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Schmerzhafter Beckenboden

Chronischer Beckenschmerz kann viele Ursachen haben. Bei einem Online-Symposium der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) wurden verschiedene Ansätze zur Unterbrechung der Schmerzspirale präsentiert.

Die möglichen Ursachen für chronischen Beckenschmerz sind so vielfältig, dass nicht nur die Therapie, sondern auch schon die Diagnostik ein interdisziplinäres Vorgehen erfordert, wie Ass. Prof. Dr. Daniela Dörfler, Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Wien, betonte. Die Schmerzen können unter anderem organisch, emotionell oder zentral-biochemisch (gestörte Schmerzwahrnehmung) bedingt sein. Auch an Traumen in der Anamnese ist zu denken, etwa an ein geburtshilfliches Trauma. In sehr vielen Fällen liegt leider ein sexuelles Trauma bzw. Missbrauch vor, so Dörfler.

Sexualfunktionsstörungen

Grundsätzlich sind sexuelle Schmerzen wie Dyspareunie und Vaginismus nicht als „deckungsgleich“ mit chronischem Beckenschmerz zu sehen, wie Prof. Dörfler ausführte. Allerdings haben 12% der Frauen mit chronischem Beckenschmerz auch Probleme mit der Sexualfunktion. Umgekehrt kann etwa bei Vaginismus auch die Beckenbodenmuskulatur betroffen sein, und die Sanierung einer Endometriose kann oft auch eine Dyspareunie beheben, sodass hier durchaus Zusammenhänge zwischen schmerzhaften Sexualstörungen und chronischem Beckenschmerz bestehen und eine interdisziplinäre Ursachensuche oft nötig ist.

Wie Endometrioseschmerzen „ausufern“

Endometriose ist als eine chronische Erkrankung zu betrachten. Ziel soll es sein, mit konservativen Methoden die Schmerzen und andere Symptome unter Kontrolle zu bekommen. Wiederholte Operationen sind möglichst zu vermeiden. Warum? Das erläuterte Prof. Dr. Heinrich Husslein, Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Wien: „Endometriose verursacht nicht nur Schmerzen, sondern auch eine chronische Entzündung und führt längerfristig zu einer Veränderung der Schmerzverarbeitung. Die wiederholte oder anhaltende Aktivierung von Nozizeptoren bewirkt eine periphere Sensibilisierung. Über neurogene Inflammation kann es schließlich zu einer zentralen Sensibilisierung kommen.“ Die Folgen sind chronische Überempfindlichkeit und Schmerzen im ganzen Beckenbereich, etwa myofasziale Schmerzen in der Beckenbodenmuskulatur, Brennen im Genitalbereich und in der Blase, Dyspareunie, Kreuzschmerzen etc. Das bedeutet, die Schmerzen kommen jetzt gar nicht mehr primär von den Endometrioseherden. In diesem Krankheitsstadium hilft es daher auch nicht viel, die Herde operativ zu entfernen. Um die Schmerzspirale zu unterbrechen, ist ein umfassender multimodaler Ansatz erforderlich. „Um eine zentrale Sensibilisierung zu vermeiden, ist – auch wenn die Endometriose diagnostisch nicht mit Sicherheit bestätigt werden kann – eine frühzeitige Therapie zur Reduktion von Schmerzen sinnvoll“, betonte Husslein.

Psychologische Betreuung ist im Stadium der zentralen Sensibilisierung besonders wichtig, da langjährige Schmerzen im Unterbauch häufig Probleme in der Partnerschaft und Sexualität nach sich ziehen. Die Beckenbodenphysiotherapie stellt einen essenziellen Teil des multimodalen Therapieansatzes dar und sollte sich nicht nur auf den Levatorbereich beschränken, sondern den ganzen Beckenbereich behandeln. Husslein: „In der Beckenbodenphysiotherapie steht bei Endometriose weniger die Stärkung als vielmehr die Entspannung im Vordergrund.“

Ergänzend kann eine Ernährungsumstellung auf mediterrane Diät empfohlen werden. Diese hat in einer Studie des Endometriosezentrums der Wiener Universitätsklinik für Frauenheilkunde zu einer Reduktion der Schmerzsymptomatik geführt.

Steißbeinschmerz: konservatives Management im Vordergrund

Ein ebenso komplexes Krankheitsbild ist die Coccygodynie. Sie äußert sich durch Schmerzen im Bereich der Steißbeinspitze, ausstrahlend in den gesamten Beckenboden, verstärkt beim Sitzen auf harter Unterlage, beim Lagewechsel (Aufstehen), beim Radfahren, zuweilen auch beim Stuhlgang und bei manchen Betroffenen auch spontan ohne Auslöser. Auf Schmerztherapie spricht Coccygodynie oft schlecht an, wie Dr. Michaela Lechner, FEBS, FÄ für Chirurgie und Koloproktologie, erklärte.

