
Von Schauta bis SHAPE – wo stehen wir heute?
Autor:
Univ.-Prof. Karl Tamussino
Geburtshilflich-gynäkologische Universitätsklinik
Medizinische Universität Graz
E-Mail: karl.tamussino@medunigraz.at
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Die Entwicklung der operativen Therapie des Zervixkarzinoms hat einen weiten Weg hinter sich. Angefangen von den Operationsmethoden Friedrich Schautas und Ernst Wertheims über zahlreiche Fortschritte im 20. Jahrhundert bis hin zur aktuellen SHAPE-Studie soll der folgende Beitrag eine Übersicht über die Geschichte und den aktuellen Stand der chirurgischen Behandlung des Zervixkarzinoms geben.
Als Friedrich Schauta und Ernst Wertheim Anfang des letzten Jahrhunderts ihre Serien über die „erweiterte“ vaginale bzw. abdominale Totalexstirpation des Uterus bei dem Kollumkarzinom zusammenstellten, war diese Erkrankung ein dominierendes Thema der Frauengesundheit. Um 1900 lag die Lebenserwartung bei knapp 50 Jahren, viele Frauen starben unter der Geburt und an geburtshilfliche Komplikationen, viele Frauen erreichten nicht das Alter, in dem die Inzidenz der meisten Karzinome begann anzusteigen. Es gab keine Früherkennung, keine HPV-Tests, keine Zervixzytologie bzw. Pap-Tests.Schauta und Wertheim beschrieben die von ihnen operierten Tumoren als „hühnereigroß“, „walnussgroß“, „apfelgroß“, „derb, knollig und voluminös“. Die Entwicklung der Anästhesie und die Erkenntnis, dass die einfache Uterusexstirpation für diese Zervixkarzinome unzulänglich war, führte zu dem Konzept der erweiterten Operationen, die wir heute als Radikaloperationen bezeichnen. Der Begriff „erweitert“ oder „radikal“ impliziert die Entfernung nicht nur des betroffenen Organs, in diesem Fall des Uterus, sondern auch dessen Halteapparats bzw. der angrenzenden Strukturen, wie die obere Scheide und die Parametrien bzw. die Lymphabflusswege. Obgleich damals viele Frauen die erweiterten Operationen und dann auch die Erkrankung überlebten, waren schon Schauta und Wertheim sowohl die kurzfristige Morbidität und Mortalität wie auch die Langzeitfolgen sehr bewusst. Schauta sah auch voraus, dass das Problem des Zervixkarzinoms nicht mit Operationen, sondern mit Früherkennung zu lösen sei. Er schloss seine 1908 erschienene Monographie mit dem Aufruf: „Die Förderung frühzeitiger Erkenntnis des Uteruskrebses bleibt die wichtigste Aufgabe der Ärzte…, sowohl gegenüber den nachwachsendenden Generation von Ärzten als auch gegenüber dem Publikum.“
Zahlreiche Fortschritte ab Mitte des 20. Jahrhunderts
Die Mitte des 20. Jahrhunderts brachte die Entwicklung des Kolposkops, das Konzept der Reihenuntersuchung gesunder Frauen, die Beschreibung des Mikrokarzinoms, die Entwicklung der Zervix-Zytologie durch Papanicolau und den operativen Eingriff mit Konisation – von denen in Österreich heute ca. 7000 jährlich durchgeführt werden. Die FIGO-Klassifikation definierte die Stadien IA1 und IA2 und präzisierte somit kontinuierlich die Klassifikation der kleinen Tumoren.
Diese Entwicklungen führten allmählich dazu, dass ein beträchtlicher Anteil der Zervixkarzinome in Österreich nicht erst als große, klinisch evidente Tumoren, sondern als auf die Zervix beschränkte Prozesse diagnostiziert wurden. Während viele Frauen durch die erweiterten Operationen geheilt werden konnten, war auch klar, dass die Operationen nach wie vor mit einer perioperativen Morbidität als auch mit langfristigen urologischen und sexuellen Problemen behaftet waren.
