
Keimbahnmutationen in moderaten Penetranzgenen
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Christian Singer
Leiter der Universitätsfrauenklinik Wien
Leiter des Brustgesundheitszentrums Wien
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Etwa 10–15% aller Mammakarzinome werden durch Keimbahnmutationen verursacht, die einen autosomal dominanten Erbgang aufweisen. Neben den hochpenetranten BRCA1- und -2-Genveränderungen gibt es weitere Mutationen in Genen, die mit einem zwei- bis fünffach erhöhten Lebensrisiko, an Brustkrebs zu erkranken, einhergehen. Diese werden als moderate Penetranzgene bezeichnet.
Die beiden mit Abstand häufigsten und klinisch relevantesten Mutationen sind die in den BRCA1- und BRCA2-Genen. Das Risiko einer BRCA1- oder BRCA2-Mutationsträgerin, im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs zu erkranken, wird auf bis zu 80% geschätzt, und Mutationsträgerinnen erkranken im Durchschnitt etwa 20 Jahre früher als Frauen, die keine funktionelle Genveränderung aufweisen. Zusätzlich stellen Mutationen der beiden Gene auch einen Risikofaktor für die Entstehung von Ovarialkarzinomen dar. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens an einem Ovarialkarzinom zu erkranken, liegt für BRCA2-Mutationsträgerinnen bei ca. 30%, für BRCA1-Trägerinnen bei ca. 50%. Im Vergleich zur Normalbevölkerung verursacht eine Mutation im BRCA1- oder BRCA2-Gen also eine Verzehnfachung des Krebsrisikos. Auch bei anderen soliden Tumoren, wie z.B. dem Pankreaskarzinom, dem malignen Melanom und den Gastrointestinalkarzinomen, ist das Lebenszeitrisiko zumindest doppelt so hoch, wenn die betroffene Person Träger:in einer Keimbahnmutation ist.
Daneben gibt es jedoch eine Reihe von weiteren Keimbahnmutationenin Genen, bei denen das Vorliegen einer funktionellen Veränderung mit einem erhöhten Brust- oder Eierstockkrebsrisiko einhergeht. Auch Mutationen im PALB2-Gen scheinen ein ähnlich hohes Risiko für Brustkrebs zu vermitteln, wenngleich diese Mutationen im Vergleich zu BRCA1 und BRCA2 deutlich seltener vorkommen. Veränderungen in einer Reihe von anderen Genen kommen zwar häufiger vor, erhöhen das Erkrankungsrisiko jedoch kaum merklich und werden daher als Niedrigpenetranzgene bezeichnet. Von Niedrigpenetranzgenen spricht man dann, wenn das Erkrankungsrisiko im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung weniger als zweifach erhöht ist. Damit sind Genveränderungen in Niedrigpenetranzgenen in ihrem Einfluss auf das Krebsrisiko vergleichbar mit Lebensstilfaktoren wie Übergewicht, Kinderlosigkeit oder der Einnahme einer Hormonersatztherapie. Mutationen in den Genen ATM,CHEK2, RAD51C, RAD51D oder BARD1 gehen mit einer zwei- bis fünffachen Erhöhung des Lebenszeit-Brustkrebsrisikos einher und werden als „moderate Penetranzgene“ bezeichnet. Sie unterscheiden sich von den hochpenetranten BRCA1-, BRCA2- und PALB2-Genveränderungen auch dadurch, dass das typische Erkrankungsalter die mittlere und spätere Lebensphase ist, man spricht hier auch von „Adult onset“-Mutationen.
