
„Es wäre viel ehrlicher, das ‚social egg freezing‘ zu legalisieren“
Autor:
o. Univ.-Prof. Dr. Peter Husslein
em. Vorstand der Universitätsklinik für Frauenheilkunde
Wien
E-Mail: ph@husslein.at
aufgezeichnet von: Dr. Felicitas Witte
Darf der Staat Frauen verbieten, ihre Eizellen aus nichtmedizinischen Gründen einzufrieren? Nein, finde ich, denn es gibt gute Argumente dafür, dass jede Frau dies autonom selbst entscheiden können sollte.
Wie viel sich der Staat in das Leben seiner Bürger einmischen soll, ist eine gesellschaftspolitische Frage, die gerade im „Trump-Zeitalter“ besonders aktuell geworden ist. Donald Trump vertritt den Standpunkt, die Freiheit des Einzelnen sei nahezu grenzenlos. Europäische Demokratien sind dagegen eher der Auffassung, dass wichtige Dinge sehr wohl vom Staat reguliert gehören, weil – pointiert formuliert – das Individuum vor falschen Entscheidungen bewahrt werden muss. Unbestritten ist, dass die Freiheit des Einzelnen dort aufhört, wo ein negativer Einfluss auf andere Menschen beginnt.
Doch mit welcher Begründung greift der Gesetzgeber in Österreich in der Reproduktionsmedizin in die Autonomie von Frauen ein und verbietet zum Beispiel alleinstehenden Frauen, reproduktionsmedizinische Behandlungen in Anspruch zu nehmen, oder jüngeren Frauen, ihre Eizellen für eine spätere In-vitro-Fertilisation (IVF) einzulagern, besser bekannt als „social freezing“? Wurden diese Entscheidungen mit dem Argument getroffen, nur der Staat wisse, was für die jeweilige Frau das Beste sei? Bei beiden Maßnahmen wird kein anderer Mensch wirklich beeinträchtigt. Auch ist das Risiko einer Schädigung der jeweiligen Frau ist nicht groß genug, um ein öffentliches Interesse an einem Verbot zu rechtfertigen. Es gibt gute Argumente dafür, dass eine funktionierende Partnerschaft für die Entwicklung eines Kindes eine gute Voraussetzung darstellt und dass das Risiko ökonomischer Probleme bei alleinerziehenden Müttern höher ist als bei Paaren. Aber rechtfertigt dies allein, dass der Staat einer alleinstehenden Frau eine Insemination oder eine IVF mit Fremdspermien verbietet? Einer Frau, die theoretisch auch „unkontrollierbar“ versuchen könnte, mittels „One-Night-Stand“ gezielt schwanger zu werden?
Noch viel mehr zu hinterfragen ist ein Verbot des Einlagerns von Eizellen aus nichtmedizinischen Gründen in einem jungen Lebensalter, in dem die Eizellen eine hohe Qualität aufweisen. Dies wird „social freezing“ genannt – was nebenbei gesagt semantisch falsch ist und eigentlich „social egg freezing“ heißen müsste. Mit dem Einlagern von Eizellen lässt sich verhindern, dass die Frau später, wenn sie in einem höheren Lebensalter auftritt, einen Kinderwunsch hat, eine Vielzahl erfolgloser IVF-Behandlungen über sich ergehen lassen muss, weil ihre eigenen Eizellen nicht mehr von guter Qualität sind. Manche dieser Frauen müssen auf eine Eizellspende ausweichen, wenn sie ihren Kinderwunsch doch noch verwirklichen möchten. Das Einlagern von Eizellen hat das Potenzial, mögliche medizinische Probleme durch unnötige, wiederholte künstliche Befruchtungen zu reduzieren. Die derzeitige gesetzliche Regel erlaubt diese Maßnahme jedoch nur, wenn es dafür eine medizinische Begründung gibt. Das Gesetz ist so schwammig formuliert, dass eine Vielzahl medizinischer Konstellationen diese Voraussetzung erfüllt oder jedenfalls erfüllen könnte. Ursprünglich war das Gesetz nur für den Fall einer Krebserkrankung vorgesehen. Man kann aber gut argumentieren, dass auch eine Endometriose, ein PCO-Syndrom oder gar eine Hashimoto-Thyreoiditis mit einem späteren Qualitätsverlust der Eizelle einhergehen können und daher eine medizinische Rechtfertigung für eine vorsorgliche Einlagerung sind. Die schwammige Formulierung führt in typisch österreichischer Art und Weise dazu, dass praktisch jede Frau, die ihre Eizellen einlagern möchte, mit einer dieser Diagnosen versehen wird.
Es wäre viel ehrlicher, das „social egg freezing“ zu legalisieren. Natürlich gibt es Argumente dagegen: Jeder medizinische Eingriff birgt Risken, und es besteht vielleicht die Gefahr, dass Frauen auf diese Weise noch mehr unter beruflichen Druck geraten könnten. Auch kann man argumentieren, dass die Natur mit der natürlichen Fertilität im jungen Lebensalter grundsätzlich eine andere Lebensform vorgesehen hat. Der Abschied von der Natürlichkeit hat aber weitgehend überall schon längst stattgefunden. Und auch bei einer Legalisierung des „social egg freezing“ ist keine Frau verpflichtet, dies tatsächlich zu tun. Sie hat die Option, und mehr Freiheit bedeutet ein selbstbestimmtes Leben und zumeist eine größere Zufriedenheit. Ich würde eine gesetzliche Vorgabe für eine verpflichtende, umfassende Aufklärung über alle im Zusammenhang mit „social egg freezing“ stehenden Aspekte befürworten. Nicht gelten lasse ich dagegen das Argument, diese Entscheidung sei schwierig und könne von einer Frau in den Zwanzigern nicht ohne Weiteres getroffen werden. Denn die Zwanziger sind die Zeit, in der die wahrscheinlich wichtigsten Entscheidungen des Lebens getroffen werden, nämlich mit wem man sein Leben verbringen und welchen Beruf man ergreifen möchte. Ist einmal die gesetzliche Möglichkeit geschaffen, Eizellen ohne medizinische Begründung einlagern zu dürfen, führt das zwangsläufig zu einer Intensivierung der öffentlichen Diskussion, was wiederum der interessierten Frau die Möglichkeit bietet, für sich selbst eine wohlinformierte autonome Entscheidung zu treffen.
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