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Epilepsie

Akut symptomatische Anfälle: Diagnose und Therapie

Epileptische Anfälle sind eine unspezifische Reaktion des menschlichen Gehirns und können einerseits auftreten als akut symptomatische Anfälle im Rahmen einer akuten Hirnerkrankung, einer akuten metabolischen oder anderen systemischen Erkrankung, beim Gebrauch oder Entzug von Drogen oder Medikamenten und als Fieberkrämpfe in der Kindheit sowie andererseits als unprovozierte Anfälle. Wenn die auslösende Ursache nicht mehr vorliegt bzw. beseitigt werden kann, ist das Risiko für weitere Anfälle bei akut symptomatischen Anfällen deutlich geringer als bei unprovozierten Anfällen, sodass im Allgemeinen keine anfallssuppressive Therapie eingeleitet werden muss.

Keypoints

  • Die häufigsten Ursachen von akut symptomatischen Anfällen bei Erwachsenen sind zerebrovaskuläre Erkrankungen, Schädel-Hirn-Traumen, ZNS-Infektionen sowie der Gebrauch oder Entzug von Drogen und Medikamenten.

  • Es besteht eine Korrelation zwischen der Dauer der zerebralen Hyperexzitabilität und dem Risiko für weitere Anfälle bzw. dem Risiko, eine Epilepsie zu entwickeln.

  • Akut symptomatische Anfälle verschlechtern die Prognose bei akuten Hirnerkrankungen.

  • Anfälle nach Schlafentzug sind nicht als akut symptomatische Anfälle zu werten, weil das Risiko von weiteren Anfällen gleich ist wie bei unprovozierten Anfällen.

Epidemiologie

Akut symptomatische Anfälle sind häufig und repräsentieren 40% aller Anfälle (exkl. Fieberkrämpfe) und 50–70% aller Status epileptici. Die kumulative Inzidenz bis zum Alter von 80 Jahren beträgt 3,6%, die jährliche Inzidenz akut symptomatischer Anfälle 29–39/100000 Personen/Jahr. Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen. So liegt die jährliche Inzidenz für Männer bei 42/100000 Personen/Jahr, für Frauen bei 27/100000 Personen/Jahr. Das Lebenszeitrisiko liegt bei 5% für Männer und bei 2,7% für Frauen. Die altersabhängige Inzidenz ist am höchsten im ersten Lebensjahr und im Alter von >80 Jahren.

Ursachen

Akut symptomatische Anfälle können im Rahmen einer akuten Hirnerkrankung, einer akuten metabolischen oder anderen systemischen Erkrankung, bei Gebrauch oder Entzug von Drogen oder Medikamenten und als Fieberkrämpfe in der Kindheit auftreten. Die häufigsten Ursachen von akut symptomatischen Anfällen bei Erwachsenen sind zerebrovaskuläre Erkrankungen (16%), Schädel-Hirn-Traumen (16%), ZNS-Infektionen (15%) sowie der Gebrauch oder Entzug von Drogen und Medikamenten (14%) (Abb. 1).

Abb. 1: Ursachen von akut symptomatischen Anfällen (modifiziert nach Annegers et al.: Epilepsia 1995; 36(4): 327-33)

Prognostische Bedeutung

Für die spezifische Beurteilung der Prognose nach einem akut symptomatischen Anfall besteht grundsätzlich eine Korrelation zwischen der Dauer der zerebralen Hyperexzitabilität und dem Risiko für weitere Anfälle bzw. dem Risiko, eine Epilepsie zu entwickeln. So besteht bei akuten metabolischen oder anderen systemischen Erkrankungen, dem Gebrauch oder dem Entzug von Drogen oder toxischen Substanzen lediglich eine kurze Phase der zerebralen Hyperexzitabilität und somit ein geringes langfristiges Epilepsierisiko. Umgekehrt besteht bei Hirnerkrankungen mit bleibenden strukturellen Veränderungen (ischämischer Schlaganfall, intrazerebrale Blutung, Schädel-Hirn-Trauma, bestimmte Autoimmunenzephalitiden [GAD65, Ma2, Hu/ANNA]) eine prolongierte Phase der zerebralen Hyperexzitabilität und somit ein höheres langfristiges Epilepsierisiko. Eine Zwischenstellung mit subakuter zerebraler Hyperexzitabilität und intermediärem Epilepsierisiko nehmen das posteriore reversible Enzephalopathie-Syndrom (PRES), die schwere Sepsis bzw. der septische Schock, das reversible zerebrale Vasokonstriktionssyndrom (RCVS) und bestimmte Autoimmunenzephalitiden (LGI1, GABABR, NMADR) ein. Bei akuten Hirnerkrankungen treten akut symptomatische Anfälle innerhalb einer Woche nach Erkrankungsbeginn auf.

