Chronisch rezidivierender HWI oder doch interstitielle Zystitis?
Autor:
Dr.med. Andreas Studer
Oberarzt Frauenklinik
Schwerpunkt operative Gynäkologie & Geburtshilfe und Urogynäkologie
Luzerner Kantonsspital
E-Mail: andreas.studer@luks.ch
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Bei rezidivierender Dysurie und Unterbauchschmerzen stellt der Griff zum Antibiotikum oft eine schnelle und einfache Behandlungsmethode dar; denn Häufiges ist häufig, insbesondere bei Erstkontakt von andernorts unzufriedenen Patientinnen. Viel zu selten denkt man bei den geschilderten Beschwerden an andere Differenzialdiagnosen, wie beispielsweise die interstitielle Zystitis. So vergehen im Durchschnitt 9 Jahre, bis bei einer Patientin mit interstitieller Zystitis die richtige Diagnose gestellt wird.
Herausforderungen
Grundsätzlich sind Definitionen für rezidivierende Harnwegsinfektionen einfach und gut bekannt, sie werden auch in diversen Leitlinien aufgeführt.1,2 Trotzdem sind deren Anwendung und Umsetzung im Alltag nicht so trivial. Aufgrund der hohen Prävalenz wird beim Auftreten von Dysurie meistens primär an eine Harnwegsinfektion gedacht und bei entsprechenden Anzeichen in Schnelltests (Leukozyturie, Nitrittest positiv) eine analgetische und antiphlogistische Therapie mit oder ohne Antibiotika eingeleitet. Insbesondere bei wiederkehrenden Infekten sowie persistierenden Beschwerden nach erfolgter antibiotischer Therapie empfiehlt sich die Durchführung einer Urinkultur; diese gibt Aufschluss über die Art des Erregers sowie die Resistenzlage. In den allermeisten Fällen ist somit die Ursache geklärt und eine erfolgreiche Behandlung garantiert.
Ist die Urinkultur hingegen unauffällig, besteht der begründete Verdacht einer Kontamination oder werden insignifikante Mengen an Bakterien nachgewiesen, lohnt sich der Aufwand einer eingehenden und detaillierten Anamnese. Denn die Symptomkomplexe vieler urogynäkologischer/urologischer Erkrankungsbilder (Harnwegsinfektion, überaktive Blase, Blasenschmerzsyndrom, interstitielle Zystitis) decken sich teils stark und sind initial oft schwierig zu differenzieren.3 Weiterführende infektionsfokussierte (wie beispielsweise der Urethral-Abstrich) oder urodynamische Abklärungen inklusive einer Zystoskopie können dann wegweisende Erkenntnisse bringen. Insbesondere die interstitielle Zystitis, als nichtinfektiöse Blasenerkrankung, ist bei Fehlen von für die Erkrankung typischen zystoskopischen Befunden wie Hunner’schen Ulzera oder Glomerulationen weiterhin schwierig zu diagnostizieren und oft nur durch den Ausschluss anderer Ursachen zu erkennen. Wird die richtige Diagnose allerdings gestellt, ist dies für die Patientinnen, welche oft eine Odyssee an Arztbesuchen, rezidivierenden HWI-Behandlungsschemata, Psychosomatiksprechstunden und vieles mehr hinter sich haben, eine Befreiung.
Eine der grössten Herausforderungen der interstitiellen Zystitis sind somit trotz der geringen Prävalenz von 0,5–5:1000 Frauen im Falle von unklaren «HWI-ähnlichen Beschwerden» das Daran-Denken und die allfällige Triage an ein spezialisiertes Zentrum.
Wieso ist die klinische Unterscheidung schwierig?
Was ist nun der Grund dafür, dass «Blasenbeschwerden» klinisch/anamnestisch so schwierig zu unterscheiden sind? Einerseits ist die Wahrnehmung der Blase von verschiedenen Reizen aufgrund der geringen Dichte an Nervenfasern limitiert. So werden Dranggefühle gegenüber Schmerzsensationen nur durch eine andere Taktfrequenz der Nervensignale unterschieden. Andererseits sind die Pathomechanismen der Symptomentstehung oftmals sehr ähnlich. Auch wenn diese für die interstitielle Zystitis nicht vollständig geklärt sind, geht man davon aus, dass ein Defekt der die Harnblase auskleidenden Glukosaminoglykanschicht (GAG) für die Erkrankung verantwortlich ist. Durch deren Verlust oder lokale Defekte kommt es zum Kontakt des Urins (insbesondere von Kaliumionen) mit dem Urothel respektive dem subendothelialen Raum. Dies führt zu einer Entzündungsreaktion und Stimulation der sensorischen Nerven, welche Drangsymptome beziehungsweise Schmerzreize vermitteln. Des Weiteren kommt es über die Zeit sowohl zu einer peripheren als auch einer zentralen Sensibilisierung mit einer deutlichen Herabsetzung der Reizschwelle.
