
„Jede Schwangere hat das Recht, Bescheid zu wissen“
Unser Gesprächspartner:
Prof. Dr. Peter Husslein
em. Vorstand der Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Wien
Das Interview führte
Dr. Felicitas Witte
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Jede Frau müsste über Pränataldiagnostik informiert werden, sagt Prof. Peter Husslein aus Wien. Was so schwierig ist bei der Beratung und wie er dabei vorgeht, erklärt der ehemalige Vorstand der Wiener Universitätsklinik für Frauenheilkunde.
In Deutschland ist der nicht invasive Pränataltest (NIPT) seit Kurzem unter bestimmten Voraussetzungen Kassenleistung, aber der Ersttrimestertest (ETT) nicht. In der Schweiz hingegen wird der ETT immer bezahlt, aber der NIPT nur, wenn das Risiko für Chromosomenstörungen im ETT höher als 1:1000 ist. In Österreich muss die Schwangere die Pränataldiagnostik selbst zahlen, sofern keine medizinische Notwendigkeit besteht.
Für Schwangere müssen diese Unterschiede in den Ländern ziemlich verwirrend sein. Was sagen Sie dazu?
P. Husslein: Die Verwirrung kann ich durchaus verstehen. Wir in Österreich sind, was die Kostenerstattung der Pränataldiagnostik angeht, wirklich ein Schlusslicht. Der NIPT ist meiner Meinung nach der effizienteste und – wenn man ihn großflächig anwenden würde – auch preiswerteste Test zum Ausschluss oder zum Nachweis fetaler chromosomaler Anomalien. Nachdem sich der Oberste Gerichtshof in Österreich klar positioniert hat, dass die Pränataldiagnostik dazu dient, einer Schwangeren eine Basis für eine Entscheidung für oder gegen ihr Kind zu treffen, wäre es nur logisch, NIPT allen Frauen anzubieten, die eine Information zu etwaigen chromosomalen Störungen ihres Kindes wünschen. Deshalb gehört der NIPT als Kassenleistung angeboten und ich begrüße die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses in Deutschland sehr. Wichtig ist natürlich, dass der Arzt vor dem Test die Frau umfassend und verständlich aufklärt und einen qualitativ hochwertigen Ultraschall macht.
Sollte der NIPT in die Mutterschaftsrichtlinien aufgenommen werden?
P. Husslein:Nein, das könnte werdende Mütter zu sehr unter Druck setzen. Die Frau soll sich ja alleine entscheiden dürfen, ob sie eine Pränataldiagnostik machen lassen möchte. Es sollte aber verpflichtend sein, dass eine Schwangere über Pränataltests und deren Aussagekraft vom Arzt beraten wird. Die mit akzentuierter Empörung vorgebrachten Argumente gegen die Freigabe als Kassenleistung des NIPT zielen demagogisch ausschließlich darauf ab, die Anwendung einzuschränken und auf diese Weise Schwangerschaftsabbrüche wegen chromosomaler Anomalien zu reduzieren. Das ist eine inakzeptable eklatante Missachtung der Autonomie von Schwangeren.
In der Schweiz steht der ETT quasi vor dem NIPT – zumindest wenn die Frau ihn nicht selbst bezahlen möchte.
P. Husslein: Man kann das eine nicht mit dem anderen vergleichen. Das Problem ist: Viele Frauen und leider auch so manch ein Kollege meinen, mit dem NIPT könne man alle möglichen Krankheiten erkennen. Der NIPT testet aber lediglich die häufigsten Chromosomenanomalien, nämlich Trisomie 13, 18 und 21.
Wie gehen Sie in der Beratung vor?
