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65. Österreichischer HNO-Kongress 2021

Neurolaryngologie in Österreich

Auf dem diesjährigen Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie in Innsbruck präsentierte die neugegründete Arbeitsgemeinschaft „Neurolaryngologie Austria“ erstmals ihr Vorhaben und ihre Visionen.

Keypoints

  • Die Neurolaryngologie befasst sich mit neurogenen Erkrankungen des Larynx.

  • Die Schwerpunkte der Neurolaryngologie liegen in der ständigen Optimierung und Weiterentwicklung klinischer Untersuchungsmethoden und Thera-pieoptionen mit dem Ziel evidenzbasierter Patientenbetreuung.

  • Die Ziele der Arbeit der Arbeitsgemeinschaft Neurolaryngologie Austria sind für die kommenden Jahre umfangreich aufgestellt. Mehr dazu unter www.neurolaryngologie.at.

  • Im Vordergrund steht die verbesserte und transparente Vermittlung von neurolaryngologischen Inhalten und Informationen.

  • In der Kategorie „Wissenswertes“ werden fachliche Hintergründe zu Physiologie, Pathologie, Diagnostik und Therapie präsentiert.

  • Die Kategorie „Aktuelles“ dient dem Zugang zu ­aktuellen Fortbildungs­angeboten und Kongressen und dem Zugang zu Auf­klärungsbogen für klinische Interventionen.

  • In der Kategorie „Wissenschaftliches“ werden Beiträge zu aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen und Studien vorgestellt. Die Kategorie „Aktuelles“ dient dem Zugang zu aktuellen Fortbildungsangeboten und Kongressen und dem Zugang zu Aufklärungsbogen für klinische Interventionen.

  • Die Arbeit der Arbeitsgemeinschaft dient der besseren Aufklärung über diagnostische und therapeutische Verfahren in der Neurolaryngologie und deren Einsatz in der klinischen Routine.

Wörtlich genommen beschäftigt sich die „Neurolaryngologie“ mit allen Themen rund um die Neurologie des Larynx. Der Begriff findet sich in der Fachsprache erst seit etwa 40 Jahren.1 Hört man den Begriff Neurolaryngologie, denkt man meist an Neurootologie, die innerhalb der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde auf eine weit längere Tradition zurückblickt. Die Neurolaryngologie hat sich durch die intensive Zusammenarbeit von Laryngologen und Neurologen unter dem klinischen Eindruck etabliert, zahlreiche bis dahin unklare laryngeale Störungen, die aufgrund unbekannter Ursachen als idiopathisch oder sogar psychogen klassifiziert wurden, nach neurogenen Aspekten zu untersuchen. Dieser funktionelle Zugang umfasst dabei periphere und zentrale Steuerungsprozesse laryngealer und pharyngealer Strukturen.

Im Fokus der Laryngologie stehen üblicherweise entzündliche und tumoröse Veränderungen als wichtigste Untergruppen organischer Dysphonien. Mit dem steigenden Kommunikationsbedarf im beruflichen und sozialen Umfeld gewinnt auch die Beschäftigung mit habituellen/berufsbedingten/konstitutionellen/psychogenen Ätiologien funktioneller Dysphonien klinisch immer mehr an Bedeutung. Soziodemografische Entwicklungen mit einer sich nach oben hin öffnenden Alterspyramide und der Zunahme alterstypischer Stimmerkrankungen wie Stimmtremor, Morbus Parkinson und Presbyphonie sowie die Zunahme von ein- und beidseitigen Stimmlippenparesen aufgrund steigender Anzahl operativer Eingriffe im Verlauf des Nervus vagus und seiner Äste stellen die Laryngologen weltweit vor zunehmende Herausforderungen, um durch effizientere Diagnostik und neue Therapieverfahren die Stimm- und damit Lebensqualität betroffener Patienten zu verbessern.

In Österreich finden sich neurolaryngologische Schwerpunktzentren derzeit an den Universitätskliniken in Graz, Innsbruck und Wien.

Überblick über wichtige neurolaryngologische Störungsbilder

Manche Krankheitsbilder wie der Laryngospasmus oder die spasmodische Dysphonie konnten lange Zeit nicht erklärt werden. Erst die Anwendung neurolaryngologischer Diagnostik bei solchen Krankheitsbildern konnte ätiologische Hintergründe aufzeigen.

