
Lege artis vs. klinische Realität: präemptiver TIPS
Autor:
Dr. Lukas Hartl
Universitätsklinik für Innere Medizin III
Medizinische Universität Wien
E-Mail: lukas.a.hartl@meduniwien.ac.at
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Die Implantation eines präemptiven transjugulären intrahepatischen portosystemischen Shunts (TIPS) ist eine hocheffektive Therapie, die die Reblutungsrate reduziert und das Überleben signifikant verlängert. Sie sollte all jenen Betroffenen zur Verfügung stehen, die die Kriterien für einen präemptiven TIPS erfüllen.
Keypoints
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Aufgrund der eindrucksvollen Datenlage hat die Empfehlung der Implantation eines präemptiven TIPS bei Patient:innen mithohem Risiko für Revarizenblutung Einzug in internationale und nationale Leitlinien gehalten.
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Laut Leitlinie sind eine HE und ein ACLF zum Zeitpunkt der Varizenblutung keine Kontraindikation für eine präemptive TIPS-Implantation. Ebenso sollte eine schwere alkoholbedingte Hepatitis keine Kontraindikation darstellen.
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Die Kriterien für die Implantation eines präemptiven TIPS basieren auf dem etablierten Child-Pugh Score.
Die Implantation eines transjugulären intrahepatischen portosystemischen Shunts (TIPS) führt zu einer effektiven Senkung des Pfortaderdruckes und ist daher als Therapie von klinischen Komplikationen, wie rekurrentem und refraktärem Aszites1,2 und Varizenblutungen3, bei Patient:innen mit dekompensierter Leberzirrhose indiziert.
Indikationen und Kriterien
Im Kontext von Varizenblutungen haben sich folgende Indikationen zur TIPS-Implantation etabliert: erstens der Einsatz eines Rescue-TIPS bei endoskopisch nicht stillbaren Blutungen, zweitens das Versagen der Sekundärprophylaxe, also Reblutung trotz Einnahme von nichtselektiven Betablockern und regelmäßiger endoskopischer Bandligaturen, und drittens der sogenannte präemptive TIPS.4
Die Kriterien zur Implantation eines präemptiven TIPS basieren auf dem etablierten und einfach zu berechnenden Child-Pugh Score. Erfüllt sind sie bei Varizenblutungen mit aktiver Blutung zum Zeitpunkt der Endoskopie und einem Child-Pugh-Stadium B7/B8 oder bei einem Child-Pugh-Stadium C10–C13, unabhängig von der Blutungssituation zum Zeitpunkt der Endoskopie (Abb. 1).
Präemptiver TIPS: Studiendaten
Diese Kriterien beruhen auf der bahnbrechenden Studie von García-Pagán et al., welche 2010 publiziert wurde.5 Dabei wurden Patient:innen, die die erwähnten Kriterien erfüllten, in einer 1:1-Ratio randomisiert und erhielten entweder einen präemptiven TIPS innerhalb von 72 Stunden oder eine reguläre medikamentöse und endoskopische Blutungssekundärprophylaxe. Dabei wiesen die Patient:innen mit präemptiver TIPS-Implantation nicht nur eine signifikant niedrigere Reblutungsrate, sondern auch ein verlängertes Überleben auf. Tatsächlich war die Rate des Einjahresüberlebens in der präemptiven TIPS-Gruppe um 25% höher als in der Sekundärprophylaxegruppe, resultierend in einer eindrucksvollen „number needed to treat“ von vier, was bedeutet, dass statistisch gesehen nur vier Patient:innen dieser Hochrisikogruppe mit präemptivem TIPS versorgt werden müssen, um ein Leben zu retten.
Ähnliche Ergebnisse wurden in einer weiteren randomisiert kontrollierten Studie aus China6 sowie in einer Real-World- Observationsstudie7 aus Europa erzielt: Bei Patient:innen mit Leberzirrhose und hohem Risiko für Revarizenblutung kam es durch die Implantation eines präemptiven TIPS verglichen mit herkömmlicher Sekundärprophylaxe sowohl zu einer verringerten Reblutungsrate als auch zu einem signifikant längeren Überleben, insbesondere bei Patient:innen mit deutlich eingeschränkter Leberfunktion, evident durch ein Child-Pugh-Stadium C10–C13.
