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MSchG neu

Klinische Arbeit während der Schwangerschaft und Stillzeit

Für schwangere und stillende Ärztinnen in Österreich gelten im Rahmen der Berufsausübung strenge Bestimmungen laut Mutterschutzgesetz. Ein Mangel an Mediziner:innen könnte jedoch ein Umdenken notwendig machen.

Das Mutterschutzgesetz soll sicherstellen, dass berufstätige Mütter und ihre Babys während der Schwangerschaft und Stillzeit vor Gefahren und Gesundheitsschädigungen geschützt werden.1 Zudem sollen berufliche Einschränkungen, finanzielle Einbußen sowie der Arbeitsplatzverlust vermieden werden.2 Gleichwohl grenzen die engen gesetzlichen Bestimmungen und strengen Auslegungen staatlicher Aufsichtsbehörden die Arbeitsmöglichkeiten schwangerer und stillender angestellter Ärztinnen durch Beschäftigungsverbote in nahezu allen klinischen Bereichen zunehmend ein. Faktisch hat das in vielen Bereichen des Gesundheitswesens zu einem Berufsverbot geführt. Der Berufsverband Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten (BDA) hat 2014 Empfehlungen zum „Gesundheitsschutz am anästhesiologischen Arbeitsplatz“ für schwangere Ärztinnen publiziert.4 Die Empfehlungen legen fest, unter welchen Voraussetzungen eine schwangere Ärztin im Bereich Anästhesie und Intensivmedizin nach Ansicht der BDA-Kommission eingesetzt werden kann. Dabei sind die rechtlichen nationalen Rahmenbedingungen und besonders auch Unterschiede zwischen Staaten zu beachten.5

In Österreich gilt das aktuelle Mutterschutzgesetz im Kern seit 1979,1 es ist restriktiver als das deutsche. Letzteres sieht für Schwangere und Stillende ein akzeptables oder geringstmögliches Risiko am Arbeitsplatz vor. Im Unterschied dazu sieht das österreichische Mutterschutzgesetz kein Risiko am Arbeitsplatz vor. Dementsprechend restriktiver sind die Arbeitsmöglichkeiten für Schwangere und Stillende in Österreich.1

Nach §2a Mutterschutzgesetz (MSchG) sind für Arbeitsplätze, an denen Frauen beschäftigt werden, die Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit von werdenden und stillenden Müttern und ihre Auswirkungen auf die Schwangerschaft oder das Stillen zu ermitteln und zu beurteilen. Arbeitsmediziner:innen sollten für die Arbeitsplatzevaluierung beigezogen werden.1,6

Mangel an Mediziner:innen

Es besteht ein Mangel an angestellten perioperativ (d.h. Ambulanz, OP-Bereich und Intensivstation) tätigen Mediziner:innen. Dieser Mangel wird aus demografischen Gründen deutlich zunehmen. Deshalb ist es wichtig, Klarheit zu schaffen, mit welchen Tätigkeiten schwangere und stillende Medizinerinnen gesetzeskonform weiterbeschäftigt werden dürfen. Eine Arbeitsgruppe der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) hat 2023 zusammen mit leitenden Beamt:innen des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft Richtlinien für die sichere und gesetzeskonforme klinische Arbeit von schwangeren und stillenden Anästhesistinnen ausgearbeitet und Empfehlungen zur Arbeitsplatzevaluierung gegeben.7 Dieses Dokument soll sowohl betroffenen Medizinerinnen als auch Abteilungsvorstehenden und Krankenhausträgern helfen, eine konsensuale und arbeitsrechtlich korrekte und sichere Beschäftigung während der Schwangerschaft und der Stillzeit zu ermöglichen. Nota bene: Bis auf das Trageverbot von FFP2-Masken bei Schwangeren sind Stillende den Schwangeren im Mutterschutzgesetz gleichgestellt.1

Die Empfehlungen der ÖGARI zur Arbeitsplatzevaluierung nach Mutterschutzgesetz bauen auf den Empfehlungen der BDA auf.1,4,7,8 Sie berücksichtigen die medikolegale Situation in Österreich und im Speziellen die medizinischen Herausforderungen, die sich durch die Covid-19-Pandemie ergeben haben.1 Der erste Entwurf wurde mit Dr. Andrea Kernmayer und Mag. Dr. Isabelle Häusler, Sektion II, Arbeitsrecht und Zentral-Arbeitsinspektorat, Gruppe A – Abteilung 4 – Arbeitsmedizin & Arbeitspsychologie, Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft, Wien, eingehend diskutiert und anschließend entsprechend überarbeitet. In der Folge wurde der finale Entwurf zuerst von der ÖGARI und abschließend vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft in Wien geprüft und gebilligt.