Aktuell liegen die Schwerpunkte neurolaryngologischer Diagnostik und Therapie auf dystonen Bewegungsstörungen im Kopf-Hals-Bereich, Stimmtremor und ein- bzw. beidseitigen Stimmlippenbewegungsstörungen. Dabei steht die bessere Betreuungsmöglichkeit der daraus resultierenden Stimm-, Schluck- und Atemfunktionsstörungen im Mittelpunkt.

Spasmodische Dysphonie

Die spasmodische Dysphonie ist die häufigste Form der fokalen Dystonien im HNO-Bereich. Typischerweise ist sie durch unregelmäßige und nicht kontrollierbare Unterbrechungen des Sprechflusses gekennzeichnet.2 Es kann der häufiger auftretende Adduktortyp mit gepresstem Stimmklang sowie Pausen und Abbrüchen von einem Abduktortyp mit flüsternder, teilweise sogar aphoner Sprechweise unterschieden werden. Mischformen treten eher seltener auf. Ihre Häufigkeit wird mit etwa 1:100000angegeben.3 Die spasmodische Dysphonie kann bereits im jungen Erwachsenenalter auftreten. In späteren Lebensdekaden können neben spasmodischen Stimmsymptomen auch Kombinationen mit Tremorkomponenten beobachtet werden. Neueste Studien gehen von einem Verlust der kortikalen Hemmung, sensorischen Eingangsstörungen und neuroanatomischen Veränderungen als Ursachen aus.4

Die Diagnose der spasmodischen Dystonie ist meist eine Hördiagnose. Laryngostroboskopische Untersuchungen, akustische Stimmklanguntersuchungen und die Elektromyografie des Larynx sichern die Verdachtsdiagnose. Therapeutisch wurde in der Vergangenheit regelmäßig die logopädische Stimmübungstherapie indiziert, die jedoch zumeist frustran verläuft.5 Aufgrund des hohen Leidensdrucks und sekundärer psychogener Auswirkungen auf Berufstätigkeit und private Lebensbereiche empfiehlt sich jedoch eine psychologische Begleitung. Standardtherapie ist derzeit die minimalinvasive chemochirurgische Nervenblockade mit Botulinumtoxin, die zu einer teilweisen Lähmung der überaktiven Muskeln führt.6,12 In den vergangenen Jahrzehnten wurde auch immer wieder über verschiedene chirurgische Therapieansätze berichtet, die jedoch keine breite klinische Akzeptanz gefunden haben.7 Neuere Studien fokussieren sich neben der Anwendung tiefer Hirnstimulation auf die elektrische Neuromodulation, die intramuskulär, oberflächlich oder über sensible Nerven appliziert werden kann.8,9

Stimmtremor

Der Stimmtremor tritt mit einer Häufigkeit von etwa 4% in der Population über 40 Jahre und mit steigender Häufigkeit in höheren Lebensdekaden auf. Er ist häufiges Begleitsymptom des essenziellen Tremors, der andere Körperregionen und Extremitäten betreffen kann. Nichtreguläre und aperiodische Schwingungen der Stimmlippen ohne willkürliche Kontrollmöglichkeit über die Stimmfrequenz durch den Sprecher sind typische klinische Kennzeichen. Der Stimmtremor entsteht vordergründig durch isolierte oder kombinierte muskuläre Kontraktionen im Bereich von Gaumen, Pharynx, Larynx und Atemmuskulatur.

Grundsätzlich gibt es keine Therapie für den Stimmtremor, die als Standardtherapie mit nachhaltigem Erfolg anerkannt ist. Die logopädische Therapie kann in der Behandlung des Stimmtremors wenig beitragen. Medikamentöse Therapiekonzepte erreichen nur bei einigen Patienten eine Symptomverbesserung, führen aber oft zu therapielimitierenden Nebenwirkungen, die die Akzeptanz bei den Betroffenen verringert. Derzeit ist die häufigste Therapie, die in der klinischen Routine verwendet wird, die Injektion von Botulinumtoxin in den Musculus vocalis.10,12 Dies führt meist zu einer Abnahme der aperiodischen Stimmklangsignale, aber auch temporär zu einer etwas behauchteren Stimme. Neue Therapieansätze, die derzeit in klinischen Studien erprobt werden, basieren auf der Verwendung von Strom, der entweder über oberflächliche Hautelektroden oder über eingestochene Elektroden an den betroffenen Muskel herangeführt wird (eigene unveröffentlichte Daten).