Schlaganfälle

Akut symptomatische Anfälle treten bei 3–6% nach Schlaganfällen auf. Wahrscheinlich wird die Inzidenz unterschätzt, weil sich viele Anfälle ohne motorische Entäußerungen oder subklinisch manifestieren. Kortikale und lobäre intrazerebrale Blutungen, Subarachnoidalblutungen und ischämische Insulte mit hämorrhagischer Transformation erhöhen das Risiko für akut symptomatische Anfälle. Das Risiko für einen weiteren akut symptomatischen Anfall innerhalb der ersten 7 Tage nach einem akut symptomatischen Anfall im Gefolge eines ischämischen oder hämorrhagischen Schlaganfalls beträgt 13–22%.

Ischämische Schlaganfälle

Akut symptomatische Anfälle treten bei 2–4% aller ischämischen Schlaganfälle auf und manifestieren sich zumeist innerhalb der ersten 48 Stunden, in zwei Dritteln der Fälle innerhalb der ersten 24 Stunden (Tab. 1). Bei der Mehrzahl der Anfälle handelt es sich um fokale Anfälle. Risikofaktoren für akut symptomatische Anfälle nach ischämischen Schlaganfällen umfassen die Schwere des neurologischen Defizits gemäß NIHSS, eine kortikale Beteiligung, ein jüngeres Alter (<65 Jahre), akute nichtneurologische Infektionen und ein niedriger prämorbider funktioneller Status. Akut symptomatische Anfälle erhöhen die Mortalität nach Adjustierung für andere Risikofaktoren nahezu um das Doppelte. Akut symptomatische Anfälle und insbesondere ein akut symptomatischer Status epilepticus stellen einen Risikofaktor für die Entwicklung einer nachfolgenden Epilepsie dar. Das Risiko für weitere Anfälle nach einem ischämischen Schlaganfall kann mit dem SeLECT 2.0 Score berechnet werden. Der SeLECT 2.0 Score umfasst die folgenden Parameter: NIHSS Score 4–10: 1 Punkt; NIHSS Score ≥11: 2 Punkte; Atherosklerose eines großen Gefäßes: 1 Punkt; kurzer akut symptomatischer Anfall: 3 Punkte; akut symptomatischer Status epilepticus: 7 Punkte; kortikale Beteiligung: 2 Punkte; Beteiligung des Arteria-cerebri-media-Territoriums: 1 Punkt; Maximum: 13 Punkte. Das Risiko für Spätanfälle bzw. für eine Epilepsie liegt bei einem SeLECT 2,0 Score von ≥11 Punkten nach einem Jahr bei 62%, bei einem SeLECT 2.0 Score von ≥8 Punkten nach 5 Jahren bei 55%. Die 10-Jahres-Mortalität beträgt 79% nach ischämischem Insult mit akut symptomatischem Status epilepticus, 20% nach ischämischem Insult mit kurzen akut symptomatischen Anfällen und 11% nach ischämischem Insult ohne Anfälle.

Tab. 1: Risiko für akut symptomatische Anfälle und Auftreten einer Epilepsie nach akut symptomatischen Anfällen bei verschiedenen akuten ZNS-Erkrankungen (modifiziert nach Mauritz et al.: Epileptic Disord 2022; 24: 26-49, und Yardi et al.: Epilepsia 2025; 66: 955-69)

Intrazerebrale Blutungen

Akut symptomatische Anfälle treten in 10–18% nach intrazerebralen Blutungen auf, somit deutlich häufiger als nach Ischämien. Mittels des CAVE2 Score (kortikale Beteiligung: 2 Punkte; Alter <65 Jahre: 1 Punkt; Volumen des Hämatoms >10ml: 1 Punkt; akut symptomatische Anfälle: 1 Punkt) kann das Risiko für Spätanfälle bzw. für eine spätere Epilepsie abgeschätzt werden. Bei einem CAVE2 Score ≥3 beträgt das Risiko für Spätanfälle 54,4%.

Subarachnoidalblutungen

Bei Subarachnoidalblutungen aufgrund von Aneurysmen kommt es in 6–26% zu akut symptomatischen Anfällen. Risikofaktoren für akut symptomatische Anfälle sind dabei die Schwere der neurologischen Symptomatik, ein rupturiertes Aneurysma der Arteria cerebri media, ein Hydrozephalus und eine kortikale Infarzierung. Eine Epilepsie entwickelt nach einer Subarachnoidalblutung aufgrund von Aneurysmen in 8% nach einem Jahr und in 12% nach 5 Jahren. Risikofaktoren für eine Epilepsie sind dabei eine intrazerebrale Blutung >15cm3, ein Hunt & Hess Score III–IV und akut symptomatische Anfälle.

