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Frühgeburten

Die antenatale Kortikosteroid-Prophylaxe

Die antenatale Kortikosteroid-Prophylaxe stellt in der modernen Perinatalmedizin einen zentralen Pfeiler dar, dessen Bedeutung in der Minimierung neonataler Morbidität und Mortalität Frühgeborener nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Seit ihrer Einführung in den 1970er-Jahren hat sich die Anwendung von Kortikosteroiden vor der Geburt als eine effektive Strategie zur Reifung der fetalen Lunge erwiesen. Hierdurch konnte das Risiko für ein Atemnotsyndrom und andere Komplikationen bei Frühgeborenen signifikant reduziert werden. In den vergangenen Jahren kam es zur kontinuierlichen Erweiterung des Indikationsspektrums nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Prävention und Management der Frühgeburtlichkeit erfordern ein multidisziplinäres Vorgehen, um sämtliche Herausforderungen und anfallende Komplikationen zu bewältigen. Laut Statistik Austria wurden im Jahr 2022 6,9% der Kinder vor der abgeschlossenen 37. SSW geboren. Demnach sank der Anteil an Frühgeborenen in Österreich zwischen 2012 und 2022 um rund 1,4%.1 Laut European Perinatal Health Report zeigt sich die Rate an Frühgeburten in Europa sehr heterogen und liegt zwischen 5,3% und 11,3%.2

Die World Health Organization (WHO) empfiehlt Frauen mit hoher Wahrscheinlichkeit für eine Frühgeburt innerhalb von sieben Tagen vor der 34. Schwangerschaftswoche (34+0) die antenatale Kortikosteroid(ACS)-Prophylaxe.3 Dabei soll die Verabreichung von plazentagängigen Glukokortikoiden in diesem Entwicklungsstadium den fetalen Organismus und speziell die fetale Lunge auf die Anforderungen außerhalb des Uterus vorbereiten.

Die ACS-Prophylaxe wird als intravenöse Gabe mit insgesamt 12mg Betamethason (zwei Verabreichungen im Abstand von 24 Stunden) oder 6mg Dexamethason (vier Verabreichungen über 48 Stunden) durchgeführt, da diese im Vergleich zu anderen Glukokortikoiden potenter und plazentagängig sind.4

Es konnte gezeigt werden, dass ein Vorziehen der zweiten Dosis Betamethason keinen Vorteil hatte, jedoch in einem signifikant erhöhten Risiko für nekrotisierende Enterokolitiden resultierte.4 In den Empfehlungen der WHO finden sich als Indikationen unter anderem der frühe vorzeitige Blasensprung, die Zervixinsuffizienz und eine vorzeitige Wehentätigkeit sowie die schwangerschaftsinduzierte Hypertonie (bzw. Präeklampsie) und ein damit einhergehendes Frühgeburtsrisiko.3 Bei Patientinnen mit Gestationsdiabetes oder präkonzeptionellem Diabetes wird zusätzlich zur ACS-Prophylaxe die Etablierung einer begleitenden antidiabetischen Therapie empfohlen, um die maternalen Glukoselevel zu stabilisieren und das Risiko für eine neonatale Hypoglykämie zu senken.3 Laut AWMF-Leitlinie ist keine Anpassung der Dosis bei adipösen Patientinnen notwendig.4

Wie oft sollte die ACS-Prophylaxe erfolgen?

Bereits die einmalige Gabe einer ACS-Prophylaxe senkt das Risiko für perinatale Mortalität, neonatale Mortalität, Atemnotsyndrom (RDS), intraventrikuläre Hirnblutungen, nekrotisierende Enterokolitis, mechanische Beatmung und systemische Infektionen in den ersten 48 Lebensstunden signifikant, ohne jedoch das maternale Risiko für Chorioamnionitis oder Endometritis zu erhöhen.5,6 2018 wurde eine Studie im American Journal of Gynaecology and Obstetrics veröffentlicht, welche die Hypothese vertritt, dass die einmalige Gabe von 12mg Betamethason die kindliche Lunge ebenso effektiv reift wie die zweifache Gabe.7 Der daraufhin durchgeführte prospektive, randomisierte BETADOSE-Trial konnte dagegen zeigen, dass die Rate an RDS nach zweimaliger Gabe von Betamethason signifikant niedriger ist als nach Einzelgabe.8