In seltenen Fällen können dystone und tremorartige Stimmveränderungen gleichzeitig auftreten und die Diagnosestellung deutlich erschweren. Der diese Situation beschreibende Begriff „dystoner Tremor“ ist terminologisch relativ neu und das Phänomen tritt auch eher selten auf.11

Stimmlippenmotilitätsstörungen

Ein- und beidseitige Stimmlippenmotilitätsstörungen sind aufgrund zunehmender Häufigkeit ein Schwerpunktthema der Neurolaryngologie. Für eine passende ursachenorientierte Therapie gilt es, mechanische und myogene Ursachen von neurogenen Ursachen abzugrenzen. Der Nervus vagus hat dabei eine zentrale Bedeutung für die Steuerung der Kehlkopffunktion und übernimmt mit seinen Ästen N. laryngeus superior und N. laryngeus inferior motorische und sensible Funktionen. Je nach Schädigungsort ergeben sich typische sensible Ausfälle und Lähmungsbilder.

Die Ursachen von Stimmlippenlähmungen sind vielfältig. Sie können durch iatrogene Nervenschädigungen im Rahmen von Halsoperationen oder Operationen im Brustkorb entstehen. Weitere Ursachen können Entzündungen durch zumeist Viren oder Tumoren im Nervenverlauf mit Druck auf Nervenäste oder Infiltration der Nerven sein. Kann keine eindeutige Ursache gefunden werden, spricht man von einer sogenannten idiopathischen Genese.

Die Schilddrüsenchirurgie wurde von der Gesamtheit aller Nicht-Schilddrüsen-Operationen als Ursache für einseitige Stimmlippenparesen abgelöst.13 Die Schilddrüsenchirurgie bleibt allerdings die häufigste Ursache beidseitiger Stimmlippenparesen.

Die operative Therapie von benignen Schilddrüsenerkrankungen geht in 3,4% der Fälle mit temporären, jedoch nur in 0,3% mit permanenten Rekurrensparesen einher.14 Bei Schilddrüsenmalignomen finden sich postoperativ 7,2% temporäre und 1,2% permanente Paresen.

Die Symptomatik einseitiger Rekurrensparesen ist abhängig von Stellung und Spannung (Tonus) der betroffenen gelähmten Stimmlippe (Abb. 1). Sie kann entweder mittig (median), etwas seitlich von der Mittellinie (paramedian), in Zwischenposition (intermediär) oder in Respirationsstellung (lateral) stehen. In manchen Fällen bedingt die Lähmung auch einen Tonusverlust der betroffenen Stimmlippe. Je nach Stellung und Tonus resultieren unterschiedliche Heiserkeitsgrade durch Beeinträchtigungen des Glottisschlusses und des Schwingungsverhaltens der Stimmlippen.

Abb. 1: Laryngostroboskopische Beurteilungskriterien bei einseitiger Rekurrensparese („unilateral vocal fold paresis“; UVFP) (Quelle: Schneider-Stickler, Leonhard)

Die Phonation bei einseitiger Stimmlippenlähmung imponiert bei Irregularitäten, Phasendifferenzen und Schwingungsasymmetrien der Stimmlippen mit perzeptiv wahrnehmbarer Rauigkeit sowie bei insuffizientem Stimmlippenschluss mit Behauchtheit und Heiserkeit. Diese können nach der RBH(Rauheit, Behauchtheit und Heiserkeit)-Skala bzw. GRBAS(„grade, roughness, breathiness, asthenia, strain“)-Skala semiquantitativ beurteilt werden. Durch den erhöhten Luftverlust beim Sprechen müssen die Patienten häufig bereits nach kurzen Phrasen nachatmen und geben eine Belastungsdyspnoe beim Sprechen an.

Je nach klinischem Befund sollte zwischen einer Parese (inkomplette Lähmung) und einer Paralyse (komplette Lähmung) und je nach Verlauf zwischen einer temporären und einer permanenten Lähmung unterschieden werden.

Während bei einseitigen Lähmungen die Heiserkeit im Vordergrund steht, ist die beidseitige Stimmlippenlähmung je nach posteriorer Glottisweite mehr oder weniger akut durch Atemnot charakterisiert. In diesen Fällen muss entschieden werden, ob eine glottiserweiternde Maßnahme indiziert ist.

