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Österreichischer Impftag 2022

Epidemiologische Aspekte der Pandemie

Das Epidemiegeschehen in Österreich ist höchst dynamisch, einerseits durch den noch nicht ausreichend hohen Immunschutz in der Bevölkerung und andererseits durch das Auftreten neuer, immunevasiver Varianten von SARS-CoV-2, wie zuletzt der Omikron-Variante. Was das bisher für Österreich bedeutet hat, stellte Priv.-Doz. Dr. Daniela Schmid von der AGES in ihrem Vortrag dar.

Keypoints

  • Die Omikron-Variante hat einen deutlichen Verbreitungsvorteil gegenüber der Delta-Variante und zeigt mehr Durchsbruchsinfektionen bei Genesenen und Geimpften im Vergleich zur Delta-Variante.

  • Der Impfschutz gegenüber der Omikron-Variante schwindet v.a. bei zweifach Geimpften mit mehr als 120 vergangenen Tagen seit der zweiten Dosis, wobei eine Boosterimpfung deutlich die Schutzeffektivität wieder verstärkt.

  • Die Schutzwirkung der Impfung vor schweren Verläufen bzw. Todesfällen ist auch bei der Omikron-Variante auf hohem Niveau, wenngleich die Virulenz von Omikron geringer zu sein scheint, als jene der Delta-Variante.

Wir befinden uns nun in der fünften Welle von SARS-CoV-2-Infektionen“, berichtete Priv.-Doz. Dr. Daniela Schmid,MSc, Leiterin des Instituts für Infektionsepidemiologie und Surveillance der AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH), Wien. „Das SARS-CoV-2-Surveillance-System hat sich im Laufe der Epidemie enorm entwickelt und umfasst derzeit beinahe alle relevanten Daten zur Überwachung des Infektionsgeschehens. Dabei steht die elektronische Registrierung aller laborbestätigten Fälle von SARS-CoV-2-Infektionen im Rahmen des elektronischen Meldesystems, kurz EMS, im Zentrum.“

Mit dem EMS sind zwölf Fall-Management-Datenbanken der Bundesländer im Austausch, die ihre Falldaten täglich synchronisieren. Zudem gibt es noch die fallbasierte Surveillance der Virusvarianten und des Transmissionssettings. „Zusätzlich werden fallspezifisch die Impfdaten des nationalen Impfregisters via Personenkennzahl (PKZ) täglich verknüpft“, so Schmid. Diese umfassende Datenbank entspricht einem SARS-CoV-2-„data warehouse“, das täglich bis zu 15 Berichte zu diversen epidemiologischen Fragestellungen generiert, wie z.B. einen epidemiologischen Lagebericht, die Analyse des Immunschutzes der Bevölkerung in Abhängigkeit von Genesenen- und Impfstatus, den Anteil der inzidenten, symptomatischen Fälle nach Immunschutz, Altersgruppen-spezifische Auswertungen des Transmissionssettingsu.v.m. „Was uns leider nach wie vor fehlt, ist die Fall-ID-bezogene Verknüpfung mit den Hospitalisierungsdaten“, schränkte die Infektionsepidemiologin ein.

Wichtige Parameter

Folgende zwei epidemiologische Messgrößen fanden im Rahmen der SARS-CoV-2-Epidemie/Pandemie besonders häufig Erwähnung, neben einer Reihe anderer Parameter (s.u.): die Basis-Reproduktionszahl R0 (i.e. Messzahl der Transmissibilität des infektiösen Agens, die Nettoreproduktionszahl) und die effektive Reproduktionszahl Reff. R0 (i.e. definiert als der durchschnittliche Wert der Anzahl der Folgefälle). Beide Parameter werden – wohlgemerkt: in einer immunnaiven Population – aus dem Durchschnitt einesansteckenden Falles generiert. Diese Messgröße wird von folgenden Faktoren bestimmt: (1) Dauer der Kontagiosität (i.e. Ansteckungsfähigkeit), (2) Höhe des Infektionstransmissionsrisikos(i.e. Kontagionsindex: Wahrscheinlichkeit der Infektionstransmission per ansteckenden Kontakt zwischen Suszeptiblen und ansteckenden Infizierten)und letztlich (3) von der Kontaktrate (i.e. Anzahl der potenziell ansteckenden Kontakte pro Zeiteinheit) in der betroffenen Population. Das Transmissionsrisiko wiederum hängt ab vom Transmissionsmodus (z.B. via Tröpfchen und/oder Aerosolen) und der Infektiosität des Virus.

Die Reff determiniert den durchschnittlichen Wert für die Anzahl von Folgefällen in der Population zu jeder Zeit der Epidemie. In diesen Wert geht eine Reihe weiterer Faktoren ein, wie der Populationsanteil der Geimpften oder Genesenen („Proportion of Population Immunized“ – PPI), die Dynamik der schwindenden Immunität nach Genesung bzw. unvollständiger Impfung, transmissionskontrollierende Maßnahmen (Masken tragen, Abstand halten, Händehygiene, Raumlüften etc.) und nicht zuletzt die genetischen Veränderungen des Virus, die ihm einen Vermehrungsvorteil und die Fähigkeit der Immunevasion verleihen können.

