
„Bitte möglichst exakt und korrekt diagnostizieren“
Unser Gesprächspartner:
Ap. Prof. Priv.-Doz. DDr. Alex Farr, MPH
Stv. Leiter der Abteilung für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin, Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Medizinische Universität Wien
E-Mail: alex.farr@meduniwien.ac.at
Das Interview führte Dr. Felicitas Witte
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Eine bakterielle Vaginose – vor allem wenn sie immer wieder rezidiviert – bessert sich nicht, indem man „einfach schnell“ Antibiotika verordnet. Seit Kurzem gibt es eine neue Leitlinie zur bakteriellen Vaginose.1 Warum es wichtig war, die Leitlinie zu aktualisieren und warum sich Diagnostik und Therapie im Umbruch befinden, erklärt Prof. Dr. Alex Farr aus Wien.
Was ist das Problem an einer bakteriellen Vaginose? Eigentlich sollte sich eine Infektion durch Bakterien mit Antibiotika doch leicht heilen lassen?
A. Farr: Genau das ist das Problem. Da in der Medizin häufig – manchmal zu häufig – Antibiotika gegeben werden, wirken diese gegen die Erreger der bakteriellen Vaginose manchmal nicht mehr wegen einer Resistenzbildung. Andererseits werden bei jeder antibiotischen Therapie auch Milchsäurebakterien abgetötet, die für ein normales Scheidenmilieu sorgen und potenziell vor Infektionen schützen. Es ist ein Dilemma, das sich nicht bessert, indem man „einfach schnell“ Antibiotika verordnet.
Sie sind federführender Autor der neuen Leitlinie1 zur bakteriellen Vaginose. Warum war es notwendig, die Leitlinie zu aktualisieren?
A. Farr: Die Leitlinie war in ihrer vorliegenden Form nicht mehr zeitgemäß und ihre Gültigkeit war ausgelaufen. Weiters haben wir erstmals Konsensus-basierte Empfehlungen und Statements eingearbeitet und so die Leitlinie auf das sogenannte „S2k-Niveau“ gehoben. Wichtige Neuerungen finden sich insbesondere im Bereich der Diagnostik und Therapie, aber auch im Ausblick auf die zukünftige Forschung.
In der Leitlinie heißt es „Diagnostik und Therapie befinden sich aufgrund aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse im Umbruch“. Was meinen Sie damit?
A. Farr: In der Diagnostik der bakteriellen Vaginose sind konventionelle Verfahren wie die Mikroskopie immer noch der Goldstandard. Neue technische Methoden, beispielsweise die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung oder die Multiplex-PCR sind zur Diagnose jedoch viel treffsicherer, werden aber nicht – oder noch nicht – in der breiten klinischen Routine angewendet. Zur Behandlung der bakteriellen Vaginose benötigen wir im Sinne des „antibiotic stewardship“ einen rationalen und verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika. Ich sehe daher zukünftig nichtantibiotische, zielgerichtete Therapien wie Bakteriolysine als vielversprechende Kandidaten.
Gemäss einer aktuellen Studie aus den USA1 fühlen sich Frauen mit bakterieller Vaginose in ihrer Lebensqualität sowie in ihrer physischen und psychischen Gesundheit eingeschränkt und viele wenden komplementärmedizinische Maßnahmen an, auch wenn diese nicht ausreichend geprüft sind. Haben die Ergebnisse Sie überrascht?
A. Farr: Nein, das hat mich nicht überrascht. Es ist schon länger bekannt, dass Frauen mit vaginalen Infektionen häufig unter einer herabgesetzten Lebensqualität leiden. Das kennen wir etwa auch von der vaginalen Pilzinfektion. Es kann angenommen werden, dass auch die Rate an falschen Diagnosen und Selbsttherapien hoch ist, weshalb wir von einem „underreporting“ ausgehen und die Dunkelziffer sicherlich noch höher sein wird.
Was halten Sie vom Studienaufbau?
