
Innenohrforschung in Wien: bewegte Jahre
Autoren:
Assoc. Prof. Dr. Christoph Arnoldner
Dr. Matthias Gerlitz
Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten
Medizinische Universität Wien
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Das Cochlea-Implantat (CI) ist heutzutage mit circa einer Million durchgeführten Eingriffen die erfolgreichste Neuroprothese der Welt.1 Seit der Implantation des weltweit ersten Mehrkanal-CI an der Wiener Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten im Jahr 1977 ist die Geschichte der Cochlea-Implantation bis heute mit der Wiener HNO-Klinik verknüpft.
Keypoints
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1977 fand die weltweit erste Implantation eines Mehrkanal-CI in Wien statt.
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Am AKH Wien befindet sich das größte Cochlea-Implantationsprogramm in Österreich.
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Innovative neue Ansätze sind die Roboter-assistierte Cochlea-Implantation und das vollständig implantierbare CI.
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Durch Kooperation von Forschung und Klinik wird auf das „augmented cochlear implant“ hingearbeitet.
Anfänge der Cochlea-Implantation in Wien
Beginnend mit der CI-Entwicklungdurch Univ.-Doz. DDr. Ingeborg Hochmair-Desoyer und Univ.-Prof. DDr. Erwin Hochmair 1975 in Wien konnte am 16. Dezember 1977 das weltweit erste mikroelektrische Mehrkanal-CI durch den damaligen Vorstand der II. HNO-Klinik, Univ.-Prof. Dr. Kurt Burian, erfolgreich implantiert werden. Das neu entwickelte Implantat wurde über das runde Fenster in die Scala tympani eingeführt, sodass nach elektrischer Stimulation bei einem bilateral ertaubten Patienten erstmals ein Höreindruck erzeugt werden konnte. Dies stellt bis heute einen Meilenstein auf dem Gebiet der Cochlea-Implantation dar. Der damals verwendete erste Prototyp des CI verfügte über acht Kanäle mit einer intracochleären Einführtiefe von 22 bis 25mm.2 Die Wiener Erfahrungen mit der neuartigen, implantierbaren Hörprothese spiegelten sich auch in zahlreichen Publikationen wider, die zur Weiterentwicklung des CI maßgebend beitragen konnten.3–5
Abb. 1: 6-Kanal- und 4-Kanal-Implantat 1978 (zur Verfügung gestellt mit freundlicher Genehmigung von MED-EL)
Ursprünglich an der technischen Universität Wien entwickelt, führten die neu erworbenen Erkenntnisse über die Cochlea-Implantation zur Gründung der Firma MED-EL durch das Ehepaar Hochmair im Jahr 1990. Heute ist MED-EL mit Firmensitz und Produktionsstandort in Innsbruck der zweitgrößte CI-Hersteller weltweit und dominiert den europäischen Markt für implantierbare Innenohrprothesen.1
Die gute Zusammenarbeit mit der Wiener HNO-Klinik Anfang der 1980er-Jahre legte den Grundstein der bis heute andauernden, innovativen Kooperation in Klinik und Wissenschaft.
Innovationen in Technik und Forschung
Die von Prof. Dr. Blake Wilson entwickelte, neue CI-Sprachkodierungsstrategie (CIS-Strategie) mit hoher Stimulationsrate gilt als weiterer Meilenstein der CI-Entwicklung.6 So konnte unter Mitwirkung der Wiener Klinik im Jahr 1997, damals unter Leitung von Univ.-Prof. Dr. Klaus Ehrenberger, ein neuartiges Implantat mit ebenjener CIS-Strategie beeindruckende Verbesserungen bei erwachsenen CI-Träger*innen mit postlingualem Hörverlust aufzeigen. Mit dem neuen Implantat lag die Verständnisquote von einsilbigen Wörtern sechs Monate nach Implantation bei über 50 Prozent.7 Dies ermöglichte implantierten Patient*innen erstmals, ein Telefongespräch mit einer fremden Person über ein unbekanntes Thema verstehen zu können.