Im Falle einer ausreichend weiten posterioren Glottis und ausreichender Oxygenierung kann zugewartet werden. Je schmaler der verbleibende Atemspalt, desto rascher muss die glottiserweiternde Intervention erfolgen. Ein Luftröhrenschnitt, auch Tracheotomie genannt, muss in Betracht gezogen, sollte aber möglichst vermieden werden.

Für die Therapieentscheidung bei ein- und beidseitigen Stimmlippenlähmungen ist nicht nur der Grad der Beeinträchtigung von Stimme, Atmung und Schluckfunktion maßgeblich, sondern auch der zeitliche Verlauf (Abb. 2). Der initialen akuten Phase für wenige Wochen folgt eine Zwischenphase für Wochen bis Monate und nach vier bis fünf Monaten eine chronische Phase. Im Falle der Regeneration der Nervenfunktion spricht man von einer temporären Parese, im Falle des Ausbleibens regenerativer Prozesse von einer permanenten Parese. Da der Nerv für jede Form der Regeneration unterschiedlich lange braucht, resultiert eine zumeist unterschiedlich lange Zwischen- oder Intermediärphase.

Abb. 2: Therapieempfehlungen bei einseitigen (UVFP) und beidseitigen (BVFP) Stimmlippenparesen in Abhängigkeit vom zeitlichen Verlauf und unter Berücksichtigung der individuellen klinischen Symptomatik

Im Falle einer akut aufgetretenen Stimmlippenparese sollte mit oralen Antiphlogistika, Multivitaminpräparaten und abschwellenden Medikamenten interveniert werden. Der Einsatz anderer Therapieoptionen richtet sich nach individuellen stimmlichen bzw. respiratorischen Symptomen und der ein- bzw. beidseitigen Ausprägung.

Fazit

Vor dem Hintergrund dieser skizzierten neurolaryngologischen Störungsbilder hat sich die Arbeitsgemeinschaft „Neurolaryngologie Austria“ die Vermittlung von thematisch Wissenswertem, Wissenschaftlichem und Aktuellem sowohl für Patienten als auch Fachkollegen aller an die Thematik angrenzenden Fachdisziplinen zum Ziel genommen. Weitere Informationen sind auf der Website www.neurolaryngologie.at nachzulesen.

1 Woodson G: Neurolaryngology: past, present, and future. Otolaryngol Clin North Am 2000; 33(4): 895-904 2 Murry T: Spasmodic dysphonia: let’s look at that again. J Voice 2014; 28: 694-9 3 Castelon Konkiewitz E et al.: Service-based survey of dystonia in munich. Neuroepidemiology 2002; 21: 202-6 4 Hintze JM et al.: Spasmodic dysphonia: a review. Part 1: Pathogenic factors. Otolaryngol Head Neck Surg 2017; 157(4): 551-7 5 Kodama N et al.: Effects and differences of voice therapy on spasmodic dysphonia and muscle tension dysphonia: a retrospective pilot study. J Voice 2021; 0892-1997(21)00236-8 6 Watts CC et al.: Botulinum toxin injections for the treatment of spasmodic dysphonia. Cochrane Database Syst Rev 2004; 3: CD004327 7 Sanuki T, Yumoto E: Long-term evaluation of type 2 thyroplasty with titanium bridges for adductor spasmodic dysphonia. Otolaryngol Head Neck Surg 2017; 157(1): 80-4 8 Khosravani S et al.: Laryngeal vibration as a non-invasive neuromodulation therapy for spasmodic dysphonia. Sci Rep 2019; 9(1): 17955 9 Pitman MJ: Treatment of spasmodic dysphonia with a neuromodulating electrical implant. Laryngoscope 2014; 124(11): 2537-43 10 Adler CH et al.: Botulinum toxin type A for treating voice tremor. Arch Neurol 2004; 61(9): 1416-20 11 Elble R, Deuschl G: Milestones in tremor research. Mov Disord 2011; 26(6): 1096-105 12 Kaye R, Blitzer A: Chemodenervation of the larynx. Toxins (Basel) 2017; 9(11): 356 13 Rosenthal LH et al.: Vocal fold immobility: a longitudinal analysis of etiology over 20 years. Laryngoscope 2007; 117(10): 1864-70 14 Steurer M et al.: Advantages of recurrent laryngeal nerve identification in thyroidectomy and parathyroidectomy and the importance of preoperative and postoperative laryngoscopic examination in more than 1000 nerves at risk. Laryngoscope 2002; 112(1): 124-33

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