Eine wiederholte Gabe antenataler Kortikosteroide sollte laut AWMF-Leitlinie nur bei Frauen mit zunehmendem Frühgeburtsrisiko durchgeführt werden, wenn die erste Gabe vor über sieben Tagen und vor der 29. SSW stattgefunden hat.4

Im Falle der „extremen Frühgeburtlichkeit“ – vor der 24. Schwangerschaftswoche (24+0) – setzen die aktuelle Leitlinie der Österreichischen Gesellschaft für Kinder-und Jugendheilkunde und die 2021 veröffentlichte AWMF-Leitlinie „Frühgeborene an der Grenze zur Lebensfähigkeit“ die exakte Berechnung des Gestationsalters und Schätzgewichtes voraus. Weitere wichtige Komponenten sind die eingehende Aufklärung der Eltern und das Prinzip des „shared decision making“ an der Grenze zur Lebensfähigkeit. Neugeborene, die vor der 24. SSW zur Welt kamen, wurden jedoch zumeist aus klinischen Studien ausgeschlossen.

Neueste Beobachtungsdaten zeigen, dass durch die einmalige Gabe einer ACS-Prophylaxe vor der 22. SSW die Mortalität Frühgeborener an der Grenze zur Lebensfähigkeit signifikant verringert werden kann, nicht jedoch die Morbidität.9 Auch durch eine zweifache Verabreichung kann laut AWMF-Leitlinie das „serious infant outcome“, ein komplexes Syndrom aus RDS, hochgradigen intraventrikulären Hirnblutungen, periventrikulärer Leukomalazie, nekrotisierender Enterokolitis, chronischen Lungenerkrankungen und der damit einhergehenden hohen Mortalität, nicht gesenkt werden.4,9 Laut einer Studie von Ninan et al., welche 2022 in JAMA Pediatrics veröffentlicht wurde, senkte die einmalige präpartale Gabe von Kortikosteroiden das Risiko für eine neurologische Entwicklungsstörung in Zusammenhang mit extremer Frühgeburtlichkeit signifikant.10

Wann sollte auf eine ACS-Prophylaxe verzichtet werden?

Die AWMF-Leitlinie rät von der Verabreichung einer ACS-Prophylaxe bei Patientinnen mit vorzeitiger Wehentätigkeit und einer von vaginal gemessenen Zervixlänge von über 30mm bzw. 15–30mm und zusätzlich negativem Fibronektintest ab. Auch bei asymptomatischen Patientinnen mit einer Zervixlänge von 5–15mm und negativem Fibronektintest wird in der AWMF-Leitlinie die engmaschige Kontrolle ohne Verabreichung einer ACS-Prophylaxe empfohlen.

Die Gabe der ACS-Prophylaxe bei „late-preterms“ nach der 34. SSW <35+6 SSW sollte laut internationalem Konsens aufgrund unzureichender Daten weder bei Einlings- noch Mehrlingsschwangerschaften erfolgen.11 Eine 2016 publizierte multizentrische, randomisierte Studie von Gyamfi-Bannerman et al. untersuchte die Kurzzeitmorbidität inklusive Beatmungstherapie, Totgeburt und neonatales Versterben Frühgeborener innerhalb von 72 Stunden postpartal. Die Kinder wurden in zwei Gruppen eingeteilt – eine Gruppe erhielt zweimalig 12mg Betamethason, die andere ein Placebo. Die Studie konnte nur geringe Effekte auf die Kurzzeitmorbidität feststellen, jedoch zeigte sich ein deutlicher Anstieg der Nebenwirkungen (wie neonatale Hypoglykämie), weshalb das Nutzen-Risiko-Verhältnis gegen eine ACS-Prophylaxe nach 34+0 Schwangerschaftswochen spricht(Gyamfi-Bannerman et al. 2016)12.