A. Farr: Studien mit Fragebögen gehören zur sogenannten „qualitativen Forschung“. Diese haben immer eine gewisse Unschärfe, etwa ein „reporting bias“. Die befragten Frauen könnten unter Umständen auch keine bakterielle Vaginose gehabt haben. Das wäre nicht ungewöhnlich, nachdem wir von der Pilzinfektion wissen, dass die Treffsicherheit der Selbstdiagnose nur bei etwa einem Drittel liegt. Bei den Fällen, die medizinisch gesichert waren, bleibt das Autorenteam einige Fragen schuldig, etwa wie und von wem die Vaginose diagnostiziert wurde. Weiters ist die Studiengröße mit 62 betroffenen Frauen relativ klein.
In der Studie nahmen die Frauen, deren Lebensqualität durch die bakterielle Vaginose negativ beeinträchtigt wurde, öfter alternative Therapien, viele davon nicht geprüft. Müssen Frauen mehr aufgeklärt werden?
A. Farr: Es ist sachlich nachvollziehbar, dass Frauen mit rezidivierender bakterieller Vaginose alternative Therapiestrategien versuchen. Daher haben wir uns auch in der neuen Leitlinie in einem eigenen Kapitel damit befasst.
Ist die Diagnose einer bakteriellen Vaginose schwierig?
A. Farr: Die First-Line-Diagnose im Mikroskop ist zu Beginn nicht einfach, aber erlernbar.2 Weiters ist sie relativ kostengünstig und durch eine treffsichere mikroskopische Diagnostik können viele „verschleppte“ Fälle bei unseren Patientinnen vermieden werden. Das Problem ist, dass die Mikroskopie von vielen Fachärzten und Fachärztinnen nicht mehr beherrscht und sehr schlecht von den Krankenkassen abgegolten wird.
Sie schreiben in der Leitlinie, nur „in speziellen Fällen“ wäre eine molekulargenetische Untersuchung angebracht. Was wäre so ein spezieller Fall?
A. Farr: Dies wäre zum Beispiel bei einer Patientin mit einer chronischen therapierefraktären bakteriellen Vaginose der Fall. Anhand dieser Methode wäre es etwa möglich, eventuell für das Infektionsgeschehen ursächliche andere Bakterienarten abzugrenzen.
Welcher Schwangeren empfehlen Sie ein Screening auf bakterielle Vaginose?
A. Farr: Das ist ein sehr umstrittenes Thema. Wir wissen aus Studien, dass Schwangere mit bakterieller Vaginose ein erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt haben. Vor einigen Jahren wurde jedoch sehr prominent eine Studie publiziert,3 die zeigte, dass eine antibiotische Therapie in Form von Clindamycin bei bakterieller Vaginose das Risiko für eine Frühgeburt nicht senken konnte. Die Studie hatte jedoch massive methodische Schwächen, unter anderem eine nicht leitliniengemäße und viel zu kurze Therapie. Die Studie verunsicherte die Fachgesellschaften erheblich. Ich befürchte, hier benötigen wir daher zusätzliche Daten und neue prospektive Studien. Abgesehen davon wissen wir, dass Frauen alleinig aufgrund der besseren Betreuung, wie sie etwa im Rahmen eines Screenings während der Schwangerschaft stattfindet, profitieren – unabhängig davon, ob sie eine Infektion haben und ob diese therapiert wird.4 Das ist eine seit Langem bekannte Public-Health-Strategie und ich selber biete daher meinen Patientinnen während der Schwangerschaft ein Infektionsscreening an.
Wie gehen Sie bei der Therapie der akuten bakteriellen Vaginose vor?
A. Farr: Ich persönlich richte mich natürlich nach unseren Empfehlungen in der Leitlinie. Meine erste Wahl ist Clindamycin, weil wir wissen, dass es weniger häufig Resistenzen verursacht. Außerdem ist Metronidazol als Lokaltherapie in Österreich nicht oder nur eingeschränkt erhältlich. Antiseptika verschreibe ich etwa dann, wenn die Patientin schon mehrere Therapieversuche hinter sich hat oder wenn ich keine Möglichkeiten für eine ordnungsgemäße Diagnostik zur Verfügung habe und die Patientin aber dringend eine Therapie benötigt.