Lebenszeitrisiko für Brustkrebs auch abhängig von der Lokalisation der Mutation innerhalb eines Gens
Das Lebenszeitrisiko für eine Brustkrebskerkrankung ist jedoch stark abhängig von einer Reihe von anderen Faktoren. So spielt beispielsweise die Lokalisation einer Mutation innerhalb des Gens eine bedeutende risikomodifizierende Rolle: Während das Lebenszeit-Brustkrebsrisiko bei Vorliegen einer funktionell relevanten Mutation im ATM-Gen insgesamt bei etwa 30% liegt, so erhöht beispielsweise die Substitution der Nukleinbase Thymin durch Cytosin an der Position 7271 (ATM c.7271T>C) das Lebenszeitrisiko auf über 50%. Auch die Geburtskohorte hat einen bedeutenden Einfluss auf das kumulative Brustkrebsrisiko. Frauen mit einer heterozytogen Keimbahnmutation im PALB2-Gen, die zwischen 1930 und 1939 geboren wurden, haben ein ca. 25%iges Lebenszeitrisiko. Demgegenüber wird das Lebenszeitrisiko von PALB2-Mutationsträgerinnen, die zwischen 1970 und 1979 geboren wurden, auf über 75% geschätzt. Es ist leicht nachvollziehbar, dass das Krebsrisiko nicht durch Veränderungen in einzelnen Genen determiniert wird, sondern durch eine Vielzahl von Sequenzvarianten in anderen Genen modifiziert wird. Diese Genvarianten müssen alleine und für sich gesehen keinen relevanten Effekt auf das Krebsrisiko haben, in Summe sind sie jedoch sehr wohl in der Lage, bei Vorliegen einer genetischen Modifikation in einem der intermediären bzw. Hochrisiko-Penetranzgene, aber auch bei Frauen ohne entsprechende Keimbahnmutation das Risiko maßgeblich zu verändern. Inzwischen sind Gensignaturen („polygenic risk scores“) identifiziert worden, die uns erlauben, das individuelle Brustkrebsrisiko noch besser zu beschreiben. Sie ermöglichen es etwa, bei Vorliegen einer BRCA2-Keimbahnmutation vorherzusagen, ob das Lebenszeitrisiko für Brustkrebs bei eher 55% oder bei >90% liegt. Es ist davon auszugehen, dass nach entsprechender Validierung der „polygenic risk score“ die bis heute praktizierte Sequenzierung einzelner Gene in naher Zukunft bei der Risikoeinschätzung ersetzen wird.
Ähnlich wie bei BRCA1-Keimbahnmutationen, die typischerweise einen triple-negativen Tumortyp induzieren, sind funktionelle Defekte in einigen moderaten Penetranzgenen mit einer typischen Tumorbiologie assoziiert. Mutationen in ATM und CHEK2 prädisponieren beispielsweise für hormonsensitive Karzinome, während Veränderungen in BARD1,PALB2,RAD51C und RAD51D eher mit einem Östrogen-rezeptor-negativen bzw. einem triple-negativen Phänotyp assoziiert sind.
Frühere Vorsorgeuntersuchungen bei Vorliegen moderater Penetranzgene
Seit vielen Jahren wird aufgrund des besonders frühen Auftretens von Brustkrebsbei Vorliegen von Hochrisiko-Penetranzgenen der Einsatz von Mammografie und Brust-MRT empfohlen. Die österreichische Leitlinie zur Brustkrebs-Früherkennung sieht bei Frauen mit einer BRCA1- oder BRCA2-Keimbahnmutation die jährliche MRT-Untersuchung ab dem 25. Lebensjahr und die Mammografie ab dem 35. Lebensjahr vor. Auch bei moderaten Penetranzgenen ist ein Vorziehen des Beginns von Früherkennungsuntersuchungen sinnvoll und wird von nationalen und internationalen Leitlinien emfpohlen. So sieht beispielsweise das US-amerikanische Nationale Comprehensive Cancer Network (NCCN) den Beginn jährlicher MRT-Untersuchungen bei ATM- und CHEK2- sowie bei PALB2-Mutationen mit dem 30. Lebensjahr und bei RAD51C sowie RAD51D und BARD1 mit dem 40. Lebensjahr vor. Aufgrund der erhöhten Brustdichte jüngerer Frauen und der damit verbundenen eingeschränkten Auswertbarkeit wird die jährliche Mammografie ab dem 40. Lebensjahr empfohlen.
