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49. Weltkongress der Chirurgie

„Die Chirurgie ist minimal geworden – mit maximalen Ergebnissen“

Der 49. Weltkongress der Chirurgie fand in diesem Jahr von 15. bis 18. August in der Wiener Hofburg statt. Ein Event der Sonderklasse, das mit enormem Aufwand und trotz Corona-Intermezzi als reine Präsenzveranstaltung stattfand, wie der nationale Kongresspräsident Univ.-Prof. Dr. Albert Tuchmann, Wien, im Interview berichtet.

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Den World Congress of Surgery 2022/ die International Surgical Week 2022 (ISW) überhaupt nach Wien zu bekommen war schon etwas Außergewöhnliches. Ebenso beachtlich fiel das Interesse aus: Insgesamt fanden sich 888 Teilnehmer aus 84 Nationen in der Bundeshauptstadt ein, davon 84 aus Österreich. Es gab 700 Präsenz-Präsentationen (eingeladene Vorträge/Lectures, freie Vorträge, Videos, Poster) in 103 Sitzungen, die parallel in 6 Sälen stattfanden.

Wie man sich denken kann, war die Umsetzung in diesen dynamischen Zeiten alles andere als einfach. Das bestätigt auch Univ.-Prof. Dr. Albert Tuchmann, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Chirurgie (OEGCH), der als nationaler Kongresspräsident fungierte: „Die Organisatoren waren durch Covid, Krieg im Osten Europas, Flugchaos,aber in erster Linie durch die kurze Vorbereitungszeit von neun Monaten – von November 2021 bis August 2022 – auf eine Nervenprobe gestellt.“ Faktum ist, die Übung ist rundum gelungen: Für Begeisterung sorgte nicht allein der gediegene Rahmen in der Hofburg samt „Kaiserwetter“, auch das bekannt hervorragende wissenschaftliche Niveau trug dazu bei. Im Interview spricht Tuchmann über die Notwendigkeit von Präsenzveranstaltungen, neue Entwicklungen in der Chirurgie und den Ärztemangel in Österreich.

Herr Prof. Tuchmann, wir gratulieren zu diesem beeindruckenden Kongress, der in Pandemiezeiten sicher kein einfaches Unterfangen war. Wie lautet Ihr persönliches Fazit?
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A. Tuchmann: Viele der Teilnehmer kamen aus Übersee und haben die Strapazen der Anreise auf sich genommen. Genau das war aber eines der Damoklesschwerter der Veranstaltung: Solange Covid ein Thema ist, reist niemand gern. Das heißt, wir hatten aus sonst sehr starken Ländern wie USA, Kanada, Korea, Japan etwa nur die Hälfte der Teilnehmer. Letzten Endes waren alljene in Wien, die sich zu einer Wiederbelebung der Präsenzkongresse bekannt haben. Die Stimmung war ausgezeichnet – vier Tage im August mit strahlendem Sonnenschein. Das Niveau dieses Kongresses ist generell sehr hoch. Es gibt ein entsprechendes Ausleseverfahren für die Vorträge.

Der Kongress fand nur als Präsenzveranstaltung und nicht wie aktuell häufig als Hybridveranstaltung mit Live-streams statt. Gab es dafür einen konkreten Grund?

A. Tuchmann: Wir wollten keine virtuellen Meetings mehr nach 2020 und 2021. Wir wollten auch bewusst keine Alternative zum Präsenzkongress anbieten. So viele internationale Teilnehmer können sich nicht über Bildschirme austauschen. Es ist die Zeit des Aufbruchs, nachdem fast drei Jahre lang keine großen internationalen Chirurgiekongresse in dieser Form stattgefunden haben.