Am Steißbein setzen verschiedene Muskeln an und die Nerven des somatischen und viszeralen Nervensystems verlaufen in unmittelbarer Nähe. Je nach Ursache können die Schmerzen daher somatischer oder neuropathischer Natur sein oder auch eine Mischform aus beiden. Frauen sind fünfmal häufiger betroffen als Männer und Adipositas ist ein Risikofaktor, weil es dadurch zu einer Luxation des Steißbeins nach dorsal kommen kann.1 Auch eine fehlende Krümmung oder eine Hypermobilität des Os coccygis können ursächlich sein, selbstverständlich auch ein vorangegangenes Trauma. Rheumatische Erkrankungen wie Morbus Bechterew und vorwiegend sitzende Haltung im Alltag sind weitere Risikofaktoren.

„Bei der klinischen Untersuchung soll das Os coccygis sowohl von außen als auch transrektal palpiert werden“, so Lechner. Die Beweglichkeit des Knochens, der Muskeln und Bänder wird dabei sowohl in Entspannung als auch beim Kneifen und Pressen beurteilt. „Röntgenbilder des Sakrums sollen im Stehen und im Sitzen angefertigt werden, denn bei manchen Patienten kippt das Steißbein nur im Sitzen nach vorn“, betonte Lechner. Die Diagnostik sollte weiters eine gynäkologische und urologische Untersuchung sowie eine Koloskopie und ein MRT umfassen, um entzündliche Prozesse und Tumoren auszuschließen.

Therapeutisch steht die physikalische Therapie im Vordergrund, z.B. in Form von Massagen und Übungen zur Entspannung der Beckenbodenmuskulatur und der Bandverbindungen. Evtl. kann auch eine Manipulation des Steißbeins („einrichten“) zur Anwendung kommen, weiters orale Schmerztherapie und eventuell Infiltrationen. Besondere Bedeutung scheint die Infiltration des Ganglion impar, des letzten Ganglions des sympathischen Grenzstranges, zu haben. Behelfe, wie z.B. Sitzhilfen, können ebenfalls Linderung bringen. Bei Versagen dieser konservativen Maßnahmen kann in einzelnen Fällen (nach Trauma und bei hypermobilem oder luxiertem Steißbein) eine teilweise oder komplette Coccygektomie in Betracht gezogen werden.2–4

Die „sogenannte“ interstitielle Zystitis

„Für die interstitielle Zystitis existiert keine einheitliche Definition. Es gibt keine klare Symptomkette und keine Biomarker, aber viele Begleitsymptome“, so Doz. Dr. Nikolaus Veit-Rubin, Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Wien. Er bevorzugt daher die neuere Bezeichnung „Blasenschmerzsyndrom“. Die Betroffenen haben oft einen langen Leidensweg und viele erfolglose Therapieversuche hinter sich. Schmerz und irritative Blasensymptome beeinträchtigen alle Lebensbereiche – Alltag, Beruf, Sexualität, Schlaf etc. – und führen oft zu Depression und sozialem Rückzug.

<< Besondere Bedeutung bei Coccygodynie scheint die Infiltration des Ganglion impar zu haben.>>
M. Lechner , Klosterneuburg

Die Ätiologie ist unklar, höchstwahrscheinlich ist die Ursache der Beschwerden multifaktoriell. Eine Mastozytenaktivierung und Urotheldefekte der GAG-Schicht sind meistens nachweisbar, autoimmune und genetische Faktoren werden vermutet. Seit Kurzem wird auch die Rolle des Harnblasen-Mikrobioms in der Entstehung des Blasenschmerzsyndroms erforscht.

Sichtbare entzündliche Veränderungen in der Blase, die sogenannten Hunner-Läsionen, gelten aus heutiger Sicht als eigenständige Entität und werden nicht mehr dem Blasenschmerzsyndrom zugeordnet, wie Veit-Rubin erklärte.

