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67. Österreichischer HNO-Kongress

CIRSmedical – Melden ist Ehrensache

Seit knapp vierzehn Jahren haben Ärztinnen und Ärzte, alle Beschäftigten im Gesundheitswesen und auch Patientinnen und Patienten die Möglichkeit, kritische und unerwünschte Ereignisse anonym, unbürokratisch und sanktionsfrei in das anonyme Fehlerberichts- und Lernsystem www.cirsmedical.at zu berichten.

Wie alles begann

Im Jahr 2009 beschloss die Österreichische Ärztekammer, nach Vorbild der Schweiz und Deutschland, auch in unserem Land ein Berichtssystem zu implementieren und zu finanzieren, in welches Beinahefehler gemeldet werden können, wonach durch Expert:innenstellungnahmen Lösungsvorschläge aufgezeigt werden. Die ÖQMED als 100%ige Tochtergesellschaft der Österreichischen Ärztekammer wurde mit der operativen Umsetzung betraut und ist für die Prozesseinhaltung verantwortlich. Das System wurde mit Vertreter:innen des Bundesministeriums für Gesundheit, Patientenvertreter:innen, dem Bundesinstitut für Qualität im Gesundheitswesen (BIQG), dem Österreichischen Gesunden- und Krankenpflegeverband sowie der Österreichischen Ärztekammer und der ÖQMED ausgearbeitet und festgelegt. „Wir möchten mit CIRSmedical eine umfassende Möglichkeit zur systemischen Analyse von Zwischenfällen – unkompliziert, absolut anonym, universal und mit dem Fokus auf den Vorfall im Speziellen, anstatt auf Sanktionen für den Einzelnen gerichtet – bieten“, berichtet Dr. Artur Wechselberger, Referent für Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement der Österreichischen Ärztekammer.

Jeder eingehende Bericht und Leserkommentar ist technisch durch die Löschung der IP-Adresse automatisch anonymisiert und wird in der ÖQMED ggf. redaktionell hinsichtlich Orts- oder Personenangaben nachbearbeitet. Nach interner Prüfung durch Mediziner:innen und Jurist:innen wird festgelegt, ob und von welchem Fachgebiet eine Expertise erforderlich ist oder ob der Bericht z.B. aufgrund von zu wenigen Angaben oder Beschwerden gelöscht werden soll. Sobald Stellungnahmen eingelangt sind, werden diese gemeinsam mit dem Fallbericht an das Bundesinstitut für Qualität im Gesundheitswesen zur Durchsicht und Freigabe übermittelt und anschließend unter www.cirsmedical.at freigeschalten.

Status quo

„Seit November 2009 wurden 878 Berichte und 633 Leserkommentare veröffentlicht. Unser Expert:innenpool setzt sich aus über 150 Fachexpert:innen aus dem gesamten Gesundheitswesen zusammen, welche bereits über 920 Stellungnahmen erstellt haben“, freut sich Eva Gartner, Leiterin von CIRSmedical. Weiters hat sich die ÖQMED mit der Plattform zum Ziel gesetzt, mit niederschwelligen Angeboten das System noch weiter bekannt zu machen. „CIRSmedical soll sich zu einem Instrument zur Qualitätssicherung für Ärzt:innen entwickeln. Wir möchten Kolleg:innen den Zugang zu relevanten Inhalten in Bezug auf das Fehlermanagement so unkompliziert wie möglich anbieten“, berichtet Wechselberger.

