
Machen parenterale Therapien das Management der HIV-Infektion einfacher?
Bericht: Reno Barth
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Die Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections (CROI) fand auch in diesem Jahr virtuell statt. Unter den zahlreichen vorgestellten Abstracts fanden sich viele Studien zu parenteralen HIV-Therapien, die lange Dosierintervalle erlauben. Diese „Injectables“ eignen sich auch für die Präexpositionsprophylaxe (PrEP).
Eines der zentralen Themen der CROI 2021 war der Trend zu parenteraler antiretroviraler Medikation sowohl in der Therapie als auch in der Prophylaxe der HIV-Infektion. Der Vorteil dieser „Injectables“ liegt in längeren Dosierintervallen, was die Convenience erhöhen und die Adhärenz verbessern könnte. So ist in Europa, basierend auf den Phase-III-Studien ATLAS und ATLAS-2M, seit Dezember 2020 die Kombination von langwirksamem Cabotegravir und Rilpivirin zugelassen, die in Form von zwei Injektionen entweder monatlich oder alle zwei Monate verabreicht werden kann. Anderen Zulassungsbehörden, wie zum Beispiel der FDA, war die zweimonatliche Applikation hingegen zu unsicher. In ATLAS-2M wurden 654 Teilnehmer aus ATLAS übernommen und von monatlichen Injektionen auf eine Applikation im Abstand von zwei Monaten umgestellt. Nach 48 Wochen zeigten unter beiden Regimen 94% der Patienten keine nachweisbare Viruslast.
Im Rahmen der diesjährigen CROI wurden nun die Zwei-Jahres-Daten aus ATLAS-2M vorgestellt.1 Sie zeigen, dass in den beiden Armen bei 90,2% bzw. 91,0% der Patienten nach 96 Wochen unter Studienmedikation noch eine komplette Kontrolle der Infektion bestand. Nachweisbare Viruslast wurde bei 1,1% und 2,1% der Patienten in den beiden Armen gefunden. Bestätigtes virologisches Therapieversagen trat bei 0,4% der Studienteilnehmer unter monatlicher und bei 1,7% unter zweimonatlicher Therapie auf. Bei zehn der betroffenen elf Patienten konnte mit Umstellung auf andere Therapien wieder eine vollständige Kontrolle der Infektion erreicht werden, beim elften kam es zu Adhärenzproblemen. Analysen der Daten aus ATLAS-2M legen nahe, dass bei zweimonatiger Applikation der vorgesehene Zeitpunkt der Injektion sehr genau eingehalten werden muss, während das monatliche Regime Ungenauigkeiten verzeiht.2
Gute Daten für langwirksame, injizierbare PrEP
Injectables werden auch in der Präexpositionsprophylaxe (PrEP) untersucht. Hier wurden im Rahmen der CROI 2021 positive Daten zu Cabotegravir berichtet, das in der Studie HPTN 083 mit oralem Tenofovir-Disoproxil-Fumarat und Emtricitabin (TDF/FTC) in einer Population von Männern, die Sex mit Männern haben, verglichen wird.3 Die nun vorgestellte abschließende Auswertung der Studie zeigte bei 4566 Probanden 12 HIV-Infektionen im Cabotegravir-Arm, im Vergleich zu 39 Infektionen unter TDF/FTC. Damit liegt die jährliche Inzidenz mit Cabotegravir bei 0,37% und mit TDF/FTC bei 1,22%, was einer Reduktion der Infektionen um 68% entspricht. Analysen der Studie ergaben, dass es lediglich bei vier Infizierten im Cabotegravir-Arm unter nach Protokoll durchgeführter PrEP und bei adäquaten Wirkstoffspiegeln zur Infektion gekommen war. Diese Fälle werden nun detailliert analysiert, so Prof. Dr. Raphael Landovitz vom UCLA Center for Clinical Aids Research & Education anlässlich der Präsentation. Unter anderem wird spekuliert, dass bei manchen Personennach der ersten Injektiondie Penetration von Cabotegravir in periphere Gewebe wie Schleimhäute ungewöhnlich lange dauern könnte.3 Bereits vor einigen Monaten wurden Ergebnisse der Studie HPTN 084 vorgestellt, die die Überlegenheit von Cabotegravir im Vergleich zu TDF/FTC in der PrEP in einer weiblichen Population demonstrieren.4
In Zukunft könnten in der PrEP auch noch größere Dosisintervalle möglich werden, wie eine Phase-I-Studie mit einem Implantatnahelegt, das über ein Jahr lang Islatravir (ISL) freisetzt. ISL ist ein nukleosidischer Reverse-Transkriptase-Inhibitor mit hoher antiretroviraler Wirkstärke, die das „Verpacken“ einer ausreichenden Wirkstoffmenge in einem kleinen Implantat möglich macht. Darüber hinaus unterstützt die lange intrazelluläre Halbwertszeit des aktiven Metaboliten ISL-Triphosphat (ISL-TP) die Applikation mittels Implantat. Zu diesem Implantat in den Dosierungen von 48mg, 52mg oder 56mg ISL wurden nun in einer placebokontrollierten Phase-I-Studie in einer Population mit geringem HIV-Infektionsrisiko erste Sicherheitsdaten sowie pharmakokinetische Daten erhoben.5 Die Auswertung zeigte, dass mit allen untersuchten Dosierungen die mittleren ISL-TP-Spiegel über die Zeit mit eingesetztem Implantat über dem pharmakokinetischen Schwellenwert blieben. Das 56-mg-Implantat sollte laut Modellrechnung bei fast allen Personen für mehr als 52 Wochen die ISL-TP-Konzentrationen über dem PK-Schwellenwert halten. Unerwünschte Ereignisse waren häufig, dabei jedoch durchwegs leicht oder moderat und betrafen zumeist die Implantationsstelle. Es traten keine schweren unerwünschten Ereignisse (UE) auf und es wurden keine Behandlungsabbrüche wegen UE erforderlich.5
