
Update Radionekrose im Kopf-Hals-Bereich
Autor:
OA Dr. Andreas Strobl
Stellvertreter des Abteilungsleiters
Abteilung für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde
Ordensklinikum Linz GmbH
Barmherzige Schwestern
E-Mail: andreas.strobl@ordensklinikum.at
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Die infizierte Radionekrose bei Bestrahlungen im Kopf-Hals-Bereich ist eine selten gewordene, aber nach wie vor schwerwiegende Therapiefolge. Sie bringt einerseits eine beträchtliche Lebensqualitätseinschränkung und andererseits schwere Krankheitsverläufe mit Sepsisgefahr mit sich. Da die Therapie zeitaufwendig und oftmals vielschichtig ist, ist die Prophylaxe vor Radiotherapiebeginn und Prävention während der Strahlentherapie von großer Bedeutung.
Keypoints
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Die Einführung der IMRT führte zur Nekrosereduktion.
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Die Tumorlokalisation ist ein wesentlicher Nekroserisikofaktor.
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Die gemeinsame Planung von Radioonkologen und Chirurgen sowie eine zahnärztliche Mitbetreuung sind zentrale Säulen in der Nekroseprophylaxe.
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Heute gibt es vielfältige konservative Therapieansätze, aufwendige chirurgische Eingriffe bleiben aber gelegentlich nicht aus.
Radiogene Beschwerden im Mund-, Rachen- und Kehlkopfbereich werden in akut toxische und chronisch toxische Schädigungen unterteilt: Akute Strahlenfolgen beinhalten Mukositisgrade I bis IV sowie Symptome wie Dysphagie, Dyspnoe und Dysgeusie. Zu den chronischen Nebenwirkungen zählen Xerostomie mit zunehmendem Kariesbefall, ebenso persistierende Dysphagien und Dyspnoe verbunden mit Heiserkeit und Aspirationsneigungen. Weiters können auch Trismen, Kiefergelenksokklusinsdefizite und Sensibilitätsstörungen auftreten. Schwellungen der Mund- und Rachenschleimhaut verbunden mit Schmerzen und Foetor ex ore deuten auf beginnende Nekrosen von Weichgewebe, Knochen und Knorpel hin.Dies kann letztlich zu pathologischen Frakturen, erhöhter Zahnmobilität und Zahnverlust, oroantralen oder orokutanen Fisteln bis hin zur Sepsis führen.
Trendumkehr Osteoradionekrosen
Während man in den 1960er-Jahren mit bis zu 30% von Osteoradionekrosen des Unterkiefers rechnen musste, reduzierten sich diese aufgrund geänderter Strahlenmodi gegen Ende der 1990er-Jahre bereits auf circa 8%. Die Einführung der intensitätsmodulierten Radiotherapie (IMRT) ließ Osteoradionekrosen sowohl im Bereich des Unterkiefers als auch im Bereich des Larynx auf 1–5% schrumpfen. Umgekehrt besteht aufgrund verbesserter multimodaler Therapieansätze das Bestreben zum Larynxorganerhalt bei fortgeschrittenen Karzinomen. Dies birgt im Kehlkopf die Gefahr einer Trendumkehr.
Pathogenese der Radionekrosen
Die hochenergetische Radiotherapie führt im Tumorgewebe zur gewünschten DNA-Schädigung und zum Zelltod. Im Kopf-Hals-Bereich sind dabei auch gesundes Schleimhautgewebe und knöcherne/knorpelige Strukturen besonders gefährdet: Die Bestrahlung hat im Knochen/Knorpel eine Hypozellularität zur Folge, es bildet sich bindegewebiger Knochenersatz mit minderer Qualität. Gleichzeitig werden die Gefäße des Knochens geschädigt, es kommt zu Endarteriitiden mit Thrombosierungen undin der Folge zur Hypovaskularität: Schreitet der Prozess voran, entwickelt sich eine aseptische Knochennekrose. Postradiogene Veränderungen der Mundflora, reduzierte Speichelproduktion und ein verminderter pH-Wert begünstigen ein infektiöses Geschehen. Zusätzliche Traumata, hervorgerufen u.a. durch mangelhaft sitzende Zahnprothesen, unterstützen eine Nekroseentwicklung über Jahre.
Unterschiede im Knochenaufbau und in der Gefäßversorgung von Ober- und Unterkiefer führen dazu, dass Nekrosen eher in lateralen Regionen der Kieferknochen entstehen, zudem ist der Unterkiefer wesentlich häufiger betroffen als der Oberkiefer. Postradiogene Nekrosen beim Larynx beginnen in der Regel mit Arytenoidgelenksfixationen und Muskelfibrosierungen mit Elevationsminderungen, in weiterer Folge können Teile von Schild-, Ringknorpel oder Zungenbein absterben. Nekrosen können auch Jahre nach Abschluss der Radiotherapie auftreten.
Was sind Risikofaktoren für die Entwicklung von Nekrosen?
