oder nicht. Zum Beispiel w&uuml;rden die Kinder einer demenzkranken Frau vielleicht eine Studie ablehnen, wenn sie wissen, dass die Mutter Blutabnahmen schon immer sehr unangenehm gefunden und in der MRT-R&ouml;hre Platzangst bekommen hat. Der Ehemann einer anderen demenzkranken Frau w&uuml;rde einer Studie vielleicht zustimmen, weil seine Frau medizinische Forschung immer schon wichtig gefunden hat und die medizinische Diagnostik sie kaum belastet. So eine Entscheidung ist nat&uuml;rlich nicht einfach. Angeh&ouml;rige, rechtliche Vertreter, der Hausarzt und der Studienarzt sollten sich deshalb ausreichend Zeit nehmen, um das im Einzelfall abzuw&auml;gen. Demenzkranke m&uuml;ssen unbedingt vor Belastungen und Risiken gesch&uuml;tzt werden, aber es sollte auch sinnvolle Forschung erm&ouml;glicht werden, damit wir die Alzheimerkrankheit irgendwann besser behandeln k&ouml;nnen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Ethik, Philosophie und Spiritualit&auml;t: Forschung mit Demenzpatienten und anderen nicht-einwilligungsf&auml;higen Patienten. Diskussionsforum am DGPPN-Kongress 2016; 24. November 2016, Berlin <strong>2</strong> <a href="https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20061313/index.html">https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20061313/index.html</a> <strong>3</strong> Marckmann G, Pollm&auml;cher T: Ausschliesslich gruppenn&uuml;tzige Forschung mit nichteinwilligungsf&auml;higen Menschen. Ein Kommentar zur &Auml;nderung des Arzneimittelgesetzes. Nervenarzt 2017; 5: DOI: 10.1007/s00115-017-0315-1 <strong>4</strong> <a href="http://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2009/8163.pdf">www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2009/8163.pdf</a> <strong>5</strong> <a href="http://www.kofam.ch">www.kofam.ch</a></p> </div> </p>
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