Zu den den innovativen und experimentellen Therapien, die sich für die parenterale Applikation eignen, gehört auch Lenacapavir, ein Capsid-Inhibitor, der bislang in kleinen Studien gute Wirksamkeit bei mehrfach vorbehandelten Patienten zeigte. Das Capsid ist jene Struktur, die das genetische Material des HI-Virus umgibt. Eine Inhibition des Capsids sollte also fundamental in den Replikationszyklus von HIV eingreifen, was für Lenacapavir auch in präklinischen Studien gezeigt worden war. In der Phase-II/III-Studie CAPELLA wurde Lenacapavir in einer Population von Patienten mit Resistenzen gegen Substanzen aus mindestens drei der vier Klassen etablierter antiretroviraler Medikamente untersucht.6 Rund zwei Drittel der Patienten waren mit einem CD4-Count unter 200 deutlich immunsupprimiert. Innerhalb von 14 Tagen wurde bei 88% der Patienten in der Lenacapavir-Gruppe ein Rückgang der Viruslast um mindestens 0,5log10 festgestellt. Nach 26 Wochen hatten 73% der Lenacapavir-Patienten eine komplette virale Suppression mit einem adäquaten Anstieg der CD4-Zelllzahl erreicht. Lenacapavir wurde gut vertragen, es traten keine schweren unerwünschten Ereignisse auf, die mit der Studienmedikation in Zusammenhang gebracht werden konnten. Lediglich bei zwei Patienten wurden Capsid-Mutationen beobachtet, die zu einer Resistenz gegen Lenacapavir führten.6
Covid-19: HIV-Patienten erkranken seltener, aber schwerer
Intuitiv könnte man annehmen, dass Menschen mit HIV-Infektion (PLWH) ein höheres Risiko aufweisen, schwer an Covid-19 zu erkranken. Aktuelle, im Rahmen der virtuellen CROI 2021 vorgestellte Daten zeichnen jedoch ein widersprüchliches Bild. Die Autoren verglichen Serumproben ambulanter PLWH-Patienten (n=955), die sich im San Francisco General Hospital zwischen August und Oktober 2020 routinemäßigen Labortests unterzogen hatten, mit denen ambulanter Patienten ohne HIV-Infektion (n=1062). Weiters wurden die klinischen Charakteristika einer allfälligen Covid-19 Erkrankung erhoben. HIV-positive Patienten wurden nach Alter und Zeitpunkt der Blutabnahme mit jeweils ein bis zwei HIV-negativen Kontrollen gematcht. Zusätzlich zur Seroprävalenz wurde auch der IgG-Titer bestimmt.7
Die Auswertung zeigte bei den HIV-positiven Patienten eine um rund die Hälfte geringere SARS-CoV-2-Seroprävalenz als bei Patienten ohne HIV-Infektion. Die Seroprävalenz betrug 3,1% bei PLWH im Vergleich zu 6,8% bei Patienten ohne HIV (OR: 0,41; 95% CI: 0,25-0,68; p<0,001). Allerdings war das Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken, bei bestehender HIV-Infektion mehr alsdreimal so hoch, wobei eine schwere Erkrankung durch Sauerstoffbedarf definiert war. Bei den SARS-CoV-2-seropositiven HIV-Patienten waren die IgG-Titer allerdings um mehr als die Hälfte niedriger als bei den gematchten Kontrollen. Als Grund für die niedrigere Seroprävalenz vermuten die Autoren, dass HIV-positive Personen mehr darauf achteten, eine Infektion mit SARS-CoV-2 zu vermeiden, und beispielweise Abstandsregeln besser einhielten. Dies könne auch dazu geführt haben, dass Infektionen mit einer geringeren Virenzahl erfolgten, was auch den niedrigeren Titer neutralisierender Antikörper erklären könnte. In Verbindung mit dem häufigeren Auftreten schwerer klinischer Symptome bestehe jedoch Grund zur Befürchtung, dass die HIV-Infektion zu einer schwächeren Immunantwort auf SARS-CoV-2 führe. Die sei vor allem im Hinblick auf Impfungen bedeutsam. Die Autoren empfehlen daher den Einschluss HIV-positiver Probanden in Vakzinstudien. Unter Umständen könnte in dieser Population nach einer Impfung eine Kontrolle des Antikörpertiters und damit des Impferfolges erforderlich sein.
Literatur:
1 Jaeger H et al.: Week 96 efficacy and safety of cabotegravir + rilpivirine every 2 months: ATLAS-2M. Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections 2021; Abstract No. 401 2 Han K et al.: Cabotegravir PPK simulation to inform Q2M strategies following dosing interruptions. Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections 2021; Abstract No. 373 3 Marzinke M (presenter Landovitz RJ): Laboratory analysis of HIV infections in HPTN 083: injectable CAB for PrEP. Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections 2021; Abstract No. 183 4 Presseaussendung des HIV Prevention Trails Network vom 9.11.2020 5 Matthews RP et al.: Next-generation islatravir implants projected to provide yearly HIV prophylaxis. Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections 2021; Late-Breaking Abstract No. 88 6 Segal-Maurer S et al.: Potent antiviral activity of lenacapavir in phase 2/3 in heavily ART-experienced PWH. Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections 2021; Abstract No. 127 7 Spinelli M et al.: SARS-CoV-2 seroprevalence and IgG levels are lower among people living with HIV. Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections 2021; Abstract No. 637
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