CIRSmedical-Meldegruppen

Das System richtet sich an alle Fachrichtungen – von Allgemeinmediziner:innen über Fachärzt:innen für Hals,- Nasen- und Ohrenkrankheiten bis hin zu Fachärzt:innen für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Weiters kann das System nicht nur öffentlich, sondern auch von einem Krankenhaus oder einer Organisation intern in Form einer Meldegruppe genutzt werden. Dadurch können „hausinterne“ Vorkommnisse erfasst werden und speziell für die Einrichtung Prozesse analysiert und angepasst werden. Solche Meldegruppen sind ein Duplikat von CIRSmedical und können öffentlich (für alle einsehbar) oder geschlossen (nur hausintern über das Intranet) implementiert werden. Zusätzlich verfügt diese Form des Berichtssystems über eine elektronische Schnittstelle, welche mit dem nationalen System verbunden ist. Dadurch können Berichte – selbstverständlich anonym – an das öffentliche System übermittelt werden, wodurch auf den Expert:innenpool der ÖQMED zugegriffen werden kann.

Entwicklung von CIRSmedical

Aufgrund der hohen Anzahl an Berichten war es naheliegend, die Einträge auch für die verpflichtende ärztliche Fortbildung zu nutzen. In Form von E-Learning-Artikeln werden Berichte thematisch zusammengefasst und mit Multiple-Choice-Fragen unter www.cirsmedical.at/e-learning veröffentlicht. Seit 2018 wurden folgende Berichte publiziert und die E-Learnings bereits von über 5300 Ärzt:innen absolviert:

  • Medikamentenfehler vermeiden – aus CIRSmedical lernen (2 DFP-Punkte)

  • Kommunikation im Gesundheitswesen (3 DFP-Punkte)

  • Never Events – vermeidbare, unerwünschte Ereignisse von besonderer Relevanz – in CIRSmedical.at (2 DFP-Punkte)

  • CIRSmedical – aus Fehlern lernen (1 DFP-Punkt)

Die ÖQMED beschäftigt sich nicht nur mit CIRSmedical, sondern auch mit sämtlichen anderen Themen rund um das Gesundheitswesen. Im Podcast „CIRSmedical – aus Fehlern lernen“ werden sämtliche Themen aufgearbeitet, um unser Gesundheitssystem noch sicherer zu machen. Mehr als 1300 Personen haben seit Juni 2022 nachstehende Folgen unter https://www.cirsmedical.at/podcast heruntergeladen:

  • Trailer CIRSmedical – aus Fehlern lernen

  • Episode 1: Entstehung & Hintergründe von CIRSmedical.at

  • Episode 2: Medikamentenfehler

  • Episode 3: Second Victim

  • Episode 4: Safety 1 & 2

  • Episode 5: Zwischenbericht CIRSmedical

  • Episode 6: Dokumentation & Dokumentationsfehler

Internationale Kooperation

Seit März 2022 sind die CIRSmedical-Systeme Deutschlands und Österreichs über eineelektronische Schnittstelle verbunden, wodurch relevante unerwünschte Ereignisse ausDeutschland in das System in Österreich übermittelt werden können und unter www.cirsmedical.at nachzulesen sind (und umgekehrt). Dadurch wird der Pool an Berichten erweitert, wodurch noch mehr Verbesserungspotenziale abgeleitet werden können und diePatient:innensicherheit weiter erhöht wird.

Ausblick

Im nächsten Jahr feiert CIRSmedical sein 15-jähriges Bestandsjubiläum in Österreich. Dieses erfreuliche Ereignis soll dazu genutzt werden, um CIRSmedical, das anonyme Fehlerberichts- und Lernsystem unseres Landes, weiter bekannt zu machen und neue Initiativen zur Erhöhung der Patient:innensicherheit zu setzen.

Beispiele aus der HNO-Heilkunde

Ohrenspülung bei Schmerz

In einer HNO-Praxis wird eine Ohrenspülung bei einem Jungen durchgeführt, der sich aufgrund von Schmerzen dagegen wehrt. Es kommt ein wenig Blut aus dem Gehörgang. Das Kind wird nach der Spülung mit der Mutter heimgeschickt, 4 Stunden später berichtet der Junge, dass er „so komisch mit den Augen wackle“. Die Mutter ruft daraufhin in der Ordination an, dabei wird ihr versichert, dass das o.k. sei.
Später wird der Junge im Spital aufgenommen, wo eine Perforation des Trommelfells und eine Entzündung des Innenohres festgestellt werden.