Diagnostik

Die European Society for the Study of Interstitial Cystitis (ESSIC) hat versucht, Struktur in die Diagnostik und Vorgehensweise zu bringen.5 Demnach sollte zuerst eine genaue Patientenselektion erfolgen: Chronischer Beckenschmerz, der vom Patienten subjektiv mit der Blase in Verbindung gebracht wird, plus mindestens 1 irritatives Blasenproblem (z.B. nächtlicher Harndrang, hohe Miktionsfrequenz o.a.) sprechen für ein Blasenschmerzsyndrom. Die anschließende Basisdiagnostik umfasst: physikalische Untersuchung, Urinanalyse, Blasentagebuch, Schmerzskala/-fragebogen, Zystoskopie und Ultraschall.

Die Zystoskopie ist nach Meinung von Veit-Rubin die wichtigste diagnostische Maßnahme, vor allem zum Ausschluss anderer Ursachen (Harnwegsinfekt, OAB, Harnsteine, Tumoren, Endometriose). Aber auch Hunner-Läsionen, Glomerulationen und Petechien, die für Blasenschmerz verantwortlich sein können, sind in einer professionell durchgeführten Zystoskopie darstellbar. Wichtig ist es, bei diesen Patienten die Zystoskopie in Narkose durchzuführen, betonte Doz. Dr. Claus Riedel, Abteilung für Urologie, Landesklinikum Baden-Mödling – erstens, weil sie sonst in dieser Indikation sehr schmerzhaft für die Patienten ist, und zweitens, weil eine starke Dehnung der Blase nötig ist, um die genannten Läsionen zu sehen: „Eine ausreichende Distension kann nur in Narkose erreicht werden“, so Riedel. Sollten Hunner-Läsionen gefunden werden, können diese im Rahmen der Zystoskopie sofort verödet werden. Die Distension der Blase hat bei nicht wenigen Patienten auch einen therapeutischen Effekt: Bis zu 78% spüren laut Riedel eine Symptomverbesserung nach der Untersuchung.

Eine Klassifikation des Blasenschmerzsyndroms, welche in den Empfehlungen der ESSIC noch angeführt ist, hat sich laut Veit-Rubin als wenig hilfreich für das weitere Vorgehen herausgestellt und kann daher entfallen.

Therapie

Die Behandlung des Blasenschmerzsyndroms sollte schrittweise erfolgen. Veit-Rubin: „Bitte keine Mischbehandlung!“ Nach jedem Therapieversuch soll eine Schmerzevaluierung stattfinden, bevor weitere Therapieschritte diskutiert werden.

Der erste Schritt in der Behandlung ist eine „rasche und effiziente Schmerztherapie“. Sobald der Schmerz nachlässt, kann mit Physio- und Verhaltenstherapie begonnen werden. Bei der Physiotherapie steht nicht die Stärkung des Beckenbodens im Vordergrund, sondern die Relaxation. Die Verhaltenstherapie beinhaltet Empfehlungen zum Trinkverhalten, Miktionskontrolle, Blasentraining und Stressreduktion. Weiters ist eine Ernährungsumstellung zu empfehlen, insofern als histaminreiche Ernährung bei den meisten Betroffenen die Symptome verschlechtert.

Zur Schmerztherapie empfiehlt Veit-Rubin orale Analgetika und Antihistaminika sowie Pentosanpolysulfat und Chondroitinsulfat/Hyaluronsäure zur Reparatur der GAG-Schicht. Letztere können auch intravesikal appliziert werden, ebenso Dimethylsulfoxid (DMSO) und Heparin. Die Erfolgsraten bei intravesikaler Therapie sind jedoch nicht besonders hoch und unerwünschte Nebenwirkungen sind häufig, wie Veit-Rubin betonte.

Erweiterte Therapieoptionen sind die zystoskopische Hydrodistension, Botulinumtoxin-Injektionen in den Detrusor, Neuromodulation, transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS), Cyclosporin A und schließlich die radikale Chirurgie (Zystoplastie, Ureterdeviation).

Am wichtigsten ist jedoch die empathische Unterstützung der Patienten, meint Veit-Rubin: „Konzentration auf die Lebensqualität, beruhigen, gemeinsam Therapieoptionen ausloten, dabei systematisch bleiben und das Selbstmanagement unterstützen.“

Venenerweiterung: „Pelvic Congestion“-Syndrom

Schwierig ist die Diagnose auch beim „Pelvic Congestion“-Syndrom, über das Dr. Christian Neumann, Radiologe im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien, referierte. Die betroffenen Frauen beschreiben dumpfe Schmerzen, vor allem bei längerem Stehen, oft auch eine „empfindliche Blase“, Dysmenorrhö und Dyspareunie. Dahinter steht als vermutete Ursache eine pelvine venöse Insuffizienz durch erweiterte parametrane Venen.

