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Blutbiomarker-Diagnostik in der klinischen Praxis: Anwendungsempfehlungen

Blutbasierte Biomarker (BBM) eröffnen neue Möglichkeiten für die frühzeitige Diagnostik der Alzheimererkrankung. Sie könnten die Identifikation von Patient:innen mit kognitiven Beeinträchtigungen erleichtern und damit den Zugang zu wirksamen Therapien beschleunigen. Gleichzeitig erfordern sie eine klare Indikationsstellung, standardisierte Testverfahren und eine sorgfältige Interpretation im klinischen Gesamtkontext.

Keypoints

  • Blutbasierte Biomarker (BBM) haben das Potenzial, die Diagnostik kognitiver Störungen zu optimieren und so die Versorgung von Patient:innen erheblich zu verbessern.

  • BBM sollten nur nach einer umfassenden klinischen Abklärung und bei klarer Indikationsstellung eingesetzt werden. Die Testergebnisse müssen stets im klinischen Gesamtkontext interpretiert werden.

  • Der Einsatz von BBM bei asymptomatischen Personen bzw. Personen ohne objektivierbare kognitive Defizite wird derzeit nicht empfohlen.

  • Die fehlende Standardisierung und unzureichende Validierung in heterogenen Kohorten begrenzen derzeit die breite und verlässliche Routineanwendung von BBM.

Hintergrund und klinischer Bedarf

Mit der Zulassung krankheitsmodifizierender Therapien für die Alzheimererkrankung (AD) erhält die frühe, biologische Diagnosestellung der AD eine zentrale Bedeutung. Die Anti-Amyloid-Antikörper dürfen ausschließlich in den frühen Krankheitsstadien der AD eingesetzt werden (=milde kognitive Beeinträchtigung [MCI] oder milde Demenz) und erfordern vor Therapiebeginn den Nachweis einer zerebralen Amyloid-Pathologie.1,2 Die Verfügbarkeit dieser neuen Therapieoptionen unterstreicht die dringende Notwendigkeit einer präzisen, Biomarker-basierten Diagnostik, um betroffene Personen möglichst früh im Krankheitsverlauf zu identifizieren – zu einem Zeitpunkt, zu dem der therapeutische Nutzen am größten ist.

Die bereits etablierten Biomarker (PET und Liquor) haben die diagnostische Genauigkeit zwar maßgeblich verbessert, die breite Routineanwendung ist jedoch aufgrund hoher Kosten, begrenzter Verfügbarkeit und Invasivität der jeweiligen Untersuchungen limitiert.3,4

Potenzial und Grenzen blutbasierter Biomarker

Blutbasierte Biomarker (BBM) haben das Potenzial, den diagnostischen Prozess wesentlich zu verbessern. Sie sind kostengünstiger, leichter verfügbar und breiter einsetzbar als die bereits etablierten Biomarker und könnten damit den bestehenden diagnostischen Flaschenhals deutlich erweitern, die Zahl und Kosten der weiterführenden Untersuchungen reduzieren und somit mehr Personen mit kognitiver Beeinträchtigung eine rasche und zeitgerechte Diagnosestellung ermöglichen – speziell im Kontext der Antikörpertherapien.3–6

Der derzeit vielversprechendste Marker ist phosphoryliertes Tau (pTau) 217. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass pTau217 eine höhere diagnostische Genauigkeit für die Vorhersage des zerebralen Amyloid-Status sowie für die Differenzierung der AD von anderen neurodegenerativen Erkrankungen aufweist als andere pTau-Isoformen oder die Amyloid-beta(Aβ)-42/40- Ratio.7 Hinsichtlich der Prädiktion zerebraler Amyloid-Ablagerungen erreicht Plasma-pTau217 eine diagnostische Genauigkeit, die mit klinisch etablierten Liquor-Biomarkern vergleichbar ist und diese in einzelnen Studien sogar übertrifft.8,9 Im Mai 2025 wurde der erste Bluttest – ein kombinierter pTau217/Aβ42-Test – von der FDA zur Erkennung der Alzheimerpathologie bei symptomatischen Patient:innen zugelassen.