Die letzten 20 Jahre: Erhalt von Restgehör und Schonung der Strukturen
Abb. 2: CI-Fitting durch Erwin Hochmair 1979 (zur Verfügung gestellt mit freundlicher Genehmigung von MED-EL)
Um die Jahrtausendwende trugen vor allem die Arbeiten von Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Gstöttner zu einer Verbesserung der CI-Versorgung bei. Dabei wurde erstmals eine neue Technik zur tiefen Elektrodeninsertion („deep insertion surgery“) beschrieben, bei der handelsübliche CI-Elektroden bis zu 32mm in die Gehörschnecke inseriert wurden, um weiter apikal gelegene Regionen der Cochlea zu erreichen, ohne ein zusätzliches Implantationstrauma zu verursachen.8
Die Weiterentwicklung hin zur kombinierten elektrisch-akustischen Stimulation (EAS), bei der erhaltenes Restgehör in tiefen Frequenzen eine partielle Implantation der CI-Elektrode ermöglicht, stellt einen weiteren wichtigen Fortschritt in der CI-Versorgung dar. Studien zur restgehörerhaltenden Cochlea-Implantation unter Leitung von Gstöttner in Wien und Frankfurt konnten hier maßgeblich zu einer verbesserten Patient*innenversorgung beitragen.9, 10
Bis zum Jahr 2005 wurden bereits knapp 500 CI-Patient*innen versorgt, was das Wiener AKH österreichweit zur Universitätsklinik mit der meisten Erfahrung im Bereich der Cochlea-Implantation und somit zum größten CI-Implantationsprogramm des Landes machte.11
Durch den Fortschritt der letzten Jahrzehnte können heutzutage nicht mehr ausschließlich ertaubte und ausgeprägt schwerhörige Patient*innen, sondern auch Menschen mit präoperativ moderatem Sprachverständnis, bestehendem Restgehör und einseitiger Taubheit von einem CI profitieren.12
In den vergangenen Jahren nahm Wien eine Vorreiterrolle bei der Resektion von Vestibularisschwannomen mit simultaner CI-Versorgung ein. Bei translabyrinthärer Resektion der gutartigen Tumoren des Hör- und Gleichgewichtsnervs erhalten Patient*innen im selben operativen Eingriff ein Implantat, sodass ein Zweiteingriff vermieden werden kann und das Hören nach der Operation gewährleistet ist.13, 14
Blick in die Zukunft
2021 leistete die Wiener Klinik mit der ersten roboterassistierten Cochlea-Implantation durch das HEARO®-System (Firma MED-EL) in Österreich Pionierarbeit. Durch eine auf präoperativer Bildgebung basierende, exakte Planung des OP-Zugangs mittels 3D-Visualisierung durch eine spezielle Software (OTOPLAN) kann vollautomatisch ein exakter, weniger als 2mm großer Tunnelzugang zum Innenohr gebohrt werden. Die eigentliche Implantation wird anschließend minimalinvasiv durch den/die Chirurg*in durchgeführt.15
Eine vielversprechende Neuerung ist das vollständig implantierbare CI („totally implantable cochlear implant“; TICI). Im Gegensatz zu den heute verwendeten semi-implantierbaren Modellen, bei denen Mikrofon, Sprachprozessor und Batterie hinter dem Ohr getragen werden, befinden sich sämtliche Komponenten eines TICI nicht sichtbar unter der Haut. Die soziale Entstigmatisierung ist wohl der größte Vorteil gegenüber den heute gängigen Implantaten. Außerdem sind die externen Komponenten eines CI durch ihre exponierte Lage anfällig für Beschädigung, was vor allem beim Sport bedacht werden muss. Zusätzlich müssen Patient*innen ihre Implantate während des Schlafens oder Duschens ablegen, was die vorliegende Hörbehinderung täglich ins Bewusstsein von Betroffenen ruft.16 Durch intensive Forschung ist das TICI bereits in klinischer Erprobung. Dies ist bereits die zweite Generation an TICI, wobei die erste nicht überzeugen konnte. Die zwei wichtigsten Probleme, die es zu überwinden galt, sind
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eine ausreichende Stromversorgung des Implantats mit langer Batterielebedauer17 und
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ein vollständig implantierbares Mikrofon, das zumindest gleichgute Ergebnisse wie die heute getragenen Mikrofone erreicht.18
Die erste multizentrische europäische Studie startete 2020 in Deutschland und Belgien. Dabei werden Patient*innen mit einer neuen, vollständig implantierbaren CI-Generation (Mi2000 Totally Implantable Cochlear Implant, Firma MED-EL) versorgt und nachbeobachtet.19
In der angewandten Grundlagenforschung etablierte sich Wien im letzten Jahrzehnt als Standort für die Verbesserung von CI-Systemen. So wurden im „Vienna Inner Ear Lab“ erfolgreich verschiedene Wirkstoffe auf ihr protektives Potenzial bei der restgehörerhaltenden Cochlea-Implantation untersucht.20–22
Mit der Eröffnung des Christian-Doppler-Labors für Innenohrforschung 2022 wird die translationale Forschung in den kommenden Jahren auf diesem Gebiet noch weiter intensiviert werden. Dabei soll das gut abgeschirmte Innenohr im Rahmen der Cochlea-Implantation für Pharmaka sowie Zell- und Gentherapeutika zugänglich gemacht werden („augmented cochlear implant“).23 Zusätzlich wird die Regeneration von Innenohrstrukturen durch Therapeutika und den Einsatz von beschichteten Elektroden-Arrays verbessert.