P. Husslein: Das Wichtigste ist, genügend Zeit einzuplanen. Eine halbe Stunde ist das Minimum. Ich frage die Frau zuerst, ob sie überhaupt Interesse hat, zu wissen, ob ihr Kind eine genetische Störung hat, die wir nicht kausal behandeln können. Ich erkläre ihr, dass sie sich keinesfalls verpflichtet fühlen muss, die Schwangerschaft zu beenden. Sie kann den Test machen lassen und wenn sich eine Trisomie zeigt, kann sie sich besser auf das Leben mit einem solchen Kind vorbereiten. Wir müssen aber auch respektieren, dass manche Frauen keine Informationen haben wollen – die brauchen dann weder NIPT noch ETT. Anders sieht es aus beim Organscreening in der 21. Woche. Hier geht es darum, dass wir Fehlbildungen erkennen, die wir behandeln können, zum Beispiel Herzfehler. Beim NIPT oder ETT kann man unterschiedlicher Meinung sein, ob man das machen lassen möchte oder nicht. Aber beim Organscreening gibt es für mich kein Argument dagegen. Deshalb rate ich jeder Frau dazu. Was ich aber über all die Jahre gelernt habe: Das Thema Pränataldiagnostik kann man nicht in jedem Detail mit jeder Patientin diskutieren.
Warum nicht?
P. Husslein: Weil es zu kompliziert ist. Selbst so manch ein Frauenarzt weiß nicht genau, was welcher Test aussagt. Es gibt zwar Frauen, die sich schon viel über das Thema informiert haben und alles en detail wissen möchten. Das sind aber die wenigsten. Ich versuche, der Schwangeren und ihrem Partner oder ihrer Partnerin die grundlegenden Aspekte darzulegen. Selbst das ist schon komplex genug.
Was sagen Sie dem Paar konkret?
P. Husslein: In etwa diese Sätze:
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Häufigere Fehlbildungen, die therapierbar sind, können wir mit dem detaillierten Ultraschall in der 21. Woche (Organscreening) erkennen. Dazu würde ich Ihnen auf jeden Fall raten.
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Sehr seltene Fehlbildungen, die wir dann oftmals auch nicht behandeln können, sind mit den heutigen Untersuchungsmöglichkeiten kaum detektierbar. Die Suche danach ist zu aufwendig, zu teuer und geht mit zu vielen Komplikationen für Sie einher.
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Beim Ersttrimester-Screening geht es vor allem darum, die häufigsten Chromosomenstörungen zu entdecken, vor allem Trisomie 13, 18 oder 21. Diese Störungen können wir leider noch nicht behandeln. Hat Ihr Kind so eine Chromosomenstörung, können Sie selbst entscheiden, ob Sie Ihr Baby bekommen möchten, und wir tun alles, damit es ihm so gut wie möglich geht. Sie können sich auch dazu entscheiden, die Schwangerschaft zu beenden.
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Um diese häufigen Chromosomenstörungen (Trisomie 13, 18, 21) zu entdecken, gibt es zwei Zugänge. Entweder wir messen im Ultraschall, wie dick der Nacken Ihres Kindes ist, und messen bestimmte Hormone in Ihrem Blut. Diese Untersuchung heißt Combined-Test. Oder wir nehmen Ihnen Blut ab und untersuchen das Erbgut Ihres Kindes, das auch in Ihrem Blut ist. Dieser Test heißt NIPT.
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Der NIPT ist im Wesentlichen ein Ja/Nein-Test. Das heißt, wir bekommen das Ergebnis, ob Ihr Kind eine Trisomie 13, 18 oder 21 hat.
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Der Combined-Test gibt eine Wahrscheinlichkeit an, dass Ihr Kind eines der folgenden Probleme hat: Trisomie 13, 18 oder 21 (Down-Syndrom), ein Turner-Syndrom – also nur ein X-Chromosom oder andere Geschlechtschromosomen-Anomalien – und wir bekommen auch einen Hinweis auf Herzfehler, Fehlbildungen an Knochen oder Nieren oder andere Fehlbildungen. Ein Risiko von 1:300 für eine Chromosomenanomalie bedeutet, dass von 300 Schwangeren in Ihrer Situation eine ein Baby mit dieser Fehlbildung hat. Liegt das Ergebnis unter diesem Wert, also etwa bei 1:200, würde ich Ihnen raten, eine Zottenbiopsie zu machen, um eine klare Diagnose zu erhalten. Bei einem Wert darüber, also über 1:1000, ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, ein Kind mit einer solchen Krankheit zu bekommen.