Neben den erwähnten Symptomen sind lokoregionale Varizen an der Vulva, am Peritoneum oder an den Oberschenkeln hinweisend.

Laut einer Studie ist das Pelvic-Congestion-Syndrom in bis zu 30% verantwortlich für chronischen Beckenschmerz.6 In der Praxis wird es jedoch häufig unterschätzt und unterdiagnostiziert. Im Ultraschall oder MRT sind die erweiterten Venen zwar darstellbar, werden aber in den Befunden oft nicht erwähnt, wenn nicht an ein Pelvic-Congestion-Syndrom gedacht wird.

Hormontherapie ist laut Neumann wenig erfolgreich, dagegen führt die Embolisation der betroffenen Venen in etwa 80% der Fälle zu einer Verbesserung der Symptome. Als Ultima Ratio ist die operative Venenligatur mit Hysterektomie und Ovarektomie zu betrachten.

Pudendusneuralgie

Dr. Camille Farache vom Kantonsspital Chur erklärte das Vorgehen bei Pudendusneuralgie. Typische Symptome sind ein brennender Beckenbodenschmerz, Fremdkörpergefühl und Dyspareunie. Die Schmerzen bessern sich im Liegen.

Zunächst sei es wichtig festzustellen, wo der Nerv geschädigt ist, so Farache. Erste Hinweise darauf gibt die Anamnese. So sind intrapelvine Läsionen oft kombiniert mit Ischialgie und Blasenentleerungsstörungen. Bei Läsionen im Alcock-Kanal ist der Schmerz eher isoliert. Läsionen am Ende der Pudendusäste können eventuell iatrogen – durch chirurgische Eingriffe in der Anamnese – verursacht sein.

Die klinische Untersuchung liefert weitere Hinweise: Liegt die Läsion nicht intrapelvin, dann wirkt die Palpation schmerzverstärkend und ein Pudendusblock mit Lidocain schmerzstillend.

Therapeutische Möglichkeiten sind zum einen Infiltrationen mit Lidocain oder Botulinumtoxin, zum anderen die operative Befreiung des Nervs: Im Alcock-Kanal ist er transgluteal erreichbar, intrapelvine Läsionen können laparoskopisch angegangen werden.

Bedeutung der Pflege

Über die Rolle der Kontinenz- und Stomaberatung bei chronischem Beckenschmerz sprach DGKP Heidi Anzinger, Linz. Hier sei es zuerst wichtig, die Patienten nach Schmerzen zu fragen. Genaue Information über Anatomie und Physiologie des Beckens erweist sich für die Betroffenen als sehr hilfreich und fördert das Selbstmanagement. Die Pflege hat die Aufgabe, für gute Blasen- und Darmentleerung zu sorgen. „Obstipation muss dauerhaft behandelt werden“, betonte Anzinger. Bei Frauen ist auch auf die Scheidenpflege zu achten: „Trockene Haut, Jucken und Brennen können begleitend oder ursächlich bei chronischem Beckenschmerz sein.“

Viszerale Therapie sucht Zusammenhänge

Patienten über anatomische Strukturen und Zusammenhänge bei der Schmerzentstehung zu informieren ist auch wesentlicher Bestandteil der viszeralen Therapie, wie Sigrid Mitter, Physiotherapeutin aus Bad Hall, ausführte. Das Prinzip dieses Therapieansatzes ist es, Störungen des Bewegungsapparates in Verbindung mit dem Organsystem zu sehen und zu behandeln, „weg von der Symptombehandlung in Richtung kausaler Behandlung“, so Mitter. Es werden dabei sogenannte Läsionsketten zwischen Organen, Faszien, Ligamenten, Gelenken, Muskeln, Nerven und knöchernen Strukturen identifiziert und behandelt. In Fallbeispielen zeigte Mitter, wie etwa Hüft- und Kniearthrose mit Uterus und Blase zusammenhängen können.

„Der schmerzhafte Beckenboden“, Webinar der Medizinischen Kontinenzgesellschaft (MKÖ), 9. Oktober 2020

1 Maigne JY et al.: Spine 200; 25(23): 3072-9 2 Tilscher H et al.: Z Orthop Unfall 1986; 124(5): 628-32 3 Wray CC et al.: J Bone Joint Surg BR 1991; 73: 335-8 4 Maigne JY et al.: J Bone Joint Surg Br 2000; 82(7): 1038-4 5 Van de Merwe JP et al.: Eur Urol 2008; 53(1): 60-7 6 Brown CL et al.: Semin Intervent Radiol 2018; 35(1): 35-40

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