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Zentren oder Einzelpraxen: Woran sollen Jungärzte glauben?
DAM
Autor:
Dr. Wolfgang Geppert
E-Mail: geppert@aon.at
30
Min. Lesezeit
25.05.2017
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<p class="article-intro">Die Allgemeinmedizin wird weiblich. Grund genug, einmal ausschließlich Stimmen von Ärztinnen einzufangen. Ihre Ansichten über die Zukunft der Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner gehen diametral auseinander.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Im persönlichen Gespräch zeichnen viele Mitglieder der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM) ein düsteres Bild von der Zukunft unseres Berufsstandes. Das ist nicht verwunderlich, denn die älteren Kolleginnen und Kollegen sind Zeugen der permanenten Talfahrt heimischer Hausarztmedizin und glauben nicht an eine Trendumkehr.<br /> Im Gegensatz dazu, so hege ich den Verdacht, haben sich die ÖGAM-Funktionäre das ständige Tragen von rosaroten Brillen verordnet. Schönfärben ist angesagt! So meint etwa die Präsidentin der Niederösterreichischen Gesellschaft für Allgemeinund Familienmedizin (NÖGAM), Dr. Susanne Rabady, im Zusammenhang mit einem ÖGAM-Themenheft über Diabetes mellitus wortwörtlich: „Mögen Sie sich beim Lesen an unserem wunderbaren Beruf, an unserem Fach Allgemeinmedizin, erfreuen und stolz sein auf die vielfältige Kompetenz, die er uns abverlangt.“<br /> ÖGAM-Aktivisten zeigen sich gegenüber zukünftigen Primärversorgungseinheiten sehr aufgeschlossen. Kein Wunder, ist doch ihr oberösterreichischer Repräsentant, Dr. Wolfgang Hockl, Initiator des Gesundheitszentrums in Enns. Dort ist nach Schließung des lokalen Krankenhauses ein Ärztezentrum entstanden, das als Vorzeigebeispiel herumgereicht wird. Auf der Homepage der Gesellschaft findet sich unter „ÖGAM-News“ ein Bericht mit der Überschrift „Allseits Zufriedenheit“. Nach dieser Lektüre mag sich der eine oder andere Jungarzt fragen: „Gehört die Zukunft vielleicht nur diesen Zentren?“ Die langjährige ÖGAM-Funktionärin Dr. Barbara Degn interviewt darin eine Kollegin, die kürzlich ins Ennser Team von derzeit sechs Allgemeinmedizinern eingestiegen ist. Dr. Silke Eichner kann von ihrem Wechsel aus der Einzelpraxis in das besagte Team nur Positives berichten: Work- Life-Balance? „Prima.“ Vor Ausfall durch Krankheit habe sie keine Angst mehr, denn es erfolgt gegenseitige Vertretung. Eichner weiter: „Wir haben einen Geschäftsführer, der sich um wirtschaftliche und organisatorische Belange kümmert. Wenn der Drucker nicht funktioniert, schreie ich und es kommt jemand. Im benachbarten Zimmer arbeite ich weiter.“ Als Insider erlaube ich mir einen leisen Hinweis: Annehmlichkeiten dieser Art gibt es leider nicht zum Nulltarif. Auf irgendeine Weise wird Kollegin Eichner dafür zahlen müssen.</p> <h2>Zukunft der Einzelpraxen in PHC-Nähe</h2> <p>Um die Rückseite der Medaille zu beleuchten, schwenken wir zu einer Allgemeinmedizinerin, die seit Jahren als Ärztekammerfunktionärin in verschiedenen Funktionen mit vollem Einsatz gegen die Hausarztabwertung kämpft: Dr. Martina Hasenhündl. Bis Ende April war sie unter anderem 1. Kurienobmann-Stellvertreterin der niedergelassenen Ärzte in der Ärztekammer NÖ. Mit großem Engagement führt sie die Fortbildungsakademie ihrer Kammer. Im Kampf gegen die Verherrlichung zukünftiger Primärversorgungszentren kommt von ihr eine unmissverständliche Warnung: „Diese Zentren sind subventioniert, und genau das wird der wirtschaftliche Tod für viele Allgemeinmediziner sein.“ Es ist nachvollziehbar, dass so eine Warnung potenzielle Praxiseinsteiger verunsichert. Niemand kann heute exakt voraussagen, wo genau solche Einheiten entstehen werden. Hasenhündl: „Wer sich als Kassenallgemeinmediziner nun in der Nähe so eines Zentrums befindet, der sollte sich warm anziehen.“ Die Kämpferin für eine Hausarztaufwertung geht mit ihren Voraussagen im „NÖ Consilium“, Ausgabe 1+2/2017, noch weiter: „Für die Jungen wird es eine Gratwanderung am Rande der Rentabilität, die viele nicht überstehen werden.