
Auswahl von Erhaltungstherapien bei Myasthenia gravis
Bericht:
Dr. rer. nat. Torsten U. Banisch
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Durch eine Vielzahl an neuen biologischen Behandlungsalternativen konnte das Myasthenia-gravis-Therapiefeld weitreichend verbessert werden. Im Folgenden werden die Richtlinien zur Überwachung des Krankheitsverlaufes und zur individualisierten Auswahl einer verlaufsmodifizierenden Therapie vorgestellt.
Myasthenia gravis (MG) ist eine sehr heterogene Erkrankung. Am häufigsten sind die Early-onset-MG (20% der Patient:innen <50 Jahren) und die Late-onset-MG (45% der Patient:innen >50 Jahre), die durch Acetylcholin-Rezeptor-(AChR)- oder AChR- und Titin-Autoantikörper verursacht werden. Seltener sind Varianten, denen Muskelspezifische-Kinase(MuSK)-Autoantikörper (3%) oder „Lipoprotein-related protein“(LRP)-4-Autoantikörper (1%) zugrunde liegen. Die Auslöser der MG sind nicht vollständig geklärt. Die genetische Prädisposition und exogene Faktoren wie virale Infekte, die zu einem Verlust der körpereigenen Toleranz führen, spielen eine wichtige Rolle. „Bei MG erfolgt eine lawinenartige Ausbreitung von Effektormechanismen, wie die Aktivierung verschiedener Zelltypen (T-, B-Zellen), erhöhte Antikörperproduktion und schließlich die Gewebsschädigung“, erklärt PD Dr. Julia Wanschitz von der Medizinischen Universität Innsbruck.1,2
Grundlagen für die Therapiewahl
In den letzten Jahren hat eine Vielzahl an biologischen Behandlungsmöglichkeiten das Therapiefeld bereichert und findet als verlaufsmodifizierende Therapien oder bei Refraktärität Anwendung. Je nach Fortschritt in der immunologischen Kaskade können verschiedene Substanzklassen zum Einsatz kommen: Breitspektrum-Immunsuppressiva bei T-Zell-Aktivierung, Antizytokine, CAR-T-Zell-Therapien bei B-Zell-Aktivierung und in späteren Schritten B-Zell-Inhibitoren, Anti-CD20-Antikörper (u.a. Rituximab), Blocker des neonatalen Fc-Rezeptors (FcRn) (wie Efgartigimod, Rozanolixizumab) und Inhibitoren des Komplementfaktors C5 (wie Eculizumab, Ravulizumab, Zilucoplan).3
Neben der Krankheitskontrolle steht die Stabilisierung des Krankheitsverlaufes im Vordergrund. „Die Fluktuation der Symptomatik ist für Patient:innen sehr belastend, weil sie den Tag nicht gut planen können“, so Wanschitz. Bei ca. 10–15% der Patient:innen liegt aufgrund von Therapieresistenz oder verminderter Therapiefähigkeit eine unvollständige Kontrolle mit Krankheitsaktivität vor, die durch Instabilität, Verschlechterung, Fluktuation und residuale Symptome gekennzeichnet ist. Zur Verlaufskontrolle und Bestimmung, wann eine Erhaltungstherapie eingesetzt werden sollte, dienen u.a. der „MG activities of daily living“(MG-ADL)-Score und der quantitative MG(QMG)-Score. In einer Studie wurde gezeigt, dass 47% der Patient:innen (n=1077) in ihrer Einschätzung unter einem Schwellenwert von <3 MG-ADL lagen, also mit ihrem Krankheitszustand unter einer Therapie nicht zufrieden waren. Zu den Risikofaktoren gehörten eine früh einsetzende MG, eine verzögerte Diagnose, weibliches Geschlecht und Adipositas.4
Upstream-Targeting-Ansätze