Mögliche Unterscheidungsansätze
Die interstitielle Zystitis wie auch die rezidivierenden Harnwegsinfektionen kommen bei Frauen deutlich häufiger vor als bei Männern. Mögliche Anhaltspunkte zur Unterscheidung der beiden Erkrankungen ergeben sich durch unterschiedliche Risikofaktoren (Tab. 1).4–6 Weiter können typische anamnestische Hinweise wie ständiger Harndrang, Schmerzen nach der Miktion oder in Zusammenhang mit einer zunehmenden Blasenfüllung für eine interstitielle Zystitis sprechen. Ein weiteres mögliches Hinweiszeichen kann eine erschwerte Miktion, welche nur durch zusätzliche Bauchpresse möglich ist, sein. Das Führen eines Miktions- und Trinktagebuchs vermag eventuelle kleine Blasenvolumina, welche typisch bei der interstitiellen Zystitis sind, aufzudecken.
Tab. 1: Risikofaktoren für HWI und interstitielle Zystitis sowie Drang fördernde Lebensmittel (nicht abschliessende Aufzählung)
Therapeutische Herausforderungen der interstitiellen Zystitis
Wurde die Diagnose einer interstitiellen Zystitis oder der hochgradige Verdacht auf eine solche gestellt, folgt gleich die nächste Herausforderung, nämlich die richtige Therapie zu finden. Therapieansätze umfassen die Reparatur bzw. den Wiederaufbau der GAG-Schicht, Entzündungshemmung, Schmerzmodulation/-verarbeitung sowie die Destruktion zystoskopischer Läsionen.
Als langfristige Therapieoption steht in der Schweiz aktuell einzig Pentosanpolysulfat (Elmiron®) als zugelassene orale Behandlungsmöglichkeit bei zystoskopischen Auffälligkeiten zur Verfügung (Voraussetzung für die Kostenübernahme durch die Krankenkasse sind der zystoskopische Nachweis von Hunner’schen Ulzera und/oder Glomerulationen).7 Alle weiteren möglichen (symptomatischen) Therapieoptionen sind im «off-label use» einzusetzen und benötigen entsprechende Information der Patient:innen und teils Gesuche zur Kostenübernahme bei der Krankenkasse.
In diesem Zusammenhang ist die Besprechung realistischer Behandlungsziele mit den Patient:innen von herausragender Bedeutung, zumal die Erkrankung meist nicht vollständig geheilt, sondern lediglich eine Symptomkontrolle erzielt werden kann. Als Basisansatz sollten die Patient:innen über Harndrang-verstärkende Lebensmittel (siehe Tab. 1) aufgeklärt und deren Vermeidung sollte empfohlen werden. Zudem sollten Betroffene zur Veränderung des Lifestyles motiviert und zum selbstständigen Blasentraining animiert werden; dies evtl. zusammen mit einer Beckenbodenphysiotherapie mit Biofeedback zur Förderung der Relaxation der Beckenbodenmuskulatur.8 Des Weiteren ist eine suffiziente analgetische Therapie essenziell, um die weitere Sensibilisierung der peripheren Nozizeption zu durchbrechen. Wie oben erwähnt, kommt initial meist Pentosanpolysulfat zum Einsatz. Dies zielt darauf ab, die defekte GAG-Schicht zu reparieren und somit einen besseren Schutz gegenüber dem reizenden Urin zu schaffen. Wichtig zu wissen hierbei ist, dass der Wirkungseintritt bis zu einem halben Jahr dauern kann; darüber sollten die Patient:innen unbedingt aufgeklärt werden. Sollte diese Therapie nicht ausreichend wirksam sein oder primär eine invasivere Therapie gewünscht werden, kann eine zystoskopische Verödung der Hunner’schen Ulzera erfolgen, meist in Kombination mit einer Hydrodistension (Blasenfüllung mit NaCl auf 800–1000ml in Narkose). Alternative Therapieansätze zur Optimierung der GAG-Schicht respektive der lokalen Entzündungshemmung in der Blase sind verschiedene Instillationstherapien wie z.B. mit Hyaluronsäure und Chondroitinsulfat, Dimethylsulfoxid (DMSO)10 oder Heparin.9,10 Darüber hinaus gibt es Therapieansätze mit trizyklischen Antidepressiva (z.B. Amitryplin) oder Antihistaminika (z.B. Cetirizin) zur zentralen Schmerzmodulation und peripheren Mastzellstabilisierung. Auch die intravesikale Botoxinjektion, die Modulation der peripheren Nerven mittels Stimulatoren der sakralen Nerven (SNS)11 oder die perkutane tibiale Nervenstimulation (PTNS)12 kommen in der Behandlung der interstitiellen Zystitis zum Einsatz, um nur einige zu nennen. Alle möglichen Therapieoptionen werden individualisiert entsprechend dem Beschwerdebild sowie möglicher Begleiterkrankungen ausgewählt und sind in der AWMF-S2k-Leitlinie sowie der EAU-Guideline zu «chronic pelvic pain» zusammengefasst.3,13
Zusammenfassend – was können wir tun?