Ziel dieses Dokuments ist es, Sicherheit am Arbeitsplatz von schwangeren und stillenden Anästhesistinnen zu schaffen und ihnen gleichzeitig eine klinische Arbeitsperspektive zu bieten.

Betroffene Ärztinnen der diversen chirurgischen Fächer werden gemäß ihren Anforderungen und ihrem Einsatzgebiet im perioperativen Bereich auf ihren Arbeitsplatz gefasste Evaluierungen und Betätigungsfelder erheben müssen, jedoch unter Berücksichtigung der bereits ausgearbeiteten Details.

Diese Empfehlungen sollten von Krankenhausträgern und innerhalb von Krankenhäusern entsprechend den lokalen Bedürfnissen und Möglichkeiten unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben angepasst werden. Die Arbeitsplatzevaluierung und das persönliche Gespräch der Ärztin mit Arbeitsmediziner:in und Abteilungsvorstand/-vorständin bzw. Stellvertreter:in sollte durchgeführt und dokumentiert werden.

Gemäß §4a Abs.2 MSchG dürfen stillende Mütter keinesfalls mit Arbeiten oder Arbeitsverfahren gemäß §4 Abs. 2 Z1 MSchG (Heben und Tragen von schweren Lasten), §4 Abs.2 Z3 MSchG (Arbeiten, bei denen die Gefahr einer Berufskrankheit gegeben ist) und §4 Abs.2 Z4 MSchG (Arbeiten, bei denen eine Einwirkung von gesundheitsgefährdenden Stoffen, Strahlen, elektromagnetischen Feldern, Hitze, Kälte oder Nässe nicht ausgeschlossen werden kann) beschäftigt werden. Diese gesetzliche Vorgabe muss im Rahmen der Mutterschutzevaluierung berücksichtigt werden (Tab. 1 und 2).

Tab. 1: Arbeitsplatzevaluierung für schwangere und stillende Anästhesistinnen nach dem Mutterschutzgesetz § 2a (modfiziert nach MSchG und AMD Salzburg)1, 6

Nicht erlaubte Tätigkeiten für Schwangere laut MSchG

Nota bene: Die Liste enthält eine demonstrative, jedoch nicht taxative Aufzählung. Ob klinische Tätigkeiten für Schwangere eine Gefährdung darstellen, muss im Einzelfall im Rahmen der Mutterschutzevaluierung ermittelt werden.

  • Arbeiten mit erhöhtem Infektions- oder Unfallrisiko

  • Verwendung von scharfen oder spitzen Gegenständen, z.B. Nadeln und Skalpellen

  • Tätigkeiten mit Nothilfecharakter

  • Kontakt mit gesundheitsgefährdender elektromagnetischer oder ionisierender Strahlung

  • Kontakt mit Zytostatika und Medikamenten mit karzinogenen, mutagenen oder reproduktionstoxischen(CMR)-Eigenschaften

  • Kontakt zu biologischen Stoffen

  • Kontakt zu Körpersekreten

  • Kontakt mit Blutprodukten oder deren Bestandteilen

  • Kontakt mit infektiösen Patient:innen

  • Anlegen von periphervenösen Kathetern

  • Anlegen jeglicher anderer Katheter und Kanülen, z.B. Pigtail-Katheter, Harnblasenkatheter

  • Kontakt mit Inhalationsanästhetika

  • Kontakt mit Rauchgasen

  • Arbeit im perioperativen Bereich, wo Patient:innen nach Inhalationsanästhesie behandelt werden.

Klärende Hinweise

  • Supervidierende Schwangere dürfen bei Punktionen, Katheteranlagen und Operationen nicht das einzige zeitnahe Facharzt-Backup sein, es muss also ein anderer erfahrener Kollege/eine andere erfahrene Kollegin abrufbar sein, da Schwangere selbst nicht Punktionen und Katheteranlagen durchführen dürfen.

  • Eine Exposition gegenüber Händedesinfektionsmittel ist entsprechend der Wiener Desinfektionsdatenbank WIDES zugelassen: https://www.wien.gv.at/umweltschutz/oekokauf/desinfektionsmittel/ .

  • Kann die Exposition vor Inhalationsanästhetika oder Rauchgasen nicht ausgeschlossen werden, darf sich die Schwangere in diesen Bereichen nicht aufhalten, bis eine Exposition mittels Gasmessung ausgeschlossen werden kann (Tab. 1).

