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Prävention und Früherkennung
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Christian Singer, MPH
Zentrum für Familiären Brust- und Eierstockkrebs<br> Universitätsklinik für Frauenheilkunde<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: christian.singer@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
23.03.2017
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<p class="article-intro">In Österreich erkranken jedes Jahr etwas mehr als 5 000 Frauen an Brustkrebs. Dies entspricht einem Lebenszeiterkrankungsrisiko von etwa zwölf Prozent. Es gibt jedoch Frauen, die ein beträchtlich höheres individuelles Erkrankungsrisiko haben; es sind dies insbesondere weibliche Mitglieder von Familien, in denen bereits gehäuft Fälle von Brust- oder Eierstockkrebs aufgetreten sind.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Eine familiäre Prädisposition für Brustund Eierstockkrebs findet sich in etwa 10–15 % aller Brustkrebsfälle. Bei wiederum der Hälfte der familiär vorkommenden Erkrankungen können funktionelle Keimbahnmutationen in einem der Brustkrebsgene BRCA1 oder BRCA2 (BReast CAncer-associated gene) nachgewiesen werden. Auch das Lebenszeitrisiko für Eierstockkrebs ist bei Frauen mit einer BRCA1- oder BRCA2-Keimbahnveränderung deutlich erhöht.<sup>1</sup> BRCA1 und BRCA2 sind klassische Beispiele für sogenannte Tumorsuppressorgene: Ihre Proteinprodukte spielen eine wichtige physiologische Rolle bei der Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen. Die Inaktivierung durch eine funktionell relevante Mutation kann zur Entstehung von Malignomen führen. Das BRCA1-Gen befindet sich auf dem langen Arm von Chromosom 17 und seine Bedeutung beim Mammakarzinom ist bereits seit 1994 bekannt. BRCA2 konnte knapp zwei Jahre später identifiziert werden. Es liegt auf dem langen Arm von Chromosom 13. BRCA1- und BRCA2-Keimbahnmutationen werden autosomal-dominant vererbt. Damit besteht eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, die Mutation an Nachkommen jeglichen Geschlechtes zu vererben. Da mit Ausnahme von Geschlechtschromosomen- assoziierten Genen alle Gene im menschlichen Körper in doppelter Ausführung vorkommen, kann das Vorhandensein einer funktionell relevanten Mutation in einem der beiden Allele im Rahmen eines im Laufe der Jahre auftretenden stochastischen (vom Zufall abhängigen) Prozesses zu einem Defekt auch im bislang gesunden Allel führen und damit zu einem Funktionsverlust des entsprechenden BRCA-Proteins führen. Dies wiederum führt mit hoher Wahrscheinlichkeit („hoher Penetranz“) zum Auftreten einer Krebserkrankung, insbesondere in jungen Jahren.</p> <h2>Klinische Konsequenzen</h2> <p>Typischerweise zeichnen sich BRCA1- und BRCA2-Mutationen daher durch eine familiäre Häufung an Mammakarzinomen bzw. Ovarialkarzinomen und durch ein junges Erkrankungsalter aus. So kommt es bereits ab dem 25. Lebensjahr zu einem steilen Anstieg des Brustkrebsrisikos; mit Erreichen des 50. Lebensjahres ist die Hälfte aller BRCA1-Mutationsträgerinnen bereits an Brustkrebs erkrankt. Ähnliche Zahlen liegen inzwischen auch für BRCA2 vor. Die ersten Fälle von Eierstockkrebs treten zwar erst ab dem 40. Lebensjahr auf, aber auch hier liegt die Möglichkeit, bei Vorliegen einer BRCA1-Keimbahnmutation im Laufe des Lebens an einem Eierstockkrebs zu erkranken, bei etwa 45 % . Bei Frauen mit einer BRCA2-Keimbahnmutation sind es immer noch 27 % .<br /> Während sich BRCA2-assoziierte Mammakarzinome üblicherweise in ihrem histomorphologischen Verhalten nicht von sporadischen Tumoren unterscheiden, so stellen BRCA1-assoziierte Mammakarzinome aufgrund der Abwesenheit sowohl von Östrogen- und Progesteronrezeptoren als auch einer HER2- Amplifikation („Tripelnegativität“) eine prognostisch besonders ungünstige Subgruppe dar.<sup>2</sup> Für bereits erkrankte BRCA1- und BRCA2-Mutationsträgerinnen zeigt sich jedoch gleichermaßen – und unabhängig vom Rezidivrisiko – eine hohe Rate an sekundär entstehenden ipsiund kontralateralen Mammakarzinomen. Man schätzt, dass etwa 40 % aller betroffenen Mutationsträgerinnen innerhalb der nachfolgenden Jahre an einem kontralateralen Brustkrebs erkranken.