Es macht Sinn, Risikofaktoren in patientenbedingte und therapiebedingte Faktoren zu unterteilen:
Laut aktueller Literatur dürfte von Patientenseite hauptsächlich die Tumorlokalisation einen Einfluss auf eine Nekroseentwicklung haben: Wenn der Tumor direkt dem Knochen oder Knorpel anliegt, sind diese Strukturen, trotz zielgenauer Bestrahlung mittels IMRT, nach wie vor schwierig auszusparen. Andere Faktoren,wie verminderter Speichelfluss, schlechte Mundhygiene, schlechter Zahnstatus, C2- und Nikotinabusus verloren im Hinblick auf Nekroseentwicklung in Relation etwas an Bedeutung. Auch Mangelernährung und Begleiterkrankungen, wie Diabetes mellitus und eingeschränkte Immunkompetenz, spielen nach wie vor eine Rolle.
Therapiebedingt erhöhen chirurgische Eingriffe mit Osteo-, Chondro- und hohen Tracheotomien sowie Zahnsanierungen im zeitnahen Vorfeld zur Bestrahlung die Nekrosegefahr. Von radioonkologischer Seite begünstigen Strahlendosen von über 60Gray (Gy) in vulnerablen Bereichen diese Entwicklung. Sowohl bei der primären Radiotherapie (70–72Gy) als auch bei adjuvanter Bestrahlung (50–66Gy) werden diese Dosen erreicht. Weitere Faktoren sind Fraktionierung und Zielvolumen. Eine simultane Systemtherapie führt kaum zu einer Nekroserisikoerhöhung.
Da Nekrosetherapien langwierig und multimodal sind und häufig mit mutilierenden Eingriffen enden, wurde seit Jahren verstärkt Augenmerk auf Prophylaxe vor Radiotherapiebeginn und Prävention während der Strahlentherapie gelegt.
Prophylaxe vor Radiotherapiebeginn
Auch wenn es in der Alltagsroutine häufig an zeitlichen Ressourcen mangelt, scheint eine gemeinsame Konturierung durch Radioonkologen und Chirurgen ein großer Vorteil zu sein. Bei der interdisziplinären Planung durch Experten können schützenswerte Organe wie Speicheldrüsen und vulnerable Strukturen bestmöglich ausgeklammert werden (Abb. 1).
In onkologischen Zentren etablierte sich in den letzten Jahren eine zahnärztliche Mitbetreuung im Vorfeld als Standardvorgehen: Es erfolgen je nach Bedarf Zahnsanierungen sowie die Anpassung von Fluoridierungs- und Abstandsschienen. Hinsichtlich der Zahnbehandlungen erfolgen eine Glättung von Kanten und eine Entfernung von Belägen, avitale und parodontal geschädigte Zähne werden entfernt. Eine zunehmende Zurückhaltung wird bei vitalen Zähnen angestrebt. Hier wird individuell abgewogen und hauptsächlich bei Infektionen an der Wurzel und bei apikalen Osteolysen extrahiert. Fluoridierungsschienen stärken die Zähne und schützen somit vor Karies,sie sollen vom Patienten beim Schlafen wenn möglich zeitlebens getragen werden. Abstandsschienen sind bei Amalganfüllungen und Goldimplantaten vorgesehen, werden während des Bestrahlungsvorganges eingesetzt und schützen so die Schleimhaut vor Streustrahlung.
Im Falle von Zahnentfernungen und chirurgischen Eingriffen vor Beginn der Strahlentherapie soll die Wundheilung abgeschlossen sein.
Angebote zur Nikotin- und Alkoholentwöhnung, Diät- und logopädische Beratungen mit Schlucktrainings bis hin zur PEG-Sondenversorgung komplettieren die unterstützenden Maßnahmen.
Prävention während der Strahlentherapie
Eine effektive Behandlung von Entzündungen der Haut und Schleimhäute während und nach Ende der Bestrahlung ist ein wesentlicher Schlüssel, um die Nekrosegefahr hintanzuhalten: Zusätzlich zu den bereits erwähnten Maßnahmen bedarf es einer lokalen und systemischen medikamentösen Unterstützung: Hierzu zählt neben einer intensiven Mundhygiene mit milden Gurgellösungen eine suffiziente Schmerztherapie. Bedarfsweise kann eine lokale oder systemische antimikrobielle Therapie verordnet werden. Der in unserer Klinik erfolgreich eingesetzte Low-Dose- Flächenlaser führt bei der Behandlung der Mukositis zu biochemischen und letztlich auch strukturellen Reaktionen im behandelten Gewebe, die in ihrer Gesamtheit „Photobiomodulation“ (PBM)genannt werden: Hier werden einerseits regenerative Prozesse in den behandelten Zellen angeregt, andererseits stößt der Laser eine Induktion sowohl antiinflammatorischer als auch analgesierender Effekte im behandelten Gewebe an.
In bestrahlten Arealen sollten wenn möglich während der Radiotherapie und bis zehn Wochen nach deren Ende keine chirurgischen Behandlungen inklusive Zahnextraktionen erfolgen. In weiterer Folge sind Eingriffe unter Mitbeteiligung bestrahlter Knochen und Knorpeln stets unter antibiotischem Schutz durchzuführen.