Tab. 2: Positivliste für Ambulanz, Anästhesie und Schmerztherapie, welche die klinischen Tätigkeiten aufzeigt, die für eine schwangere Anästhesistin möglich sind (modifiziert nach BIDA-Komission und angepasst an das MSchG in Österreich)1, 8

Werdenden und stillenden Müttern muss die Möglichkeit gegeben werden, sich während der Arbeitszeit hinzulegen und auszuruhen (MSchG §8a).1,6 Es soll nur Kontakt mit gesunden, nicht infektiösen Patient:innen erfolgen. Die direkte „Hands-on“-Betreuung von Notfallpatient:innen ist zu unterlassen, eine Supervision ist möglich. Bei Änderungen im OP-Plan, die für die Ärztin gefährlich sein könnten oder verboten sind (siehe Tab. 1 und 2), kann die Ärztin umgehend durch Kolleg:innen ersetzt werden. Bei hoher Infektionsgefahr ist ein Tragen einer FFP-2- oder -3-Maske ausgeschlossen. Die Ärztin kann zusätzlich zum Mund-Nasen-Schutz (MNS) einen Augenschutz tragen, z.B. Brille oder Visier.

Fazit

Für schwangere und stillende Gynäkologinnen ist eine fachspezifische Adaptierung der vor Kurzem publizierten ÖGARI-Empfehlungen zur Arbeitsplatzevaluierung sinnvoll.7 Eine Abklärung der fachspezifischen Arbeitsplatzevaluierung mit leitenden Jurist:innen und Mediziner:innen im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft analog zu den ÖGARI-Empfehlungen ist ratsam, um sichere rechtliche Verhältnisse zu garantieren.7

Erste Studien zeigen bereits, dass eine klinische Arbeit während der Schwangerschaft und Stillzeit keine negativen gesundheitlichen Folgen für Mutter und Kind hat.9 Das Arbeitsministerium in Wien hat darauf hingewiesen, dass es wissenschaftlicher Evidenz Bedarf, um eine Änderung des Mutterschutzgesetzes in Betracht zu ziehen. Mit dem sich herauskristallisierenden Wissen, dass klinisches Arbeiten in der Schwangerschaft und Stillzeit sicher ist, dem Wunsch der betreffenden Kolleginnen zu arbeiten und dem Bedarf an Mediziner:innen in einer zunehmend weiblichen Arbeitnehmerschaft in der Medizin erscheint eine Adaptierung des Mutterschutzgesetzes entsprechend den Richtlinien der deutschen Fachgesellschaften geboten.1,4,8

1Bundesrecht konsolidiert: Gesamte Rechtsvorschrift für Mutterschutzgesetz 1979, Fassung vom 07.03.2022. Verfügbar unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10008464 ; zuletzt aufgerufen am 27.2.2024 2 Österreich.gv.at: Entgelt – Auswirkungen. Verfügbar unter: https://www.oesterreich.gv.at/themen/familie_und_partnerschaft/geburt/3/2/5/Seite.0803101 html#:~:text=Im%20Fall%20einer%20notwendigen%20%C3%84nderung,Arbeitsverh%C3%A4ltnisses%20vor%20der%20%C3%84nderung%20entspricht ; zuletzt aufgerufen am 27.2.2024 3 Pothmann W: Mutterschutz in der Anästhesiologie – praktische Umsetzung. Anästh Intensivmed 2014; 55: 139-40 4 BDA-Kommission: Mutterschutz in Anästhesiologie und Intensivmedizin. Anästh Intensivmed 2014; 55: 132-42 5 Berger-Estilita J et al.: Welfare practices for anaesthesiology trainees in Europe: A descriptive cross-sectional survey study. Eur J Anaesthesiol 2023; 40(2): 105-12 6 AMD Salzburg – Zentrum für gesundes Arbeiten: Arbeitsplatzevaluierung nach dem Mutterschutzgesetz. 20187 Paal P et al.: Evaluierung des anästhesiologischen Arbeitsplatzes nach dem Mutterschutzgesetz. Anästhesie Nachr 2023; 5(4): 270-6 8 BDA-Kommission: Arbeitsplatz für schwangere Ärztinnen in der Anästhesiologie und Intensivmedizin. Anästh Intensivmed 2014; 55: 141-2 9 Taumberger N et al.: Operating during pregnancy: A needs assessment among surgical residents in Austria. Heliyon 2023; 9(5): e15863

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