Hirnvenenthrombosen

Bei Hirnvenenthrombosen treten akut symptomatische Anfälle mit 33–40% sehr häufig auf. Risikofaktoren für akut symptomatische Anfälle sind eine intrazerebrale Blutung, ein Hirnödem, eine Infarzierung, eine Thrombose einer kortikalen Vene, eine Thrombose des Sinus sagittalis superior, ein fokalneurologisches Defizit und eine sulkale Subarachnoidalblutung. Akut symptomatische Anfälle stellen einen Risikofaktor für die Entwicklung einer späteren Epilepsie dar.

ZNS-Infektionen

Akut symptomatische Anfälle treten bei 20–40% der Patienten mit ZNS-Infektionen (Meningitiden, Enzephalitiden, Hirnabszesse, subdurale Empyeme) auf. Enzephalitiden, ein Glasgow Coma Scale Score <12, eine kortikale Beteilung in der MRT und ein jüngeres Alter stellen Risikofaktoren für akut symptomatische Anfälle bei ZNS-Infektionen dar. Virale Enzephalitiden gehen mit einem 14-fach höheren Risiko für akut symptomatische Anfälle einher als bakterielle Enzephalitiden. Bei der Herpes-Enzephalitis besteht ein Risiko von 60% für akut symptomatische Anfälle, bei der Japanischen Enzephalitis von 41%. Bei Kindern mit bakteriellen Meningitiden treten in 31% akut symptomatische Anfälle auf, Risikofaktoren hierfür sind ein Alter <2 Jahre, eine Streptokokkenmeningitis, eine Bewusstseinstrübung und eine Leukozytenzahl von <1000 im Liquor. Bei Erwachsenen mit bakteriellen Meningitiden kommt es in 17–27% zu akut symptomatischen Anfällen, die erstmals zumeist innerhalb der ersten 24 Stunden der Erkrankung auftreten. Risikofaktoren sind eine Bewusstseinstrübung bei der Aufnahme, ein Nachweis von Streptokokken im Liquor, eine Zellzahl von <1000 im Liquor, ein erhöhtes Protein im Liquor und fokale Veränderungen in der Bildgebung.

Sowohl bei bakteriellen als auch bei viralen Infektionen sind akut symptomatische Anfälle mit einem schlechteren Outcome und einer erhöhten Mortalität assoziiert. Nach einem akut symptomatischen Anfall wird üblicherweise mit einer anfallssuppressiven Therapie begonnen, die in Abhängigkeit von der Schwere und Art der Anfälle für 6–12 Monate fortgeführt wird. Eine Epilepsie entwickelt sich nach einer Herpes-Enzephalitis in 40–65%, nach einer bakteriellen Meningitis in Abhängigkeit vom Erreger: nach einer Streptokokken-Meningitis in 14,8%, nach einer Hämophilus-Meningitis in 6,1% und nach einer Meningokokken-Meningitis in 1,4%. Generell liegt das Epilepsierisiko nach einer ZNS-Infektion bei 17%.

Schädel-Hirn-Traumen

Akut symptomatische Anfälle treten mit einer Wahrscheinlichkeit von 1,8–27% nach Schädel-Hirn-Traumen auf. Risikofaktoren für akut symptomatische Anfälle sind schwere Schädel-Hirn-Traumen, die Notwendigkeit einer neurochirurgischen Intervention, eine Schädelimpressionsfraktur, jüngeres Alter (höheres Risiko bei jüngeren Kindern als bei Erwachsenen), ein penetrierendes Schädel-Hirn-Trauma und eine intrazerebrale Blutung. Akut symptomatische Anfälle können den Verlauf eines Schädel-Hirn-Traumas verschlechtern. Deshalb erfolgt eine prophylaktische Behandlung entweder mit Phenytoin oder Levetiracetam für eine Woche, wobei sich in der Wirksamkeit der beiden Substanzen kein Unterschied zeigt, Levetiracetam aber ein günstigeres Nebenwirkungsprofil aufweist. Nach akut symptomatischen Anfällen entwickeln 13,4% der Patienten eine posttraumatische Epilepsie. Derzeit liegt keine Evidenz vor, dass die Behandlung von akut symptomatischen Anfällen die Entwicklung einer posttraumatischen Epilepsie beeinflussen kann.