Schließlich wurde 2024 eine Metaanalyse basierend auf den Daten von insgesamt 1389 individuellen Patient:innen publiziert.8 Dabei war neuerlich eine deutliche Verlängerung des Einjahresüberlebens mit einer Hazard-Ratio (HR) von 0,43 (95%-Konfidenzintervall [95% CI] 0,32–0,60; p<0,001) durch die Implantation eines präemptiven TIPS im Hochrisikopatient:innenkollektiv ersichtlich. Des Weiteren kam es auch zu einer Verminderung der Reblutungsrate („Subdistribution“-HR: 0,22; 95% CI: 0,13–0,37; p<0,001) sowie zu weniger Neuauftreten bzw. geringerer Verschlechterung von Aszites im weiteren Verlauf („Subdistribution“-HR: 0,32; 95% CI: 0,17–0,59; p<0,001).
Basierend auf dieser eindrucksvollen Datenlage hat die Empfehlung der Implantation eines präemptiven TIPS bei Patient:innen mit hohem Risiko für Revarizenblutung Einzug in internationale und nationale Leitlinien wie den Baveno-VII-Konsensus9 und den Billroth-IV-Konsensus4 gehalten. Auch in den heuer erstmals publizierten TIPS-Leitlinien der European Association for the Study of the Liver (EASL) wird die Implantation eines präemptiven TIPS bei Erfüllung der entsprechenden Kriterien empfohlen.10
TIPS-Implantation in der klinischen Realität
Die Beantwortung der Frage der Lege-artis-Entscheidung zum präemptiven TIPS ist somit eindeutig und einfach. Dennoch sieht die klinische Realität oft anders aus. Beispielsweise erhielten unter den 1389 Patient:innen mit Hochrisikovarizenblutung, die in die erwähnte Metaanalyse8 inkludiert wurden, gerade einmal 342, also knapp 25%, einen präemptiven TIPS. Die Gründe hierfür sind deutlich schwieriger zu erörtern, im Folgenden jedoch werden einige mögliche Hürden aufgezeigt, die zu diesen ernüchternden Zahlen beitragen könnten.
Erstens kommt es im Rahmen einer Hochrisikovarizenblutung in etwa 40% der Fälle11 zum Auftreten einer hepatischen Enzephalopathie (HE). Da HE auch eine durchaus häufige Komplikation nach TIPS-Implantation darstellt, stellt sich die Frage, ob diese Patient:innen einen präemptiven TIPS erhalten sollten oder ob es dadurch zu einer Verschlimmerung der HE bis hin zu Coma hepaticum und Tod kommen könnte. Mit genau dieser Fragestellung beschäftigte sich eine 2023 publizierte multizentrische Studie.11 Hierbei zeigte sich, dass eine klinisch overte HE im weiteren Verlauf nach präemptiver TIPS-Implantation nicht öfter auftrat als in jener Kohorte, die mit herkömmlicher Sekundärprophylaxe versorgt wurde. Des Weiteren wiesen die Patient:innen mit HE zum Zeitpunkt der Blutung und präemptiver TIPS-Implantation sogar einen signifikanten Überlebensvorteil auf, was die Effektivität dieser Intervention auch in dieser Patient:innenkohorte aufzeigt.
Zweitens ist das sogenannte akut-auf-chronische Leberversagen (ACLF) zu erwähnen, welches durch das Versagen eines Organs oder mehrerer Organe bei Patient:innen mit Leberzirrhose charakterisiert und mit einer hohen Sterblichkeit vergesellschaftet ist.12,13 Da eine Varizenblutung einen akut lebensbedrohlichen Notfall darstellt, kann es in solchen Fällen häufig zum Auftreten von Organversagen kommen. Tatsächlich wiesen in einer 2020 publizierten Studie knapp 18% der Patient:innen mit Varizenblutung das Zustandsbild eines ACLF auf.14 Während Patient:innen mit ACLF zum Zeitpunkt der Blutung ein besonders hohes Risiko für Reblutung und Tod aufwiesen, waren diese klinischen Outcomes signifikant weniger häufig bei jenen, die einen präemptiven TIPS erhielten. Basierend auf diesen (retrospektiven) Daten ist also festzuhalten, dass auch Patient:innen mit ACLF trotz ihres kritischen Zustandes von einer präemptiven TIPS-Implantation zu profitieren scheinen. Dementsprechend hält auch die TIPS-Leitlinie der EASL fest, dass HE und ACLF zum Zeitpunkt der Varizenblutung nicht als Kontraindikation hinsichtlich eines präemptiven TIPS angesehen werden sollten.10