In den zahlreichen Vorträgenwurde auch viel Neues rund um den Verdauungstrakt präsentiert. Können Sie einige der Highlights für Sie persönlich nennen?
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A. Tuchmann: In der Chirurgie der gutartigen Erkrankungen sind enorme Fortschritte zu verzeichnen, z.B. bei der Divertikulitis. Früher wurden einfache Leiden wie Hämorrhoiden oder Leistenbrüche in der Chirurgie oft über einen Kamm geschoren. Mittlerweile ist die Chirurgie minimalinvasiv geworden – mit maximalen Ergebnissen. Unter den allgemeinen State-of-the-Art-Vorträgen möchte ich die Innovationen bei der akuten Cholezystitis und bei komplexen Narbenhernien erwähnen. Beim Ösophaguskarzinom werden durch multimodale Behandlungsmöglichkeiten sehr gute Ergebnisse erzielt. Es gibt auch Hoffnungsschimmer beim Pankreaskarzinom. Dann ist die endokrine Chirurgie mit neuen, minimalinvasiven Verfahren mit Zugang über die Mundhöhle zur Schilddrüse zu nennen. Das sind nur einige Beispiele von vielen. Eine große Rolle spielten auch die Organtransplantation und die Roboterchirurgie.

Stichwort Roboterchirurgie. Wie beurteilen Sie diesen Trend?

A. Tuchmann: Die Roboterchirurgie floriert, wobei hierbei die Vor- und Nachteile abgewogen werden müssen. Aus wissenschaftlichen Daten geht bisher nur hervor, dass der Blutverlust geringer ist und die postoperative Aufenthaltszeit im Spital ebenfalls um ein bis zwei Tage reduziert wird. In Zukunft könnten auch noch weitere Vorteile zutage treten, beispielsweise ein reduziertes Komplikationsrisiko. Bei der Darmchirurgie etwa kann eine einzige Komplikation Lebensgefahr bedeuten. Und genau auf diesem Gebiet ist die Roboterchirurgie auch ein großes Thema.

Der Ärztemangel ist omnipräsent. Wie sieht es denn mit dem Nachwuchs bei den Fachärzten für Chirurgie aus? Wie hoch ist der Frauenanteil? Welche Spezialisierungen sind gefragt?
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A. Tuchmann: Die Chirurgie wird zunehmend weiblich. Bereits 50% aller Ärzte, die die Facharztprüfung ablegen, sind Frauen. Das bedeutet, es muss die Berufsgestaltung zunehmend darauf Rücksicht nehmen. Ich bin aber ein Gegner davon, das Thema Frauen in der Chirurgie hochzustilisieren. Die Chirurgie ist noch kein Mangelfach. Aber die Tendenz ist sicher nicht pro Chirurgie, weil das ein sehr herausforderndes Berufsbild ist – zumeist ohne geregelte Arbeitszeiten, mit Nachtdiensten und Akutfällen. Der Anreiz der Chirurgie wird aber durch die Spezialisierung erhöht. Wenn jemand keine akuten Fälle operieren möchte und sich zum Beispiel in Richtung Hernienchirurgie spezialisiert, dann ist eine ausgeglichene Work-Life-Balance durchaus möglich. Zudem suchen die Patienten auch vermehrt nach Spezialisten. Früher sind alle zum großen Chirurgen gegangen, der an Leber und Bauchspeicheldrüse genauso operiert hat wie an Hämorrhoiden und Leistenbrüchen. Das gibt es nicht mehr: Selbst diese einfachen Leiden haben mittlerweile einen hohen Grad der Spezialisierung erreicht. Und die Spezialisten erfahren wiederum eine größere Befriedigung, weil sie gefordert sind.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Welt der Chirurgie

Die den Weltkongress organisierende wissenschaftliche Gesellschaft ist die International Society of Surgery/Societé Internationale de Chirurgie (ISS/SIC). Sie wurde 1902 in Belgien gegründet und übersiedelte später in die Schweiz.Sie gibt das World Journal of Surgery heraus und veranstaltet alle zwei Jahre die International Surgical Week (ISW)/den World Congress of Surgery. Die in der ISW 2022 integrierten wissenschaftlichen Gesellschaften setzen die Schwerpunkte für Sitzungen, Vorträge und Poster: IAES (International Association of Endocrine Surgeons), BSI (Breast Surgery International), ISDS (International Society for Digestive Surgery), IASMEN (International Association for Surgical Metabolism and Nutrition), IATSIC (International Association for Trauma Surgery and Intensive Care), ASAP (Alliance for Surgery and Anesthesia Presence). Dazu kommt noch eine Reihe (kleinerer) assoziierter und partizipierender Gesellschaften. Weitere Informationen: www.iss-sic.com.

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