<br /> Zwei Aspekte helfen, die Frauen zu identifizieren, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen einer BRCA-Mutation auszugehen ist: die hohe Penetranz von BRCA-Mutationen im Hinblick auf Brust- und Eierstockkrebs und das jugendliche Alter der Patientinnen mit BRCA-assoziiertem Krebs. Erste Hinweise darauf liefert die Familienanamnese. Typische Tumorkonstellationen, bei denen die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer BRCA1- oder BRCA2- Keimbahnmutation bei über 10 % liegt, sind in Tabelle 1 aufgeführt. Den davon betroffenen Frauen sollte eine molekulargenetische Untersuchung angeboten werden. Wenn die nachfolgend beschriebenen Erkrankungsfälle – unabhängig vom Verwandtschaftsgrad – innerhalb einer Linie (also väterlicherseits oder mütterlicherseits) aufgetreten sind, kann am AKH Wien eine kostenlose BRCA1- und BRCA2-Mutationsanalytik angeboten werden.<sup>3</sup> Voraussetzung für eine molekulargenetische Analyse ist laut Gentechnikgesetz ein ausführliches genetisches Beratungsgespräch, welches an inzwischen mehr als 80 Beratungszentren in ganz Österreich angeboten wird (Beratungszentren und Informationsfolder sind unter www.brustgenberatung.at abrufbar).<br /> Die Mutationsanalyse wird mittels Next Generation Sequencing durchgeführt und größere Rearrangements wie Amplifikationen oder Deletionen können mittels multiplexer ligationsabhängiger Sondenamplifikation (MLPA) nachgewiesen werden. Grundsätzlich können aus einer genetischen Testung drei Ergebnisse resultieren, aus denen sich unterschiedliche klinische Konsequenzen ergeben:</p> <ul> <li>Abwesenheit einer funktionell relevanten Keimbahnmutation von BRCA1 oder BRCA2. In diese Gruppe fallen auch Polymorphismen, also Variationen einzelner Basenpaare im DNAStrang des entsprechenden Gens, die nicht krankheitsrelevant sind.</li> <li>Vorhandensein einer nicht klassifizierten Variante („variation of unknown significance“, „VUS“ oder „US“). Dabei handelt es sich um Variationen in der Gensequenz von BRCA1 und BRCA2, deren mögliche Assoziation mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko bislang unbekannt oder nicht völlig ausgeschlossen ist.</li> <li>Funktionsrelevante Keimbahnmutation von BRCA1 oder BRCA2.</li> </ul> <p>Sollte in der Familie bereits eine BRCA-Mutation diagnostiziert worden sein, so wird das erhöhte familiäre Risiko dadurch definiert. Eine Nicht-Mutationsträgerin trägt daher das Hintergrundrisiko der Normalbevölkerung.<br /> Bei Vorliegen einer nicht klassifizierten Variante („unclassified variant“, UV) ist davon auszugehen, dass zumindest das familiär erhöhte Krebsrisiko besteht, auch wenn das genaue individuelle Risiko nicht einschätzbar ist. Bei Vorliegen einer funktionell relevanten Mutation gelten die oben angeführten Lebenszeitrisiken. Da nur im Falle einer Nicht-Mutationsträgerin, die aus einer BRCA-Familie stammt, davon auszugehen ist, dass das Krebsrisiko dem der Normalbevölkerung entspricht, werden in allen anderen Fällen spezielle radiologische Früherkennungsprogramme angeboten. Bei Frauen mit nachgewiesener BRCA-Mutation kann darüber hinaus auch eine vorbeugende Operation von Eierstöcken bzw. die beidseitige Brustentfernung angeboten werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Gyn_1701_Weblinks_s6_tab1.jpg" alt="" width="1039" height="688" /></p> <h2>Früherkennung von Brust- und Eierstockkrebs bei Hochrisikopatientinnen</h2> <p>Die Magnetresonanz-Mammografie (MR-MG)/Brust-MRT ist die sensitivste bildgebende Untersuchung für Hochrisikopatientinnen und sollte in jedem Fall in ein Hochrisiko-Früherkennungsprogramm inkludiert werden. Mehrere Kohortenstudien haben klar gezeigt, dass Tumoren mit einer jährlichen MR-MG in bis zu 81 % , mit der jährlichen Mammografie (MG) in nur 40 % und mit der regelmäßigen Ultraschalluntersuchung (US) in nur weniger als 40 % der Fälle detektiert werden. Als sensitivste Detektionsmethode, insbesondere bei dichtem Brustdrüsengewebe, aber auch aufgrund der fehlenden Strahlenbelastung, wird die Methode von den meisten europäischen Fachgesellschaften bereits ab dem 25. Lebensjahr empfohlen.<sup>4</sup><br /> Mammografien sollten insbesondere bei Mutationsträgerinnen bis zum 34. Lebensjahr aufgrund der erhöhten Strahlensensibilität des Brustgewebes vermieden werden. Des Weiteren ist die Mammografie bei jungen Patientinnen aufgrund des dichteren Drüsengewebes eingeschränkt beurteilbar. Erst ab dem 35. Lebensjahr kehrt sich das bis dahin ungünstige Schaden-Nutzen-Verhältnis um. Daher wird die Mammografie bei Hochrisikopatientinnen international erst ab dem 35. Lebensjahr empfohlen.