Mit der zunehmenden Verfügbarkeit kommerzieller BBM – bei gleichzeitig beträchtlicher Variabilität in der diagnostischen Performance sowie fehlender Standardisierung – rückt die Frage in den Vordergrund, wie diese Marker verantwortungsvoll in die klinische Routine integriert werden können. Ein im vergangenen Jahr veröffentlichtes Konsensus-Statement der Global CEO Initiative on Alzheimer’s Disease bietet hierfür eine wichtige Orientierungsgrundlage und definiert die minimale akzeptable Testperformance für zwei klinische Anwendungsbereiche, um den diagnostischen Prozess von Patient:innen mit einer symptomatischen AD effizienter zu gestalten:10,11

  • Triage-Test: Vorauswahl von Personen mit hoher oder niedriger Wahrscheinlichkeit für eine Amyloid-Pathologie, um gezielt eine weiterführende Diagnostik (PET oder CSF) durchzuführen

  • Bestätigungstest: Nachweis der Amyloid-Pathologie ohne weitere Testung

Ein negatives Testergebnis eines Triage-Tests macht das Vorliegen einer Amyloid-Pathologie sehr unwahrscheinlich und sollte Anlass geben, andere Ursachen der kognitiven Beeinträchtigung weiter abzuklären. Ein positives Ergebnis hingegen weist auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Amyloid-Pathologie hin und erfordert eine Bestätigung mittels PET oder Liquors. Beim Bestätigungstest würde ein positives Ergebnis im klinischen Gesamtkontext eine Amyloid-Pathologie nachweisen, sodass in der Regel keine zusätzliche Testung erforderlich ist.10,11

Der Fokus auf symptomatischen Patient:innen ergibt sich aus mehreren Gründen: Die Anti-Amyloid-Antikörper sind bisher nur für Personen mit kognitiver Beeinträchtigung und nachgewiesener Amyloid-Pathologie zugelassen (=Biomarker-gesicherte symptomatische AD). Zudem ist der prognostische Nutzen von BBM-Tests für asymptomatische Personen bislang nicht ausreichend geklärt. Darüber hinaus müssen die ethischen Implikationen im Zusammenhang mit der Diagnose einer AD bei kognitiv unbeeinträchtigten Individuen sorgfältig in Betracht gezogen werden, insbesondere da es für diese Personen bislang keine Therapien gibt und außerdem unklar ist, ob und wann die Amyloid-Pathologie in diesem Stadium zur Entwicklung der Erkrankung führen wird.10,12

Trotz ihres erheblichen Potenzials sind BBM kein Ersatz für die klinische Diagnostik. Auch in den kürzlich publizierten Guidelines der Alzheimer’s Association wird betont, dass BBM keine Screening-Instrumente sind und damit nicht vor einer umfassenden klinischen Abklärung bei Personen mit kognitiven Defiziten eingesetzt werden sollten.13 Darüber hinaus können Komorbiditäten (z.B. Adipositas, chronische Niereninsuffizienz) und bestimmte Medikamente (z.B. Neprilysin-Inhibitoren zur Behandlung der Herzinsuffizienz) die Testergebnisse beeinflussen und müssen daher bei der Interpretation berücksichtigt werden.14,15

Anforderung an die Test-Performance

Für den Einsatz als Triage-Test sollte ein BBM eine Sensitivität von ≥90% aufweisen, um die Zahl an falsch negativen Ergebnissen möglichst gering zu halten.11 Dies ist besonders wichtig, da bei einem negativen Testergebnis in der Regel keine weiterführende Diagnostik mittels Amyloid-PET oder Liquoranalyse vorgesehen ist. Die erforderliche Spezifität hängt vom jeweiligen Setting und der Verfügbarkeit der Bestätigungstests ab: In der Primärversorgung sollte sie bei ≥85% liegen, während im spezialisierten Setting (z.B. Gedächtnisambulanzen) mit ausreichender Kapazität eine Spezifität von ≥75% akzeptabel ist.11,13