Immunsuppressiva greifen früh in die immunologische Kaskade ein und ermöglichen eine breite Immunmodulation. Dies reduziert dauerhaft die Antikörperbelastung und bietet gute Chancen für eine Remission. Allerdings besteht das Risiko für Nebenwirkungen und es kann mehrere Wochen dauern, bis Behandlungseffekte spürbar sind. Eine Alternative ist die Thymektomie, die bei Patient:innen mit AChR-Antikörper(Ak)-positiver generalisierter MG (gMG) im Alter zwischen 18 und 65 Jahren möglichst früh nach Diagnose erfolgen sollte. Sie kann auch bei seronegativer gMG und LRP4-Ak-positiver gMG mit hoher Krankheitsaktivität erwogen werden, MuSK-Ak-positive Patient:innen sollten nicht thymektomiert werden.1 Zudem konnten Beobachtungsstudien und Real-World-Daten zeigen, dass eine Frühbehandlung mit Rituximab bei hochaktiver MG positive Behandlungsergebnisse erzielt.5,6
Downstream-Targeting-Therapie
Selektive Biologika werden in der Downstream-Targeting-Therapie eingesetzt. Sie haben ein geringeres Nebenwirkungspotenzial, es treten aber vermehrt Resistenzen auf und die Remissionsraten sind gering.1,7 Die FcRn-Rezeptor-Inhibitoren Efgartigimod und Rozanolixizumab richten sich gegen das IgG-Recycling, bei dem zirkulierende IgG durch FcRn vor lysosomalem Abbau in Endothelzellen geschützt werden. Die Präparate werden wöchentlich über 4–6 Wochen verabreicht und reduzieren den IgG-Spiegel schnell.8,9 Mit den anti-FcRn-monoklonalen Antikörpern Nipocalimab und Batoclimab stehen zusätzliche Therapiealternativen in Aussicht.10,11
Eingesetzt werden auch C5-Inhibitoren, die die Aktivierung der Komplementkaskade, den zentralen Wirkmechanismus bei AChR-Ak-positiver MG, inhibieren. Sie werden intravenös wöchentlich (Eculizumab), 8-wöchentlich (Ravulizumab) oder subkutan täglich (Zilucoplan) verabreicht.12–14 Letzteres ist besonders für Langzeiterkrankte mit schlechtem Venenstatus eine gute Alternative.
Ein wichtiger Faktor in der Therapiewahl ist ein Familienwunsch, bei dem vom Einsatz klassischer Immunsuppressiva wie Mycophenolat-Mofetil, Methotrexat, Cyclophosphamid und von Rituximab abgesehen werden soll.15 „Es empfiehlt sich eine Therapieunterbrechung von 6 Monaten vor dem Beginn einer Schwangerschaft“, so Wanschitz.
Ausblick: Anti-CD19-Therapien und IgG-Degradierer
Aktuelle klinische Studien zielen auf das Oberflächenantigen CD19 ab, um auf noch frühere B-Zell-Differenzierungsstadien einzuwirken und um eine potentere Reduktion der Antikörperproduktion zu erreichen. Die Phase-III-Studie MINT untersucht den Nutzen von Inebilizumab bei MG mit AChR- oder MuSK-Autoantikörpern. Patient:innen erhielten ein Placebo oder 300mg Inebilizumab an Tag 1 und 15 der Behandlung und bei AChR-Positivität eine weitere Dosis an Tag 183. Hierauf folgten eine Open-Label-Phase mit 6-monatiger Gabe über 3 Jahre und eine Nachbeobachtung für weitere 2 Jahre. Die initialen Ergebnisse nach 26 Wochen waren positiv.16 Zudem gibt es erste Berichte zur Wirksamkeit von Anti-CD19-CAR-T-Zell-Therapien.17 Weiters läuft die Entwicklung von IgG-Degradierern, wie dem bifunktionellen Molekül BHV-1301, das an IgG und hepatische Asialoglykoprotein-Rezeptoren (ASGPR) bindet, was zur Internalisierung und zum endolysosomalen Abbau von IgG in der Leber führt.18,19
Quelle:
22. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN), Vortrag von PD Dr. Julia Wanschitz „Reservetherapien bei Myasthenia gravis“, 12. – 14. März 2025, Innsbruck
Literatur:
1 Wiendl H et al.: S2k-Leitlinie 2024, Stand Dezember 2024 2 Leach JM et al.: Handling rescue therapy in myasthenia gravis clinical trials: why it matters and why you should care. Ann Clin Transl Neurol 2025; doi: 10.1002/acn3.52309 3 Suzuki S: Pathogenesis and detection methods of anti-acetylcholine receptor antibodies in myasthenia gravis. Immunol Med 2025; 27: 1-7 4 Petersson M et al.: Patient-reported symptom severity in a nationwide myasthenia gravis cohort: cross-sectional analysis of the Swedish GEMG study. Neurology 2021; 97(14): e1382-e1391 5 Zhao C et al.: Effectiveness and safety of rituximab for refractory myasthenia gravis: a systematic review and single-arm meta-analysis. Front Neurol 2021; 12: 736190 6 Piehl F et al.: Efficacy and safety of rituximab for new-onset generalized myasthenia gravis: the RINOMAX randomized clinical trial. JAMA Neurol 2022; 79(11): 1105-12 7 Saccà F et al.: Efficacy of innovative therapies in myasthenia gravis: a systematic review, meta-analysis and network meta-analysis. Eur J Neurol 2023; 30(12): 3854-67 8 Howard JF Jr et al.: Safety, efficacy, and tolerability of efgartigimod in patients with generalised myasthenia gravis (ADAPT): a multicentre, randomised, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet Neurol 2021; 20(7): 526-36 9 Bril V et al.: Safety and efficacy of rozanolixizumab in patients with generalised myasthenia gravis (MycarinG): a randomised, double-blind, placebo-controlled, adaptive phase 3 study. Lancet Neurol 2023; 22(5): 383-94 10 Antozzi C et al.: Safety and efficacy of nipocalimab in adults with generalised myasthenia gravis (Vivacity-MG3): a phase 3, randomised, double-blind, placebo-controlled study. Lancet Neurol 2025; 24(2): 105-16 11 Yan C et al.: Batoclimab vs placebo for generalized myasthenia gravis. JAMA Neurol 2024; 81(4): 336-45 12 Howard JF Jr et al.: Safety and efficacy of eculizumab in anti-acetylcholine receptor antibody-positive refractory generalised myasthenia gravis (REGAIN): a phase 3, randomised, double-blind, placebo-controlled, multicentre study. Lancet Neurol 2017; 16(12): 976-86 13 Meisel A et al.: Long-term efficacy and safety of ravulizumab in adults with anti-acetylcholine receptor antibody-positive generalized myasthenia gravis: results from the phase 3 CHAMPION MG open-label extension. J Neurol 2023; 270(8): 3862-75 14 Howard JF Jr et al.: Safety and efficacy of zilucoplan in patients with generalised myasthenia gravis (RAISE): a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 study. Lancet Neurol 2023; 22(5): 395-406 15 Gilhus NE et al.: Treatment considerations in myasthenia gravis for the pregnant patient. Expert Rev Neurother 2023; 23(2): 169-77 16 Nowak RJ et al.: A Phase 3 trial of inebilizumab in generalized myasthenia gravis. N Engl J Med 2025; doi: 10.1056/NEJMoa2501561 17 Haghikia A et al.: Anti-CD19 CAR T cells for refractory myasthenia gravis. Lancet Neurol 2023; 22(12): 1104-5 18 Mullard A et al.: Extracellular targeted protein degrader removes antibodies in first test in humans. Nat Rev Drug Discov 2024; 23(7): 483-6 19 Seong L et al.: Novel bispecific degrader BHV-1310 eliminates intravascular and interstitial IgG within multiple organs and anatomical structures including the neuromuscular junction (P4-8.002). Neurology 2025; 104 doi: WNL.0000000000211757
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