Mögliche Langzeitfolgen

Weiters stößt man in der Literatur immer wieder auf Artikel zum Thema Langzeitfolgen bei am Termin geborenen Kindern mit verabreichter ACS-Prophylaxe, welche von signifikant erhöhten Risiken für Kurz- und Langzeitfolgen wie kindliche Intensivstationsaufenthalte, Intubation, Hypoglykämie, verminderten Kopfumfang sowie Verhaltensstörungen und neurokognitive bzw. psychische Störungen berichten.13 Eine 2020 im JAMA veröffentlichte retrospektive Kohortenstudie verglich am Termin geborene Kinder mit und ohne ACS-Prophylaxe. Die Studie zeigte ein signifikant erhöhtes Risiko bezüglich neurokognitiver und Verhaltensstörungen in der Gruppe Reifgeborener mit durchgeführter Betamethason-Therapie. Beim Vergleich Frühgeborener, die einer Behandlung ausgesetzt waren, mit Kindern, die keiner Behandlung ausgesetzt waren, zeigte sich die HR aus dem multivariablen Modell jedoch statistisch nicht signifikant. Dieses Ergebnis führt zum Schluss, dass die ACS-Prophylaxe zwar Mortalität und Morbidität Frühgeborener erheblich senkt, jedoch bei reifgeborenen Kindern zu erheblichen psychosozialen Langzeitfolgen führen könnte. Die Datenlage bezüglich neurokognitiver und Verhaltensstörungen zeigt sich zwar sehr heterogen und ist deshalb als kritisch zu bewerten, strenge Indikationsstellungen sollten jedoch bis zum Vorliegen weiterer Studien eine zu großzügige Applikation antenataler Kortikosteroide verhindern.

Fazit

Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass die ACS-Prophylaxe eine effektive Strategie darstellt, die Überlebenschancen Frühgeborener, ohne wesentliche maternale Risiken bzw. Nebenwirkungen, signifikant zu verbessern.

1 Statistik Austria: Soziodemographische Merkmale der Eltern von Geborenen. Verfügbar unter https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/bevoelkerung/geburten/soziodemographische-merkmale-der-eltern-von-geborenen ; zuletzt aufgerufen am 22.2.2024 2 Euro PERISTAT: European Perinatal Health Report. Verfügbar unter: https://www.europeristat.com/index.php/reports/ephr-2019.html ; zuletzt aufgerufen am 22. 2. 20243 Vogel JP et al.: Updated WHO recommendations on antenatal corticosteroids and tocolytic therapy for improving preterm birth outcomes. Lancet Global Health 2022; 10(12): e1707-8 4 Berger R et al.: S2k-Leitlinie Prävention und Therapie der Frühgeburt. AWMF 2023; verfügbar unter https://register.awmf.org/assets/guidelines/015_D_Ges_fuer_Gynaekologie_und_Geburtshilfe/015-025am_S2k_Praevention-Therapie_Fruehgeburt_2023-01_1.pdf ; zuletzt aufgerufen am 7.3.2024 5 McGoldrick E et al.: Antenatal corticosteroids for accelerating fetal lung maturation for women at risk of preterm birth. Cochrane Database Syst Rev 2021; 12(12): CD004454 6 Rohwer AC et al.: Strategies for optimising antenatal corticosteroid administration for women with anticipated preterm birth. Cochrane Database Syste Rev 2020; 5(5): CD013633 7 Schmidt AF et al.: Low-dose betamethasone-acetate for fetal lung maturation in preterm sheep. Am J Obstet Gynecol 2018; 218(1): 132.e1-9 8 Schmitz T et al.: Full versus half dose of antenatal betamethasone to prevent severe neonatal respiratory distress syndrome associated with preterm birth: study protocol for a randomised, multicenter, double blind, placebo-controlled, non-inferiority trial (BETADOSE). BMC Pregnancy Childbirth 2019; 19(1): 67 9 Battarbee AN: Antenatal corticosteroids at 21-23 weeks of gestation. Obstet Gynecol 2024; 143(1): 35-43 10 Ninan K et al.: Evaluation of long-term outcomes associated with preterm exposure to antenatal corticosteroids: A systematic review and meta-analysis. JAMA Pediatr 2022; 176(6): e229483 11 Zhu J et al.: Antenatal corticosteroid treatment during the late-preterm period and neonatal outcomes for twin pregnancies. JAMA Netw Open 2023; 6(11): e2343781 12 Gyamfi-Bannerman C et al.: Antenatal betamethasone for women at risk for late preterm delivery. N Engl J Med 2016; 374(14): 13311-20 13 Ninan K et al.: The proportions of term or late preterm births after exposure to early antenatal corticosteroids, and outcomes: systematic review and meta-analysis of 1.6 million infants. BMJ 2023; 382: e076035

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