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Surveillance und Isolierung – sinnvoll oder nicht?
Jatros
30
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05.06.2019
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<p class="article-intro">Krankenhaushygienische Themen sind wichtig für die Infektiologie – und sie rufen zum Teil recht kontroverse Diskussionen hervor. Lesen Sie mehr.</p>
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<p class="article-content"><p>Die erste Pro-Kontra-Sitzung des Österreichischen Infektionskongresses widmete sich überwiegend krankenhaushygienischen Themen.</p> <h2>Ist Infektions-Surveillance sinnvoll?</h2> <p><strong>Ja: Univ.-Prof. Dr. Ojan Assadian, Ärztlicher Direktor, Landesklinikum Neunkirchen, NÖ </strong></p> <p>„Infektions-Surveillance ist dann sinnvoll, wenn man die Terminologie beherrscht und weiß, wovon man redet. Mit anderen Worten: wenn die Ergebnisse einer Surveillance mit der richtigen Kommunikation vermittelt werden“, betonte Assadian.</p> <p>In den Daten des deutschen „Krankenhaus-Infektions-Surveillance-Systems“ (KISS) – in dem übrigens je nach Surveillance- Indikator bis zu circa ein Drittel der Daten aus Österreich stammen – zeigt sich z. B., dass die Rate an Wundinfektionen nach Kaiserschnitten zwischen 2006 und 2017 nicht signifikant abgenommen hat. „Das als Nutzlosigkeit von Surveillance zu interpretieren, wäre jedoch falsch“, betonte Assadian. „Surveillance sagt uns ja nur, was ist; Änderungen durchzuführen liegt bei uns!“</p> <p>Surveillance ist definiert als die fortlaufende, systematische Erfassung, Analyse und Interpretation von Gesundheitsdaten; dies ist essenziell für die Planung, Implementierung und Evaluierung von Maßnahmen der öffentlichen Gesundheit, wobei diese Daten zeitgerecht und in geeigneter Form an diejenigen zu übermitteln sind, die diese Informationen benötigen.</p> <p>„Wenn das alles passiert, dann hat Surveillance einen wesentlichen Anteil daran, Infektionsraten zu senken und zukünftige Infektionen zu vermeiden. Ihr Krankenhaus wird unter diesen Kautelen von einem Surveillancesystem deutlich profitieren“, versprach Assadian.</p> <p><strong>Nein: Priv.-Doz. Dr. Rainer Gattringer, Leiter des Instituts für Hygiene und Mikrobiologie, Infektiologie und Tropenmedizin, Klinikum Wels/Grieskirchen</strong><br />„Wir waren ja alle ursprünglich sehr enthusiastisch hinsichtlich der Infektions- Surveillance, denn endlich sind wir von reinen Vermutungen und Gefühlen weg zu Daten gekommen“, begann Gattringer seine Gegenrede. Theoretisch würde die strukturierte Erhebung von Daten zur Erkennung von Problemen, Setzen von Maßnahmen und Messen von Resultaten und damit letztlich zur Rettung von Leben führen.</p> <p>„Aber werden hier wirklich Leben gerettet?“, fragte Gattringer. „Die Ernüchterung kam bald, denn das Problem liegt im Detail. So führen z. B. veraltete Strukturen und unklare Definitionen zu Problemen, und letztlich haben wir mit extremem Aufwand wenig Outcome erreicht.“</p> <p>Man dürfe auch nicht vergessen, dass die Datenerhebung Personal benötigt, das oft nicht in genügendem Umfang vorhanden ist. Dies sei einer der Gründe für eine in der Praxis oft schlechte Datenqualität, fuhr der Infektiologe und Mikrobiologe fort.</p> <p>„Dazu kommt, dass wir ein Epidemiegesetz aus 1950 haben, aufgrund dessen wir bestimmte Erkrankungen melden sollen. Hingegen wird z. B. das Auftreten von Carbapenemasen bei Enterobakterien zwar im Nationalen Referenzzentrum gesammelt – diese Meldungen sind aber nicht verpflichtend, sondern erfolgen auf freiwilliger Basis“, so Gattringer. Auch wisse man ja nie genau, was mit den Daten weiter geschehe.</p> <p>Die Erhebung von Daten aufgrund nicht ideal durchdachter Vorgaben sei einerseits aufwendig und führe andererseits rasch zu Frustrationen. „Die nächste Frage ist ja, ob wir auch genügend zeitliche und personelle Ressourcen haben, um die gewonnenen Daten auch aufzuarbeiten. Falls nicht, produzieren wir einfach einen Datenfriedhof“, kritisierte Gattringer abschließend.