Da Triage-Tests in erster Linie dazu dienen, Personen zu identifizieren, bei denen eine Amyloid-Pathologie unwahrscheinlich ist (=negatives Testergebnis, „rule out“), ist es wichtig, die Prävalenz bzw. Vortestwahrscheinlichkeit in der jeweiligen Population zu berücksichtigen, da sie die prädiktive Aussagekraft der Biomarker-Tests maßgeblich beeinflusst. Liegt die Vortestwahrscheinlichkeit einer Amyloid-Pathologie unter 50% – wie z.B. in der Primärversorgung –, ist ein negatives Testergebnis mit einem hohen negativ prädiktiven Wert (NPV) verbunden, womit eine Amyloid-Pathologie mit hoher Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Bei einer Vortestwahrscheinlichkeit von über 50% ist ein negatives Testergebnis hingegen nicht ausreichend, um eine Amyloid-Pathologie zuverlässig auszuschließen, und das Ergebnis muss daher im klinischen Gesamtkontext gewertet werden.11

Für den Einsatz als alleiniger Bestätigungstest ohne zusätzliche PET- oder Liquor-Untersuchung sollten Sensitivität und Spezifität jeweils ≥90% betragen. Bei geringerer Test-Performance wird weiterhin die Durchführung von PET- oder Liquor-Diagnostik empfohlen, insbesondere bei Therapieentscheidungen. Ein Bestätigungstest ist nur sinnvoll, wenn die Vortestwahrscheinlichkeit bei über 50% liegt. In diesem Szenario ist ein positives Ergebnis mit einem hohen positiven prädiktiven Wert (PPV) verbunden („rule in“).11

Zur Verbesserung der diagnostischen Genauigkeit wird zudem die Einführung von zwei Grenzwerten („two cut-offs approach“) empfohlen.5,16 Dabei werden die Ergebnisse in „positiv“, „intermediär“ und „negativ“ eingeteilt. Intermediäre Befunde sollten weniger als <20% der Ergebnisse ausmachen und erfordern eine weitere Abklärung oder eine wiederholte Testung.11

Limitationen und potenziell unerwünschte Effekte

Wenn BBM-Tests sachgerecht eingesetzt werden, sind die potenziellen Nachteile gering. Problematisch wird es jedoch, wenn sie ohne ausreichende Schulung oder in diagnostisch unzureichend strukturierten Versorgungssystemen angewendet werden. Die niedrigen Kosten und die hohe Zugänglichkeit erhöhen das Risiko für ein „Übertesten“ und könnten dadurch zu einer zusätzlichen Belastung des Gesundheitssystems führen. Zudem besteht die Gefahr, dass Bluttests als vermeintlich schnelle Abkürzung wahrgenommen werden und eine sorgfältige klinische Abklärung in den Hintergrund tritt. Eine unangemessene Testanwendung kann zu falsch positiven oder falsch negativen Ergebnissen führen, die Therapieentscheidungen verzerren oder die notwendige weiterführende Diagnostik verzögern. Gerade in Grenzbereichen oder bei atypischen Präsentationen bleibt die klinische Expertise daher unverzichtbar. Ein weiteres wesentliches Problem ist die Variabilität der Test-Performance zwischen verschiedenen Plattformen und Herstellern, die fälschlicherweise als austauschbar wahrgenommen werden könnten. Dies gilt insbesondere für „Direct-to-consumer“(DTC)-Tests, die ein erhebliches Risiko für Fehlinterpretationen und unnötige Verunsicherung bergen. Zudem wurde ein Großteil der BBM bisher nur in spezialisierten, hoch selektierten Kohorten untersucht. Für eine breite Routinanwendung sind daher eine Standardisierung der Tests sowie Validierungen in heterogeneren, weniger vorselektierten Populationen notwendig, um einheitliche, verlässliche und reproduzierbare Ergebnisse sicherzustellen.13