“ Zuletzt hat sich die Kammerfunktionärin vehement für die Abgeltung des ELGA-Zusatzaufwandes eingesetzt. Vergeblich! Bis jetzt gibt es keine Zusagen der Sozialversicherung, die ärztlichen Honorare entsprechend anzupassen. Hasenhündl in der niederösterreichischen Kammerzeitschrift zusammenfassend: „Unsere Gegner sind clever. Sie arbeiten seit vielen Jahren an der Abschaffung der niedergelassenen Kassenärzteschaft. ELGA in Kombination mit den neuen Primärversorgungseinheiten könnte der Todesstoß für die so unglaublich wichtige Gruppe von Ärzten sein. Es sei denn, wir schreiten noch mit großer Vehemenz ein.“ Nach so gegensätzlichen Blicken in die Hausarztzukunft ist ein humorvoller Ausgleich angesagt.</p> <h2>Humorvolles zur Einstimmung auf die Kassenpraxis</h2> <p>Beim Griff zu Zeitungen haben sich bei mir eigenartige Rituale eingeschlichen. Am Beispiel der „Presse“: Zuerst suche ich die Rubrik „Leserpost“ auf, ganz unabhängig davon, welche Themen die Titelseite und der Leitartikel vorgeben. Bei der „Kronen Zeitung“ am Sonntag ist es Bruno Haberzettls Karikatur auf der vorletzten Seite, welche meine ersten Blicke magisch anzieht. Beim Griff zur „Medical Tribune“ wiederum beginne ich, blitzartig nach den Zeilen von Dr. Ulrike Stelzl zu suchen. Seit Jahren wirken die humorvollen Kommentare der Grazer Kassenärztin für Allgemeinmedizin wie Balsam auf meine zerschundene Hausarztseele. Ich war nach ihren Texten schon süchtig, als die Kollegin noch als Wahlärztin tätig war. Die Chefredaktion lässt der Kolumnistin die Freiheit, sogar banale oder grenzwertige Formulierungen zu verwenden. So schreibt sie in der Ausgabe vom 5. April 2017: „Wenn nämlich einer dieser Tage ist, an denen so wahnsinnig viel los ist, dass wir nicht einmal zum Pinkeln kommen, geschweige denn zur Zubereitung eines Kaffees …“ Nur Außenstehende hegen hier den Verdacht, Stelzl übertreibe. Wann immer Kassen- zu Massenärzten werden, sei es während der Zeit von Grippewellen oder bei Urlaubsvertretungen für Nachbarkollegen, erobern die grenzwertigen Stelzl-Formulierungen auch den Wortschatz der eigenen Ordinationshilfen („Heute kommen wir nicht einmal zum Pinkeln“). So erhebe ich Stelzls Kommentare in der „Medical Tribune“ zur Pflichtlektüre für jeden Aspiranten auf eine Kassenvertragsstelle, sei diese nun in einem Zentrum oder in einer Einzelpraxis. Junge Kolleginnen und Kollegen sollten vor dem Sprung in die Praxis ausreichend über alle Facetten unseres Berufes aufgeklärt werden.</p> <h2>Kolumnistin Stelzl über neue Vorsorgeuntersuchung</h2> <p>Kollegin Stelzl nimmt auch die bürokratischen Fußfesseln der Kassenallgemeinmedizin aufs Korn. In einem ihrer Kommentare heißt es: „… und immer noch mit demselben Wutgefühl im Bauch, wenn mir etwas unsinnig vorkommt, sitze ich nun vor der neuen Gesundenuntersuchung. Auf dem Bildschirm tummelt sich eine Unzahl von kleinen Kästchen, die alle mit kleinen Hakerln versehen werden möchten.“ Ihr Urteil über die neue Vorsorgeuntersuchung: „Das Ganze ist extrem unübersichtlich.“ Als Konsequenz dieser Mehrarbeit sieht sie die Notwendigkeit, nun um sechs Uhr morgens mit den Untersuchungen zu beginnen, um das gewohnte Kontingent zu schaffen. Einziges Hindernis: Ihre Assistentinnen wollen da nicht mitmachen. Nicht jeder hat gleich eine „Medical Tribune“ zur Hand. Ersatzweise kann dafür das Stelzl-Buch „Hallo Doc. Anekdoten aus der Sprechstunde“ erworben werben. Das Taschenbuch ist 2014 im Goldegg Verlag erschienen. Wer nach dieser Lektüre auf den Geschmack gekommen und noch immer willens ist, einen Kassenvertrag zu unterzeichnen, der besorge sich über das Internet „Hallo Doc 2. Der ganz normale Praxiswahnsinn“. Dieses Druckwerk ermöglicht einen ungeschminkten und zugleich heiteren Einblick in das „Sklavenleben“ des Vertragsarztes. Besteht nach der Lektüre weiterhin Bereitschaft, in die Hausarztmedizin einzusteigen, dann heißt es zur Vertragsunterschrift zu schreiten.</p></p>
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