</p> <p>Gattringers Fazit daher: Infektions- Surveillance nur dann, wenn die Umstände auch passen.</p> <h2><strong>Non-Influenza-Viruspneumonien: Isolieren?</strong></h2> <p><strong>Ja: Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Dorothea Orth-Höller, Sektion für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie, MedUni Innsbruck</strong><br />„Die Non-Influenza-Viruspneumonien, kurz NIVP, werden durch ein Potpourri von Erregern ausgelöst, z. B. Parainfluenzaviren, RSV, Rhinoviren, Adeno-, Coronaund einer ganzen Reihe weiterer Viren“, erläuterte Orth-Höller.</p> <p>Die meisten dieser Viren werden durch Tröpfchen- oder Kontaktinfektion übertragen, RSV eventuell sogar aerogen. Manche dieser Viren, wie z. B. RSV, können bis zu sechs Stunden auf Oberflächen überleben. NIPV sind als Ursache zahlreicher Ausbrüche beschrieben. Die Patienten sind oft schon vor Ausbruch der Erkrankung infektiös und scheiden den Erreger zum Teil auch noch länger nach klinischer Heilung aus (insbesondere Kinder). Aufgrund des Übertragungswegs sollte der Patient also isoliert werden.</p> <p>Allerdings gibt es natürlich eine ganze Reihe weiterer Faktoren, die hier berücksichtigt werden müssen. Dies sind: Art des Erregers, Reservoir/Vorkommen des Erregers/ infektiöses Material, Pathogenität und Infektiosität und andererseits der Immunstatus des Patienten und der Infektions- bzw. Kolonisationsort und das Streupotenzial.</p> <p>„In der Praxis hängt die Entscheidung über eine Isolation bei NIVP von all diesen Faktoren ab und muss daher individuell entschieden werden“, so Orth-Höller abschließend.</p> <p><strong>Nein: Univ.-Prof. Dr. Andrea Grisold, Diagnostik & Forschungsinstitut für Hygiene, Mikrobiologie und Umweltmedizin, MedUni Graz</strong></p> <p>„Als Erstes muss man sich im Zusammenhang mit NIVP die Frage stellen, um wie viele Patienten es sich hier handelt und wie viele Einzelbetten das Haus bzw. die Abteilung überhaupt zur Verfügung hat“, so Grisold pragmatisch. „Dann muss man schauen, um welchen Erreger es sich handelt, um feststellen zu können, wie es mit dem Übertragungsweg und der Infektiosität aussieht“, fuhr die Hygienikerin fort.</p> <p>Zudem müsse man bedenken, dass keineswegs alle der möglichen Erreger einer NIVP auch von Mensch zu Mensch übertragen werden können. Dies gilt z. B. für das Hantavirus. Auch EBV wird nur in 5 % der Fälle von einer akut erkrankten Person erworben. CMV ist vor allem für immunsupprimierte Patienten von Bedeutung, und für das humane Bocavirus sind bis dato überhaupt keine krankenhausbezogenen Ausbrüche beschrieben.</p> <p>„Was hier also bleibt, sind – abgesehen von der Influenza – vor allem RSV, Rhinoviren und Parainfluenzaviren“, kommentierte Grisold.<br />Wichtig ist es auch, den Unterschied zwischen Tröpfcheninfektion (>5 μm, maximal 1 m Reichweite) und aerogener Infektion (<5 μm, Aerosol, kann stundenlang im Raum schweben) zu kennen. „Ich würde meiner Vorrednerin zustimmen, dass eine Isolierung bei NIVP abhängig von Erreger, Alter und Immunstatus erwogen werden kann“, so Grisolds Fazit. „Isolierung allein ist aber zu wenig. Wichtig sind zusätzliche Maßnahmen wie Händehygiene, Personalschutz, Impfungen (Influenza, MMR, Pertussis) und rasche Diagnostik.“</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: „Sinnhaftigkeit der Infektions-Surveillance. Gibt es einen Nutzen?“, Pro: O. Assadian, Neunkirchen, Kontra: R. Gattringer, Wels; „Non-Influenza-Viruspneumonien – Isolierung?“, Pro: D. Orth-Höller, Innsbruck, Kontra: A. Grisold, Graz; aus der Pro/Kontra-Sitzung 1 des 13. ÖIK, Saalfelden, 28. März 2019
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<p>bei den Vortragenden</p>
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