Zusammenfassung

Mit der Verfügbarkeit krankheitsmodifizierender Therapien steigt die Notwendigkeit einer frühen und präzisen Diagnostik der AD. BBM-Tests mit hoher diagnostischer Genauigkeit könnten zukünftig wesentlich dazu beitragen, dass mehr Personen mit kognitiver Beeinträchtigung frühzeitig eine gesicherte Diagnose und gegebenenfalls Zugang zu wirksamen Therapien erhalten. Voraussetzung für einen sicheren und sinnvollen Einsatz ist jedoch die Einbettung in eine strukturierte diagnostische Strategie. BBM sollten ausschließlich nach einer klinischen Abklärung eingesetzt werden und ihre Ergebnisse müssen stets im Gesamtkontext interpretiert werden. Für asymptomatische Personen ist der Einsatz derzeit nicht gerechtfertigt. Darüber hinaus sind Standardisierung, Qualitätssicherung und die Validierung in breiteren, weniger selektierten Populationen entscheidend, um eine verlässliche Routinediagnostik zu ermöglichen.

1 Dyck CH van et al.: Lecanemab in early Alzheimer’s disease. N Engl J Med 2023; 388(1): 9-212 Sims JR et al.: Donanemab in early symptomatic Alzheimer disease. JAMA 2023; 330(6): 512-273 Schindler SE, Atri A: The role of cerebrospinal fluid and other biomarker modalities in the Alzheimer’s disease diagnostic revolution. Nat Aging 2023; 3(5): 460-24 Hampel H et al.: Blood-based biomarkers for Alzheimer’s disease: Current state and future use in a transformed global healthcare landscape. Neuron 2023; 111(18): 2781-995 Hansson O et al.: Blood biomarkers for Alzheimer’s disease in clinical practice and trials. Nat Aging 2023; 3(5): 506-196 Hansson O et al.: The Alzheimer’s Association appropriate use recommendations for blood biomarkers in Alzheimer’s disease. Alzheimer’s Dementia 2022; 18(12): 2669-867 Palmqvist S et al.: Discriminative accuracy of plasma phospho-tau217 for Alzheimer disease vs other neurodegenerative disorders. JAMA 2020; 324(8): 772-818 Barthélemy NR et al.: Highly accurate blood test for Alzheimer’s disease is similar or superior to clinical cerebrospinal fluid tests. Nat Med 2024; 30(4): 1085-959 Teunissen CE et al.: Plasma p-tau immunoassays in clinical research for Alzheimer’s disease. Alzheimer’s Dement 2024; 21(1): e1439710 Mielke MM et al.: Recommendations for clinical implementation of blood-based biomarkers for Alzheimer’s disease. Alzheimer’s Dement 2024; 20(11): 8216-2411 Schindler SE et al.: Acceptable performance of blood biomarker tests of amyloid pathology – recommendations from the Global CEO Initiative on Alzheimer’s Disease. Nat Rev Neurol 2024; 20(7): 426-3912 Dubois B et al.: Alzheimer disease as a clinical-biological construct – an international working group recommendation. JAMA Neurol 2024; 81(12) 13 Palmqvist S et al.: Alzheimer’s Association Clinical Practice Guideline on the use of blood-based biomarkers in the diagnostic workup of suspected Alzheimer’s disease within specialized care settings. Alzheimer’s Dement 2025; 21(7): e7053514 Mielke MM et al.: Performance of plasma phosphorylated tau 181 and 217 in the community. Nat Med 2022; 28(7): 1398-40515 Brum WS et al.: Effect of neprilysin inhibition on Alzheimer disease plasma biomarkers. JAMA Neurol 2024; 81(2): 197-20016 Brum WS et al.: A two-step workflow based on plasma p-tau217 to screen for amyloid β positivity with further confirmatory testing only in uncertain cases. Nat Aging 2023; 3(9): 1079-90

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