Die Wiener Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten konnte in den vergangenen 50 Jahren einen wichtigen Beitrag zur CI-Etablierung und -Weiterentwicklung leisten. Die neuen Möglichkeiten zum Wirkstofftransport ins Innenohr und aktuelle gentherapeutische Ansätze lassen jedoch auch mit Spannung auf eine neue Ära in den kommenden Jahren blicken.
Literatur:
1 Zeng FG: Celebrating the one millionth cochlear implant. JASA Express Letters 2022; 2(7): 077201 2 Burian K et al.: Designing of and experience with multichannel cochlear implants. Acta Otolaryngol 1979; 87(3-4): 190-5 3 Burian K et al.: The Vienna cochlear implant program. Otolaryngol Clin North Am 1986; 19(2): 313-28 4 Hochmair-Desoyer IJ et al.: Percepts from the vienna cochlear prosthesis. Ann N Y Acad Sci 1983; 405(1): 295-306 5 Hochmair-Desoyer IJ et al.: Design and fabrication of multiwire scala tympani electrodes. Ann N Y Acad Sci 1983; 405: 173-82 6 Wilson BS et al.: Better speech recognition with cochlear implants. Nature 1991; 352(6332): 236-8 7 Helms J et al.: Evaluation of performance with the COMBI 40 cochlear implant in adults: a multicentric clinical study. ORL 1997; 59(1): 23-35 8 Gstoettner WK et al.: Cochlear implant deep-insertion surgery. Laryngoscope 1997; 107(4): 544-6 9 Adunka O et al.: Development and evaluation of an improved cochlear implant electrode design for electric acoustic stimulation. Laryngoscope 2004; 114(7): 1237-41 10 Gstoettner W et al.: Hearing preservation in cochlear implantation for electric acoustic stimulation. Acta Otolaryngol 2004; 124(4): 348-52 11 Arnoldner C et al.: Surgical considerations in cochlear implantation in children and adults: a review of 342 cases in Vienna. Acta Otolaryngol 2005; 125(3): 228-34 12 Arnoldner C, Lin VY: Expanded selection criteria in adult cochlear implantation. Cochlear Implants Int 2013; 14(Suppl 4): 10-3 13 Dahm V et al.: Simultaneous vestibular schwannoma resection and cochlear implantation using electrically evoked auditory brainstem response audiometry for decision-making. Otol Neurotol 2020; 41(9): 1266-73 14 Arnoldner C et al.: A novel scoring system based on small vestibular schwannomas to determine consideration for cochlear implantation. Clin Otolaryngol 2021; 46(6): 1223-28 15 Auinger AB et al.: Robot-assisted cochlear implant surgery in a patient with partial ossification of the basal cochlear turn: A technical note. Clin Otolaryngol 2022; 47(3): 504-7 16 Trudel M, Morris DP: The remaining obstacles for a totally implantable cochlear implant. Curr Opin Otolaryngol Head Neck Surg 2022; 30(5): 298-302 17 Kraus EM et al.: Envoy esteem totally implantable hearing system: phase 2 trial, 1-year hearing results. Otolaryngol Head Neck Surg 2011; 145(1): 100-9 18 Mitchell-Innes A et al.: Implantable microphones as an alternative to external microphones for cochlear implants. Cochlear Implants Int 2017; 18(6): 304-13 19 Feasibility of the Mi2000 totally implantable cochlear implant in severely to profoundly deaf adults. 2020; https://ClinicalTrials.gov/show/NCT04571333 ; zuletzt aufgerufen am 2.11.2022 20 Honeder C et al.: Sustained-release triamcinolone acetonide hydrogels reduce hearing threshold shifts in a model for cochlear implantation with hearing preservation. Audiol Neurootol 2019; 24(5): 237-44 21 Ahmadi N et al.: Long-term effects and potential limits of intratympanic dexamethasone-loaded hydrogels combined with dexamethasone-eluting cochlear electrodes in a low-insertion trauma Guinea pig model. Hear Res 2019; 384: 107825 22 Honeder C et al.: Effects of sustained release dexamethasone hydrogels in hearing preservation cochlear implantation. Hear Res 2016; 341: 43-9 23 Arambula A et al.: The augmented cochlear implant: a convergence of drugs and cochlear implantation for the treatment of hearing loss. [in press], 2022