Diagnostik von Radionekrosen
Leitsymptom sind langfristig (3–6 Monate) nicht heilende dem Knorpel oder Knochen anliegende Schleimhautareale nach Strahlentherapie. Üblicherweise erfolgt die erste Restaginguntersuchung 8–12 Wochen nach Radiotherapieende. Bereits zu diesem Zeitpunkt ist auf Anzeichen von beginnenden Nekrosen zu achten: Bei der Mund-Rachen-Larynx-Inspektion sind schmerzhafte, schlecht heilende, fibrinbedecke Ulzera, freiliegende Knochenareale und Sensibilitätsstörungen erste Anzeichen. In Zusammenschau mit klassischen Schichtbildgebungen, wie MRT oder PET-CT, sind weitere Rückschlüsse möglich (Abb. 2). Zur genaueren Diagnosesicherung sind laborchemische, mikrobiologische und histologische Untersuchungen unumgänglich. Besonders im Larynxbereich ist eine Unterscheidung zwischen Nekrose und Rezidiv oft sehr schwer. Hier bieten Informationen aus der Bildgebung, wie Gasansammlungen und ein nekrotischer Knorpelkollaps, weitere wichtige Hinweise.
In weiterer Folge sind Fistelungen, erhöhte Zahnmotilität, Funktions- und Sensibilitätsstörungen klassische Nekrosezeichen.
Therapiemanagement von Radionekrosen
Nekrosetherapien erfordern zumeist einen oftmaligen Patientenkontakt, bringen Rückschläge mit sich und enden nicht selten in aufwendigen mutilierenden Eingriffen. Als Basis für eine effektive Therapie ist eine optimale Kalorienzufuhr anzustreben.
Bei kleinen, umschriebenen Nekrosen beträgt die Heilungsrate laut Literatur mit Débridement und konservativen Maßnahmen rund 60%: Hierzu werden nach mechanischer Wundreinigung lokal antiseptische Maßnahmen durchgeführt, eine suffiziente Schmerztherapie wird beibehalten und meist eine Langzeitantibiose (cave: Resistenzentwicklung) je nach Antibiogramm angewandt.
In der Literatur gibt es nach wie vor keine klaren Empfehlungen zur lokalen Therapie mit Pentoxifyllin und Tocopherol in Kombination mit Clodronat sowie zur hyperbaren Sauerstofftherapie und zur bereits erwähnten Low-Level-Diodenlaser-Therapie zur Nekrosebehandlung. Obwohl es bei diesen Behandlungen oft beachtliche Erfolge gibt, sind weitere klinische Studien nötig.
Bei fortgeschrittenen Nekrosen verzeichnen radikalchirurgische Eingriffe in der Hand von erfahrenen Chirurgen eine Heilungsrate von ca. 90%. Zusätzlich kann auf diese Art Komplikationen, wie pathologischen Frakturen mit Nervenschädigungen und schweren Infektionen, vorgebeugt werden. Im Bereich der Mundhöhle und des Kieferknochens spannt sich der Bogen von Sequesterentfernungen über Spangenresektionen bis hin zu Teilresektionen. Deckungen mit Schwenk-, gestielten oder freien Lappen inkl. Rekonstruktionen mit autologen Knochentransplantaten oder Rekonstruktionsplatten sind oftmals notwendig. Auf Hyoidebene reicht meist das transorale Abtragen nekrotischer Sequester. Auf Larynxniveau ist auch immer der Organerhalt in die Entscheidungsfindung miteinzubeziehen: Aufgrund einer Stenosierungstendenz ist meistens eine Tracheotomie unumgänglich. Bei guter Schluckfunktion und Restbeweglichkeit des Stimmbandapparats kann im Sinne des Larynxerhalts versucht werden, nekrotisches Gewebe mittels eines transoralen Zugangs abzutragen. Zudem kann bei daraus resultierender hochgradiger Larynxstenose oder -atresie für einige Wochen ein Larynxstent zur Rekanalisation eingebracht werden. Bei nekrotischem, funktionslosem Larynx mit Aspirationsneigung und Aphonie ist eine Laryngektomie mit Pectoralis-major-Lappen-Deckung zu diskutieren.
Fazit
Radionekrosen sind nach Einführung der IMRT eine selten gewordene postradiogene Komplikation im Kopf-Hals-Bereich. Aufgrund des hohen therapeutischen Aufwandes ist großer Wert auf Prophylaxe und Prävention zu legen. Eine gemeinsame Planung von Radioonkologen und Chirurgen trägt zum Schutz vulnerabler Regionen bei. Eine optimale zahnärztliche Versorgung mindert postradiogene Folgeschäden nachweislich. Mit Low-Level-Laser- und hyperbarer Sauerstofftherapie werden gute Therapieerfolge beschrieben.Oftmals enden Nekrosetherapien aber in aufwendigen chirurgischen Resektionen.
Literatur:
beim Verfasser