<sup>5</sup></p> <h2>Prophylaktische Operationen bei BRCA1- und BRCA2- Mutationsträgerinnen</h2> <p>Die prophylaktische bilaterale Mastektomie (PBM) und die prophylaktische bilaterale Salpingo-Ovarektomie (PBSO) stellen interventionelle Maßnahmen dar, deren günstiger Effekt in Bezug auf das Brust- und Eierstockkrebsrisiko inzwischen unumstritten ist.<sup>6</sup><br /> Die PBM kann prinzipiell im Sinne einer Primärprävention bei noch nicht an Brustkrebs erkrankten Frauen aus Familien mit erblichem Brust- bzw. Eierstockkrebs oder bei Frauen mit nachgewiesener BRCA-Mutation durchgeführt werden. Bei BRCA-Mutationsträgerinnen ist sie mit einer Reduktion des Mammakarzinomrisikos um etwa 95 % verbunden. Auch bei bereits an Brustkrebs erkrankten Frauen kann eine prophylaktische Entfernung des verbliebenen ipsi- bzw. kontralateralen Brustdrüsengewebes zur Risikoreduktion im Sinne einer Sekundärprävention durchgeführt werden.<sup>7</sup> Die inzwischen in größeren Zentren zur Routine gewordene simultan durchgeführte primäre Brustrekonstruktion mittels Silikonprothese und einer azellulären Matrix (AZM) aus Xenogewebe erlaubt auch kosmetisch ausgezeichnete Operationsergebnisse. Wenngleich die modifiziert radikale, bilaterale Mastektomie bislang den Goldstandard darstellt, so wird international mittlerweile üblicherweise eine hautsparende („skin-sparing“) oder eine Brustwarzen-erhaltende („nipple-sparing“) Mastektomie angeboten.<sup>8</sup> Die PBSO führt sowohl bei Frauen mit einer BRCA1- als auch bei Frauen mit einer BRCA2-Mutation zu einer Reduktion des Mammakarzinomrisikos, obwohl dieser Effekt in einer rezenten Studie relativiert worden ist. Sie führt jedoch eindeutig zu einer Reduktion des Ovarialkarzinomrisikos um etwa 80 % . In einer großen Multicenterstudie konnte gezeigt werden, dass die PBSO bei Frauen mit einer BRCA-Mutation nicht nur zu einer signifikanten Reduktion der Eierstockkrebs- spezifischen, sondern auch der Brustkrebs-spezifischen Mortalität sowie der Gesamtmortalität führt.<sup>9</sup><br /> Aufgrund von individuellen Unterschieden in der Risikoperzeption, aber auch aufgrund der individuellen Lebensplanung, gerade in Hinblick auf Kinderwunsch, kann und darf eine generelle Empfehlung einer prophylaktischen Operation nicht erfolgen. PBM und/oder PBSO dürfen einer betroffenen Frau nur nach ausführlicher Aufklärung über das alters- und mutationsabhängige Erkrankungs- und Sterberisiko sowie über den Effekt einer PBSO auf Fruchtbarkeit, Hormonhaushalt etc. nicht direktiv angeboten werden.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Antoniou A et al: Average risks of breast and ovarian cancer associated with BRCA1 or BRCA2 mutations detected in case series unselected for family history: a combined analysis of 22 studies. Am J Hum Genet 2003; 72: 1117-30 <strong>2</strong> Mavaddat N et al: Pathology of breast and ovarian cancers among BRCA1 and BRCA2 mutation carriers: results from the Consortium of Investigators of Modifiers of BRCA1/2 (CIMBA). Cancer Epidemiol Biomarkers Prev 2012; 21: 134-47 <strong>3</strong> Singer CF et al: Clinical Practice Guideline for the prevention and early detection of breast and ovarian cancer in women from HBOC (hereditary breast and ovarian cancer) families. Wien Klin Wochenschr 2015; 127: 981-6 <strong>4</strong> Warner E et al: Surveillance of BRCA1 and BRCA2 mutation carriers with magnetic resonance imaging, ultrasound, mammography, and clinical breast examination. JAMA 2004; 292: 1317-25 <strong>5</strong> Riedl CC at al: Triple-modality screening trial for familial breast cancer underlines the importance of magnetic resonance imaging and questions the role of mammography and ultrasound regardless of patient mutation status, age, and breast density. J Clin Oncol 2015; 33: 1128-35 <strong>6</strong> Hartmann LC, Lindor NM: The role of risk-reducing surgery in hereditary breast and ovarian cancer. N Engl J Med 2016; 374: 454-68 <strong>7</strong> Graeser MK et al: Contralateral breast cancer risk in BRCA1 and BRCA2 mutation carriers. J Clin Oncol 2009; 27: 5887-92 <strong>8</strong> Reynolds C et al: Prophylactic and therapeutic mastectomy in BRCA mutation carriers: Can the nipple be preserved? Ann Surg Oncol 2011; 18: 3102-9 <strong>9</strong> Domchek SM et al: Association of risk-reducing surgery in BRCA1 or BRCA2 mutation carriers with cancer risk and mortality. JAMA 2010; 304: 967-75</p>
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