Fachkommentar

Lösungsvorschlag
Eine Ohrenspülung bei einem nicht kooperativen Kind (in diesem Fall wegen Schmerzen) ist kontraindiziert. Die Blutung weist auf eine Verletzung (Gehörgang oder Trommelfell) hin. Die telefonische Auskunft (Ordinationshilfe? Arzt?) war falsch, weil die Angabe des „Augenwackelns“ auf eine Reizung des Labyrinthes (Verletzungsfolge oder Otitiskomplikation) hinweist und eine fachärztliche Nachkontrolle mit Diagnosestellung und Entscheidung über eine ambulante oder stationäre Therapie erforderlich machte.

Rechtliche Gegebenheiten
Grundsätzlich wäre bei jeder Ohrenspülung über die Gefahr einer Trommelfellverletzung aufzuklären. Eine Perforation kann auch bei Lege-artis-Therapie erfolgen (atrophe Trommelfellnarben).

Es ist aber im klinischen Alltag nicht möglich, jeden Patienten so aufzuklären, dass es den juristischen Bedingungen genügt (Gespräch, Dokumentation, Bedenkzeit, Alternativen, …), weil damit ein geordneter Ordinationsbetrieb bei einer im HNO-Bereich derart häufigen Maßnahme unter Berücksichtigung der Honorierung nicht möglich wäre.

Gefahren-/Wiederholungspotenzial
Gefahren- und Wiederholungspotenzial jederzeit gegeben.

Expert:in der Bundesfachgruppe für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten


Überwachung palliativer Patienten

Ein Patient im palliativen Setting mit Halstumor erleidet eine akute Atemnotattacke auf dem Weg zum WC. Der Atemweg ist in der Woche davor zunehmend enger geworden, eine im Raum stehende, auch mit dem Patienten besprochene Tracheotomie ist wegen der fehlenden Dyspnoe jedoch noch nicht in die Wege geleitet worden. Der diensthabende HNO-Facharzt ist über das Diensttelefon nicht erreichbar. An medikamentöser Therapie wird vom Stationsarzt O2 gesteigert, Dormicum und Vendal verabreicht sowie Adrenalin vernebelt. Zudem wird der anästhesiologische Facharzt alarmiert. Der anästhesiologische Facharzt sowie der inzwischen erreichte HNO-Facharzt erörtern mit dem Palliativmediziner nochmals die Befunde und entscheiden, keine Tracheotomie mehr durchzuführen.
Die zuvor durchgeführte Strahlentherapie hat das Gewebe induriert, der aktuelle Luftweg ist nahezu vollständig verlegt, der Patient nicht ansprechbar. Eine Notfalltracheotomie würde mit hoher Wahrscheinlichkeit letal enden.

Der Patient wird daher sediert und stirbt 2 Tage später.

Fachkommentar

Lösungsvorschlag bzw. Fallanalyse
Das Ereignis war mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit absehbar. Deshalb sollte in einem solchen Fall eine rechtzeitige Tracheotomie unter kontrollierten Bedingungen angestrebt werden.

Gefahren-/Wiederholungspotenzial
Ich gehe davon aus, dass man in Zukunft auf eine rechtzeitige Tracheotomie unter kontrollierten Bedingungen drängen wird, sofern der Patient damit einverstanden ist, da ein akutes Ersticken für alle Beteiligten (Pflege, Ärzte, aber vor allem für den Patienten und dessen Angehörige) eine äußerst belastende Situation darstellt.

Expert:in der Bundesfachgruppe für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde

Gerade im Hinblick auf derartige Notfälle ist sicherzustellen, dass diensthabende Fachärzt:innen immer über das Diensttelefon erreichbar sind.

Expert:in des BIQG

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