Drittens ist eine alkoholbedingte Lebererkrankung eine der häufigsten Ätiologien für das Auftreten einer dekompensierten Leberzirrhose, und viele Patient:innen weisen einen weiterhin aktiven Alkoholkonsum zum Zeitpunkt der Varizenblutung auf. Sollten diese Patient:innen einen präemptiven TIPS erhalten? Eine Studie aus Wien zeigte, dass Patient:innen mit alkoholbedingter Zirrhose und aktivem Abusus nach TIPS-Implantation ein höheres Risiko für ein ACLF oder leberbedingten Tod haben.15 Gleichzeitig hatte aber eine Vergleichsgruppe von Patient:innen mit dekompensierter Leberzirrhose und aktivem Alkoholkonsum ohne TIPS-Implantation ein tendenziell höheres Risiko für leberbezogenen Tod als jene, die mit TIPS versorgt wurden, was darauf hinweist, dass eine solche Intervention auch in dieser Gruppe mit einem Überlebensvorteil einhergehen könnte. Weiters zeigte eine rezente multizentrische europäische Studie auf, dass selbst das Vorliegen einer schweren alkoholbedingten Hepatitis keine Kontraindikation zur Implantation eines präemptiven TIPS sein sollte.16
Organisatorische Herausforderung
Schließlich gibt es auch organisatorische Probleme, die die Implantation eines präemptiven TIPS erschweren können. Nicht alle Abteilungen, die Patient:innen mit Varizenblutung betreuen, haben die Möglichkeit, eine TIPS-Implantation anzubieten. In Krankenhäusern, in denen diese erfolgen kann, stellt die Organisation eines präemptiven TIPS dennoch häufig eine Herausforderung dar. Üblicherweise erfordern die Indikationsstellung und die Durchführung einer TIPS-Implantation eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit von Internist:innen, interventionellen Radiolog:innen und Anästhesist:innen. Diese Koordination innerhalb des 72-Stunden-Fensters zu schaffen, ist oft mit einem beträchtlichen Aufwand verbunden. Dennoch gilt es, diese Schnittstellen und Organisationspfade zu optimieren, um eine bestmögliche und leitliniengerechte Patient:innenversorgung zu erreichen.
Literatur:
1 Bucsics T et al.: ePTFE-TIPS vs repetitive LVP plus albumin for the treatment of refractory ascites in patients with cirrhosis. Liver Int 2018; 38: 1036-44 2 Bureau C et al.: Transjugular intrahepatic portosystemic shunts with covered stents increase transplant-free survival of patients with cirrhosis and recurrent ascites. Gastroenterology 2017; 152: 157-63 3 Bucsics T et al.: Re-bleeding rates and survival after early transjugular intrahepatic portosystemic shunt (TIPS) in clinical practice. Dig Liver Dis 2017; 49: 1360-7 4 Mandorfer M et al.: Austrian consensus on the diagnosis and management of portal hypertension in advanced chronic liver disease (Billroth IV). Wien Klin Wochenschr 2023; 135: 493-523 5 García-Pagán JC et al.: Early use of TIPS in patients with cirrhosis and variceal bleeding. N Engl J Med 2010; 362: 2370-9 6 Lv Y et al.: Early TIPS with covered stents versus standard treatment for acute variceal bleeding in patients with advanced cirrhosis: a randomised controlled trial. Lancet Gastroenterol Hepatol 2019; 4: 587-98 7 Hernández-Gea V et al.: Preemptive-TIPS Improves Outcome in High-Risk Variceal Bleeding: An Observational Study. Hepatol 2019; 69(1): 282-93 8 Nicoară-Farcău O et al.: Pre-emptive TIPS in high-risk acute variceal bleeding. An updated and revised individual patient data meta-analysis. Hepatol 2024; 79: 624-35 9 de Franchis R et al.: Baveno VII - renewing consensus in portal hypertension. J Hepatol 2022; 76: 959-74 10 EASL Clinical Practice Guidelines on TIPS: J Hepatol 2025; 83: 177-210 11 Rudler M et al.: Hepatic encephalopathy is not a contraindication to pre-emptive TIPS in high-risk patients with cirrhosis with variceal bleeding. Gut 2023; 72: 749-58 12 Moreau R et al.: Acute-on-chronic liver failure is a distinct syndrome that develops in patients with acute decompensation of cirrhosis. Gastroenterol 2013; 144: 1426-37 13 Arroyo V et al.: Acute-on-chronic liver failure in cirrhosis. Nat Rev Dis Primers 2016; 2: 16041 14 Trebicka J et al.: Rebleeding and mortality risk are increased by ACLF but reduced by pre-emptive TIPS. J Hepatol 2020; 73: 1082-91 15 Schwarz C et al.: Ongoing alcohol use after TIPS implantation is associated with increased rates of ACLF and liver related death among individuals with alcohol related ACLD. J Hepatol 2024; Abstract Book of EASL Congress 2024; 80: S253-S254 16 Rudler M et al.: Pre-emptive TIPS should not be contra indicated in high-risk patients with acute variceal bleeding and alcohol hepatitis. J Hepatol 2024; Abstract Book of EASL Congress 2024; 80: S239
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