Transmissibilität und Immunevasion des Virus

Für die Abschätzung der Geschwindigkeit der Virusverbreitung wird das sogenannte effektive serielle Intervall (SIeff) herangezogen. Es gibt das Intervall vom Beginn der Erkrankung eines ansteckenden Falles bis zum Erkrankungsbeginn seines Folgefalles an (ein Surrogat für die schwer messbare Generationszeit) unter den bestehenden Bedingungen einer Epidemie. Auch das SIeff ist keine stabile Größe, weil es u.a. davon abhängt, wie schnell ein ansteckender Fall isoliert werden kann und dadurch an der weiteren Fallgenerierung gehindert wird.

Das SIeff wurde von Richter etal. für den Wildtyp von SARS-CoV-2 in Österreich auf 4,46 Tage geschätzt; für die Phase, in der bereits die Alpha- und die Delta-Variante kozirkulierten, war es auf 3,37 Tage gesunken, zuletzt mit der Omikron-Variante sogar auf 2,22 Tage. „Die Transmissibilität der Alpha-Variante wird um ca. 50% höher als die des Wildtyps geschätzt und die der Delta-Variante um 60% höher als die der Alpha-Variante. Basierend auf weiteren S-Protein-Mutationen entzieht sich die Omikron-BA.1-Variante im Vergleich zur Delta-Variante größeren Ausmaßes der Wirkung der neutralisierenden Antikörper; diese gesteigerte immunevasive Fähigkeit dürfte entscheidend für den Vermehrungsvorteil der Omikron-Variante gegenüber der Delta-Variante bei den Geimpften und Genesenen sein. Abbildung 1 illustriert die zunehmende Reinfektionsrate nach Variantenphase im Vergleich zur Wildtypphase.

Abb. 1: Reinfektionsrisiko nach SARS-CoV-2-Variante (Quelle: Schmid D, AGES)

Die Immunevasion dürfte eher in geringem Ausmaß die zelluläre Immunität betreffen, die maßgeblich verantwortlich für den Schutz vor schweren Verläufen – auch bei Infektion mit der Omikron-Variante – zu sein scheint.

Die schwindende Wirksamkeit der Schutzimpfung gegenüber SARS-CoV-2-Infektion (Vakzineffektivität) resultiert aus zwei Komponenten: einerseits aus der schwindenden Immunität der Zweifachgeimpften mit über 3–4 Monaten zurückliegender Verabreichung der zweiten Dosis und andererseits aus der soeben erwähnten gesteigerten Immunevasion der Omikron-Variante gegenüber neutralisierenden Antikörpern bei Genesenen und Geimpften.

Die Situation in Österreich

In Österreich gilt nach wie vor, dass die ältesten Anteile der Bevölkerung die höchste Rate an Immunität (durch Impfung und/oder Genesung) aufweisen, die jüngste Altersgruppe hingegen die schlechteste Schutzrate, wenngleich sich diese Unterschiede zuletzt eher angeglichen haben.

Die mRNA-Impfstoffe zeigten gegenüber der Alpha-Variante in Österreich noch eine Impfeffektivität um die 90%, gegenüber Delta lag diese zwischen 80 und 85%.1 Internationale Daten ergaben ganz ähnliche Werte.

„Die wissenschaftliche Erkenntnis aus den bisher zur Verfügung stehenden Studienergebnissen über Vakzineffektivität gegenüber Delta- und Omikron-Infektion besagt Folgendes: Die dritte Impfdosis re-etabliert die Wirkung der Schutzimpfung (d.h. der vollständigen Impfung) auch gegenüber der Omikron-Variante, wenn auch deutlich unter der Wirksamkeit, die die Schutzimpfung gegenüber der Infektion mit früheren Varianten, wie der Delta-Variante, aufweist. Epidemiologische Studien deuten auch darauf hin, dass für vollständig geimpfte Personen mit einer Omikroninfektion auch ein hoher Schutz gegenüber schweren Verläufen zu erwarten ist“, erläuterte Schmid.

Auch internationale Daten belegen, dass die Zahl der Durchbruchsinfektionen bei geimpften Personen durch die Omikron-Variante ansteigt, besonders bei nur zweimal Geimpften. So zeigte sich in Dänemark eine primäre Impfeffektivität (der Pfizer-mRNA-Impfung) von 55% gegenüber Omikron, die jedoch bereits nach 60 Tagen auf 15 bis 30% absank, aber durch einen Booster wieder auf ca. 55% angehoben werden konnte. Ähnliche Daten gibt es z.B. auch aus Großbritannien und aus Kanada.