Mehrere retrospektive Fallserien in den letzten Jahrzehnten legten nahe, dass gewisse kleinere Zervixkarzinome ohne Exzision der oberen Scheide und der Parametrien, d.h. mit einer einfachen Hysterektomie oder gar mit einer Konisation alleine, geheilt werden konnten. Jedoch gab es dazu keine randomisierten Studien.
Die SHAPE-Studie
Im Jahr 2012 initiierte Marie Plante aus Toronto eine internationale Studie zur Behandlung des frühen, nodal negativen Zervixkarzinoms. Die SHAPE(„Simple Hysterectomy And Pelvic Node Dissection in Early-stage Low-risk Cervical Cancer“)-Studie rekrutierte in Nordamerika, Europa und Asien. Die Patientinnen wurden 1:1 zureinfachen oder zur radikalen Hysterektomie randomisiert, jeweils mit Lymphknotendissektion (Sentinel-Node-Biopsie oder systematische Lymphadenektomie). Endpunkte der Studie waren die pelvine Rezidivrate, perioperative Komplikationen sowie sog. „patient-reported outcomes“ wie Lebensqualität und sexuelle Gesundheit.
Die Ergebnisse der SHAPE-Studie wurden am Annual Meeting der American Society of Clinical Oncology (ASCO) im Juni 2023 in Chicago präsentiert. Zwischen 2012 und 2019 wurden 700 Frauen eingebracht, davon 24 von der AGO Österreich.Das mittlere Alter der Patientinnen lag bei 44 Jahren, ca. 75% waren jünger als 50 Jahre. Die pelvine Rezidivrate nach drei Jahren war in beiden Gruppen ca. 3%, das Gesamtüberleben in beiden Gruppen lag bei 99%.Postoperativ war die Rate urologischer Komplikationen (Harninkontinenz und Blasenentleerungsstörungen) signifikant höher nach radikaler als nach einfacher Hysterektomie.Die Lebensqualität insgesamt sowie die sexuelle Gesundheit waren nach einfacher Hysterektomie signifikant besser als nach radikaler Hysterektomie.
Die SHAPE-Studie, die als Publikation noch nicht erschienen ist, wird die einfache Hysterektomie mit Evaluierung der Lymphknoten für frühe, nodal negative Zervixkarzinome als Standard etablieren. Dadurch wird Frauen mit solchen Tumoren erhebliche Morbidität erspart und gesunde Zeit geschenkt.
Quo vadis?
Wie geht es weiter mit der operativen Therapie des Zervixkarzinoms? Die Indikation zur radikalen Hysterektomie wird zwischen der einfachen Hysterektomie bei kleinen Tumoren und der primären Radiochemotherapie bei lokal fortgeschrittenen bzw. nodal positiven Karzinomen noch enger gestellt werden. Ein zweizeitiges Vorgehen mit primärer Sentinellymphknotenbiopsie mit exakter Aufarbeitung des Lymphknotens und radikalerHysterektomie bei negativem Status ist aufwendig, schützt aber vor der ungewollten Situation einer radikalen Hysterektomie mit postoperativer Feststellung von positiven Lymphknoten. Eine Herausforderung wird sein, die operative Expertise aufrechtzuerhalten.
Die Präzisierung und Deeskalierung der operativen Therapie des frühen Zervixkarzinoms ist ein großer Fortschritt für betroffene Frauen und wird medizinische Ressourcen sparen. Junge Frauen mit kleinen Tumoren werden ein bis zwei Tage nach einer einfachen Hysterektomie wieder zu Hause sein können und kaum operationsbedingte Probleme mit dem Harntrakt oder der sexuellen Gesundheit bekommen.Die wirkliche Herausforderung beim Zervixkarzinom in Österreich bleibt aber die Etablierung dessen primärer Prävention durch die HPV-Impfung und dessen sekundärer Prävention in Form eines organisierten, HPV-basierten Screenings. Damit könnte das Zervixkarzinom endgültig von einem zentralen Thema der Frauengesundheit in die Geschichtsbücher bzw. in den Ordner „seltene Erkrankungen“ verschoben werden.
Literatur:
beim Verfasser
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