Medikamente, Drogen und Alkohol

Akut symptomatische Anfälle können durch die Einnahme oder den Entzug von Medikamenten verursacht werden. In einer Studie wurden 6,1% von neu aufgetretenen Anfällen durch Medikamente verursacht. Die 3 häufigsten Ursachen waren dabei eine Kokainintoxikation, ein Benzodiazepinentzug und die Einnahme von Bupropion. Die am häufigsten mit Anfällen assoziierten Medikamente sind Antidepressiva (Bupropion, Citalopram, Venlafaxin, Trimipramin, Amitriptylin, Maprotilin), Neuroleptika (Clozapin, Chlorpromazin, Quetiapin), Antihistaminika (Diphenhydramin), Isoniazid und Schmerzmittel (Tramadol, Mefenaminsäure). Insgesamt ist das Risiko von Anfällen bei der Einnahme dieser Medikamente allerdings als sehr gering einzustufen. Zudem dürften einige intravenös verabreichte Antibiotika (Cephalosporine der 4. Generation [speziell Cefepim], Carbapeneme [speziell Imipenem] und Ciprofloxacin) das Risiko von akut symptomatischen Anfällen speziell bei Patienten mit Niereninsuffizienz, Hirnläsionen oder vorbestehender Epilepsie erhöhen. Benzodiazepine und Barbiturate sind diejenigen Medikamente, die beim Absetzen oder Entzug am häufigsten zu Anfällen führen. Kokain und Amphetamine sind die Drogen, die am häufigsten zu akut symptomatischen Anfällen führen. Bestimmte Halluzinogene können Anfälle provozieren. Hingegen ist das Auftreten von Anfällen bei Heroin- oder Marijuanakonsum gering. Alkohol ist eine häufige Ursache für akut symptomatische Anfälle, wobei in manchen Studien angenommen wird, dass bis zu einem Drittel aller an einer Notfallaufnahme behandelten Anfälle alkoholassoziiert sind. Akut symptomatische Anfälle können auch im Rahmen einer Alkoholintoxikation auftreten. Am häufigsten sind sie allerdings bei Alkoholentzug, wobei sich Alkoholentzugsanfälle bei Patienten mit chronischem Alkoholgebrauch typischerweise 7–48 Stunden nach Genuss des letzten alkoholischen Getränks als generalisierte tonisch-klonische Anfälle in Verbindung mit typischen Entzugssymptomen wie Tremor, Schwitzen und Tachykardie manifestieren. Allerdings ist bei der Diagnose alkoholassoziierter Anfälle Vorsicht geboten, da sich bei mehr als der Hälfte der Patient:innen andere Ursachen, wie ein Schädeltrauma, eine Epilepsie, ein Schlaganfall oder metabolische Ursachen, finden lassen. Therapeutisch soll nach einem akut symptomatischen Anfall im Rahmen eines Alkoholentzugs Lorazepam 2mg i.v. oder ein alternatives Benzodiazepin verabreicht werden. Dadurch kann das Risiko für ein Anfallsrezidiv in den ersten 6 Stunden von 24% signifikant auf 3% reduziert werden.

Metabolische Ursachen

Für akute metabolische oder andere systemische Erkrankungen wurden die folgenden Grenzwerte für die Auslösung von akut symptomatischen Anfällen definiert: Serum-Natrium <115mmol/l; Serum-Kalzium <5mg/dl; Serum-Magnesium <0,8mg/dl; Blutzucker <36mg/dl oder >450 mg/dl assoziiert mit einer Ketoazidose; BUN >100mg/dl; Kreatinin >10,0mg/dl (Tab. 2). Bei den Elektrolytentgleisungen sind Hyponatriämien die häufigsten Ursachen für akut symptomatische Anfälle, wobei die akuten Veränderungen der Elektrolytwerte wahrscheinlich entscheidender sind als deren Absolutwerte. Hypoglykämien führen nur selten zu Anfällen, das vorherrschende Symptom ist hier die Bewusstseinstrübung bis zum Koma. Ein Nierenversagen kann über Elektrolytentgleisungen, ein erhöhtes Kreatinin oder über das Dialyse-Dysäquilibrium-Syndrom zu akut symptomatischen Anfällen führen. Schließlich treten akut symptomatische Anfälle in 15,7% nach Lebertransplantationen auf.

Tab. 2: Grenzwerte für akut symptomatische Anfälle bei metabolischen Veränderungen (modifiziert nach Beghi et al.: Epilepsia 2010; 51: 671-5)

Schlafentzug

Wichtig ist es, festzuhalten, dass Anfälle nach Schlafentzug nicht als akut symptomatische Anfälle gewertet werden sollen, vielmehr entspricht das Risiko von weiteren Anfällen dem von unprovozierten Anfällen.

bei den Verfasser:innen

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