Die wöchentliche AGES-Auswertung der 14-Tages-Inzidenz nach Immunschutz der österreichischen Bevölkerung zeigt für die Beobachtungsperiode KW 52–01 und KW 02–03 bei den 2+1-Geimpften eine 0,15- bzw. 0,12-fach geringere 14-Tages-Inzidenz einer symptomatischen Infektion im Vergleich zur immunnaiven Bevölkerungsgruppe. Demgegenüber hatten Personen, die zweifach geimpft waren und deren zweite Dosis zwischen 120 und 180 Tage zurücklag, nur eine 0,43- bzw. 0,35-fach geringere 14-Tages-Inzidenz im Vergleich zu den Immunnaiven – als Ausdruck der platzgreifenden immunevasiven Omikron-Variante.2

Omikron: geringere Virulenz

Glücklicherweise scheint die Virulenz der Omikron-BA.1-Variante geringer zu sein als jene der Delta-Variante – der Unterschied liegt bei ca. 24%. Allerdings ist dies relativ zu sehen, denn die Alpha-Variante zeigte bereits 162% der Virulenz des Wildtyps und die Virulenz von Delta betrug 232% der Virulenz von Alpha. „Wir haben es also bei Omikron immer noch mit einer Virulenz zu tun, die 285% – also fast das Dreifache – jener des Wildtyps beträgt“, warnte die Expertin.

Gründe für die etwas geringere Virulenz von Omikron gegenüber Delta dürften verschiedene Mechanismen sein, wie z.B. diese, dass das Spike-Protein von Omikron weniger Zellfusion induziert, der Zelleintritt durch Endozytose schwieriger, die Hemmung der intrazellulären Interferonantwort geringer zu sein scheint und dass Omikron weniger effizient im Lungengewebe repliziert sowie geringere Syncytialbildung als andere Varianten induziert. Die relativ zu den hohen Infektionszahlen geringere Zahl von Hospitalisierungen und vor allem schweren Verläufen dürfte zum einen auf die geringere Virulenz von Omikron, zum anderem aber auch auf den steigenden Immunschutz in der Bevölkerung durch Impfung bzw. abgelaufene Infektionen und den damit assoziierten Schutz gegenüber schweren Verläufen zurückzuführen sein.

US-Daten, bei denen der Verlauf von Delta- und von Omikron-Fällen verglichen wurde, zeigten eine Reduktion des Risikos für symptomatische Hospitalisierungen um 53%, für ICU-Aufnahmen um 74% und für Mortalität sogar um 91%. Erste Hinweise auf eine ähnliche Risikoreduktion für ICU-Aufnahmen bei Omikron- vs. Delta-Infektion konnten auch für Österreich in den Auswertungen der AGES gefunden werden. Ein Vergleich von Krankenhausdaten aus Vorarlberg, Wien und dem Burgenland (Datenstand 26.1.2022) betreffend intensivpflichtige Omikron- und Delta-Infektionen pro 1000 Fälle mit Labordiagnose in KW 49 bis KW 01 zeigte folgendes Bild: Bei 552 Delta-Fällen, geimpft mit zwei Dosen, wobei die zweite Dosis ≤120 Tage zurücklag, war ein intensivpflichtiger Verlauf bei drei Fällen (5,43/1000 Fälle) zu sehen; im Vergleich dazu zeigte sich bei 1942 Omikron-Fällen mit diesem Impfstatus kein intensivpflichtiger Verlauf. Bei 449 Delta-Fällen mit 2+1-Impfstatus wurden drei Patienten intensivpflichtig (6,68/1000 Fälle), gegenüber einem Fall mit intensivpflichtigem Verlauf bei den 4750 Omikron-Fällen mit diesem Impfstatus (0,21/1000 Fälle). Bei den immunnaiven Fällen (nicht geimpft und mit keiner vorangegangenen Infektion)war das Risiko für einen intensivpflichtigen Verlauf bei den Delta-Fällen im Vergleich zu Omikron um den Faktor 16 höher.

„Epidemiologische Aspekte der Pandemie – wann ist ein Ende in Sicht?“, Vortrag von Priv.-Doz. Dr. Daniela Schmid, MSc (LSHTM), AGES, Wien, im Rahmen des (hybriden) Österreichischen Impftags am 22. Jänner 2022

1 AGES: Impfeffektivität in Bezug auf SARS-CoV-2-Infektion der in Österreich eingesetzten COVID-19-Impfstoffe – Ergebnisse einer populationsbasierten Kohortenstudie, Kalenderwoche 05–35, 2021. https://wissenaktuell.ages.at/impfeffektivitaet-in-bezug-auf-sars-cov-2-infektion-der-in-oesterreich-eingesetzten-covid19-impfstoffe ; zuletzt aufgerufen am 14.2.2022 2 AGES: Symptomatische Fälle nach Kategorie des vermuteten Immunschutzes. https://wissenaktuell.ages.at/download/0/0/4984626fc301730a2bcfaa5d7b5f61293df68f67/fileadmin/AGES2015/Wissen-Aktuell/Wissen_aktuell_2022/Immunschutz_20220211_v1.pdf ; zuletzt aufgerufen am 14.2.2022

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