Beim Auftreten des Symptomkomplexes von Dysurie/Pollakisurie/retrosymphysären Schmerzen ist eine genaue Anamnese wegweisend; hier sollte genau nachgefragt werden, ob die Beschwerden das erste Mal oder zum wiederholten Male auftreten. Zudem sollte man nach der Latenz seit der letzten Episode fragen und/oder danach, ob die Beschwerden je ganz verschwunden waren. Des Weiteren sollte man nach möglichen Risikofaktoren für die Entstehung einer interstitiellen Zystitis fragen. Neben der ausführlichen Anamnese sollte man selbstverständlich eine Untersuchung des Urins, mittels Urinschnelltest und Urinkultur, veranlassen. Liegt eine Bakteriurie vor sollte diese primär therapiert werden. Ist der Urin jedoch unauffällig oder inkonklusiv und sind die Beschwerden wiederkehrend, sollten auch anderweitige urogynäkologische/urologische Differenzialdiagnosen in Betracht gezogen werden. Somit empfiehlt es sich insbesondere bei wiederkehrenden/persistierenden Beschwerden, nicht nur an rezidivierende Harnwegsinfektionen, sondern auch an eine interstitielle Zystitis zu denken und zur Unterscheidung weitere Abklärungen zu veranlassen. Durch das differenzialdiagnostische In-Erwägung-Ziehen der interstitiellen Zystitis kann die Latenz bis zur Diagnosestellung und dadurch der Leidensweg der Patientinnen deutlich verkürzt werden.
Steht eine interstitielle Zystitis als mögliche Ursache der Beschwerden im Raum kann eine Therapie mit Pentosanpolysulfat begonnen und eine Vorstellung an einem spezialisierten Beckenbodenzentrum zur diagnostischen und therapeutischen Evaluation erwogen werden.
Literatur:
1 Betschart C et al.: Akute und rezidivierende Harnwegsinfektionen. SGGG-Expertenbrief 2018 2 Kwok M et al.: Guideline of Guidelines: Management of recurrent urinary tract infections in women. BJU Int 2022; 130(Suppl 3): 11-22 3 Engeler D et al.: EAU Guidelines on chronic pelvic pain. Presented at the EAU Annual Congress Paris 2024 4 Lazarus JE, Gupta K: Recurrent UTI in women - risk factors and management. Infect Dis Clin North Am 2024; 38(2): 325-41 5 Li GZ et al.: Risk factors for interstitial cystitis/painful bladder syndrome in patients with lower urinary tract symptoms: a Chinese multi-center study. Chin Med J (Engl) 2010; 123(20): 2842-6 6 Tirlapur SA et al.: The ‚evil twin syndrome‘ in chronic pelvic pain: a systematic review of prevalence studies of bladder pain syndrome and endometriosis. Int J Surg 2013; 11(3): 233-7 7 van Ophoven A et al.: Efficacy of pentosan polysulfate for the treatment of interstitial cystitis/bladder pain syndrome: results of a systematic review of randomized controlled trials. Curr Med Res Opin 2019; 35(9): 1495-503 8 Moody CC, Fashokun TB: Painful bladder syndrome/interstitial cystitis and high tone pelvic floor dysfunction. Obstet Gynecol Clin North Am 2021; 48(3): 585-97 9 Pyo JS, Cho WJ: Systematic review and meta-analysis of intravesical hyaluronic acid and hyaluronic acid/chondroitin sulfate instillation for interstitial cystitis/painful bladder syndrome. Cell Physiol Biochem 2016; 39(4): 1618-25 10 Rawls WF et al.: Dimethyl sulfoxide (DMSO) as intravesical therapy for interstitial cystitis/bladder pain syndrome: A review. Neurourol Urodyn 2017; 36(7): 1677-84 11 Laviana Aet al.: Sacral neuromodulation for refractory overactive bladder, interstitial cystitis, and painful bladder syndrome. Neurosurg Clin N Am 2014; 25(1): 33-46 12 Ghavidel-Sardsahra A et al.: Efficacy of percutaneous and transcutaneous posterior tibial nerve stimulation on idiopathic overactive bladder and interstitial cystitis/painful bladder syndrome: A systematic review and meta-analysis. Neurourol Urodyn 2022; 41(2): 539-51 13 Bschleipfer T et al.: Leitlinienreport zur S2k Leitlinie «Diagnostik und Therapie der Interstitiellen Zystitis (IC/BPS)» – AWMF Registry No. 043-050. Presented at the EAU Annual Congress Paris 2024. Verfügbar unter https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/043-050.html
Das könnte Sie auch interessieren:
FIGO-2023-Klassifikation – eine Revolution
Die FIGO-Staging-Klassifikation für das Endometriumkarzinom wurde 2023 aktualisiert, um den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu entsprechen. Es wurden neue molekulare ...
„Check-up“ Endometriumkarzinom
Bis 2013 wurden Endometriumkarzinome basierend auf histologischen Merkmalen in Typ-1- und prognostisch ungünstigere Typ-2-Karzinome eingeteilt. Die molekulare Aufarbeitung der ...
Prähabilitation in der gynäkologischen Onkologie
Der Begriff Prähabilitation bezeichnet die Anwendung von Konzepten der Rehabilitation im Rahmen der Vorbereitung auf eine geplante Therapie oder Intervention, mit dem Ziel, die ...