Wenn die Biofilme nicht mit den First-Line-Medikamenten aufgelöst werden können, wie Sie in der Leitlinie schreiben – warum klappt das dann mit Metronidazol und Antiseptika bei der chronischen bakteriellen Vaginose?
A. Farr: Wir wissen aus Studien zur Biofilm-Vaginose, dass der prädominante Keim, Gardnerella species, mit anderen mit bakterieller Vaginose assoziierten Bakterienarten im Vaginalepithel derartig vereint ist, dass er sich durch eine simple, kurzzeitige antibiotische Therapie oftmals nicht entfernen lässt. Zurückbleibende DNA-Fragmente können, eventuell auch durch eine individuell geschwächte Immunkompetenz der Patientin, zu einem Rezidiv führen. Deshalb kann in dieser Situation ein Therapieversuch über einen längeren Zeitraum erfolgen. Hierzu existieren Studien, wenngleich wir auch mit lang anhaltenden Antibiotikatherapien unzufrieden sind. Daher sind in der Empfehlung zur chronisch rezidivierenden bakteriellen Vaginose auch lokale Antiseptika als Therapiealternative empfohlen. Die Evidenz ist hierzu jedoch begrenzt.
Die Evidenz für Milchsäure und Probiotika scheint nicht sehr überzeugend. Empfehlen Sie das trotzdem als Zusatztherapie?
A. Farr: Zu den Probiotika haben wir gute Daten zur Vorbeugung eines Rezidivs, weshalb ich sie etwa meinen Patientinnen zur lokalen Applikation im Anschluss an eine antibiotische Therapie verschreibe. Orale Probiotika sind Nahrungsergänzungsmittel und können maximal langfristig, aber nicht akut, eine positive Wirkung auf das vaginale Mikrobiom haben.
Erlauben Sie mir abschließend zu sagen: Wir bemühen uns um eine größere Awareness und Durchführung moderner Studien im Bereich der bakteriellen Vaginose. Ich bitte daher alle Kolleginnen und Kollegen um eine möglichst exakte und korrekte Diagnostik, um nicht indizierte antibiotische Therapien im Sinne des „antibiotic stewardship“ zu vermeiden. In Zukunft werden wir, hoffentlich zeitnah, noch bessere Therapieoptionen „im Köcher“ haben und es gilt, bis dahin Resistenzen gegen Antibiotika und lange Leidenswege unserer Patientinnen zu vermeiden.
Vielen Dank für das interessante Gespräch!
Literatur:
1 S2k-AWMF-Leitlinie der DGGG, OEGGG und SGGG zur Bakteriellen Vaginose. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/II/015-028.html ; zuletzt aufgerugen am 3.10.2023 2 Donders GGG et al.: Effect of short training on vaginal fluid microscopy (wet mount) learning. J Low Genit Tract Dis 2015; 19(2): 165-9 3 Subtil D et al.: Early clindamycin for bacterial vaginosis in pregnancy (PREMEVA): a multicentre, double-blind, randomised controlled trial. Lancet 2018; 392(10160): 2171-9 4 Kiss H et al.: Prospective randomised controlled trial of an infection screening programme to reduce the rate of preterm delivery. BMJ 2004; 329(7462): 371
Das könnte Sie auch interessieren:
Der frühe Ultraschall hat auch in Zeiten des NIPT nicht ausgedient
Beim Ersttrimesterscreening geht es bei Weitem nicht nur um Nackenfaltenmessung und die Wahrscheinlichkeitsberechnung für Trisomien. Auch rund 50% der schweren fetalen Fehlbildungen ...
Die Kunst ärztlicher Kommunikation bei Breaking Bad News
Worte haben entscheidende Wirkungen. In Gesprächen mit Patient:innen und Angehörigen gibt es meist eine hohe Erwartungshaltung gegenüber der Ärztin, dem Arzt. Vor allem die Übermittlung ...
Was brauchen Mädchen für eine selbstbewusste Sexualität?
Die Entwicklung der eigenen Sexualität ist zentraler Bestandteil des Erwachsenwerdens. Manchen Mädchen fällt es jedoch nicht leicht, ihre Sexualität selbstbewusst und selbstbestimmt zu ...