
„Wir haben uns um die Dienste geprügelt“
Autor:
Prof. Dr. Peter Husslein
em. Vorstand der Universitätsklinik
für Frauenheilkunde, Wien
E-Mail: ph@husslein.at
aufgezeichnet von: Dr. Felicitas Witte
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Ich habe immer mehr Sorge, dass sich die Qualität der Facharztausbildung verschlechtern wird. Immerhin ist in der Approbationsordnung klar definiert, was Inhalt der Ausbildung sein soll. Als ich meinen Facharzt machte, gab es das noch nicht. Trotzdem sehe ich heute vor allem vier Entwicklungen, die die Gefahr bergen, dass eine Generation von schlechteren Fachärzten heranwächst.
Erstens hat das europäische Arbeitszeitgesetz dazu geführt, dass ein junger Arzt in seiner Ausbildungszeit weniger Zeit im Spital verbringt. Ist ein Arzt aber kürzer in der Klinik und bleibt die Dauer der Facharztausbildung gleich, ist weniger Zeit, um die für den Facharzt notwendigen Untersuchungen, Eingriffe und anderen Vorgaben abzuleisten. Und das muss sich dann in der Expertise des frischen Facharztes niederschlagen. Ich erinnere mich an meine Ausbildungszeit: Wir sind am Freitag in der Früh in die Klinik gegangen und am Montagnachmittag nach Hause und haben uns „geprügelt“ um diese Wochenenddienste. Man hat viel gelernt und viel verdient. Heute müssen die jungen Kollegen nach dem Dienst nach Hause gehen, um die Ruhezeiten einzuhalten. Mehrmals haben mich junge Kollegen gefragt, ob sie eine für ihren Facharzt notwendige Operation nach ihrem Nachtdienst machen dürften. In den Diensten hatten sie nachweislich durchgeschlafen. Ich erkundigte mich im Rechtsbüro der medizinischen Universität, ob die Kollegen unter diesen Bedingungen die Operation machen dürften. Die Antwort war: Nein! Das Arbeitszeitgesetz verpflichtet, nach dem Dienst eine Ruhezeit einzuhalten, egal ob man geschlafen hat oder nicht. Ärzte per Gesetz vor Überlastung zu schützen ist gut. Aber wenn das Gesetz so streng ausgelegt wird, ist klar, dass die jungen Kollegen unter Umständen nicht zu den vorgeschriebenen Eingriffen kommen.
Das zweite Problem ist, dass die Frauenheilkunde komplexer geworden ist. Es gibt immer mehr gynäkologische Spezialgebiete, sodass die Ausbildungszeit eigentlich hätte länger werden müssen. Gemäß Facharzt-Logbuch dürfen sich angehende Frauenärzte in der Schwerpunktausbildung 3Module à 9Monate aussuchen. Wenn jetzt jemand z.B. Endokrinologie, fetomaternale Medizin und Wissenschaft auswählt, bleibt die operative Seite auf der Strecke. Die jungen Kollegen lernen mehr Spezialwissen auf Kosten der Grundlagen. Andererseits finde ich die Spezialisierungen gut. Denn wenn ein Kollege später schwerpunktmäßig in seiner Ordination gynäkoendokrinologische Fälle behandeln will, braucht er nicht mühsam das Operieren zu lernen. Der Kollege würde in seiner Facharztausbildung die Operationen den operativ interessierten jungen Ärzten „wegnehmen“. Viel besser wäre, wenn die Ausbildung so wäre wie in der Schweiz: erst ein Bachelor, dann ein Master, in dem man sich spezialisieren könnte. So wäre gewährleistet, dass die Grundausbildung für alle gleich ist und jeder Kenntnisse zu den wichtigsten Themen bekommt.
Drittens hat die Regionalisierung – also die Konzentration von Risikofällen in größeren Krankenhäusern – dazu geführt, dass in diesen hauptsächlich Spezialfälle behandelt werden, während in den kleineren Spitälern nur mehr Routinefälle betreut werden. Dadurch wird die Ausbildung sehr einseitig, wenn man sie nur in einem dieser beiden Spitäler macht. Zwar heißt es gemäß Logbuch: „Empfohlen wird die Ausbildung für mindestens 6 bis 9 Monate an einer anderen Ausbildungsstätte neben dem Stammhaus zu absolvieren“, aber ich bezweifle, ob das in der Praxis so umgesetzt wird.
Viertens müssen Ärzte viele Aufgaben erledigen, die eigentlich andere Mitarbeiter übernehmen könnten. Das betrifft v.a. das Dokumentieren. Auch um Blut abzunehmen und Infusionen anzuhängen, braucht man nicht Medizin studiert zu haben. Zwar wird das Dokumentieren jetzt mitunter auf speziell ausgebildete Dokumentationsassistenten übertragen und das Anhängen vonInfusionen und das Blutabnehmen auf Pflegepersonal oder Hebammen. Aber es ist noch viel Luft nach oben. Meine Lösungsvorschläge:
Die Ausbildungszeit wird man nicht verlängern können, daher muss man die Ausbildungsinhalte ändern: eine 6-jährige Basisausbildung mit Modulen nach Interessen und danach eine Spezialausbildung. Das kann natürlich nur dann funktionieren, wenn die Fachärzte später nur das machen dürften, wofür sie ausgebildet sind.
Verpflichtende Rotationen, jeweils in großen und kleinen Kliniken.
Das Arbeitszeitgesetz nicht so streng auslegen. Wer ausgeschlafen ist und operieren oder Geburten leiten will, sollte das dürfen.
Gegen die Dokumentationsflut und administrative Tätigkeiten müssen sich die jungen Kollegen mehr wehren.
Nichtärztliche Aufgaben sollten konsequent von anderen Mitarbeitern durchgeführt werden.
Patientinnen sollen sich beschweren, wenn sie den Eindruck haben, dass sich der Facharzt nicht auskennt.
Können und Leistung der Fachärzte müsste das Spital regelmäßig prüfen. Eine interne Qualitätssicherung sollte zum Standard werden. Natürlich ist es besser, Probleme in der Qualitätssicherung organisatorisch zu lösen und nicht über die Haftung, wenn Fehler bei Gericht eingeklagt werden. Aber leider ist Haftung eine gute Garantie für Qualitätssicherung. Niemand traut sich heute mehr, ohne eine entsprechende Ausbildung Spezialultraschall zu machen. Denn die Angst ist zu groß, vor Gericht einen Prozess zu verlieren und die lebenslangen Kosten für ein Kind mit übersehener Fehlbildung zu tragen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Welche Risiken sind zu erwarten?
Die präventive Mastektomie wird vor allem bei genetischer Vorbelastung, z.B. bei BRCA1/2-Mutationen, erwogen. Der Eingriff kann das Brustkrebs-Erkrankungsrisiko deutlich reduzieren, aber ...
Pharmakogenetik zur Vermeidung unerwünschter Arzneimittelwirkungen
Alle praktizierenden Mediziner:innen hatten schon einmal mit unerwünschten Arzneimittelwirkungen zu kämpfen. Wir gehen davon aus, dass diese Nebenwirkungen ein unangenehmer Teil von ...
AI in der Reproduktionsmedizin
Kein Thema bewegt derzeit die Menschen mehr als künstliche Intelligenz (AI – „artificial intelligence“). Wiewohl in der Behandlung des unerfüllten Kinderwunsches in den letzten ...