Im Gegensatz zur intensivierten Früherkennungsuntersuchung wird die risikoreduzierende („prophylaktische“) Mastektomie bei gesunden Frauen mit funktionellen Keimbahnmutationen in moderaten Risikogenen wie ATM, CHEK2, BARD1, RAD51C und RAD51D nicht empfohlen. Selbst bei Vorliegen von funktionellen Mutationen in dem Hochrisikogen BRCA2 konnte ein Überlebensvorteil durch eine beidseitige Entfernung bislang nicht gezeigt werden. Daher ist ein entsprechender Benefit bei moderaten Penetranzgenen umso unwahrscheinlicher und wird daher von nationalen und internationalen Leitlinien nicht empfohlen. Lediglich bei nicht erkrankten Frauen mit einer funktionellen Mutation in PALB2 kann eine entsprechende Operation im Sinne eines „shared decision making“ überlegt werden. Generell wird von vielen betroffenen Frauen das Lebenszeitrisiko, welches sich durch das Vorliegen einer Mutation in einem moderaten Penetranzgen ergibt, zumeist überschätzt, während intra- und postoperativen Risiken und mögliche Komplikationen üblicherweise unterschätzt werden. Gerade bei Vorliegen von Risikofaktoren wie Diabetes, Nikotinabusus, Adipositas sowie bei Z.n. Bestrahlung ist mit einer Komplikationsrate von bis zu 40% zu rechnen und auch das kosmetische Ergebnis ist für die betroffene Frau oft genug nicht zufriedenstellend. Im Gegensatz dazu kann bei Z.n. unilateraler kurativer Mastektomie eine kontralaterale Mastektomie gerade bei prämenopausalen Patientinnen und bei Vorliegen von Mutationen in den moderaten Penetranzgenen CHEK2 (kumulative 10- Jahres-Inzidenz eines kontralateralen Mammakarzinoms von 13%) und PALB2 (kumulative 10-Jahres-Inzidenz eines kontralateralen TNBC von 36%) durchaus überlegt werden.
Was systemische Therapieoptionen angeht, so liegen bislang keine Daten zum Einsatz von Platinen zur Therapie des Mammakarzinoms bei Trägerinnen von Mutationen in moderaten Penetranzgenen vor, sodass der Einsatz von Carboplatin wie bislang auf das TNBC im neoadjuvanten und metastasierten Setting beschränkt ist. Etwas besser ist die Datenlage hinsichtlich des Einsatzes von PARP-Inhibitoren: Hier konnte im fortgeschrittenen Stadium gezeigt werden, dass eine Monotherapie mit dem PARP-Inhibitor Olaparib (Lynparza®) bei PALB2-Mutationsträgerinnen, welche an einem fortgeschrittenen Mammakarziom erkrankt sind, eine Verlängerung der Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung erzielen kann, während dies bei Frauen mit einer Keimbahnmutation von ATM, CHEK2 und BARD1 nicht der Fall war.
Zusammenfassung
Zusammengefasst kann hinsichtlich des Managements von moderaten Penetranzgenen festgehalten werden, dass das österreichische Hochrisiko-Früherkennungsschema eine adäquate Versorgung von Frauen mit Mutationen in ATM,CHEK2, BARD1, RAD51C, RAD51D sowie PALB2 bietet. Im Gegensatz zu Mutationen in BRCA1, BRCA2 und PALB2 sollte hinsichtlich risikoreduzierender Operationen bei moderaten Risikogenen aufgrund des Fehlens eines relevanten Nutzens größte Zurückhaltung geübt werden. Lediglich bei Vorliegen einer starken familiären Disposition kann eine derartige Operation überlegt werden. Was den Einsatz von systemischen Therapien angeht, so scheinen lediglich Frauen mit einer PALB2-Mutation im fortgeschrittenen Stadium von PARP-Inhibitoren zu profitieren, wenngleich die Substanz in dieser Indikation derzeit noch nicht zugelassen ist.
Literatur:
beim Verfasser
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