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Mit einem Combined-Test können Fehlbildungen niemals mit Sicherheit ausgeschlossen oder diagnostiziert werden. Selbst bei einem sehr hohen Risiko von 1:5 kann es sein, dass das Baby völlig gesund zur Welt kommt. Umgekehrt kann es aber auch sein, dass bei einem sehr geringen Risiko von 1:10 000 das Kind dennoch krank ist, wenn man das Pech hat, die eine von den 10 000 Schwangeren zu sein.
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Sie sollten immer im Hinterkopf behalten: Die allermeisten Babys kommen gesund zur Welt.
Wie reagieren die Frauen auf diese Informationen?
P. Husslein:Selbst wenn ich es sehr ausführlich erkläre, bekomme ich oft die Rückfrage: „Und was habe ich davon, wenn ich die Tests machen lasse?“ Ich sage dann: „Mit großer Wahrscheinlichkeit die Information, dass Ihr Kind gesund ist. Mit einer kleinen Wahrscheinlichkeit, dass es eine Chromosomenstörung hat – dann können Sie in Ruhe überlegen, was Sie machen möchten.“ Die Frauen reagieren sehr unterschiedlich. Eine sagt dann etwa: „Wunderbar, das möchte ich wissen, und die Tests lasse ich machen.“ Eine andere: „Nein danke, das will ich nicht.“ Die dritte Antwort ist die schwierigste, nämlich wenn die Frau sagt: „Ich weiß nicht, was raten Sie mir?“ Dann versuche ich der Frau klar zu vermitteln, dass es ihr Baby ist und sie die Entscheidung treffen muss – so schwierig das auch ist.
Natürlich hängt die Gesprächsführung auch mit den anfallenden Kosten zusammen: Berate ich eine Schwangere, die bei der Sozialversicherung versichert ist, muss sie die Tests zumindest in Österreich meist selbst zahlen. Zögert sie, die Tests durchführen zu lassen, ist sie jung und gesund und hat nicht so viel Geld, würde ich sie vielleicht in die Richtung beraten, dass sie sich die Tests auch unter Umständen sparen kann, aber das Risiko dafür selbst tragen muss. Anders bei einer Frau, die privat versichert ist und deren Kasse die Tests übernimmt: Ist diese sich unsicher, vor allem wenn sie etwas älter ist, würde ich sie natürlich darin bestärken, die Tests machen zu lassen.
Weitere Informationen erhalten Sie auch im Artikel Pränataldiagnostik: Was ist möglich und was zahlt die Kasse?
Indikationen für die Kostenübernahme für Pränataltests durch die ÖGK
• Alter der Mutter beim Eintritt der Schwangerschaft über 35 Jahre: nicht invasiver Test (Nackentransparenzmessung oder Combined-Test) oder invasiver Test (Fruchtwasserpunktion oder Chorionbiopsie). Bei auffälligem nicht invasivem Test: zusätzlich invasiver Test
• Blutsverwandtschaft der Eltern
• Vorausgegangene Schwangerschaft mit Fehlbildungen mit hohem Wiederholungsrisiko bei einer weiteren Schwangerschaft, die pränatal diagnostiziert werden können
• Erhöhtes familiäres Risiko für das Auftreten eines genetischen Defektes mit bekanntem Erbgang: Fruchtwasserpunktion oder Chorionbiopsie, evtl. Organscreening
• Verdacht auf teratogene oder mutagene Schädigung: Ersttrimester-Screening, Organscreening, evtl. Fruchtwasserpunktion oder Chorionbiopsie
Quelle: Österreichische Gesundheitskasse (E-Mail)
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